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Ein Geschenk für den Buhmann

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Ein Geschenk für den Buhmann

Ein Geschenk für den Buhmann


Hinter der Hausecke lauerte der Buhmann, wartend, kauernd, zähneknirschend. Die Augen zusammengekniffen, nervös in alle Richtungen blickend, der berüchtigte Buhmann, schrecklich und gefürchtet. Sanft legte sich der Schnee auf sein Haar und seine Schultern. Er zog den Schal fester und stapfte auf der Stelle um sich ein wenig zu wärmen. Schon lange war niemand mehr um diese Ecke gekommen, doch der entsetzliche Buhmann war guter Dinge, dass es bald wieder soweit sein würde. Ein Opfer: Nichts wünschte er sich sehnlicher. Es würde bald kommen, über die verschneiten Straßen, das verfallene, unbewohnte Haus umrunden, direkt in seine Arme. Und dann: „Buh!“ Ein furchterregendes „Buh“, soviel war mal sicher. Der Buhmann würde Schrecknisse verbreiten, schlimmer als sich nur irgend jemand vorstellen konnte. Der Terror von Klein Gleidingen, die Geißel von Groß Gleidingen und Umgebung. Der fürchterliche Buhmann.
Da! Das Warten hatte sich gelohnt: Ein Opfer näherte sich! Ganz deutlich vernahm er das Geräusch von knirschenden, stapfenden Schritten im Schnee. Sie wurden lauter. Der grauenvolle Buhmann machte sich bereit. Verstohlen lugte er ums Eck, wer da wohl kommen mochte. Es handelte sich um einen alten Mann, dick eingepackt in Schal, Handschuhe und Mantel, der da schwer atmend daherschlurfte, den Blick zu Boden gerichtet. Ausgezeichnet! Das Herz des Buhmanns hüpfte vor Erwartung. All die Zeit des Herumstehens sollte nicht umsonst gewesen sein. Nun war das Opfer schon fast da, hustend und schnaufend, noch ein klitzekleines Stück, und...

„Buh!“

„Ja sag mal, spinnst du?“ krächzte der Mann, ohne auch nur eine Spur von Schreck oder gar Angst zu zeigen. Drohend hob er den behandschuhten Arm und stapfte niesend und kopfschüttelnd weiter, ohne sich noch einmal umzusehen.
Ja was war denn das gewesen? Der Buhmann traute seinen Augen nicht. Konnte das sein? Hatte der furchteinflößende Buhmann seine Fähigkeiten verloren? Früher hatten sich ganze Heerscharen von Passanten schon beim Anblick des Buhmanns vor Angst in die Hosen gemacht. Und nun? Er war am Boden zerstört. Seine Existenz war sinnlos geworden. Das war’s. Die Karriere als Buhmann war zu Ende. Traurig ließ er sich in den Schnee sinken um zu sterben. Eine kleine Träne rann ihm über die Wange und fror sogleich fest, genau wie viele weitere, bis sein Gesicht von lauter winzigen Eiskristallen überzogen war. Still lag er da und der Schnee begann, ihn langsam zuzudecken.
Doch als nur noch seine Nasenspitze aus dem Schnee guckte, spürte der Buhmann eine sanfte Berührung. Jemand hatte den Finger auf seine Nase gelegt.
„He, Buhmann. Wach auf.“ Es klang wie die Stimme eines kleinen Mädchens. „Ich habe da etwas für dich.“
„Geh weg!“, brummte der Buhmann unter seiner dicken Schneedecke. Der schaurige Buhmann, jetzt eher der traurige Schneemann, wollte nur in Ruhe sterben und dann zusammen mit dem Schnee schmelzen und fortfließen in die Vergessenheit.
„Ich habe aber ein Geschenk für Dich, Buhmann. Weil doch Weihnachten ist, und so. Also überleg’s Dir vielleicht noch mal.“
Und der Buhmann überlegte es sich. Und überlegte und überlegte. Wer konnte ihm denn ein Geschenk machen? Vielleicht war es eine hinterhältige Racheaktion eines früheren Opfers. Oder er war bereits dem Tode nah und halluzinierte. Weihnachten? Was gab es da? Kekse, Nüsse, Schokolade, Spielkonsolen, Carrera-Bahnen, Unterhosen, CDs von Phil Collins und Versprechen, sich aus finanziellen Gründen nichts zu schenken, nur um es dann doch zu tun. Was davon wünschte er sich? Was hatte die Kleine da für ihn? Er würde es nur auf eine Art und Weise herausfinden.
Der furchtbare Buhmann kämpfte sich mühsam aus der Schneewehe nach draußen, schüttelte sich und hielt Ausschau nach seiner rätselhaften Besucherin. Doch niemand war zu sehen. Er hatte zu lange gewartet, und jetzt war sie weg. Aber da lag doch tatsächlich ein Paket. Ein großes, viereckiges, geschnürtes Geschenk. Der Buhmann war erstaunt und machte sich daran, das Päckchen auszupacken.
Der Inhalt ließ ihm den Atem stocken, beinahe wäre er vor lauter Schreck nach hinten umgekippt. Es war eine Maske. Eine monströse Maske, mit Hörnern und Zähnen und Stacheln und Geifer und mehr Hörnern und grünen Augen und roten Augen und gelben Augen und zugenähten Augen und Warzen und Narben und spitzer Nase und Fetzen und Fell und noch mehr Hörnern und Schuppen und Zacken und Wolfsohren und Spitzohren und Fledermausohren und Kamm und Kruste und Maul und Schlund und Lippen und noch einigen Hörnern und überall Ausschlag.
Es war wundervoll. Der Buhmann fand es fast schade, dass er nicht wusste, bei wem er sich für dieses Geschenk bedanken sollte. Links und rechts war niemand zu sehen, also stülpte sich der grauenerregende Buhmann die Maske über und ging mit frischem Mut ans Werk.
Es dauerte nicht lange, da kam auch schon wieder ein Opfer heran. Ach, was hieß ein Opfer, es waren mehrere. Eine ganze Gruppe von ahnungslosen Opfern, warm eingemummelt und schwatzend, nichtsahnend. Der maskierte Buhmann rieb sich die Hände und grinste ein ungeheuerliches Grinsen.

„Buh!“

„Ahhh, was ist das?“

„Buh!“

„Hilfe!“

„Buh!“

„Argh, mein Herz!“

Da liefen sie und rannten und flohen und stieben auseinander und fürchteten sich, rutschten und schlingerten und stolperten und fielen übereinander, schrien und kreischten und riefen um Hilfe, erschrocken, erschüttert, panisch, geängstigt und entsetzt.
Zufrieden sah der Buhmann den flüchtenden Gestalten nach, wie sie sich im Schneegestöber verloren. Der unheimliche Buhmann war glücklich.

 

Hi Ben,

Ja, auch so ein Buhmann muss sich an die heutige Zeit anpassen. Ein einfaches "Buh!" erschreckt niemanden mehr. Die Maske muss ein wahres Kunstwerk sein. Vermutlich ein Designer-Stück.
Über den Dialog am Schluss musste ich lachen (begegnen will ich ihm aber auch nicht).

vio

 

Hallo Ben

siehst du, wenn nicht mal mehr alte Männer erschrecken. Wußtest du dass der Buhmann, viele Helfer bekommen hat? Geh mal an Halloween, am Abend durch die Häuser, da kommst du aus dem Gruseln nicht mehr raus. Bei der Maske, die du so ausführlich beschrieben hast, hat meine Vorstellungskraft aufgegeben. Bei so viel Ohren und Augen, die muß ja riesig gewesen sein.
Schön das er am Ende, doch noch glücklich werden konnte.
Ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen.

Einen schönen Abend wünsch ich dir

Morpheus

 

Hi Ben,

mal eine ganz andere Weihnachtsgeschichte. Ich habe sehr gelacht, am meisten bei der Beschreibung der grauslichen Maske! :)

Was mir besonders gefällt, ist, dass Deine Geschichte zu Herzen geht, obwohl kein lieber Weihnachtsmann oder Engel darin vorkommt, sondern nur der fiese Buhmann, mit dem man aber schließlich doch Mitleid hat, wenn er dann so unter dem Schnee begraben daliegt und nur noch seine Nasenspitze herausschaut.

Ach, ein Engel kommt ja doch vor - das kleine Mädchen. Und ich finde es auch sehr gelungen, dass das Mädchen den Buhmann nicht zum "Guten" bekehrt, sondern ihm ein wirklich passendes Geschenk da lässt!

Einen Fehler habe ich gefunden:

„Ja sagt (sag) mal, spinnst du?“ krächzte der Mann ...

Barbara

 

Moin moin alle zusammen.

Herzlichen Dank fürs Lesen und Kommentieren. Freut mich, dass es euch gefällt.

@Barbara:

Fehler ist schon korrigiert.

Und ich finde es auch sehr gelungen, dass das Mädchen den Buhmann nicht zum "Guten" bekehrt, sondern ihm ein wirklich passendes Geschenk da lässt!
Klar. Sowas würde ich auch gar nicht schreiben. ;)

Fragt sich nur, wie gut das Engelchen wirklich ist... Wer weiß, vielleicht erfüllt es jedem Bizarro seine Wünsche, egal, wie schädlich die für andere sein mögen.

Gruß

Ben

 

Hi ben!

Fragt sich nur, wie gut das Engelchen wirklich ist... Wer weiß, vielleicht erfüllt es jedem Bizarro seine Wünsche, egal, wie schädlich die für andere sein mögen.
- genau das, was ich mich beim lesen auch gefragt habe. :D

Dennoch sehr gerne gelesen. Das genau ist irgendwie das Schöne an der Geschichte, dass es eben nicht nur um die braven, lieben geht, sondern eben um die Gefühle eines eigentlich unsympatischen Menschen, der beim Leser aber denncoh viel Sympatie bekommt und mit dem man mitleidet, als er da so unglücklich und ohne Lebenssinn unter dem Schnee begraben ist. Verdammt gut gemacht!

schöne Grüße
Anne

 

Die Geschichte ist wirklich gelungen, Ben. Deinen Buhmann beschreibst du sympathisch und seine Freude über das passende Geschenk zaubert einem ein wohlwollendes Grinsen ins Gesicht ... hat er doch wieder Spaß an seinem ... äh ... zugegebenermaßen etwas seltsamen Job. Aber solange er nur die Leute erschreckt und diese nicht reihenweise umkippen, sondern nur Fersengeld geben, soll er ruhig in der Gegend rumhüpfen und „Buh!“ rufen mit seiner prächtigen neuen Maske. Es sei ihm vergönnt. :)

Hat mir sehr gut gefallen.

Beste Grüße
Liz

 

Hallo Maus & Liz.

Danke für eure Kommentare.

@Liz:

Aber solange er nur die Leute erschreckt und diese nicht reihenweise umkippen, sondern nur Fersengeld geben, soll er ruhig in der Gegend rumhüpfen und "Buh!“ rufen mit seiner prächtigen neuen Maske. Es sei ihm vergönnt.
Hehe, ja. Außer, die Leute kriegen tatsächlich einen Herzinfarkt.

@Maus:
Dennoch sehr gerne gelesen. Das genau ist irgendwie das Schöne an der Geschichte, dass es eben nicht nur um die braven, lieben geht, sondern eben um die Gefühle eines eigentlich unsympatischen Menschen, der beim Leser aber denncoh viel Sympatie bekommt und mit dem man mitleidet, als er da so unglücklich und ohne Lebenssinn unter dem Schnee begraben ist. Verdammt gut gemacht!
Dankeschön. :)

 

Ach Mann... du solltest mir doch Bescheid sagen, wenn du ne neue Geschichte feddich hast... :D
Naja, ich habs dann ja auch so gefunden.

Hat mir ausgezeichnet gefallen. Wunderschöne Idee (mal was anderes), klasse geschrieben und sehr kurzweilig. Klasse vor allem, wie du die Figur des Buhmannes beschrieben hast - virtuoser Gebrauch von Adjektiven. Ich hab den kleinen Racker richtig ins Herz geschlossen. Auch die Tatsache, daß du kein Disney-Kitsch-Ende genommen hast, wo sich am Ende alle liebhaben, fand ich schön. Trotzdem eine Art Happy End, aber eines der nicht schmalzigen Sorte.

Ein kleines Fehlerchen:

Ach, was hieß ein Opfer, es wahren mehrere
waren
Außerdem würde ich hier fast "heißt" schreiben - zwar ein Zeitfehler, klingt in meinen Ohren aber irgendwie besser.

Insgesamt eine sehr schöne Geschichte, die ich in den Empfehlungsthread setzen (lassen) würde, wenn mir da nicht schon wer zuvor gekommen wäre.

 

Moin gnoebel!

Vielen Dank für den Kommentar!

Fehler ist beseitigt, über die Zeitform denk ich noch mal nach.

Ach Mann... du solltest mir doch Bescheid sagen, wenn du ne neue Geschichte feddich hast...
Alles klar, hatte ich vergessen. Ich hol's hiermit nach: Ich habe sogar drei neue Geschichten fertig und veröffentlicht, weitere sind in Arbeit. Im Moment habe ich wieder eine produktive Phase.
Vielleicht geht es bald sogar bei "Obskuratron" mal weiter, wenn ich mich wieder eingelesen habe. Deine Kritiken hab ich noch. :)

Insgesamt eine sehr schöne Geschichte, die ich in den Empfehlungsthread setzen (lassen) würde, wenn mir da nicht schon wer zuvor gekommen wäre.
Die steht im Empfehlungsthread? Oha, gar nicht mitbekommen.

Gruß

Ben

 

Hallo Ben,
auch mir hat deine etwas andere Weihnachtsgeschichte sehr gut gefallen.
Mein Sohn hat auch so eine ähnliche Maske, vielleicht nicht mit ganz so vielen Hörnern und Augen.:D
Obwohl der Buhmann ja eigentlich ein fieser Kerl ist, bekommt man trotzdem beim Lesen fast so etwas wie Mitleid mit ihm.
Ein kleines Fehlerchen ist mir auch noch aufgefallen:
"Der Buhmann fand es fast schade, dass er nicht wusste, beim wem er sich für dieses Geschenk bedanken sollte."
bei wem muss es heißen

LG
Blanca

 

Hi Blanca.

Danke für die Kritik. Fehler ist beseitigt (man liest die Teile zehn mal durch, und trotzdem gehen einem immer Fehler durch die Lappen).

Gruß

Ben

 

Hallo Ben,

denen, die man liebt, gibt man das, was sie brauchen…

Gelungener Stil, schöner Plot- was will man mehr?

Der Buhmann erinnert mich an Olli Kahn.
(Da gab es doch so eine Werbung).

LG,

tschüß… Woltochinon

 

Hi Wolto!

Herzlichen Dank für die Kritik.

Olli Kahn als Buhmann... hehe. Na jeder Leser hat seine eigene Vorstellung von ihm...

Bei wem schneit es noch? Hier ist alles weiß. Da ich auch nicht mehr jeden Tag so weit mit dem Fahrrad fahren muss, finde ich das großartig. Schnee, Juhu!

Gruß

Ben

 

Wird Zeit, diese Geschichte wieder hervorzukramen. Hab sie letztes Jahr schon gelesen, es aber irgendwie versäumt, was dazu zu schreiben.
Kann mich meinen Vorrednern auch nur anschließen: Schöne Geschichte, gerade weil sie anders ist. Süß und doch ganz ohne Kitsch. Eine unkonventionelle und lustige Weihnachtsgeschichte mit einem herzerfrischendem Buhmann. :D

Buh!

Ginny :xmas:

 

Danke, danke!

Und demnächst auf ihrem Bildschirm: "Ein Geschenk für den Buhmann - Der Film".

Mal sehen, wie der wird. Habe den Filmleuten da mal ganz freie Hand gelassen.

Gruß

Ben

 

Hi Ben!

Kannst du mir mal nen Gefallen tun?
Schreib doch mal ne schlechte Geschichte... dann könnte ich konstruktivere Komentare schreiben.

Hehe, nein, lieber nicht.
Ich hab diese Geschichte schon vor einiger Zeit gelesen und ich fand und finde sie richtig brillant. Nein, ehrlich, da gibt es nichts daran auszusetzen, einfach nur gut.

Soll ich noch mehr loben, nein, sonst glitsche ich auf meiner verschleimten Tastatur aus...

In diesem Sinne
c

P.S.: Ni! Ähh, Buh!

 

Are you saying Ni to that old lady?

Hab Dank, chazar!

Schreib doch mal ne schlechte Geschichte... dann könnte ich konstruktivere Komentare schreiben.
Oh, es gibt durchaus Geschichten von mir, die meinem eigenen Qualitätsstandard nicht ganz genügen. Der Leser möge aber selbst beurteilen, welche das sind. :xmas:

Ein fröhliches Buh

Ben

 

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