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Ein besonderer Geburtstag

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08.06.2003
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Ein besonderer Geburtstag

Eigentlich war heute sein Geburtstag, aber bis jetzt merkte Tudor noch nichts davon. Ganz allein saß er am Fenster und schaute, wie so oft, den ziehenden Wolken nach. Hatten die es gut, die brauchten kein Fahrgeld und konnten jeden Tag woanders sein. Leise seufzte der Junge. Was sollte er jetzt bloß machen? Die großen Kinder des winzigen rumänischen Dorfes waren in der Schule. Er war erst fünf und ging sonst mit Vater und Mutter aufs Feld und half bei der Arbeit.
Doch heute hatte er einfach verschlafen. Erst am Nachmittag würden die Eltern zurückkehren und dann würde die Mutter wohl einen Geburtstagskuchen backen.
Darauf freute sich Tudor sehr, denn Kuchen gab es nur sehr selten.
Er verließ das Haus und lief in Richtung Schule.
Dort wollte er auf seinen Bruder Voicu warten. Doch was war das? Da stand ein riesengroßer Lastzug am Straßenrand der einzigen durchs Dorf führenden Straße.
Solch ein Kolos hatte sich noch nie bis hierher verirrt. Neugierig lief Tudor um das abgestellte Fahrzeug herum, einen Fahrer konnte er nicht erspähen.
Das mußte doch einer von den Trucks aus Deutschland sein, von denen Vater schon erzählt hatte. Diese Fahrzeuge brachten oft die schönsten Dinge nach Rumänien, Geschenke von deutschen Kindern.

Gerade als der Junge die Stufen vom Fahrerhaus hochgeklettert war, kam der Fahrer des Trucks aus seiner Schlafkabine gekrochen.
"He, du, kannst du mir sagen, wo ich etwas Wasser für meinen Lkw bekommen kann? Mein Kühler ist ausgelaufen.
Ich muß wenigstens bis zur nächsten Werkstatt kommen." Tudor verstand natürlich kein Wort.
Die Beiden versuchten sich mit Händen und Füßen zu verständigen. Sie schafften es soweit, dass Hans, so hieß der deutsche Fahrer, mit einem Kanister zur Schule lief. Wieder am Laster angekommen, klopfte Hans dem Kleinen freundschaftlich auf die Schulter und holte aus dem Inneren des Lasters ein großes Paket. Dann fuhr er los und winkte, bis er den Jungen nicht mehr sehen konnte. Tudor blieb noch eine ganze Weile wie angewurzelt stehen, doch dann rannte er in Windeseile nachhause. Schnell packte er sein Paket aus und seine Augen wurden riesengroß.

Vor ihm stand ein wunderschönes Spielzeug, fast der gleiche Truck wie der von Hans. Nun hatte Tudor doch noch ein richtiges Geburtstagsgeschenk bekommen und konnte später mit Voicu damit spielen.

Eins stand für ihn fest, wenn er groß ist, dann würde er auch so einen riesigen Lkw fahren und dann könnte er, genauso wie die Wolken, jeden Tag woanders sein.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Stauni,

eine schöne Kindergeschichte. Am besten gefiel mir das träumerische Ende, bei dem du auf den Anfang mit den Wolken zurückgreifst. Den Schauplatz Rumänien finde ich ebenfalls gut. Hab den Text gerne gelesen.

Kolos → Koloss
nachhause → nach Hause

Viele Grüße,

Michael :)

 

Hallo Stauni,

Deine erste Kindergeschichte ist Dir in meinen Augen ganz gut gelungen. Sie kann Kindern die Tatsache nahebringen, daß es vielen anderen (besonders in bestimmten Ländern) nicht so gut geht wie ihnen selbst. Und doch stellst Du den rumänischen Alltag nicht allzu grausam dar, was vielleicht verstörend wirken könnte.

Schöne Grüße
Roy

 

Hallo Stauni!

"Ganz allein saß er am Fenster und schaute, wie so oft, den ziehenden Wolken nach. Hatten die es gut, die brauchten kein Fahrgeld und konnten jeden Tag woanders sein" - diese Formulierung hat mir sehr, sehr gut gefallen. Sie drück soviel Sehnsucht aus, Wünsche und Hoffnung.

Insgesamt hat mir deine Geschichte ebenfalls gut gefallen. Wie Roy und Michael schon gesagt haben, finde auch ich die Aussage sehr gut verpackt. Ich könnte mir auch die Geschichte als Anknüpfungspunkt für eine gute Diskussion, kindliche Fragen vorstellen.

schöne Grüße
Anne

 

Hallo Stauni,
deine Geschichte hat auch mir sehr gut gefallen!
Vielleicht eine kleine Anregung: Das Verschlafen am Geburtstag kann ich nicht so ganz nachvollziehen ... vielleicht hat seine Mutter ihn einfach schlafen lassen, eben WEIL er Geburtstag hat? Finde ich eingängiger ... aber wie gesagt, sonst sehr schön.
Bin auch bei meinen Geschichten immer sehr offen für Anregungen!
Liebe Grüße und weiter so
von der Susafee

 

Hallo Stauni,

eine nette Geschichte! Genau wie Anne, gefiel auch mir die Formulierung mit den Wolken und dem Fahrgeld sehr :) Durch diesen einen schlichten Satz zeigst Du den Mangel, unter dem Tudor leiden muss ohne dramatisch zu werden. Sehr schön!

Gelungen finde ich auch das Ende, wo Du den Kreis schließt, und wieder auf die Wolken zurück kommst.

Im Ganzen hätte ich mir gewünscht, dass Du den Jungen und den LKW-Fahrer ein bisschen plastischer werden lässt, sie deutlicher charakterisierst. Für meinen Geschmack bleiben sie etwas blass. Ich hätte auch gerne noch mehr von den Gefühlen Tudors erfahren, aber vielleicht ist das Geschmackssache.

Ganz sicher behandelst Du ein Thema, das wir unseren Kinder näher bringen sollten, und dies tust Du ohne moralischen Zeigefinger. Das gefällt mir.

Eine Kleinigkeit:

"Eins stand für ihn fest, wenn er groß ist, dann " --> Ich glaube, es müsste heißen: "wenn er groß war"

Liebe Grüße
Barbara

 

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