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Ein Eskimo sagt Danke

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23.09.2008
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Ein Eskimo sagt Danke

Es war ein kalter Morgen im Oktober. Der Wind peitschte über den mit bunten Herbstblättern bedeckten Boden. Schnell war der Sommer der kalten Jahreszeit gewichen. Zu schnell. Am von dunklen Wolken behangenen Himmel war schon das Unheil zu sehen, welches kurz darauf mit lautem Donnergrollen einleitend seinen Lauf nahm. Sinnflutartig rann der Regen kurz darauf über die Straße und verwandelte die Blätter zu einer gefährlichen Rutschbahn. Es waren nicht viele Menschen auf der Straße unterwegs. Sie hatten es an diesem Morgen vorgezogen nicht heraus zu gehen in diesen tristen Tag.
Einzig Horst Naumann, dreiundfünfzig Jahre alt und Versicherungskaufmann. Ein kleiner, etwas übergewichtiger Mann. Die Zeit war nicht spurlos an ihm vorbeigegangen, so dass er älter aussah als er eigentlich war.
Er kämpfte sich tapfer durch den Wind und Regen, doch sein Regenschirm war machtlos gegen die Naturgewalten. Schon nach wenigen Minuten war er nass bis auf die Knochen und wünschte sich schon zum ersten Mal, am Morgen nicht aufgestanden zu sein.
Kurz darauf kam er vom Wetter gezeichnet am Bahnhof an. Sein Gesicht ähnelte in diesem Moment doch sehr dem Himmel über ihn. Ein tristes Grau. Ihm Bahnhof ging sein Blick zuerst auf die am Ende eines langen Eingangsbereiches hängende Anzeigetafel. Sein Gesicht beschrieb auf sehr klare Art und Weise was er dort lesen musste. „So eine schöne Scheiße!“ murmelte er. Ein Satz wie `verspätet sich um etwas 30min` hat schon so manchen heiteren und lustigen Zeitgenossen zur rasenden Bestie in Menschengestalt erscheinen lassen. Doch Horst nahm dies mit einer scheinbaren Gleichgültigkeit hin.
Er atmete tief ein und stieß die Luft gleichmäßig aus. Dann wandte er seinen Blick weg von der Tafel und sah zu seiner linken einen Zeitungsstand. „Was willst du machen, ich kann es ja doch nicht ändern“, dachte er sich.
Er ging ein paar Schritte und studierte den Ständer mit verschiedensten Zeitungen die ein Deutscher Bahnhof im Niemandsland zu bieten hatte. `Geiseldrama in Afghanistan`, ´Steuern rauf, Löhne runter`, er hätte wahrscheinlich noch Stunden weiter suchen können, die Nachrichten wären wohl immer wieder dieselben gewesen. Kurz schweifte sein Blick zu verschiedenen Comicheften ab. „Nee, dafür bin ich jetzt doch zu alt“, dachte er sich. Er griff sich eine Tageszeitung, „steht ja doch überall das selbe drin“, sagte er und bezahlte sie. Der hagere junge Mann hinter der Kasse war überaus freundlich. Nahezu aufdringlich freundlich. Viele Kunden durfte er hier nicht begrüßen. „ich wünsche ihnen noch einen angenehmen Tag“, sagte der junge Mann. „Pfff, angenehm! Dieser Tag ist jetzt schon nicht mehr zu retten“, hörte Horst in seinem Kopf. Oft hörte er irgendwelche Stimmen in seinem Kopf, er war häufig in Gedanken im Dialog mit sich selbst, doch hatte sich daran gewöhnt. Dieser Satz war für ihn der blanke Hohn, und so verfinsterte sich sein Gesicht weiter.
Also nahm er die Zeitung und setzte sich auf eine Bank, die schon bessere Tage erlebt hatte – gezeichnet vom Verfall des Metalls und des Einfallsreichtums eines wahrscheinlich minderjährigen Künstlers, der in liebevoller Kleinarbeit einen schlichten Metallsitz mittels Spraydose in ein wahres Kunstwerk verwandelt hatte. So blätterte er eine halbe Stunde lang in der Zeitung ohne jedoch wirklich einen der Artikel zu lesen. Mit seinen Gedanken war er ganz woanders.
Mit Vorliebe Studierte Horst die Todesanzeigen. Dies machte er schon seit denken konnte. Seine Exfrau sagte vor langer Zeit einmal zu einem Scheidungsanwalt, dass mit dem Denken ist bei Horst so eine Sache. Aber das ist eine andere Geschichte. Schon als junger Bursche schaute er sich die Todesanzeigen in der kleinen Zeitung an, die sein Vater beim morgendlichen Kaffee las. Er katalogisierte dann die Anzeigen nach Sterbedatum, um jederzeit nachschauen zu können, wann denn die Frau Müller oder der Herr Meier aus der Nachbarschaft gestorben waren.
Seine Eltern übersahen einfach diese Eigenheiten die der kleine Horst schon früh an den Tag legte. „Ach lass ihn doch“, oft fiel dieser Satz in seinem Elternhaus wenn Freunde oder Bekannte auf die diversen Freizeitbeschäftigen des Sohnes hinwiesen. Nur einmal gab es richtig Ärger, als die junge, hübsche Tochter von Nebenan, Carola Niedermeier, bemerkte, dass Horst sie beim abendlichen zu Bett gehen beobachtete. Kaum hatte er in der Aufregung den Vorhang zugezogen, klingelte es auch schon an der Tür. Carolas Vater stand da und erzählte Horsts Vater, Gerd, wildgestikulierend von der Schandtat seines Sohnes. Die Prügel die er dafür bekam, hatte Horst sein Leben lang nicht vergessen. „Ich glaube, ich bekam nicht oft was von Vater auf die Ohren“, erinnerte er sich. Doch wenn sein Vater mal die Hand erhob, dann schepperte es gewaltig.
Doch trotzdem liebte Horst seinen Vater. Denn Horst war ein Verdrängungskünstler - selbst wenn sein Vater mal wieder betrunken aus der Kneipe nach Hause kam und handgreiflich wurde, so war es für Horst am nächsten Tag wieder vergessen. Nur wenn Vater Gerd mal wieder zu Melanie ins Zimmer ging und die Tür hinter sich schloss, packte Horst eine Wut, die er kaum kontrollieren konnte. Oft lauschte er an der Wand, denn sein Zimmer war direkt neben dem seiner Schwester. Doch er hörte nie etwas, vielleicht wollte er auch nichts hören oder hat es in all den Jahren auch verdrängt. Mit Melanie hat er nie darüber gesprochen...
Die Zeit war wie im Flug vergangen und Horst erblickte durch den Dunst der in der Landschaft stand schon die Lichter des Zuges, „endlich, das wird auch Zeit“, sagte er. Eine ältere Dame, die neben ihm stand nickte Verständnisvoll, als ob sie genau die Worte auf den Lippen hatte.
Kurz darauf saß Horst schon im Zug. Er ergatterte ein Abteil in der zweiten Klasse. Die Abteile sind im Vergleich zu den Großraumwagen doch schon das kleinere Übel, man hat wenigstens seine Ruhe. Von nun an bekam jeder Reisende der an seinem Abteil vorbeikam einen grimmigen Blick entgegengeschleudert, damit dieser ja nicht auf die Idee kommen konnte sich zu ihm zu gesellen.
Er verstaute seinen Koffer auf der Gepäckablage und setzte sich. Er nahm sich die Zeitung und fing mal wieder an die Todesanzeigen zu studieren. „Schau an, die Frau Förster ist ja gerade mal 56 Jahre alt geworden“, das sagte er mit einer Traurigkeit in seiner Stimme, als ob er die Dame persönlich gekannt hatte. Es machte ihn aber auch wütend. Seine linke Augenbraue begann zu zucken, das tat sie immer wenn er sich aufregte. „Sie hätte noch so viel in ihrem Leben machen können, na ja sie wird ihre Gründe gehabt haben“. Er sprach darüber so, als ob die Frau sich hat scheiden lassen. Horst sprach über Frauen schon immer etwas seltsam, vor allem über seine Exfrau, auch in Gegenwart von ihr. „56, genauso alt wäre Melanie heute“, dachte er und seine Augenbraue zuckte noch mehr als vorhin. Er kniff seine Augen zusammen, als ob er Schmerzen verspüren würde.
Seinen Blick wandte er von der Zeitung ab und blickte aus dem Fenster. Noch immer regnete es ununterbrochen. Der Wind schlug an das Fenster des Waggons und schaukelte diesen hin und her. Am Fenster liefen die Wassertropfen herunter. Horst beobachtete eine Zeit lang die Tropfen, wie sie an der Scheibe entlangwanderten und auf ihrem Weg nach unten sich mit anderen Tropfen vereinigten, so das am Ende ein Strahl sich den Weg nach unten bahnte wie ein Gebirgsbach der den Gletscher herunterstürzte. Schon als Kind konnte er sich auf Zugfahrten stundenlang die Tropfen anschauen ohne dass ihm langweilig wurde.
Die Fahrt brachte ihm ein wenig Ablenkung, war er doch innerlich ein wenig aufgewühlt, die vergangenen Tage hatten ihm schon sehr zugesetzt. Die Landschaft flog an ihm vorbei, doch immer erblickte er irgendetwas auf das sich sein Blick fixierte, das war einmal ein Haus, welches seine Aufmerksamkeit erregte, oder irgendein armer Hund, der bei diesem Wetter draußen arbeiten musste.
Nach einer Weile wurde Horst müde und er beschloss sich ein wenig auszuruhen. Er legte seinen Kopf zurück und schloss seine verquollenen Augen, man sah ihm an, dass er in der letzten Nacht nicht zur Ruhe gekommen war. Die Ringe unter den Augen vermochten ganze Geschichten zu erzählen. Doch nun genoss er die Ruhe, nur das Rauschen des Zuges und das Peitschten des Sturms waren zu hören, doch dies geschah in einer melodischen Gleichmäßigkeit das es für ihn angenehm war.
Horst erinnerte sich an seine Kindheit, an die Zeit in dem Haus auf dem Land, in das seine Eltern gezogen waren, als er zur Welt kam, damit Melanie und er nicht in der Großstadt aufwachsen mussten. Es war ein schönes Haus mit einem großen Garten. Er war riesengroß und rundherum waren Bäume und Sträucher gepflanzt. Oft hatte er mit Melanie hier verstecken gespielt oder sie haben an der großen Eiche um die Wette geklettert. Einmal ist Melanie heruntergefallen und hatte sich den Arm gebrochen. Ihr Vater fand das gar nicht toll und machte Horst dafür verantwortlich, dafür gab es mal wieder eins hinter die Ohren. Im Nachhinein betrachtet bekam Horst doch oft Prügel vom Vater, Horst hatte es wohl oft verdrängt...
„Ist hier noch frei?“, hörte er, doch da war es schon zu spät. Die junge Frau saß ihm schon gegenüber. Das minutiös geplante grimmige Schauen brachte ihm jetzt auch nichts mehr. Also ringte er sich ein verzerrtes Lächeln ab, als wollte er damit ausdrücken: „Ich habe ja doch keine Wahl“. Er betrachtete die Dame, eine schöne junge Frau, um die zwanzig Jahre alt. Sie hatte schulterlanges Ebenholzbraunes Haar. Sie hätte seine Tochter sein können, doch Horst sah sie an, wie man sein eigenes Kind besser nicht anschauen sollte. Horst hatte immer diesen Blick wenn er eine schöne Frau sah. Er hatte etwas verstörendes, aufdringliches, als ob Horsts Stirn stehen würde, an was er gerade dachte. Das war ihm irgendwie peinlich und er wandte seinen Blick ab als er bemerkte, dass die Frau ihn ansieht.
„Eine Zugfahrt ist immer etwas seltsames“, dachte er. „Da sitzen sich wildfremde, unterschiedlichste Menschen gegenüber und egal wie lang man unterwegs ist, man schweigt sich die ganze Zeit aus.“ Die junge Frau lächelte Horst an als sein Blick wieder flüchtig in ihre Richtung ging. Er fragte sich sicher, was sie in diesem Moment dachte.
Er suchte verzweifelt einen Punkt auf den er schauen konnte, und das sollten nicht ihre Brüste sein oder die glattrasierten lange Beine die kein Ende finden wollten. Also starrte er krampfhaft aus dem Fenster. „Na toll, muss ich das jetzt für die nächsten vier Stunden machen?“, dachte er. Er hatte schon immer Probleme mit der Gegenwart von Frauen. Vielleicht lag es daran das sein Vater schon früh sein Frauenbild geprägt hatte.
Wenn er sich an seine Kindheit erinnert, sah er immer einen Vater, der keine Gelegenheit ausließ seine Machtposition gegenüber seiner Mutter Dorothea und Schwester Melanie auszuüben. Da bedeutete nicht, dass er weniger unter seinem strengen, herrschsüchtigen, aggressiven Vater gelitten hatte, jedoch war für ihn vieles leichter weil er ein Junge war.
Er erinnert sich an einen Tag, als Mutter ganz aufgeregt war als er von der Schule kam. „Horst, da bist du ja endlich, beeil dich, du musst dein Zimmer aufräumen.“ Sagte sie. „Warum, Mama?“, „Na heute haben wir Hochzeitstag, unseren Dreizehnten“. Dorothea wurde mit siebzehn das erste Mal schwanger, und wie es damals üblich war, wurde natürlich sofort geheiratet. Sie wollte Gerd gar nicht heiraten, wusste nicht einmal ob sie diesen Mann überhaupt als Freund haben wollte. Dieser kleine, leicht Pummlige Kerl, den sie im Tanzkurs kennen gelernt hatte, dessen Ford ihn mehr interessiert hatte als seine Freundin. Aber ihre Eltern redeten ihr ein, das hat schon alles seine Richtigkeit. Eine Familie gründen, Hausfrau und Mutter sein. Eine Ausbildung bräuchte man als Frau nicht, hatte ihr Vater immer wieder gesagt.
Horst räumte also sein Zimmer auf und seine Mutter fegte wie ein Derwisch durchs Haus, alles sollte glänzen und gut riechen. Sie wirbelte um den Herd um ein opulentes Mahl zuzubereiten. In diesem Moment war sie all das, was ihre Eltern ihr einredeten: Hausfrau und Mutter und sonst nichts. Da sie jedoch nichts anderes im Leben erfahren hatte, war das wohl in Ordnung für sie.
Am Abend saß sie mit ihren Kindern am Esszimmertisch. Sie hatte ein Kleid an, welches sie eigens für diesen Tag gekauft hatte. Das Geld dafür hatte sie jede Woche vom Haushaltsgeld abgespart. Nur für diesen Tag wollte sie sich besonders schön machen für Gerd. Da saßen sie nun. Am kleinen Esszimmertisch. Sie hatte sich alle Mühe gegeben und die guten Tischdecken mit den Rüschen aufgelegt. Dazu das gute Silberbesteck das sie von ihrer Mutter zur Hochzeit bekommen hatte. Melanie und Horst hatten ihre Sonntagskleider an. Alles war Perfekt, der Braten war ihr vorzüglich gelungen. „Nichts würde heute schief gehen“, sagte sie sich. Doch Gerd ließ auf sich warten.
Es wurde immer später, die große Standuhr im Flur, die Gerd von seinem Großvater geerbt hatte, schlug zweiundzwanzig Uhr. „Kinder, geht ins Bett“, sagte Dorothea traurig, „Eurer Vater kommt ja doch nicht, noch nicht mal heute kommt er pünktlich“. Sie hatte sich fast schon daran gewöhnt, dass ihr Mann immer zu spät und selten nüchtern nach Hause kam, doch gerade an diesem Tag hatte sie gehofft er würde einmal zeitig nach Hause kommen. Die Uhr schlug Mitternacht und Dorothea saß immer noch am Esszimmertisch. Sie hatte sich geschminkt, so wie die Frauen auf den Magazinen die Gerd immer las, das machte sie sonst nie. Doch alles war von den Tränen verwischt, die sie in den letzen Stunden geweint hatte. Sie legte ihren Kopf in die Hände und man hörte sie leise schluchzen.
Die Uhr schlug eins als Gerd nach Hause kam. Er fuhr mit dem Auto vor, dieses Auto war sein ganzer Stolz, jeden Sonntag war es für ihn eine regelrechte Prozession sein Auto zu waschen. Wenn ihn jemand dabei störte wurde er rasend vor Wut.
Gerd torkelte also aus dem Wagen, er hatte mal wieder ordentlich Getrunken, das machte er in letzter Zeit öfters, warum wusste er wohl selbst nicht. Er musste sich am Gartenzaun festhalten und trotzdem fiel er das ein oder andere Mal hin. Auf dem Weg zum Haus pflügte er durch das Rosenbeet und zertrampelte dort alles, was Dorothea in Liebevoller Kleinarbeit dort gepflanzt hatte.
„Dorothea? Wo bist du?“, lallte er durch den Raum als er das Haus betrat. Den Dreck des Blumenbeetes verteilte er gleichmäßig auf dem Teppich. Er ging in die Küche und sah Dorothea die mit verquollenen Augen am Tisch saß. „Wie siehst du den aus?“, murmelte er. „Und überhaupt, wie läufst du denn rum? Siehst ja aus wie die billigen Nuten auf den Magazinen“ Worte die Dorothea wie Blitze trafen. „Das habe ich nur für dich gemacht!“ schrie sie ihn an. „Nur für dich, für unseren dreizehnten Hochzeitstag!“. Sie roch das Parfum anderer Frauen schon von weitem, all die Jahre schwieg sie darüber, nicht jedoch heute.
„Du warst wieder in irgendeiner Bar bei diesen Nutten!“ Schrie sie. „An unserem Hochzeitstag.“ Mit verdrehten Augen sagte er: „das ist doch nur nen Hochzeitstag, letztes Jahr war einer, und nächstes Jahr ist wieder einer und außerdem geht dich das einen Scheiß an wo ich war“.
In ihrer Wut und Trauer landete eine Ohrfeige im Gesicht ihres Ehemannes. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte sie die Hand gegen ihren Mann erhoben. Noch bevor sie sich bei Gerd entschuldigen konnte, schlug er im Alkoholrausch auf seine Frau ein. Immer und immer wieder, der Alkohol machte ihn zu einem Monster, das scheinbar alle Hemmungen verloren hatte. Erst als Horst wach wurde und am Treppengeländer stand, lies Gerd von seiner Frau ab. „Geh ins Bett“ wurde er laut und Horst verschwand wieder in seinem Zimmer. Er mochte es nicht wenn sein Vater so war. Er lag in seinem Kinderbett und hörte wie nebenan im Melanies Zimmer die Tür aufging. Sein Vater ist mal wieder zu ihr ins Zimmer gegangen, wie so oft wenn er getrunken hatte...
Bei dieser Erinnerung schossen Horst die Tränen in die Augen, seine Augenbrauen begannen wieder zu zittern. Er ballte seine Faust, versteckte sie jedoch, damit die Frau sie nicht sah. Jedoch war ihr nicht entgangen, dass er sichtlich um Fassung rang. Er ballte seine Faust immer fester, als ob einen Stein darin hielt, den er zu Staub zerdrücken wollte. Man konnte nicht mehr unterscheiden ob die Tränen in den Augen vor Wut oder vor Schmerzen kamen. All diese Erinnerungen kamen in letzter Zeit wieder in ihm hoch. Alles was er jahrelang, jahrzehntelang verdrängte kam langsam wieder hoch.
Allmählich begann seine Hand sich zu lösen und er beruhigte sich wieder. Seine Brauen zitterten nur noch leicht und er wischte sich mit einem Taschentuch das er sichtlich angeschlagen aus seiner Jackentasche holte, die Tränen weg. Dann stand er auf und verließ das Abteil. Er brauchte einem Moment für sich und um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, lief er nervös im Gang auf und ab. Er ging auf die Toilette und wusch sich die Tränen aus dem Gesicht. Er blickte in den Spiegel und sah sich erschütternd an. „Schau dich an, du bist ein Wrack!“, sagte er, und sah die Ringe unter den Augen, blutunterlaufene Pupillen und die Ader an der Schläfe die nun wieder stärker hervortrat. Er strich sich durch den Bart, das machte er immer wenn er nervös war. Er verließ den Waschraum und ging wieder auf den Flur. Bevor er in das Abteil zurückkehrte strich er sich noch einmal durch den Bart...
„Geht es ihnen besser?“, sagte die junge Frau als Horst das Abteil betrat. Er setzte sich hin, nahm seine Zeitung und vergrub sein trauriges Gesicht hinter der Zeitung. „Wollen sie nicht mit mir reden?“ hörte er sie hinter den Artikeln mit gefühlvoller Stimme. Horst hatte gar nicht gemerkt, dass das Unwetter draußen aufgehört hatte. Hinter der Zeitung schaute er aus dem Fenster. Der Himmel war immer noch von grauen Wolken bedeckt, jedoch hatte es aufgehört zu regnen und der Wind blies auch nicht mehr so stark. „Schrecklich dieses Wetter!“, murmelte er. „Sie können ja doch reden“, sagte die junge Frau. „Es regnet schon den ganzen Tag, hatte gedacht es hört gar nicht mehr auf!“. Es schien als ob er sie ignorierte und mit sich selbst redete. „ja das Wetter, Schrecklich, sie haben Recht“, erwiderte sie. „Schrecklich? woher wollen sie wissen was schrecklich ist? Sie haben davon keine Ahnung. Glauben sie mir, ich habe dem Teufel ins Auge gesehen, ich weis was schrecklich bedeutet.“ Diese Worte von ihm krochen der Frau wie ein Schauer über den Rücken, denn Horst sagte es mit einer erschreckenden Kälte hinter der Zeitung, so dass die Frau regelrecht zitterte.
Jede andere wäre wahrscheinlich aufgesprungen und hätte das Weite gesucht, doch nicht die junge Frau. Sie war von Horst derart fasziniert, dass sie mehr über diesen geheimnisvollen Mann herausfinden wollte. Also blieb sie sitzen. „So, der Teufel also? Wie sah der denn aus? War das eine Hausfrau, morgens um acht, ungeschminkt und im verfilzten Morgenmantel?“ Horst legte seine Zeitung weg und schaute die Frau mit fragenden Augen an: „Wie meinen Sie?“ „Na ja, sie sehen aus wie ein Vertreter, Staubsauger oder Versicherungen oder so was, wie nah bin ich dran?“.
In Horsts Gesicht schien für einen kurzen Augenblick ein Lächeln seinen Platz zu finden. Doch es verflüchtigte sich genauso schnell wieder wie es gekommen war. „Versicherungskaufmann im Außendienst“, sagte er. Er musterte die Frau wieder von oben bis unten. „Ich habe ein Gespür für Menschen müssen sie wissen, nehmen sie es mir nicht übel, aber Vertreter sehen irgendwie immer gleich aus“, sagte sie dennoch liebevoll. Horst versuchte ihr nicht in die Augen zu schauen, es war ihm unangenehm. „Sie weichen mir aus, warum?“, fragte sie. Horst blickte destinterressiert aus dem Fenster und sein Blick verriet sein Unbehagen der Situation gegenüber.
„Ich mag die Menschen einfach nicht“, erwiderte er mürrisch. „Dann haben sie aber den falschen Beruf“, sagte sie trotzig. „Mein Vater wollte dass ich Versicherungskaufmann werde, nicht ich“. Horsts Blick ging nach unten und er atmete schwer als er dies sagte. „ich habe meinen Vater nie kennen gelernt, er verschwand als ich noch ein Baby war“, sagte die Frau. „Glauben sie mir, zu wissen wer sein Vater ist, ist auch nicht immer gut.“, antwortete Horst. „Einen Vater der öfter betrunken als nüchtern war, der meine Mutter verprügelt hat, der auch nicht von seinen Kindern ablassen konnte. Das eine Mutter sich immer wieder neue Ausreden beim Arzt einfallen lassen musste woher den nun die Blauen Flecken kamen. Ich wünschte ich könnte meinen Vater aus meinen Erinnerungen streichen, doch dies kann ich nicht. Er ist wie ein Joch das ich mein ganzes Leben lang mit mir herumtragen muss. Ich werde die Bilder nie mehr aus meinem Kopf bekommen. So einen Vater will man nicht kennen“.
Mit Entsetzen und Traurigkeit umnebelt lauschte die junge Frau den Worten des Mannes, der ihr gerade sein gefrorenes Herz ausschüttete. Es tat Horst gut sein ganzes Leid jemandem zu Erzählen, hatte er doch niemanden dem er sich anvertrauen konnte. Seine geschiedene Frau hatte ihn oft angerufen und angeboten, dass sie immer für ihn da sei wenn er reden möchte, doch Horst hatte es immer ausgeschlagen. Schon während ihrer Ehe verzweifelte Gudrun regelmäßig an Horst. Sein Innerstes war so verschlossen wie ein Hochsicherheitsgefängnis.
So sehr sich Gudrun auch bemühte, Horst hatte nie viel von sich preisgegeben, doch vielleicht war es genau das was Sie dermaßen fasziniert hat, dass sie sich auf ihn eingelassen hatte. Doch schon früh bemerkte sie, dass da ein sehr trauriger Mensch vor ihr stand. Aber Horst wollte nie wirklich darüber sprechen.
Gudrun wusste von den Ausbrüchen seines Vaters, wohnte sie doch lange in dem Ort in dem auch Horst groß geworden war. Sie hatte viel von den Dingen mitbekommen, die der Familie Naumann jenen zweifelhaften Ruf gaben. Beharrlich versuchte sie mit viel Einfühlungsvermögen etwas aus Horst herauszulocken, aber er verschloss sich immer wieder vor ihr.
Das machte sie sehr traurig, wollte sie doch dem Mann den sie liebt helfen. Nur ein einziges Mal erzählte Horst ihr etwas, es war an einem Tag im Sommer. Sie saß mit ihm Wohnzimmer, draußen brannte die Sonne, es war viel zu heiß um sich ihr auszusetzen.
Horst war schon den ganzen Tag seiner Frau aus dem Weg gegangen. „Liebling, ich weiß, welcher Tag heute ist. Möchtest du nicht mit mir darüber reden?“. Sein Blick ging zu Gudrun, etwas überrascht sah er sie an nachdem er diese Worte gehört hatte. Wusste sie wirklich was für eine Bedeutung der elfte Juli in seinem Leben hatte? Nie ist ihm doch ein Wort darüber über die Lippen gekommen. „So, weißt du das? Woher?“, fragte er. „Es war doch ein kleiner Ort, da blieb nicht viel verborgen. Auch nicht die Sache mit Melanie“. Gudruns Worte sorgten dafür, dass Horst sich unwohl fühlte.
Er hatte das Gefühl seine Brüst sei eingeschnürt, er glaubte keine Luft mehr zu bekommen. All die Erinnerungen kamen hoch an den Sommer vor all den Jahren. Horst strich sich durchs Gesicht, seine Hände zitterten und seine Augenbraue begann nervös zu tanzen.
Er begann sich zu erinnern: es war ein Tag im Sommer, wenige Tage nach seinem sechzehnten Geburtstag. Er lag an dem kleinen Fluss, der in der Nähe seines Elternhauses war. Die Sonne brannte und es hatte seit Wochen schon nicht mehr geregnet, weshalb der Fluss auch wenig Wasser führte. Horst ging oft dorthin, er hatte einen Platz gefunden den er ganz für sich allein hatte. Da lag er nun und genoss den Tag. War es doch einer der letzten Momente am Ende der Ferien die ihm noch blieben bevor die Ruhe vorbei war. Er schloss die Augen und lauschte dem leisen Rauschen des Wassers und hörte das Zwitschern der Vögel.
Er hätte ewig hier bleiben können, doch die Zeit verging wie im Flug und es war schon spät geworden. „Mutter wird sich bestimmt schon fragen wo ich bleibe“, dachte er und schwang sich auf sein Fahrrad. Die Dunkelheit brach sehr schnell ein und er konnte kaum noch etwas sehen. Er fuhr über ein Feld, was den Bauern sicherlich zur Weisglut gebracht hätte, doch er bekam es nicht mit. Aber es war nun mal der schnellste Weg nach Hause. Von weitem sah Horst die Blaulichter eines Krankenwagens, der in Richtung Dorf fuhr. Es war ein sehr ruhiger Ort in dem nicht viel passierte. Horst trat in die Pedale als ob er ein Rennen fahren würde, es machte ihn einfach zu neugierig. Minuten später war er zu Hause und stellte mit Erschrecken fest, das der Krankenwagen vor dem Elterlichen Haus stand. Er fand nicht einmal mehr die Zeit sein Fahrrad ordentlich abzustellen sondern schmiss es in den Vorgarten. Er rannte ins Haus und fand seine Mutter weinend im Wohnzimmer.
Beim Anblick seiner Mutter brach auch Horst in Tränen aus. Etwas Schreckliches musste passiert sein. In der Tür zur Küche stand sein Vater mit erstarrtem Gesicht. Horst durchbohrte seine Mutter mit Fragen, doch er bekam keine Antwort.
Sie saß wie gelähmt auf dem Sofa und stammelte vor sich hin, aber man konnte nicht verstehen was sie sagte. Horst erfuhr von seinem Vater die Schreckliche Nachricht. Melanie hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Ungläubig rannte Horst aus dem Wohnzimmer und hastete die Treppe hinauf in Melanies Zimmer. Der Versuch seines Vaters ihn aufzuhalten war vergebens. Was er dort sah, brannte sich tief in seine Erinnerungen ein. Melanie lag blutüberströmt auf dem Bett, während der Notarzt ein Tuch über sie hüllte. Horst sank benommen zu Boden und fing bitterlich zu weinen an. Seine Welt schien in diesem Moment zusammenzubrechen.
Sein Vater kam ins Zimmer und versuchte Horst zum Gehen zu bewegen. Doch Horst kniete auf dem Boden und sagte leise: „Du warst es! Du bist schuld!“. Der Arzt bekam die zittrigen Worte des Jungen mit und sah Gerd fragend an. Horst schlug wild um sich, als sein Vater ihn hochheben wollte. Nach einer gefühlten Ewigkeit stand Horst auf und sein finsterer Blick galt seinem Vater. Es schien, als ob er ihn mit seinen Augen töten wollte. Blanker Hass schlug in diesem Moment dem Mann entgegen, der immer ein Vorbild für den jungen Burschen war. Das änderte sich von diesem Tag an.
Nachdem Melanie von dem Bestatter abgeholt wurde, es war der einzige in dem kleinen Ort, daher machte es auch schnell die Runde das in Haus Nummer acht etwas schreckliches passiert war, kehrte Ruhe ein. Geduldig, jedoch völlig abwesend beantworteten Dorothea und Gerd die Fragen der Polizei. Horst saß im Garten vor der großen Eiche, in der er mit seiner Schwester immer gespielt hatte als sie noch jünger waren. Sein Blick ging zum Himmel, es war ein Sternenklarer Abend und das Mondlicht spiegelte die Tränen die an seinen Wangen herunter liefen.
Horst fragte sich oft, ob er es hätte verhindern können wenn er mit seiner Schwester gesprochen hätte, nachgehakt warum sie immer so traurig und schweigsam war in der Vergangenheit. Neunzehn Jahre war Melanie alt. Sie war ein schönes Mädchen, beliebt bei Freunden, doch einen festen Freund hatte sie scheinbar nie. Selten hatte sie einem Jungen gestattet ihr näher zu kommen. Doch das hatte Horst nie irritiert.
Nun war sie nicht mehr da, und Horst fühlte sich mit schuldig. Ein Abschiedsbrief wurde nicht gefunden. So blieb für viele ihr Tod ein Rätsel, nur Horst war sich sicher den Grund zu kennen. Doch niemand schenkte ihm Gehör, nicht einmal die eigene Mutter, die entschlossen ihrem Ehemann verteidigte und Horst maßregelte, er solle nicht so über seinen Vater reden. Doch Horst hatte nur noch Wut und Hass für seinen Vater übrig. Es waren weniger die Sünden die sein Vater all die Jahre begangen hatte, sondern vielmehr dieses Verhalten seit jenem Sommer, das sein Vater an den Tag legte. Beharrlich schwieg er über den Selbstmord seine Tochter...
Gudrun betrübten die Worte ihres Mannes sehr. In diesem Moment fühlte sie sich wohl genauso hilflos wie Horst, der mit Tränen in den Augen auf dem grünen Sofa saß, dessen Brandlöcher und Flecken viele Geschichten zu erzählen vermochten. Doch die Geschichte die Horst gerade erzählte war leider keine. Es war die Wahrheit über ihn und seine Familie.
Gudrun nahm ihn in den Arm und er ließ seinen Gefühlen freien Lauf. Es war das erste Mal, dass er ihr von seiner Familie erzählt hatte. In all den Jahren ging ihm nie ein Wort darüber über die Lippen, doch sie hatte sich damit abgefunden. Es waren diese wenigen Ausnahmen in denen Horst seiner Frau emotional sehr nahe war. Oft sehnte sie sich nach einem Mann der für sie da war und der sich um sie kümmerte, doch all dies fand sie in Horst nicht.
Er lebte immer in seiner eigenen Welt, konzentrierte sich auf die Arbeit und ließ Gudrun nie an sich heran. Es war wohl die logische Konsequenz, dass Sie ihren Mann jahre Später verließ auf der Suche nach der Wärme und Liebe die Horst mit seinem kalten, gefrorenen Herzen ihr nicht geben konnte...
Die junge Frau schaute Horst sorgsam an. Da war ein Mensch der ihr gerade vom prügelnden Vater erzählt hatte; Horst strahlte etwas aus, was die Frau faszinierte. Da war auf der einen Seite diese bedrohliche Kälte, doch auf der anderen Seite auch eine Verletzlichkeit die ihn so Liebenswert machte. Es dauerte eine Weile, doch dann wurde es eine richtige Unterhaltung zwischen beiden. Sie wollte ihn nicht ausfragen und versuchte Horst von seinen dunklen Gedanken abzulenken. Stattdessen unterhielten sich beide über allerlei belangloses, doch immer wieder war es Horst der mit einer Anekdote aus seinem Leben wieder jene Gedanken aufgriff.
„Wohnen sie noch bei ihren Eltern?“, fragte Horst die junge Frau. „Ja, als Studentin kann ich mir keine eigene Wohnung leisten. Wie alt waren sie als sie von Zuhause ausgezogen sind, sie wohnen doch nicht mehr zuhause, oder?“, fragte sie.
Horst erzählte ihr, dass er mit achtzehn Jahren von zu Hause ausgezogen sei. Es war nicht einfach, er musste jede Mark zweimal umdrehen, doch es war das Beste für ihn. Die Räumliche Trennung von seinem Vater tat ihm dermaßen gut, dass er glücklich war, oder zumindest zufrieden. Eigentlich wollte er es nicht, konnte er doch seine Mutter nicht alleine lassen. Doch Dorothea war es letztendlich, die ihren Sohn davon überzeugte, dass er seinen Weg gehen sollte.
Es dauerte danach sehr lange, bis Horst seinem Elternhaus einen Besuch abstattete. Er traf seine Mutter das Eine oder Andere Mal als sie zum Einkaufen in der Stadt war. Sie unterhielten sich immer nur kurz und jede Begegnung endete damit, dass seine Mutter ihn einlud doch mal zu Hause vorbeizuschauen.
Es war ein Gewöhnlicher Tag, Horst war auf dem Heimweg von seiner Arbeit, sie führte ihn jedes Mal durch den kleinen Ort. Die Zeit blieb hier einfach stehen. Er war sich sicher, selbst wenn er nach Jahren wieder herkommen würde, es hätte sich nichts verändert. Noch immer gab es die kleine Bäckerei, dessen Besitzerin ihm immer etwas schenkte, wenn er als kleiner Junge dort vorbeikam. Oder der Garten der Familie Huber. Der Rasen war immer kurz geschnitten, wie in einem Noblen Golfclub. Warum Horst heute vor seinem Elternhaus anhielt wusste er selber nicht. Jeden Tag fuhr er vorbei und es beschlich ihn immer ein seltsames Gefühl wenn er es aus dem Auto heraus erblickte.
Es war dieselbe Empfindung die ihn überkam wenn auf den Friedhof ging. Oft ging Horst auf den Friedhof um an Melanies Grab eine Kerze anzuzünden oder einen Blumenstrauß niederzulegen. Von Zeit zu Zeit schrieb er auch ein paar Zeilen um sie ans Grab seiner Schwester zu legen. Es waren Gedichte oder einfach nur ein paar Worte die ihm gerade in den Sinn kamen. Er verweilte dort oft sehr lange und sprach mit seiner Schwester. Nicht selten entschuldigte er sich bei ihr das er sie nicht vor dem Tod bewahren konnte. Die Frage nach dem Warum quälte ihn jedes Mal und beschäftige ihn wenn er den mit Kieselsteinen bedeckten Pfad entlangging um die Gießkanne am Brunnen mit Wasser aufzufüllen.
Nun stand er da vor dem Haus seiner Eltern. Auch hier hatte sich nicht viel verändert. Noch immer fehlte das Stück im Gartenzaun das Horst damals beim Ballspielen beschädigt hatte. Vor der Garage stand der alte Wagen seines Vaters. Zwanzig Jahre und mehr hatte der Wagen schon auf dem Buckel und wurde wohl nur noch von der Farbe zusammengehalten. Alles war beim Alten geblieben, das Haus, das Auto und er befürchtete, dass auch sein Vater sich nicht verändert hatte.
Horst öffnete das Rostige Tor zum Vorgarten, es machte noch immer dieses schauderhafte Geräusch. Beim Anblick der Rosenstöcke ging Horst ein Lächeln über die Lippen. Seine Mutter hatte immer noch dieses Gespür für Rosen. Mit schweren Schritten ging er die Stufen zur Haustür hoch. Beim Betreten des Hauses überkam ihn ein beklemmendes Gefühl. Sofort sah er die Vergangenheit, den Tag als er die Treppe hoch rannte und Melanie in ihrem Zimmer fand. Es schien, als ob die Zeit stehen geblieben war. Noch immer schlug die alte Standuhr im Flur und auch sonst war es noch dieselbe Einrichtung wie vor zwei Jahren.
Seine Mutter begrüßte ihn herzlich und konnte kaum von ihm ablassen. Sein Vater hingegen saß im Wohnzimmer vor dem Fernseher und beachtete ihn gar nicht. „Lass ihn, Horst. Er ist halt ein alter Griesgram“, sagte Dorothea. Horst stand im Türrahmen und beobachtete seinen Vater eine Weile lang. Gerd starrte in den Fernseher, er merkte dass er beobachtet wurde. Es war ihm sichtlich unangenehm, er traute sich nicht seinem Sohn in die Augen zu schauen.
War er es doch, der Horst damals aus dem Haus geworfen hatte. Nach einem heftigen Streit war es Horst, der seinen Vater blutig geschlagen hatte. Vorausgegangen war einer der unzähligen Versuche eines Sohnes sich mit seinem Vater über die Vergangenheit zu unterhalten. „Melanie ist tot mein Sohn, es ist vorbei“, sagte Gerd. Für Horst war es nicht vorbei, „wir wissen warum Sie sich umgebracht hat, du weißt es, ich weis es und Mutter auch, sie schaut weg, ich kann das jedoch nicht“, erwiderte Horst. Gerd schwieg darüber, doch sein Blick war jener eines Mannes, der keine Reue zeigte. „Ach Junge, die Wahrheit interessiert dich eh nicht, ich brauche es nicht zu erklären, du würdest dem ja doch keinen Glauben schenken. Und so schlecht kann ich euch ja nicht behandelt haben, ihr hattet immer alles was ihr gebraucht habt“. Diese Worte waren der blanke Hohn für Horst, es war ihm, als ob sein Vater gerade auf dem Grab seiner Schwester tanzen würde.
Horst wurde laut und schrie seinen Vater an, aus dem Streitgespräch wurde eine handfeste Auseinandersetzung. Voller Abscheu ging Horst auf seinen Vater los und prügelte auf ihn ein. Er legte seine Hände um seinen Hals und drückte immer fester zu. Dorothea flehte Horst an, er solle aufhören. Erst als Horst die Tränen seiner Mutter sah, ließ er von seinem Vater ab. Zitternd stand er vor seinem Vater, der sich vor Schmerzen krümmte. Horst atmete schwer und Tränen liefen an seinen Wangen herunter. Seine Mutter nahm ihn in den Arm und versuchte ihn zu beruhigen. In diesem Moment wurde Horst klar, dass er nicht besser als sein Vater war.
Die Erinnerungen holten ihn ein, als dieser seine Frau verprügelte. „Ich bin nicht wie mein Vater“, sagte Horst sich. Gerd hatte sich aufgerappelt und ging auf seinen Sohn zu. Doch es geschah etwas womit Horst wohl nicht gerechnet hatte.
Ihm gegenüber stand ein Mann der nicht nur äußerlich verletzt war. Zum ersten Mal schien Gerd eine Regung zu zeigen. Sein zermürbtes Gesicht zitterte, die linke Augenbraue pulsierte heftig und seine Augen füllten sich mit Tränen. „Bitte verlass das Haus mein Sohn. Du gehörst hier nicht mehr hin. Geh fort von hier, weg von mir“, sagte Gerd mit schwerer, aber bestimmender Stimme. Man sah einen Mann deren Fassade des Schweigens zu Bröckeln begann. Ein Mann, der jahrelang seine Familie unters Joch gestellt hatte bekam nun am eigenen Leib zu spüren wie es sich anfühlt Gewalt zu erleben. Gewalt, die jedoch aus einer begründeten Wut heraus kam und nicht derart unerklärlich war wie bei ihm selbst. Dann griff Gerd sich die Flasche mit dem Korn und fing an sich zu betrinken...
Horst durchbohrte seinen Vater nach wie vor mit seinem Blick. Dann ging er mit seiner Mutter in die Küche. Gerd blieb im Wohnzimmer und hörte aus der Küche die Stimme seines Sohnes. „Wie geht es dir Mutter?“, fragte Horst. „Uns geht es gut, Sohn, es ist alles in Ordnung“, antwortete Sie. „Behandelt dich Vater gut?“, fragte Horst mit eindringlicher Stimme. Ihr Blick senkte sich und sie rang sich ein Lächeln ab. „Du bist ein wunderbarer Sohn. Habe ich dir das schon einmal gesagt?“ „Warum verlässt du Vater nicht einfach? Du solltest nicht hier sein bei diesem Menschen“, sagte Horst. Traurigkeit überkam ihr Gesicht. Sie nickte ein wenig, als ob sie ihrem Sohn in diesem Moment zustimmte. Diese Regung von ihr war für Horst mehr als Antwort genug. Vielleicht hatte sie einfach nur Angst davor, dass Gerd dies hören würde.
Gerd stand mittlerweile an der Tür und lauschte bedächtig den Worten der Beiden. Tränen stürzten herunter, es war als ob es aus ihm herausbrechen würde, er seinen Gefühlen freien Lauf lassen wollte und in die Küche stürmen musste. Doch er konnte nicht. Er stand wie gelähmt im Wohnzimmer. Sein Herz wollte vor Schmerzen zerspringen, doch Gerd war sich nicht mehr sicher ob er überhaupt noch eines besitzen würde.
Er ging zurück zum Sofa und setzte sich hin. Er nahm die Flasche Korn vom Tisch und schenkte sich wieder einen ein. Zitternd hielt er das Glas in der Hand. Er rang mit sich und der Sucht, stellte den Alkohol mehrmals wieder auf den Tisch, doch letztendlich siegte wieder einmal der Dämon in seinem Kopf und er betrank sich weiter.
Horst verabschiedete sich von seiner Mutter, er verließ die Küche und ging zur Haustür. Seine Hand berührte den Türgriff, doch er zögerte und sein Blick ging in Richtung Wohnzimmer. Er sah seinen Vater der sich gerade das Glas auffüllte. Horst ging zur Wohnzimmertür. Vielleicht hätte er anders reagiert, wenn er mitbekommen hätte wie sein Vater zuvor mit sich rang. Doch dem war nicht so.
„Zwei Jahre lang habe ich dich nicht mehr gesehen. Als ich damals ging sah ich dich hier im Wohnzimmer wie du dir den Alkohol eingeflösst hast. Du wirst dich wohl nie ändern. Sie dich an, was ist bloß aus dir geworden? Du siehst aus wie ein heruntergekommener Boxer. Ich wünschte mir...“, Gerd unterbrach seinen Sohn mit seiner rauen und ruhigen Stimme: „Was wünscht du dir?“ Horst schluckte, sein Vater flösste ihm auch in diesem Moment noch Angst ein, obwohl da nur noch ein kleiner, ausgelaugter Mann vor ihm saß. „Ich wünschte mir, ich hätte damals meine Hände nicht von deinem Hals genommen. Dann hätte Mutter heute keine Sorgen mehr“. Horst ging aus dem Haus und sein Vater musste diese Worte erst einmal verdauen.
Vor zwei Jahren spürte er die Schmerzen am eigenen Leibe die sein Sohn im zugefügt hatte. Doch heute war es viel Schlimmer. Eines einzigen Satzes bedurfte es, dass Gerd realisierte wie weit es gekommen war. Die Worte waren für ihn wie ein Stich durch sein Herz. So ruhig Horst es sagte, so wuchtig und hart waren sie für Gerd. In diesem Moment wurde ihm schmerzhaft bewusst, das er auch sein zweites Kind verloren hatte.
Gerd stand auf und torkelte in den Keller. Er kramte in alten Sachen herum und holte einen Brief heraus. Immer und immer wieder las er ihn sich durch. Er sank zitternd zusammen und lag schluchzend dort auf dem kalten Boden im Keller. Es dauerte eine Weile bis er sich wieder aufrappelte. Er klopfte sich den Staub und die Spinnenweben von den Kleidern, der Keller war übersäht davon, strich sich durch sein zermürbtes, unrasiertes Gesicht und ging mit dem Brief in der Hand in die Küche.
Flehend stand er vor seiner Frau, die am Küchentisch saß. „Ich will das doch alles nicht, dass musst du mir glauben. Es ist der Alkohol, der mich gefügig macht. Es ist ein Dämon in meinem Kopf dem ich gehorche, und ich werde ihn nicht mehr los“, sagte Gerd mit tränenreicher Stimme. Selten war es, das er solch eine Emotion seit dem Tod seiner Tochter an den Tag legte. Verzweifelt versuchte er seiner Frau zu erklären, warum alles so weit gekommen war. Er wollte ihr den Brief geben den er aus dem Keller geholt hatte.
Doch seine Frau interessierte all dies nicht mehr. „Für Erklärungen ist es jetzt zu spät, Gerd. Das hättest du schon vor Jahren machen müssen. Du hast die Familie zerstört. Melanie ist tot und Horst ist nicht mehr hier. Nur ich bin dir noch geblieben. Weil ich dir immer vertraut habe, weil ich glaubte du würdest dich bessern, das alles nur ein Ausrutscher war, weil ich dich geliebt habe, trotz allem. Dies war mein größter Fehler. Das werde ich mir nie verzeihen“, sagte sie traurig. An diesem Tag verließ Dorothea den Raum, das Haus und damit auch ihren Ehemann.
Die Zeit verging wie im Flug, Horst unterhielt sich Angeregt mit der jungen Frau. Die hereinbrechende Dunkelheit hüllte ihren Schleier über den Tag. Der Herbst hatte es an sich, dass es schnell Dunkel wurde. Doch Horst mochte den Abend und die Nacht nicht. Erinnerte es ihn doch daran, dass sein Vater abends betrunken nach Hause kam, wenn er in seinem Bett lag...
Horst schaute auf die Uhr und nahm den Fahrplan aus seiner Jackentasche. Er war bald am Ziel seiner Reise angekommen. „Fahren Sie nach Hause?“, fragte die junge Frau. „Nicht wirklich, aber irgendwie schon“. Neugierig fragte sie nach und Horst erklärte ihr, dass er einen Brief von einem Herrn Windmeyer bekommen hatte.
Er war der Leiter eines Heimes für ältere Menschen. Dieser schrieb ihm, dass sein Vater schwer krank sei, und es sein sehnlichster Wunsch war, seinen Sohn noch einmal sehen zu können. Oft hatte Gerd geschrieben in den vergangenen Jahren, doch Horst las die Briefe nie, sie landeten stets auf direktem Wege in der Mülltonne, es interessierte ihn nicht mehr was sein Vater zu sagen hatte, er hatte ihn aus seinem Leben verbannt. So entsprach Herr Windmeyer Gerd Naumanns Wunsch und schrieb in seinem Namen an seinen Sohn in der Hoffnung er werde es lesen.
Lange rang Horst mit sich selbst, ob er die Reise antreten sollte. Selbst an diesem Morgen wusste er nicht ob er diesen Weg gehen sollte. Doch er tat es. Die Hoffnung leitete ihn, die Hoffnung dass sein Vater, nun da es dem Ende zuging, endlich reinen Tisch machen würde und sich erklärt. Ihre letzte Begegnung hatten sie bei der Beerdigung von Horsts Mutter vor zehn Jahren. Nach der Trennung von Gerd blühte Dorothea regelrecht auf und führte endlich das Leben, dass ihr zugestanden hatte. Doch wie auch ihre Mutter, ereilte sie jene zerstörerische Krankheit, die wie ein Fluch über ihrer Familie hing.
Während der Trauerfeier sprach Horst kein einziges Wort mit Gerd, zu tief saß der Stachel der Enttäuschung und Wut über seinen Vater. Und nun war er auf dem Weg zu ihm, langsam wurde er nervös, noch nervöser als er ohnehin schon war.
Wie sollte er dem Mann gegenübertreten, der in seinen Augen seine Schwester in den Tod getrieben hatte und seiner Mutter das Leben zur Hölle machte. Horst hatte keine Antwort auf diese Fragen.
„Wollen sie nicht Frieden finden mit ihrem Vater? Jetzt wo er im Sterben liegt?“, fragte die junge Frau. Horst war die Frage sichtlich unangenehm. „Es ist schwer jemandem zu vergeben, der all diese schrecklichen Dinge getan hat“. „Er ist immerhin ihr Vater“, sagte Sie. „Meinen Vater gibt es nicht mehr. Der ist vor sehr langer Zeit von uns gegangen. Der Mann den ich besuche ist ein Monster, eine Hülle, deren Herz aus Stein ist“. Die junge Frau fragte sich wie sie an seiner Stelle reagieren würde, doch fehlte ihr die Vorstellungskraft dafür, welches Leid Horst durchgemacht haben musste.
Der Zug näherte sich dem Bahnhof. „Ich bin meinem Vater in vielen Dingen ähnlich. Auch ich konnte meiner Frau nicht die Aufmerksamkeit und Liebe schenken die sie verdient hatte. Doch mein Vater hat seine Probleme mit sich selbst nie versucht zu lösen. Stattdessen versankt er im Alkohol und wurde zu einem Monster. Es ist nicht zu entschuldigen was er getan hat. Und nun werde ich dem Teufel ein letztes Mal in die Augen schauen“.
Horsts Augenbraue begann wieder zu zittern als er diese Worte sagte. Er ging zur Tür, öffnete diese und drehte sich um. Seine Augenbraue hatte inzwischen aufgehört zu zittern und Horst sah die Frau mit ruhigem Blick an. „Ich hatte ganz vergessen, nach ihrem Namen zu fragen“, sagte er. „Ich heiße Melanie“, sagte die junge Frau. Horst ging ein Lächeln über das Gesicht und er fing an zu strahlen und eine Träne lief ihm über die Wange. „Das ist ein sehr schöner Name, es gab da jemand ganz besonderen der genauso hieß“, mit diesen Worten verabschiedete er sich von ihr.
Horst stieg aus dem Zug aus. Seine Kleider waren inzwischen wieder getrocknet. Er rief ein Taxi herbei und machte sich auf den Weg zu seinem Vater. Während der Fahrt sagte Horst kein Wort, einzig der Gedanke seinem Vater in die Augen zu sehen beschäftige ihn. Mit jeder Minute die verging, begann sein Herz schneller zu schlagen. Man konnte es fast schon hören.
Minuten später waren sie angekommen. Horst verlangte eine Quittung von dem Taxifahrer und blickte auf den Stempel: Taxibetrieb Klaus Eskimo. „Das ist ein sehr ungewöhnlicher Name dachte er sich und bezahlte. Horst verzichtete auf sein Wechselgeld und der Eskimo sagte Danke.
Horst stieg aus und sein Blick richtete sich auf das Wohnheim. Es war ein einfaches Haus, man konnte von außen schon sehen, dass hier nicht gerade die Leute wohnten, die viel Geld besaßen. Nachdem Horst sich durchgefragt hatte begab er sich zu dem Zimmer seines Vaters. Er stand vor der Zimmertür und starrte sie an. Es war dasselbe Gefühl wie damals als er sein Elternhaus betrat. Ihm war unwohl, doch heute wusste er einfach nicht was er sagen sollte. Vielleicht musste er auch nicht reden, vielleicht wollte sein Vater einfach nur seine Anwesenheit verspüren. Horst wusste, all diese Fragen konnten nur beantwortet werden, wenn er das Zimmer betritt.
Als er an die Tür klopfte zitterte seine Hand sehr stark. Er konnte sie kaum unter Kontrolle bringen. Beim Betreten des Zimmers kroch ihm ein Geruch in die Nase, welchen man aus Krankenhäusern kennt.
Da lag er nun, der alte Herr, sein Vater. Horst blickte ihn an. Es ging Gerd schlecht, doch er erkannte seinen Sohn sofort. Ruhig und mit schwacher Stimme sprach er zu seinem ihm: „ich hatte mir so sehr gewünscht das du kommst, Horst“. Gerd war sichtlich gerührt. Mit dem Finger deutete er auf den Tisch. Dort stand ein kleines Päckchen. Er hatte es Herrichten lassen, für den Fall das er sterben würde, bevor sein Sohn erscheint. „Öffne es, mein Sohn. Darin wirst du die Antwort finden.“ Verunsichert nahm Horst das Päckchen. Noch immer hatte er kein Wort zu seinem Vater gesagt.
In dem Päckchen fand er einen Brief. Es war jener Brief den sein Vater im Keller versteckt hatte. Es war der Abschiedsbrief von Melanie. Gerd hatte den Brief damals gefunden und ihn vor der Familie Geheim gehalten. Horst setzte sich an den Tisch und las ihn sich durch.
In dem Brief stand, dass Sie sich umgebracht hatte weil Sie von einem Jungen aus der Nachbarschaft, der damals ihr Freund war, vergewaltigt worden war. Sie wollte mit dieser Schande nicht mehr leben und hatte sich umgebracht. Ihr tat es leid, dass sie ihrer Familie damit diesen Kummer bereitet hatte. Zum Schluss schrieb sie, dass sie ihren Vater liebte. Weil er, obwohl er kein guter Mensch war, doch seine guten Seiten hatte. So ging er immer wenn er betrunken nach Hause kam in ihr Zimmer um ihr ein Gute Nacht Lied zu singen. Dies machte er auch dann noch, als sie schon älter war. Es war ihr zunehmend Peinlicher, doch Gerd sang immer dieses Lied. Dies tat er nur wenn er betrunken war, nur dann konnte er seiner Tochter zeigen wie sehr er sie geliebt hatte. Er versprach Melanie, als sie vier Jahre alt war, niemanden davon zu erzählen. Es war ihr kleines Geheimnis und er hielt sich bis zum heutigen Tag daran.
Horst saß schockiert auf dem Stuhl in dem kleinen ungemütlichen Zimmer. Nichts Persönliches war in dem Raum, nur ein Bild an der Wand, welches wahrscheinlich schon ewig dort hing. Und auch er fühlte sich auf einmal noch fremder als vor wenigen Minuten, als er das Zimmer betrat. „Warum hast du das nie gesagt?“, fragte Horst seinen Vater. „Ich habe dir den Tod gewünscht, mein ganzes Leben lang. Für eine Sache die du nie getan hast“. Horst stand auf und ging zu seinem Vater. Gerd nahm die Hand seines Sohnes und schaute ihn mit seinem alten, faltigen Gesicht an. „Hättest du mir geglaubt? In deinen Augen war ich ein Monster. Ich weis das ich kein Guter Mensch war, oder Ehemann oder Vater. Aber ich bin kein Monster“, sagte Gerd tränenreich. Auch in Horsts Gesicht liefen nun die Tränen.
In diesem Moment überkam ihn der Gedanke, dass er in all den Jahren das Monster war. Das seinem Vater nie verzeihen konnte. Sein Bild, das er all die Jahre über seinen Vater vor Augen hatte, geriet in diesem Moment ins Wanken. Wahrscheinlich hatte Gerd ihm in einem der Briefe die sein Sohn weggeworfen hatte die Wahrheit geschrieben.
„Es tut mir leid Vater, es tut mir leid“, sagte Horst und er legte seinen Kopf auf die Brust seines Vaters. Er konnte förmlich hören, wie dessen Herz aufhörte zu schlagen. „Vater, nein, bleib bei mir, es gibt noch so viele Dinge die ich dir sagen will“, flehte Horst. Doch Gerd Naumann lag im Sterben. „Du brauchst nichts mehr zu sagen, mein Junge. Ich danke dir das du mir die Möglichkeit gegeben hast, in Frieden zu gehen“. Dies waren die letzten Worte von Gerd und er ging friedlich von dieser Welt. Horst weinte jämmerlich. Sein Leben lief an seinem Inneren Auge vorbei. Er war hin und hergerissen zwischen den Bildern des Vaters, der auf die Mutter einschlug und des Vaters, der mit ihm im Garten Ball gespielt hatte.
Horst rief eine Schwester, die sich um den Verstorbenen kümmerte.
Später stand er in der Eingangshalle des Hauses und fühlte sich vollkommen leer. Sein Gesicht war blass und seine Augen blutunterlaufen. Er holte seinen Terminkalender heraus und ging zu einem Münzfernsprecher der an der Wand hing. Horst rief seine geschiedene Frau an und sagte, dass sein Vater gerade verstorben sei.
Gudrun war sichtlich überrascht von Horst zu hören. „Mein Beileid, wenn du jemanden zum Reden brauchst, du weißt ja, ich bin immer für dich da“, sagte sie. Horst nahm das Angebot dankend an. Er brauchte in diesem Moment dringend jemanden der ihn auffing. „Es tut mir leid, alles. Ich wünschte, ich hätte dir die Liebe geben können die du verdient hättest. Ich bin ein schlechter Mensch“, mit diesen Worten beendete Horst das Gespräch. Er rief ein Taxi um zum Bahnhof zu fahren.
Wenig später kam es und sie machten sich auf den Weg. Horst saß auf dem Beifahrersitz, in seinen Händen hielt er das Päckchen von seinem Vater. Es hatte inzwischen wieder angefangen zu regnen. Man konnte auf der Fahrt kaum die Hand vor Augen sehen, dermaßen stark war der Regen der in die Dunkelheit platzte. In einer Kurve geriet das Taxi auf die Gegenfahrbahn und Horst blickte in die Scheinwerfer des entgegenkommenden Autos...

 

Hallo Inuit,

erst mal herzlich willkommen auf KG.de. Deine Geschichte ist mit null Antworten ziemlich weit nach unten gerutscht, was auch daran liegen könnte, dass Du Dich bisher nicht zu den Stories anderer geäußert hast - so hätte vielleicht der eine oder andere eher gemerkt, dass es Dich gibt ... :D.

Da Deine Story ziemlich lang ist, gehe ich nicht allzu sehr ins Detail.
Zuerst muss ich ledier anmerken, dass sie jede Menge überflüssiger Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler enthält. Hier musst Du unbedingt nachlegen.
Wenn Du nach jeder wörtlichen Rede einen Zeilenumbruch einfügst, ist der Text insgesammt leserlicher.
Deine Sätze sind ziemlich kurz, Du gebrauchst häugfig ähnliche Wörter, die sich leicht durch Synonyme ersetzen ließen.
Der Titel irritiert mich, die ganze Zeit warte ich auf einen Inuit, in welcher Form auch immer. Dann, ganz zum Schluss, erscheint er in Gestalt eines Taxifahrernachnamens - eine sehr schwache Pointe, die noch nicht einmal etwas mit dem Text zu tun hat. Weder steht der Name "Eskimo" als Metapher oder Symbol für jemanden oder etwas, noch nimmt er eine zentrale Rolle ein, noch ist er auslösendes Moment für einen eklatanten Umschwung in der Handlung.
Außerdem fiel es mir schwer, in den Text hineinzufinden - er zieht sich zäh wie Kaugummi. Die ersten Absätze verschenkst Du komplett an banala Beschreibungen banaler Handlungen. Das kann mich als Leser packen, wenn es sprachlich trffend, voller neuer Bilder und Wortkreationen ist, oder wenn hinter jeder Älltaglichkeit ein tieferer Sinn, ein Verweis auf etwas anderes zu spüren ist. Oder wenn Atmosphäre transportiert wird. Bei Dir ist dies alles nicht der Fall (nachdem dies nicht Dein erster Text ist, wie ich auf Deiner Website gesehen habe, denke ich, kann ich so direkt sein).
Zum dramatischen Konflikt: auch hier verschenkst du gewaltig. Der Papa: war ja doch gar nicht so schlimm (viel stärker wäre es, einem echten Ekelpaket zu vergeben). Dass er nie versucht hat, sich zu rechtfertigen: völlig unglaubwürdig. Das Ende mit dem Tod durch Autounfall: ausgelutscht, abgenudelt, überflüssig. (Bringt nur ein Spannungsgefälle, wenn ich zuvor mit dem Prot hoffe, dass wirklich alles gut wird, das ist bei Deinem nicht der Fall.)

Einen Preis wirst du damit jedenfalls nicht gewinnen, weder Pulitzer, noch Blumentopf.

Gruß, Pardus

 

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