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Ehe

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30.07.2001
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Ehe

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Maria Schlüters stand in der Küche ihres Hauses und wusch das dreckige Geschirr vom Mittag ab.
Den ganzen Tag war sie durch das Haus gewetzt und hatte geputzt,gewaschen und gebügelt.
Erst jetzt, am Abend fand sie die Zeit in der Küche weiterzumachen.
Ein Klicken drang aus dem Hausgang durch die kleine Küche an ihr Ohr. Die Haustür wurde aufgeschlossen.
Schwere, schlurfende Schritte konnte sie vernehmen.
„Hallo Schatz, ich bins.“ wurde gerufen. Ihr Mann kam von der Arbeit nach Hause.
Die 61 jährige hochgewachsene, etwas korrpulente Frau wischte sich die vom Abwasser feuchten Hände an der Schürzte ab und trat auf den Flur.
Ihr Mann, der drei Jahre älter war als sie, fummelte gerade an seinem Mantel herum, den er an die Garderobe hängen wollte.
Früher war er eine stattliche Erscheinung gewesen, dachte sie, als sie ihn so ansah. Heute sah er alt und verbraucht aus, das Ergebnis langer Jahre in der Metallfabrik. Zugenommen hatte er und seine Knochen machten ihm immer mehr zu schaffen.
„Hallo, Helmut“, sagte sie leise zurück und hauchte ihm einen Kuß auf die Wange.
„Wie war dein Tag?“
Ihr Mann hatte es endlich geschafft, den Mantel aufzuhängen. Fahrig strich er sich über seine Halbglaze. Das Haar begann ihm schon seit Jahrzehnten auszufallen.
„Danke gut, wie immer“
Er drückte sich an ihr vorbei in die Küche. Sie war noch so eingerichtet, wie sie das Haus vor beinahe 30 Jahren gekauft hatten.
„Was gibt's zu essen?“ fragte er und blickte enttäuscht auf den leeren Herd.
„Heute gibt es nur kalt. Ich bin nicht dazu gekommen, etwas zu kochen.Außerdem hat es heute Mittag etwas gutes gegeben.“
Helmut nickte nur stumm und machte den Kühlschrank auf. Fast leer tat dieser sich vor ihm auf. Aufschnitt sah er, Tomaten, Gurken, Senf und zwei Joghurtbecher.
Er nahm sich alles bis auf den Joghurt heraus und trug es hinüber zum Tisch.
Maria legte Brot in den Korb, stellte Teller und Getränke bereit.
Die Sonne blitzte kurz hinter den dicken grauen Wolken hervor, als sie aßen.
„Heute nachmittag ist im Radio gekommen, daß es auf der Landstraße einen schweren Verkehrsunfall gegeben hat“, sagte Maria. „Es soll einen Toten geben.“
Ihr Mann nickte zwischen den Bissen und antwortete mit vollem Mund.
„Tragisch“, und aß weiter.
Maria blickte zum Fenster hinaus in das trübe Licht.
„Ob es heute wohl regnet?“ Sie nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Glas.
„Kann schon sein“ antwortete Helmut undeutlich.
Sie sah ihn über den Tisch hinweg an.
Früher hatten sie oft und viel geredet, ja sogar nächtelang diskutiert. Kein Thema war zu banal, als das es nicht auf den Tisch gekommen wäre.
Heute schwiegen sie viel. In ihrer langen Ehe war ihnen irgendwann der Gesprächsstoff ausgegangen.
„Heute kam Fritz nicht zur Arbeit.“ Helmut schob sich ein weiteres Stück Brot in den Mund. „Liegt anscheinend mit Fieber im Bett.“
„Der arme“, flüsterte Maria.
„Durfte seine Arbeit heute zum Teil mit machen.“
„Oh“ antwortet sie nur.
Fritz, mit dem hatte sie früher mal eine Beziehung gehabt. Lange vor ihrem Mann. Der konnte wirklich gut tanzen. Soweit sie wußte ,tanzte er heute noch viel und seine jetzige Frau erzählte es immer allen ganz begeistert.Mit Helmut hatte sie nicht mehr getanzt,seit er die Gelenkversteifung gekriegt hatte. Das passierte vor acht Jahren, oder waren es zehn gewesen? Sie erinnerte sich nicht mehr daran.
Fritz war zum Leiter des Werkstattbereichs aufgestiegen. Hatte fünfzehn Leute unter sich.
Helmut stand immer noch an seiner Maschine, wie schon vor dreißig Jahren.
Er war nicht immer glücklich damit, aber in seinem Job konnte er wenigstens nicht gekündigt werden.
Sie arbeitete drei mal die Woche halbtags bei einem reichen Ehepaar als Putzhilfe.
Dort mußte sie immer besonders auf die kostbaren Vasen und Dekorationen achtgeben. Immer wieder wurde sie von der Hausdame darauf aufmerksam gemacht. Wie ein Kind, daß man belehren konnte. Sie hielt aber immer den Mund, damit sie nicht um ihren Job fürchten mußte.
Immer wenn sie dann alleine in dem schönen Haus war, gefiehl es ihr so zu tun, als ob ihr dieses Anwesen gehörte. Sie sprach dann mit imaginären Bediensteten und schimpfte auch mit ihnen.
Wenn sie dann immer in ihr kleines, etwas heruntergekommenes Haus zurückkam, fühlte sie manchmal eine seltsame Leere in ihrem Kopf.
Helmut rülpste und riß sie damit aus ihren Gedanken.
„Schade das der Fernseher kaputt ist“, sagte er wie zu sich selbst.
„Ja, er soll erst nächste Woche repariert sein.“
„Nächste Woche...“ murmelte Helmut gedankenverloren.
Er war mit dem Essen fertig und räumte ab. Während Maria damit begann weiterzuspülen, kramte er die Zeitung von heute heraus und schlug den Sportteil auf.
Immer nur Sport, dachte Maria und seufzte leise.
Früher schwang er brilliante Reden über die Politik, über Geschichte und Völkerverständigung. Heute lies er sich im Fernsehen von Talkshows berieseln oder eben von Sport.
„Die Deutschen spielen heute gegen Ungarn“, kam es hinter seine Zeitung hervor.
„Ist bestimmt ein interessantes Spiel“, antwortete sie.
„Ja, bestimmt.“
Er legte die Zeitung zusammen und auf den Tisch.
„Ob Matthäus wohl heute auch mitspielt?“ fragte er.
„Aber der ist doch schon lange nicht mehr aktiv, Schatz“
„Oh, ja richtig, Hat´ich ganz vergessen.“
Er erhob sich und schlurfte wortlos in Wohnzimmer.
Maria wusch weiter ab. Früher hielf er ihr dabei. Zusammen bestritten sie den Haushalt. Als er von der Arbeit kam, und an den Wochenenden. Da machte die Hausarbeit richtig Spaß.
Mit den Jahren war es immer weniger geworden. Bis er ihr schließlich überhaupt nicht mehr zu Hand ging.
Maria massierte und dehnte sich etwas den Rücken. Ihr altes Leiden, das Rheuma. Sie vergaß immer Helmut zu sagen, sie einzuschmieren. Obwohl die Salbe auch nicht viel half.
Nachdem sie alles aufgeräumt hatte, ging sie ins Wohnzimmer, wo ihr Mann dumpf auf dem Sofa saß und vor sich hinbrütete.
Eine Fliegenklatsche hielt er in der Hand, die er anscheinend vergessen hatte.
Maria nahm sie ihm ab und setzte sich daneben.
„Morgen ist Freitag“, sagte sie in die Stille hinein, in der nur das Ticken der alten Wanduhr zuhören war, die sie zu ihrer Hochzeit geschenkt bekommen hatten.
Helmut gab keine Antwort.
„Sollen wir am Wochenende zusammen aufs Land fahren?“ fragte sie etwas hoffnungsvoll.
Frührer fuhren sie oft aufs Land. In den Sommermonaten an den reifen Früchten den Felder und Bäume vorbeifahren, das gefiel ihr schon immer. In netten kleinen Cafe´s auf der Terasse sitzen und einen guten Wein dazu trinken.
Wie lange hatten sie das nicht mehr gemacht.
„Es soll am Wochenende regnen“, kam gelangweilt die Antwort.
Damit schien der Vorschlag für Helmut abgehackt.
Eine Weile saßen sie stumm da. Ab und zu hörten sie das Geräusch eines vorbeifahrenden Fahrzeugs.
Die Stille und das trübe Wetter machten Maria schwermütig.
Der leise, fast regelmäßige Atem ihres Mannes sagte ihr, daß er fast hier auf dem Sofa eingeschlafen war.
Und ein Blick durch das Fenster sagte ihr, daß die Sonne untergegangen und sich draußen die Nacht ausgebreitet hatte.
Maria gähnte verhalten
„Komm Helmut,gehen wir ins Bett.“
Helmut schreckte aus seinem Dösen auf und grunzte.
„Ja.“
Er blicke wehmütig an die Stelle, wo der Fernseher sonst immer stand und jetzt ein Loch im Wohnzimmerschrank klaffte.
„Schade daß der Fernseher kaputt ist“, murmelte er.
Sie gingen zusammen in die obere Etage ins Schlafzimmer. Der Raum war klein und eng, wie das gesammte Haus. Es paßte nicht viel mehr als ein Bett hinein.
Sie begannen sich im Licht der schwachen Leselampe zu entkleiden und in ihre Pyjamas zu schlüpfen.
Maria lag als erste im Bett. Wegen seiner steifen Knochen brauchte Helmut länger als sie sich auszuziehen.
„Du mußt morgen noch in die Stadt und für das Wochenende einkaufen, wenn du Feierabend hast.“
„Gut“, grunzte Helmut und stieg ächzend in das Bett.
Wieder umfing Maria Stille.
Wie schön es doch gewesen wäre, wenn sie Kinder gehabt hätten. Aber es wollte einfach nicht klappen und jetzt war es zu spät.
Immer ein wenig neidisch sah sie ihren Nachbarn und wenigen Freunden zu, wie sie ihre Kinder und Enkelkinder durch die Stadt und Parks schoben, mit ihnen auf dem Spielplatz spielten oder in den Zoo gingen und sich an ihren großen Augen erfreuten.
Maria verwarf diese Gedanken. Sie machten sie noch schwermütiger.
Helmut atmete tief ein.
„Ich liebe dich“, sagte er kurz vor dem Einschlafen.
Maria schaltete die Leselampe aus.
„Ich liebe dich auch, Helmut.“

E N D E


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Endprodukt der Gesellschaft, oder? So sieht der ideale Systembürger aus :)

 

@ Camaun Das habe ich mir auch gedacht! Er kritikloser Arbeiter, sie Putze bei den Systemschaffern.
Wenn man den Fernseher und das Länderspiel wegrechnet, könnte das auch als Geschichte eines Kommunisten durchgehen, der zur proletarischen Revolution aufrufen will. :)

 

Ein deutscher Ehealltag, gute Geschichte, besonders die netten einsilbigen Antworten der beiden Eheleute sind wie aus dem Leben gegriffen, könnte ne Unterhaltung meiner Eltern gewesen sein.
Ein Kritikpunkt: Wenn er immer den Sportteil liest, wie sie es sagt, dann weiß er wohl auch, daß der gute Loddar Matthäus schön länger nicht mehr aktiv ist.

 

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