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Ein Doppelagent führt Regie

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27.02.2004
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Ein Doppelagent führt Regie

Der im Folgenden erwähnte Zeitungsartikel sowie alle handelnden Figuren und Ereignisse sind rein fiktiv. Ähnlichkeiten zu lebenden oder toten Personen sowie historischen Fakten sind rein zufällig.


Oftmals werden Medien genutzt, um die Wahrheit zu verfälschen und Lügen für wahr zu erklären. Dies war und ist nicht nur ein beliebtes Mittel in autokratischen Diktaturen, sondern findet überall auf der Welt Anwendung. So konnte man vor einigen Tagen auf der Titelseite einer Frankfurter (a. M.) Tageszeitung folgende Schlagzeile lesen:

Skinheads schossen auf verwirrten, nackten Mann

Frankfurt. Wie die Polizei heute Vormittag mitteilte, lief ein anscheinend geistig verwirrter Mann am gestrigen Dienstagabend bei Temperaturen von rund zehn Grad unter Null nackt durch die Frankfurter Innenstadt. Dabei sei der Mann, so berichtete Polizeisprecherin Imgard Nockemeier, einer Gruppe von 4 bewaffneten, gewaltbereiten Skinheads begegnet. Diese hätten dann den verwirrten Mann gejagt und dabei mehrmals mit ihren automatischen Handfeuerwaffen auf ihn geschossen, so erklärte Nockemeier weiter. Dabei trafen sich zwei der Skinheads gegenseitig und starben kurze Zeit später im Krankenhaus. Die anderen beiden Neonazis stürzten bei der Verfolgung des Mannes eine vereiste Treppe hinunter, die zu einer U-Bahn-Station führte, und erlagen ebenfalls den Folgen ihrer Verletzungen. Von den Schüssen alarmiert, riefen mehrere Anwohner die Polizei, die den verwirrten Mann nach kurzer Suche unverletzt fanden. Der Mann befindet sich zur medizinischen Untersuchung und weiteren psychiatrischen Betreuung in einer nicht näher benannten Klinik. Es werde eine eingehende Untersuchung der Vorfälle geben, kündigte die Polizeisprecherin an.
Bericht und Kommentar siehe S. 2


Allerdings steckte hinter diesem weiteren Beispiel für die gewaltsame Entladung latenter Ausländerfeindlichkeit vielmehr, als die Öffentlichkeit je erfahren sollte.


Alles begann, als ein gut aussehender, kräftig gebauter, blonder Mann, der noch nicht ganz die 30 Lenze erreicht hatte, an besagtem eisigen Dienstagabend dick vermummt ein Cafe in der Innenstadt betrat, welches von innen wie ein amerikanischen Restaurant der 30er Jahre eingerichtet war und von den Frankfurtern sehr gut angenommen wurde. Als der Mann das Cafe betrat, schüttelte er sich und freute sich an der angenehmen Wärme. Sein Gesicht war ganz rot von der Kälte. Er blickte sich kurz um, so als würde er jemanden suchen, setzte sich aber dann schnell in die hintere linke Ecke des Cafes. Als eine Kellnerin kam und ihn fragte, was er wolle, wies er sie höflich, aber bestimmt ab, er wolle erst noch eingehend die Karte studieren. Einige Minuten später, der Mann war scheinbar immer noch in die Speisekarte vertieft, betrat ein älterer, mittelgroßer Mann, der mit seinem Atmen versuchte seine unbehandschuhten Hände zu wärmen, sodass sein Gesicht nicht zu erkennen war, das Cafe und nahm zielstrebig an dem Tisch Platz, der vor dem des blonden Gastes stand. Der neue Gast setzte sich so, dass mit dem Rücken zu dem jungen blonden Mann saß. Die Kellnerin fragte auch den neuen Gast, ob er schon etwas wünsche, aber auch er wies sie ab, dafür winkte sie jedoch der junge blonde Mann zu sich.
„Sie wünschen“, fragte die Kellnerin bemüht freundlich, doch ein Unterton von Frustration und Stress lag in ihrer Stimme.
„Ich hätte gern einen Blaubeermuffin und haben Sie evtl. auch Tee? Ich frage nur, weil Tee nicht auf der Speisekarte steht und ich immer mit dem Magen ansitze. Zuwenig Magensäure meinen die Ärzte, wissen Sie“, erklärte der Mann, obwohl es die Kellnerin nicht interessierte.
„Nein, das tut mir Leid. Tee führen wir leider nicht“, erwiderte sie, „Aber soll ich Ihnen vielleicht ein Glas Milch zu ihrem Muffin bringen?“
„Nein, danke.“
„Gut, dann also nur ein Muffin“, meinte die Kellnerin und ging.
„Wissen Sie“, sagte plötzlich der Gast, der mit dem Rücken zu dem jungen, blonden Mann saß, „Ich hatte auch ziemlich lange das gleiche Problem wie Sie, aber dann hat mir mal ein Arzt Akupunktur empfohlen und, was soll ich sagen, jetzt könnte ich ein Teller rohes Fett essen und es würde immer noch gut gehen.“
„Das ist wirklich nett von Ihnen“, erwiderte der andere, „Aber das habe ich auch schon versucht, aber leider ohne Erfolg.“
„Tut mir Leid, das zu hören, aber einen Rat habe ich noch, versuchen Sie es doch einmal mit Fencheltee, der soll generell für den Magen sehr bekömmlich sein.“
Der junge, blonde Mann drehte sich halb zu seinem Gesprächspartner um und flüsterte ihm fast unhörbar ins Ohr:
„Wo bleiben Sie denn solange? Ich habe schon gedacht, Sie würden gar nicht kommen.“
„Ganz ruhig, mein Wagen ist nich sofort angesprungen. Das kalte Wetter.“
„Na gut, wir machen es wie immer. Nachdem mir die Kellnerin den Muffin gebracht hat, geh ich auf Klo und sie folgen mir nach einer halben Minute.“
„Klar“, sagte der ältere Mann und nickte fast unmerklich einem dritten Mann mit pockennarbigem Gesicht und fülliger Statur zu, der am Tresen saß.
Dieser ging dann, eine FAZ in den Händen haltend, zu dem Tisch, an dem der junge blonde Mann saß, und setzte sich, ohne zu fragen, neben ihn, wobei er ihn sogar noch ein beachtliches Stück die Sitzbank entlang schob. Der junge Mann spürte, wie ein metallischer Gegenstand gegen seinen Bauch drückte, und blickte für einen kurzen Moment nach unten, um die Mündung eines Schalldämpfers zu sehen, der unter der FAZ hervorlugte und gegen seinen Bauch gedrückt wurde.
„Ganz ruhig“, flüsterte ihm der pockennarbige Mann zu, „Eine falsche Bewegung und Sie sind tot. Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen, den Schuss wird niemand hören.“
„Was wollen Sie?“, fragte der junge Mann geschockt und überrascht, damit hätte er nicht gerechnet. Er war nun schon einige Jahre in diesem Geschäft, aber so etwas war ihm noch nie passiert.
„Gar nicht viel, eigentlich“, erwiderte der Mann mit der Waffe und lächelte dünn, um sein Gegenüber zu beruhigen, „Essen Sie nur brav ihren Muffin auf und dann werden wir beide schön ruhig und gesittet aus diesem Lokal gehen und eine kleine Spritztour machen.“
Der junge Mann tat, wie ihm befohlen wurde. Er bezahlte den Muffin sofort, als er gebracht wurde, und aß ihn dann ruhig.
Anschließend bedeutete ihm der pockennarbige Mann mit einem Kopfnicken, dass er aufstehen solle. Zunächst erhob sich der Mann mit der Waffe und dann folgte er ihm. Seine Kontaktperson, mit der er vorhin gesprochen hatte, flankierte ihn, während der pockennarbige Mann hinter ihm ging. Sie mussten seine Kontaktperson gefasst und umgedreht haben, schoss es ihm durch den Kopf. Draußen angekommen, gingen sie zu einem großen, gelben Lieferwagen. Der pockennarbige Mann wies ihn an, in den Laderaum zu steigen, der dunkel war, man hatte anscheinend die Birne entfernt. Sofort nachdem er den Laderaum betreten hatte, packte aus dem Dunkel eine Hand seinen Brustkorb, während ihm die andere ein Tuch mit Narkotika auf Mund und Nase drückte. Sogleich verlor er das Bewusstsein.


Rund eine halbe Stunde später in einer Lagerhalle in einem Frankfurter Außenbezirk hatte der gelbe Lieferwagen sein Ziel erreicht. Während die drei anderen Insassen den bewusstlosen, blonden Mann wegschafften, bewegte sich der korpulente, pockennarbige Mann, dessen Gesicht von einer riesigen, roten Trinkernase weiter verunstaltet wurde, in einen nahe gelegenen Raum. Sein Haar war bereits grau und sehr dünn. Wenn man nicht wüsste, mit wem man es hier zu tun hat, hätte man diese Person wohl für einen harmlosen, älteren Mann mit einem Alkoholproblem gehalten, doch diese Darstellung war keineswegs zu treffend, auch was den Alkoholkonsum betraf, so war dieser für einen waschechten Russen noch maßvoll. Früher als der Sowjetstern noch über Russland und den anderen GUS-Staaten herrschte, war Jewgeni Andrejewitsch Koljanow Major der Spionageabwehr des KGB. Die westlichen Geheimdienste fürchteten ihn, da er ein wahrer Meister im Aufspüren feindlicher Agenten war. Aber genauso gut verstand er es, sie dann zum Reden zu bringen. Seinen Beinamen „Der Bäcker“ verdiente er sich dadurch, dass er gerne westliche Spione, nachdem sie ihm alles gesagt hatten, lebendig in einen Hochofen warf. Doch nach Ende des kalten Krieges erkannte Jewgeni sehr schnell, dass seine Dienste, sollte er sie freiberuflich anbieten, deutlich besser bezahlt wurden als im wieder neugeborenen Russland.
„Und, glaubst du, dass uns dieser Fang etwas bringen wird?“, fragte ihn ein kahl geschorenes Muskelpaket, das in dem spartanisch eingerichteten Raum, den Jewgeni gerade betrat, auf einem klapprigen Holzstuhl saß.
„Weiß nich, mal sehen“, erwiderte Jewgeni in fast akzentfreiem Hochdeutsch, „Beim BND arbeiten auch Profis. Vermutlich wird unser Fang nur ein Kurier sein, d. h. er wird nicht Gustavos eigentlicher Führungsagent sein, wenn du das meinst, Lars.“
„Also weiß er nichts?“, fragte das Muskelpaket wütend, dessen Neigung zum Jähzorn deutlich zu Tage trat.
„Einige rudimentäre Fakten wohl schon, aber nicht mehr“, erwiderte Jewgeni gelassen.
„Und wieso dann dieses Risiko, verdammte Scheiße noch mal?“
„Na, man kann nie wissen, Lars, ich werde ihm mal auf den Zahn fühlen. Zwei Stunden haben wir ja noch, bevor wir unsere Zelte hier abbrechen müssen, das wird reichen.“
„Wieso kann ich ihn mir nicht vornehmen?“, fragte Lars verärgert wie ein kleines Kind, dem man sein Lieblingsspielzeug weggenommen hat.
„Weil er dich in Null Komma Nichts auf Hundertachtzig bringen und du ihn dann zu Brei schlagen würdest, womit unser Fang seine eigentliche Funktion nicht mehr erfüllen könnte.“
„Was ist denn das nun schon wieder für ein Scheißdreck: seine eigentliche Funktion?“
„Nun, Lars, ich hatte wirklich gedacht, du würdest es auch so verstehen“, sagte Jewgeni und lächelte leicht höhnisch.
Lars hätte ihm am liebsten die Faust ins Gesicht geschlagen, diesem Kommunistenschwein, aber jetzt noch nicht, sie brauchten ihn noch für ihre Sache und ihre Sache stand über allem. Wenn sie erst ihr Ziel erreicht haben würden, und daran zweifelte Lars nicht, würde er jeden Russen, den er finde konnte, töten, genau wie der Führer es gewollt hatte. Aber vorerst brauchten sie Jewgeni, denn er war der Einzige von ihnen, der sich im Spionagegeschäft auskannte. Lars schaffte es irgendwie seine Wut zu zügeln und lauschte Jewgenis lehrerhaften Ausführungen:
„Also gut, dann erkläre ich es dir eben. Der BND ist eurer Organisation auf der Spur und hat hier sogar einen Agenten eingeschleust. Vermutlich werden sie vorhaben, demnächst eine Razzia hier durchzuführen, also müssen wir verschwinden. Aber um in nächster Zeit etwas Ruhe vor diesen aufdringlichen Schnüfflern zu haben, müssen wir ihnen eine Aufgabe geben, z. B. einen spurlos verschwundenen Kurier. Denn, so vermute ich, wird sich nur eine relativ kleine Gruppe mit eurer Organisation beschäftigen, und ein verschwundener Kurier wird sie beschäftigen. Zuerst werden sie denken, wir hätten ihn umgebracht. Aber wenn nirgendwo seine Leiche auftaucht, werden sie beginnen zu grübeln und wenn sie feststellen, dass auch Gerhard sich nicht mehr gemeldet hat, seit der Kurier verschwunden ist, werden sie glauben, der Kurier sei übergelaufen. Das bringt uns gleich zwei Vorteile. Erstens werden sie vermutlich Gustavo abziehen, weil sie glauben, dass er jede Sekunde aufliegen kann und die Infos, die er noch liefern kann, sind ihnen zu wertvoll. So löst sich das Problem von selbst. Dann müssen sie einen neuen Agenten bei euch einschleusen und werden gleichzeitig den ihrer Meinung nach übergelaufenen Kurier suchen. Damit werden sie so beschäftigt sein, dass sie ihre eigentliche Aufgabe, nämlich euch zu überwachen, viel zu kurz kommen wird.“
„Und wie willst du ihn spurlos entsorgen?“, fragte Lars sichtlich erregt, „Ab in den Hochofen?“
„Heutzutage kann man nicht einfach einen feindlichen Agenten in den Hochofen werfen wie zu meinen jungen Jahren. Die gehören alle privaten Firmen und wenn man mit einem KGB-Aufweis rumfuchtelt, wird man heute höchstens ausgelacht. Früher sind sofort alle aus dem Raum gelaufen.“
„Und wie dann“, fragte Lars enttäuscht, der Gedanke, einen lebendigen Menschen in einen Hochofen zu werfen, hatte ihm sehr gefallen.
„Nun, nachdem ich mich mit dem Kurier etwas unterhalten habe, werde ich ihm mit einer hauchdünnen Nadel einen Cocktail aus Alkohol und nicht mehr nachweisbaren Schlafmitteln spritzen, dann ziehen wir ihn an wie einen Penner und werfen ihn irgendwo außerhalb der Stadt in einen Wald. Dort wird er dann bei dem eiskalten Wetter erfrieren. Na ja, und um einen besoffenen Penner, der bei der Kälte erfriert, wird keiner großes Aufhebens machen. Der wird durch das Netz des BND fallen.“
„Clever“, bemerkte Lars zähneknirschend. Er ärgerte sich, dass er nie auf solche Ideen kam, obwohl er eigentlich ein heller Kopf war. Aber, tröstete er sich, dass liegt wohl auch daran, dass ich erst seit gut einem Jahr in der Organisation bin. Wenn ich erst mal etwas Erfahrung gesammelt habe, wird mir so etwas auch einfallen und dann kann ich diesen blöden Russen kaltmachen, weil er dann nicht mehr gebraucht wird.
Plötzlich ging die Tür auf und ein ebenfalls kahl geschorener Mann meldete, dass der Kurier soeben zu sich gekommen sei.
„Dann werde ich ihn mir mal vornehmen“, meinte Jewgeni.
„Willst du ihm Drogen spritzen, damit er redet?“, fragte Lars.
„Nein, ich bin in der Beziehung eher altmodisch“, erwiderte Jewgeni, „Ich halte immer noch Schmerz für den besten Zungenlockerer.“
„Sag ich doch, dann überlass ihn mir und er wird uns alles sagen“, meinte Lars, der doch noch auf seine Chance hoffte.
„Nein, nein, nicht so, Lars“, lachte Jewgeni, „Elektroschocks. Äußerst schmerzhaft und, wenn man es geschickt macht, äußerlich nicht sichtbar.“
Jewgeni verließ den Raum und wieder stieg in Lars diese unbändige Wut auf das blöde Kommunistenschwein auf. Doch diesmal konnte er sie nicht beherrschen. Er nahm den klapprigen Holzstuhl, auf dem er die ganze Zeit gesessen hatte, und zerschlug ihn an der Wand. Dann ging es ihm wieder besser.


Jewgeni betrat einen Raum, in dessen Mitte ein massiver Eichenstuhl stand, der mit Winkeleisen auf dem Fußboden fixiert wurde. Auf dem Stuhl saß der junge, blonde Mann. Er war an Händen, Füßen, Brust und Stirn mit Lederriemen an den Stuhl gefesselt worden. Er war nackt. An seiner linken Zeigefingerspitze hatte man eine Klemme angebracht, die mit einem Lügendetektor verbunden war, der auf einem Tisch links neben der Tür stand. An seinem Glied hatte man ein Kabel befestigt, das ebenfalls zu einer weiteren Vorrichtung auf dem Tisch führte. Zudem stand dort noch ein Tonband, das Jewgeni sofort, als er den Raum betrat, einschaltete. Dem jungen, blonden Mann war immer noch übel von den Narkotika und er hatte höllische Kopfschmerzen. Er versuchte zwar sich zu konzentrieren und seine Lage zu sondieren, doch irgendwie entwichen ihm die Gedanken immer wieder. Aber langsam wurde es wieder klarer in seinem Kopf.
Jewgeni nahm ein Portmonee, das auf dem Tisch lag, und studierte die darin befindlichen Unterlagen wie Personalausweis, Führerschein usw. Das Portmonee gehörte dem jungen, blonden Mann.
„Und geht es wieder?“, fragte Jewgeni den Gefesselten, als sich dessen Blick aufklarte.
„Ja“, erwiderte dieser noch leicht benommen.
„Gut, gut. Die Narkotika hauen ganz schön rein, oder?“
„Ja.“
„Okay, dann fangen wir mal mit unserer kleinen Plauderei an. Aber bevor du deinen großen Auftritt hast, möchte ich dir noch ein paar Dinge zu bedenken geben“, begann Jewgeni in ruhigem, verführerischem Ton, „Ich bin Profi, nicht so wie diese ganzen Neonazi-Stümper hier. Ich war früher beim KGB, Spionageabwehr. D. h. ich verstehe es, Leute zum Reden zu bringen. Also hast du zwei Möglichkeiten: Entweder du spielst den Helden und wirst unerträgliche Qualen durchleiden oder du singst sofort, aber reden wirst du, das kann ich dir versichern. Du brauchst auch nicht die Scheiße versuchen, die sie euch in der Ausbildung beibringen: Du wirst mich weder in Rage bringen können, selbst wenn du meine Mutter eine polnische Hure nennst, noch werde ich dich wegsterben lassen, ehe ich alles weiß. Glaub mir, ich habe schon Leute zum Reden gebracht, da hast du noch in die Windeln geschissen. Soweit verstanden?“
„Ja.“
„Und eins noch: Wir haben Gerhard, deinen Kontaktmann, geschnappt. Er ist tot. Du brauchst also nicht versuchen, ihn zu schützen. Das ist die Wahrheit, glaubst du mir das?“
„Ja“, erwiderte der Gefesselte, während Jewgeni einen kurzen Blick auf den Lügendetektor warf, um festzustellen, dass der junge, blonde Mann die Wahrheit sagte.
„Gut, dann fangen wir an“, sagte Jewgeni und rieb sich die Hände, „Laut den Unterlagen in deinem Portmonee heißt du Karl Tannenheim. Vermutlich nicht dein richtiger Name?“
Der Gefesselte schwieg.
„Gut, du willst es ja nicht anders“, sagte Jewgeni und bediente die zweite Apparatur auf dem Tisch, woraufhin ein Stromstoß durch den Körper des Gefesselten jagte und dieser laut aufschrie. Doch auch danach war er nicht bereit zu reden. Aber nach sieben weiteren Stromstößen begann er gesprächig zu werden.
„Hör bitte auf, ich rede ja, ich rede ja“, bettelte der Gefesselte.
„Also, wie heißt du wirklich?“, fragte Jewgeni.
„Ferdinand von Loisburg.“
Jewgeni blickte wieder auf Lügendetektor, der anzeigte, dass die Aussage richtig war.
„Gut, sehr gut, warum denn nicht gleich so?“, meinte Jewgeni, „Damit hättest du dir eine Menge Schmerz erspart. Aber na ja, weiter im Text, du arbeitest für den BND?“
„Ja“
Wahr.
„Du bist nur Kurier oder bist du Gustavos Führungsagent?“
„Nur Kurier.“
Wahr.
„Wechselt ihr die Kuriere oder bist du der einzige.“
„Der einzige.“
Falsch.
Jewgeni bediente wieder die Apparatur und Ferdinand schrie laut auf.
„Wir wechseln, wir wechseln immer. Bei jedem Treffen ein anderer Kurier“, stammelte er von Schmerzen gepeinigt.
Wahr.
„Kennst du Gustavos Identität?“
„Nein.“
Wahr.
„Ein verdammt vorsichtiger Schweinehund“, sagte Jewgeni mehr zu sich selbst, „Wirbt den Neonazi Gerhard aus dieser Organisation über Telefon an, dass er für ihn die Botengänge zum BND organisiert. Clever. Das Doppelagenten bloß immer so paranoid sein müssen.“
Ein kurzes Schweigen.
„Sind deines Wissens nach noch andere Geheimdienste gegen diese Organisation aktiv?“, fragte Jewgeni.
„Ich glaube die Briten und Franzosen, bin mir aber nicht sicher.“
Wahr.
„Was weißt du über diese Organisation?“
„Nichts Wichtiges.“
Wahr.
„Ich will es dennoch hören!“
„So viel ich weiß, heißt diese Organisation NSFWF ‚Nationalsozialistische Front zur Wiedererrichtung des Faschismus’. Es ist ein europaweit arbeitender Neonazi-Ring, der von extrem rechts stehenden, westlichen Industriellen finanziell unterstützt wird. Seine Aktionen beschränken sich momentan noch auf Attentate auf jüdische Gebäude und Gedenkstätten für die Opfer des Faschismus, vor allem in Westeuropa. Aber soweit ich aus den Unterlagen ersehen konnte, wird diese Organisation als potenzielle, zukünftige Bedrohung betrachtet.“
Wahr.
„Weißt du etwas über zukünftige Aktionen der NSFWF?“
„Nein.“
Wahr.
„Sind dir Namen der, nennen wir sie Sponsoren der NSFWF bekannt?“
„Nein.“
Wahr.
„Weißt du, wie unsere Tarnung hier in Frankfurt aufgeflogen ist? Waren es nur die Informationen von Gustavo?“
„Soweit ich weiß, ja. Es war ja auch eine geniale Idee, sich als das zu tarnen, was man ist, eine Neonazi-Gruppierung. So haben Verfassungsschutz, BKA, LKA Hessen und der BND über die Zuständigkeit gestritten und keiner hätte mitgekriegt, was hier wirklich abläuft, wäre da nicht Gustavo. Tja, keine Tarnung ist halt manchmal die beste Tarnung.“
Wahr.
„Gut, damit ist unser Gespräch beendet.“
„Wollt ihr mich jetzt töten?“, fragte Ferdinand.
„Dumme Frage, ja“, antwortete Jewgeni, „Aber du kriegst ein Schlafmittel und wirst nichts mitkriegen.“
Daraufhin ging Jewgeni auf Ferdinand zu, nahm ihm die Klemme des Lügendetektors von der linken Zeigefingerspitze und steckte sie auf seine rechte Zeigefingerspitze. Dann drehte er die Anzeige des Lügendetektors um, sodass Ferdinand sie sehen konnte.
„In der Spritze ist kein Gift, nur Schlafmittel und etwas Alkohol. Wenn du dich jetzt ruhig verhältst, während ich dir die Spritze injizierte, wirst du nichts mehr merken“, versprach Jewgeni.
Wahr.
„Du willst meinen Tod also als Erfrieren infolge übermäßigen Alkoholkonsums aussehen lassen?“, fragte Ferdinand.
„Genau“, antwortete Jewgeni.
Wahr.
„Und wenn ich nicht stillhalte beim Injizieren, kriegst du den Einstich nicht so hin, das er von einem Pathologen übersehen wird?“
„Genau.“
Wahr.
„Und was hast du vor, wenn ich nicht stillhalte?“
„Dann kann ich meinen ursprünglichen Plan vergessen und werde dir aus reiner Freude die Eier und den Schwanz abschneiden und zu sehen, wie du wie ein Schwein verblutest.“
Wahr.
Daraufhin nahm Jewgeni die Klemme von seiner Zeigefingerspitze und steckte sie wieder auf Ferdinands.
„Also, wirst du brav sein und stillhalten?“, fragte der Russe.
„Ja“, antwortete ein sichtlich bleicher Ferdinand, der keine Lust hatte, auf so bestialische Weise zu sterben und folglich beschloss, keinen Widerstand zu leisten.
Daraufhin rief Jewgeni den Namen Lars und befahl diesem, ihm eine Spritze zu bringen, und diese vorher mit dem Gemisch aus Schlafmittel und Alkohol zu füllen.


Rund eine halbe Minute später betrat der muskulöse Lars mit einer Spritze mit hauchdünner Nadel den Raum und gab sie Jewgeni.
„Soll ich das Agentenschwein festhalten?“, fragte er.
„Nein, um Gottes Willen“, erwiderte der ehemalige KGB-Agent kopfschüttelnd ob Lars’ Inkompetenz, „Du brauchst beim Festhalten nur einmal kurz zucken und schon ist die Injektionsstelle deutlich zu erkennen, schließlich muss ich ihm direkt in die Hauptschlagader spritzen.“
Daraufhin kniete sich Jewgeni zwischen Ferdinands Beine und injizierte ihm ganz behutsam den Cocktail aus Schlafmittel und Alkohol in die Hauptschlagader, die am linken Oberschenkel verlief. Als er mit seiner Arbeit fertig war, nickte er, als ob er sich selbst zu seiner hervorragenden Arbeit gratulieren wollte. Den Stich würde man selbst dann nur schwerlich finden, sollte man gezielt danach suchen. Ferdinand wurde langsam schwindelig und leichte Übelkeit stieg in ihm auf, doch dann verlor er das Bewusstsein.
„Mach ihn los“, befahl Jewgeni.
„Soll ich ihm nicht erst noch die Pennerklamotten anziehen?“, fragte Lars verwirrt.
„Das kannst du auch nachher noch in dem Waldstück, wo wir ihn entsorgen wollen. Und nun beeil dich, wir haben nur noch wenig Zeit.“
„Aber wenn uns die Polente anhält?“
„Macht es auch keinen Unterschied, ob du einen bewusstlosen Penner oder einen bewusstlosen Nackten im Kofferraum hast.“
„Stimmt, so habe ich das noch gar nicht betrachtet“, sagte Lars, „Aber soll ich ihn nicht doch besser fesseln?“
„Wieso, damit man die Abdrücke der Stricke oder Handschellen an seinen Hand- und Fußgelenken sieht? Zudem wird der Kerl bei der Dosis, die wir ihm verabreicht haben, frühestens in 36 Stunden wieder aufwachen, aber dann wird er schon längst erfroren sein“, sagte Jewgeni gereizt.
„Oh, ja klar, dumm von mir“
„Meine ich auch“, erwiderte Jewgeni vor Wut schäumend. Am liebsten hätte er Lars erwürgt.
In Windeseile hatte Lars Ferdinands schlaffen, bewusstlosen Körper von den Lederriemen befreit. Denn man konnte über Lars sagen, was man wollte, aber geschickt war er.
„Gut, und jetzt schaff ihn hinten in den Lieferwagen. Am besten du legst eine Decke über seinen Körper“, befahl Jewgeni.
„Wie du meinst“, erwiderte Lars, der es nicht ausstehen konnte, wenn Jewgeni ihn so rumkommandierte und ihn als dumm hinstellte. Am liebsten hätte er das Kommunistenschwein erschlagen.
„Gut, Lars, du, Joseph, Andreas und Alexander nehmt den Lieferwagen, schmeißt den Kurier hinter Frankfurt in das kleine Wäldchen, das wir ausgesucht haben, und fahrt dann über Mainz, Kaiserslautern und Saarbrücken nach Frankreich. Und fahrt vorsichtig, baut keine Unfälle und lasst euch nicht blitzen. Ich hoffe, jeder hatte den Lebenslauf zu seinem gefälschten Pass gelernt, sonst guckt schnell noch mal rein, bevor ihr losfahrt. Judith und Andrea sind gerade los. Sie werden von München nach Madrid fliegen und von dort aus nach Frankreich fahren. Ich werde mich kurz nach euch auf den Weg machen, ich muss nur noch ein paar Unterlagen hier vernichten. Ich nehme einen Umweg über die Schweiz nach Frankreich. Treffpunkt für alle ist dann wieder in 13 Tagen im Cafe ‚Montballè“ in Bordeaux. Alles soweit verstanden oder gibt es noch Fragen?“
„Nein“, antwortete Lars.
„Gut, dann sehen wir uns in 13 Tagen und nun los“, mahnte ihn Jewgeni zur Eile.


Wie aus weiter Ferne drang das Geräusch von Reifen, die über eine Kopfsteinpflasterstraße fahren, an seine Ohren. Er hatte höllische Kopfschmerzen und ihm war übel. Langsam lichtete sich der Nebelschleier, der über seinem Verstand lag. Wild schüttelte Ferdinand den Kopf und versuchte sich wieder zu sammeln. Ihm war schwindelig. Er hatte das Gefühl, als würde er sich ständig im Kreis drehen. Doch nach einigen Minuten verschwand die Taubheit aus seinem Hirn und seinem Körper.
Er merkte, dass er nackt war und sich in einem fahrenden Auto befand. Zu seiner Überraschung stellte Ferdinand fest, dass er nicht gefesselt war. Er warf die Decke beiseite, die man über ihn gelegt hatte. Er befand sich in einem stockfinsteren, großen Raum, vermutlich der Laderaum eines Lieferwagens. Er tastete sich vorsichtig voran und fand dabei einen großen, schweren Hammer, der direkt vor ihm lag. Dann bewegte er sich auf allen Vieren zur Hintertür des Lieferwagens, wobei er den großen, schweren Hammer hinter sich herzog.
Irgendwie kam Ferdinand das Ganze komisch vor. Erst spritzt man ihm Beruhigungsmittel in so einer Menge, dass er eigentlich ein oder zwei Tage nicht mehr aufwachen dürfte, und nun das. Es gab eigentlich nur zwei Erklärungen: Entweder hatte man ihn im Laderaum des Lieferwagens einfach vergessen und es waren bereits einige Tage vergangen, was jedoch äußerst unwahrscheinlich war. Oder, was vermutlich der Wahrheit entsprach, man hatte das Beruhigungsmittel falsch dosiert und er war nur kurze Zeit weggetreten. Doch auch diese Erklärung war sonderbar, weil zumindest der Russe, der ihn gefoltert hatte, Ahnung zu haben schien. So ein Profi vergreift sich nicht einfach so dermaßen in der Dosierung.
Aber wie dem auch sei, Ferdinand war wild entschlossen, die sich ihm bietende Chance sein Leben noch etwas zu verlängern zu nutzen. Aber er wusste, dass er würde warten müssen, bis der Wagen anhielt, denn während der Fahrt auszusteigen klappte höchstens im Film. Doch er brauchte nicht lange zu warten, bereits nach wenigen Minuten hielt der Wagen an. Ferdinand richtete sich schnell auf und wäre fast wieder zu Boden gefallen, weil seine Knie weich wie Pudding waren, aber er konnte sich noch gerade so fangen. Dann nahm er den schweren Hammer und schwang ihn in hohem Bogen gegen die Tür. Diese sprang mit einem lauten Knall auf.
Wie der Schlag eines stiernackigen Preisboxers traf ihn die Kälte, die ihm durch die offenen Türen entgegen schlug. Ferdinand wusste, dass seine Chancen schlecht standen, aber er würde es versuchen, auch wenn er von dem Cocktail aus Alkohol und Schlafmittel ziemlich geschwächt war. Doch mit etwas Glück könnte er vielleicht diese Nacht mit nur einigen Erfrierungen lebend überstehen. Er sprang auf die Straße und rannte los, aber zu seinem Entsetzen musste er feststellen, dass sich links und rechts von ihm ein riesiger, weiter, von zig Straßenlaternen erleuchteter Platz ohne Gebäude oder andere Deckungsmöglichkeiten befand. Dennoch lief er, so schnell er konnte.


Lars, Joseph, Andreas und Alexander saßen im warmen Inneren des Lieferwagens, der wegen einer roten Ampel Halt gemacht hatte, und stritten sich gerade darüber, welchen Radiosender sie hören sollten, als der laute Knall ertönte. Lars und Andreas, die an der rechten und linken Tür saß, blickten sofort in die Seitenspiegel und sahen die hin und her pendelnden Flügeltüren.
„Scheiße, was ist denn da passiert?“, rief Lars, während er in Windeseile den Sicherheitsgurt ablegte und aus dem Lieferwagen sprang.
Die anderen drei taten es ihm nach. Da sahen sie auch schon den nackten Ferdinand vom Wagen wegrennen.
„Verflucht noch eins, das kann doch gar nicht sein!“, rief Andreas erschüttert, um sich dann an Lars zu wenden, „Was nun?“
„Na, hinter her!“, befahl dieser und zog seine Maschinepistole.
Die anderen drei taten es ihm wieder gleich und die vier kahl rasierten Männer hetzten hinter dem nackten Ferdinand her. Plötzlich hallten zwei Schüsse durch die Nacht. Lars blickte sich um und sah mit Entsetzen, dass Joseph und Alexander je einen Schuss in Richtung Ferdinand abgegeben hatten.
„Was soll die Scheiße?“, fragte er wütend, „Wollt ihr die ganze Nachbarschaft aufwecken, sodass die uns die Bullen auf den Hals hetzen? Zudem trefft ihr den blöden Arsch aus dieser Entfernung eh nicht. Also steckt die Pistolen ein. Wie müssen versuchen, ihn so zu kriegen. Aber dann gnade ihm Gott!“


Verdammt, was sind das bloß für Amateure, dachte sich Ferdinand, als er die Schüsse hinter sich hörte. Aber vielleicht können ihm gerade diese Schüsse das Leben retten, wenn irgendein Anwohner deswegen die Polizei ruft. Nur müsste er dazu lange genug leben. Und momentan sah er in dieser Beziehung schwarz, denn obwohl er eigentlich in ausgezeichneter körperlicher Verfassung war, hatte er bereits jetzt unerträgliche Seitenstiche und die Kälte gab ihm das Gefühl, als würden sich gleichzeitig mehrere tausend winzige Nadeln in seinen Körper bohren. Er wusste, er hatte bloß dann eine Chance, wenn er sich irgendwo verstecken konnte.
Dann erschien, wie aus heiteren Himmel, ein Hinweisschild, dass sich in 50 Metern der Eingang zu einer U-Bahn-Station befinden würde. Das gab Ferdinand wieder etwas Hoffnung. Er sammelte nochmals alle verbliebenen Kräfte und rannte, so schnell er konnte, zum Eingang der U-Bahn-Station und dann die Treppen hinunter. Dabei übersah er jedoch, dass die Treppen ganz vereist waren. Nach nur zwei Stufen verlor er das Gleichgewicht, stürzte und rutschte rund zehn Stufen auf dem Hintern hinunter, ehe er am Geländer Halt fand. Vorsichtig stieg er die letzten Stufen hinab. Plötzlich merkte er, dass er keine Kraft mehr hatte. Mit letzter Willensstärke schleppte er sich hinter einen Pfeiler, wo ihn der Schatten des Pfeilers einhüllte. Er setzte sich auf den Boden. Es war aus. Er konnte nicht mehr. Hier würde er warten, bis sie kommen.


„Er läuft in die U-Bahn-Station“, rief Lars, mit dem Finger auf diese zeigend.
Daraufhin rannten alle vier dorthin, als plötzlich wieder zwei Schüsse ertönten.
„Verdammt noch mal, habe ich nicht gesagt, ihr sollt…“, hielt Lars plötzlich inne, als er sah, dass Alexander und Joseph, jeder mit einem stark blutenden Einschussloch links neben dem Brustbein, zusammensackten. Sie waren sofort tot. Zwei glatte Herzdurchschüsse.
„Waffen weg!“, befahl eine dunkle Gestalt, die rund 30 Meter entfernt stand, „Ich an eurer Stelle würde nicht einmal daran denken, danach zu greifen, denn ich werde eh schneller sein.“
Lars und Andreas gehorchten und warfen ihre Maschinenpistolen in hohem Bogen weg.
„Sehr schön und jetzt umdrehen!“, befahl die Gestalt weiter, „Gut so, jetzt geht bis zum Eingang der U-Bahn-Station und bleibt dort stehen! Und nicht umdrehen!“
Beide taten, wie ihnen befohlen wurde. Dann hörten sie wie die schweren Schritte der Gestalt langsam näher kamen. Als die Gestalt direkt hinter ihnen stand, trat sie mit dem rechten Fuß Andreas in den Rücken. Mit einem lauten Aufschrei stürzte dieser die Treppe hinunter und blieb unten regungslos liegen.
„Andreas!“, rief Lars entsetzt und drehte sich um, um mit noch blasserem Gesicht zu bemerken, „Jewgeni, du?“
Doch da rammte der Russe Lars schon sein linkes Knie zwischen die Beine. Dieser krümmte sich unwillkürlich vor Schmerzen und griff sich mit den Händen in den Schritt. Da packte Jewgeni mit seinen behandschuhten Händen Lars’ Kopf und drehte ihn um 180 Grad. Ein lautes Knacken ertönte. Lars’ Kopf knickte zur Seite weg. Sein Genick war gebrochen. Er war tot. Sein lebloser Körper wollte gerade in sich zusammenfallen, als Jewgeni ihn mit einem Tritt ebenfalls die Treppe hinunterstieß.
Dann rutschte der Russe auf dem Treppengeländer hinunter zur U-Bahn-Station, um nicht auf den eisglatten Stufen auszurutschen. Unter angekommen ging er zum reglos daliegenden Körper von Andreas, der drei offene Brüche vorwies. Er beugte sich über ihn und brach auch ihm das Genick.


Ferdinand hatte das Ganze in seinem Versteck hinter dem Pfeiler beobachtet. Ihm wurde einiges klar, nur er verstand den Grund dieses ganzen Schauspiels nicht. Doch er war sich sicher, dass er von Jewgeni jetzt nichts mehr zu befürchten hatte. Deshalb schleppte er sich hinter dem Pfeiler hervor, um seine gerade gewonnene Erkenntnis zu verkünden.
„Du bist Gustavo!“, sagte er.
„Genau“, erwiderte Jewgeni, der nochmals die Leichen von Lars und Andreas untersuchte, um sicherzugehen, dass sie auch tatsächlich tot waren.
„Aber ich verstehe das Warum dieses ganzen Schauspiels nicht.“
„Tja, dann ist es auch kein Wunder, dass du uns im Cafe ins Netz gegangen bist, aber ich werde es dir trotzdem schnell erklären.“
„Ich bitte darum“, meinte Ferdinand.
„Nun, du weißt ja, dass ich für die Botengänge zu den BND-Kurieren Gerhard, einen Neonazi aus der NSFWF, angeworben habe, natürlich nicht persönlich, sondern über Telefon und andere Medien. Jedenfalls hatte er bedeutend schlechtere Nerven, als ich gedacht hatte. Also besäuft er sich eines Abends und erzählt Lars freimütig von seinem Nebenjob. Der quetscht ihn daraufhin aus wie eine Zitrone und erfährt von Gustavo. Nur konnte ihm Gerhard nicht sagen, wer Gustavo ist. Das stellte mich vor zwei Probleme: Einerseits misstraut man in solchen Organisationen am ehesten den angeworbenen Freiberuflern. Also musste ich ihnen einen unwiderlegbaren Beweis liefern, dass ich nicht Gustavo sein kann.“
„Indem du das tust, was eigentlich kein einigermaßen vernünftiger Doppelagent tun würde, nämlich freiwillig einen Kurier des BND abfangen und ihn befragen, ohne ihn umzubringen, bevor er geredet hat, und alles auf Band aufnehmen. Denn eigentlich versucht ein Doppelagent immer, alle nur möglichen Spuren so schnell wie möglich zu verwischen und ihnen nicht noch nachzusteigen. Allerdings wusstest du, dass der gemeine BND-Kurier von nichts einen Schimmer hat, weshalb das Verhör für dich ohne Risiko war.“
„Du bist gar nicht so dumm. Doch das verursachte mein zweites Problem. Wenn Gerhard und der Kurier verschwinden, wird der BND glauben, ich hätte nur mit ihnen gespielt, da ich zu bekannt bin, um mich für längere Zeit in Europa unentdeckt zu bewegen. Ergo, wenn ich noch lebe, aber gleichzeitig das Kuriersystem aufgeflogen ist, werden sie glauben, ich habe sie beschissen, denn die BND-Heinis haben uns Russen noch nie getraut. Die denken auch, wir verkaufen unsere Mutter für ein trockenes Brot. D. h. um nicht von der NSFWF liquidiert zu werden, musste ich dich töten und um nicht vom BND liquidiert zu werden, durfte ich dich nicht töten. Eine ziemlich verzwickte Lage.“
„Genau“, pflichtete ihm Ferdinand bei.
„Also habe ich dieses kleine Schauspiel inszeniert“, erklärte Jewgeni weiter, „Zunächst habe ich mir die Nummer mit der Entsorgung als erfrorener Penner ausgedacht, um dich nicht nach dem Verhör töten zu müssen und um eine Erklärung zu haben, warum man dich nicht fesseln darf. Dann habe ich Lars die Spritze mit dem Cocktail aus Alkohol und Schlafmittel füllen lassen und dafür gesorgt, dass eines der Mädchen es sieht. Natürlich habe ich die Ampullen vorher so präpariert, dass du nur eine halbe Stunde und nicht anderthalb Tage weggetreten bist. Vorher platzierte ich schon den schweren Hammer im Lieferwagen für deine Flucht. Na ja, und dann brauchte ich diese vier Amateure nur noch umlegen.“
„Aber die NSFWF könnte dich doch dennoch verdächtigen, weil du, wie ich vermute, alleine unterwegs bist zu eurem Treffpunkt“, bohrte Ferdinand nach.
„Daran habe ich schon gedacht. Ich kenne einen ziemlich guten Hacker, der dafür sorgen wird, dass ich just in diesem Moment einige Kilometer südlich von Frankfurt an einer gerade neu freigegebenen Straße, wo ein fast nicht sichtbares 70-km/h-Schild steht, mit 83 km/h geblitzt werde. Ein wasserdichtes Alibi“, meinte Jewgeni zufrieden.
„Aber wieso hast du mich nackt durch die Frankfurter Innenstadt laufen lassen. Das verstehe ich noch nicht ganz“, meinte Ferdinand.
„Nun, der BND neigt dazu, alles zu vertuschen. Aber ich musste dafür sorgen, dass die NSFWF so schnell wie möglich davon erfährt und zwar möglichst genau so, wie ich es geplant habe. Und bei einem Nackten, der in der Frankfurter Innenstadt bei Nacht von kahl geschorenen Männern mit Maschinenpistolen beschossen wird, lässt sich nichts verheimlichen, nur etwas anders hindrehen. So ergibt sich insgesamt für die NSFWF folgendes Bild: Lars versaut die Dosierung des Alkohol-Schlafmittel-Cocktails. Anschließend gehst du leider mitten in der Frankfurter Innenstadt flitzen und die vier Idioten ballern auf dich. Zwei treffen sich gegenseitig und die anderen beiden brechen sich das Genick, als sie die Treppe zur U-Bahn-Station runterstürzen.“
„Ein genialer Plan“, bemerkte Ferdinand.
„Danke“, sagte Jewgeni und wollte sich schon umdrehen, um zu gehen, als er noch kurz bemerkte, „Wegen eines neuen Kontakts sag meinem Führungsagenten einfach, er soll mal im Alten Testament Jesaja 41, Vers 10 lesen.“
Mit diesen Worten verschwand Jewgeni.

 

Ein ziemlich langer Text, dennoch hoffe ich, dass ihn irgendwer liest.
Über Tipps und Anregungen, was man ändern und/oder verbessern könnte, würde ich mich sehr freuen.

Der Autor

 

Hallo Juri!

Eine wirklich ziemlich lange Kurzgeschichte, die du da geschrieben hast!
Was aber ganz und gar nicht heissen soll, dass sie schlecht ist. Im Gegenteil, sie gefiel mir gut. Die Spannung ist gut aufgebaut und bleibt bis zum Ende bestehen. Die Idee, mit dem Zeitungsartikel zu beginnen, der ja schon etwas seltsam ist, und danach den "Hintergrund" näher zu bringen ist auch in Ordnung. Wirklich sehr phantasievoll, wenn es auch etwas verworren erscheint. Doch das löst sich am Schluss, als alles nochmal gut erklärt wird.
Aber mit diesem Satz:

"Wegen eines neuen Kontakts sag meinem Führungsagenten einfach, er soll mal im Alten Testament Jesaja 41, Vers 10 lesen."
habe ich so meine Probleme. Ich bin ja ein neugieriger Mensch und habe sofort die Bibel hervorgekramt und nachgeschlagen. Da steht:
Die Bibel schrieb:
Fürchte dich nicht, ich stehe dir bei! Hab keine Angst, ih bin dein Gott! Ich mache dich stark, ich helfe dir, ich schütze dich mit meiner siegreichen Hand!
So weit, so gut. Aber was bedeutet das? Ich versteh's nicht, ehrlich! :confused:

So, und da wären noch die Fehler, die mir aufgefallen sind:

der noch nicht ganz die 30 Lenze erreicht hatte, an besagtem eisigen Dienstagabend dick vermummt ein Cafe in der Innenstadt betrat, welches von innen wie ein amerikanischen Restaurant der 30er
Wiederholung von "30"
Allgemein würde ich dir anraten, Zahlen auszuschreiben, sieht schöner aus.
hätte man diese Person wohl für einen harmlosen, älteren Mann mit einem Alkoholproblem gehalten, doch diese Darstellung war keineswegs zu treffend,
zutreffend
Erstens werden sie vermutlich Gustavo abziehen, weil sie glauben, dass er jede Sekunde aufliegen kann
auffliegen
Damit werden sie so beschäftigt sein, dass sie ihre eigentliche Aufgabe, nämlich euch zu überwachen, viel zu kurz kommen wird."
zweites "sie" streichen.
Aber, tröstete er sich, dass liegt wohl auch daran
das
Er war an Händen, Füßen, Brust und Stirn mit Lederriemen an den Stuhl gefesselt worden. Er war nackt.
Gleiche Satzanfänge.
D. h. ich verstehe es, Leute zum Reden zu bringen.
Bitte schreib "Das heisst" aus!
Aber nach sieben weiteren Stromstößen begann er gesprächig zu werden.
...begann er, (Komma!) gesprächig...
"Gut, sehr gut, warum denn nicht gleich so?", meinte Jewgeni, "Damit hättest du dir eine Menge Schmerz erspart.
meinte Jewgeni. (Punkt!)"Damit...
Das Doppelagenten bloß immer so paranoid sein müssen."
dass
Ich hoffe, jeder hatte den Lebenslauf zu seinem gefälschten Pass gelernt,
jeder hat
?Na, hinter her!?, befahl dieser und zog seine Maschinepistole.
"hinterher" und "Maschinenpistole"
Aber vielleicht können ihm gerade diese Schüsse das Leben retten, wenn irgendein Anwohner deswegen die Polizei ruft.
Falsche Zeitform. "Aber vielleicht konnten ihm gerade diese Schüsse das Leben retten, wenn irgendein Anwohner deswegen die Polizei rief."
U-Bahn-Station befinden würde. Das gab Ferdinand wieder etwas Hoffnung. Er sammelte nochmals alle verbliebenen Kräfte und rannte, so schnell er konnte, zum Eingang der U-Bahn-Station
Zweimal "U-Bahn-Station". Vielleicht kannst du beim zweiten Mal nur "Station" oder so schreiben.
"Ich an eurer Stelle würde nicht einmal daran denken, danach zu greifen, denn ich werde eh schneller sein."
"eh" ist mir zu umgangssprachlich. Nimm doch "ohnehin" oder "sowieso" Ausserdem statt "werde" nimm "würde"
"Sehr schön und jetzt umdrehen!", befahl die Gestalt weiter, "Gut so
...die Gestalt weiter. (Punkt!) "Gut...
"Aber ich verstehe das Warum dieses ganzen Schauspiels nicht."
"den Grund" fände ich besser
D. h. um nicht von der NSFWF liquidiert zu werden
ausschreiben
"Also habe ich dieses kleine Schauspiel inszeniert", erklärte Jewgeni weiter, "Zunächst
...Jewgeni weiter. (Punkt!) "Zunächst...
als er noch kurz bemerkte, "Wegen
...als er noch kurz bemerkte: "Wegen... (Doppelpunkt!)

Liebe Grüsse,

Sabberbacke :shy:

 

Hallo Sabberbacke,

es freut mich, dass dir die Geschichte gefallen. Ich hatte schon gar nicht damit gerechnet, überhaupt einen Kommentar zu erhalten.
Wegen der Fehler bitte ich um Verzeihung, muss mir wohl mal einen Korrekturleser besorgen, da ich anscheinend dazu neige, meine eigenen Fehler zu überlesen.
Zum Bibelvers ist zweierlei zu sagen:
1. Logischerweise ist nicht unmittelbar etwas daraus zu lesen, sondern erst nach Anwendung eines bestimmten Codes.
2. Der andere Grund, weshalb ich diesen Vers aufgenommen habe, bestand darin, dass es mein Konfirmationsspruch war. Das weiß natürlich keiner, aber ich fand die Idee dennoch lustig.

Juri

 

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