- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 15
Ein Märchen auf Bestellung
Die Idee mit dem Märchen auf Bestellung hatte Lara an dem Abend nach der scheußlichen Deutscharbeit. Das Thema des Aufsatzes hatte gelautet: „Stell Dir vor, Du bist ein Tier. Beschreibe ein aufregendes, trauriges oder lustiges Erlebnis, das Du als Tier gehabt hast.“ Ein blöderes Aufsatzthema konnte man sich ja wohl kaum vorstellen.
An jenem Abend saß Papa auf Laras Bettkante. Er verstand überhaupt nicht, dass Lara nicht gewusst hatte, was sie schreiben sollte. Papa behauptete, man müsste einfach die Fantasie spazieren gehen lassen und dann ginge alles wie von selbst. Er wüsste das nur zu gut. Er hätte schon als Kind Geschichten erfunden, die seiner Mutter, Laras Großmutter, viele Seufzer entlockt hätten.
„Nicht doch, Paul!“, hätte Großmutter häufig gestöhnt. „Erzähl‘ mir bloß nicht schon wieder irgendwelche Märchen.“
„Papa!“, sagte Lara genervt. „Das ist doch etwas ganz anderes. – Ich sollte heute in der Schule von jetzt auf gleich irgendwelche tollen Ideen haben. Das kann kein Mensch! Ja, wenn ich ein oder zwei Tage Zeit gehabt hätte, dann wäre mir vielleicht etwas eingefallen, aber so schnell... Keine Chance!“ Sie seufzte.
„Das glaube ich nicht“, tröstete Papa sie. „Ich bin davon überzeugt, dass du gute Ideen hast. Du musst dir einfach mehr zutrauen.“
„Blödsinn!“, widersprach Lara. „Auch du könntest nicht aus dem Stand eine Geschichte erfinden.“
Papa warf sich in die Brust.
„Sag das nicht, meine Tochter. Ich bin unheimlich gut im Geschichten erfinden. Frag Mama, wenn du mir nicht glaubst. Mama behauptet dauernd, ich sei ein sehr guter Geschichtenerzähler.“
In diesem Augenblick hatte Lara eine grandiose Idee. Sie grinste und sagte hinterlistig: „Wetten, dass du nicht auf Befehl eine Geschichte erzählen kannst?“
Papa lächelte zuversichtlich: „Die Wette gilt! An was für eine Art Geschichte hattest du denn gedacht?“
Lara kuschelte sich gemütlich in ihr Bett, zog die Decke bis ans Kinn und sagte: „Ich hätte gern ein Märchen.“
Papa lachte: „Wenn es weiter nichts ist. Woran hast du gedacht? Rotkäppchen? Schneewittchen? Dornröschen?“
Lara kicherte.
„Das hättest du wohl gerne. Einfach irgend ein fertiges Märchen nacherzählen! Nein, das kommt nicht in Frage. Damit es wirklich schwierig wird, musst du mir ein niegel nagel neues Märchen erzählen. Du musst ein Märchen erfinden, das es auf der ganzen Welt noch nicht gibt. Und...“, fügte sie hinzu, „es soll in der Spielzeugallee spielen.“
Papa wirkte etwas verwirrt.
„In der Spielzeugallee? Die kenne ich gar nicht. Was ist das denn?“
Lara zuckte ungerührt die Achseln und grinste breit.
„Keine Ahnung! Wer erzählt denn das Märchen? Du oder ich?“
Papa dachte einen Augenblick nach, dann holte er tief Luft und sagte: „Na gut. Ein Märchen, das in der Spielzeugallee spielt. Okay. Kein Problem. Also, pass auf: Prinzessin Suseliese war die Tochter des reichsten Königs im ganzen...“
„Aber Papa!“, unterbrach Lara ihren Vater vorwurfsvoll. „So fangen doch keine Märchen an!“
„Nicht?“, fragte Papa irritiert. „Wie denn?“
Lara schüttelte fassungslos den Kopf und verdrehte die Augen.
„Märchen fangen an mit den Worten „Es war einmal...“ oder „In alten Zeiten, als das Wünschen...““
„Jajaja!“, sagte Papa eifrig. „Du hast recht. Jetzt weiß ich es wieder. Es war mir nur eben entfallen.“
Und er begann ein zweites Mal zu erzählen:
„In alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, da lebte einmal ein sehr, sehr reicher König. Dieser König hatte eine Tochter, Prinzessin Suseliese, die er über alles liebte. Und weil er sie so liebte, war er bestrebt, ihr jeden Wunsch zu erfüllen.
Mitten in seinem Schlosspark hatte er eine prächtige Allee anpflanzen lassen: die Spielzeugallee. Die Spielzeugallee war eine mit strahlend weißem Kies bestreute Straße, die zu beiden Seiten von den herrlichsten Spielzeugbäumen gesäumt wurde.“
Lara seufzte wohlig. Die Geschichte fing gut an. Sie sah die riesigen Spielzeugbäume schon vor ihren Augen.
„Es gab dort Teddybärenbäume, Puppenbäume und Bäume, an denen geschnitzte Holztiere wuchsen“, fuhr Papa fort. „Es gab auch Bäume, die Plastikindianer trugen und solche, deren Äste voller kleiner Spielzeugpistolen saßen. Nicht zu vergessen die Bäume, an denen die bunten Bilderbücher wuchsen. Wenn Prinzessin Suseliese sich langweilte, dann ging sie einfach ein bisschen in ihrer Spielzeugallee spazieren und pflückte sich hier eine neue Puppe und dort ein Bilderbuch von den Zweigen.“
„Konnte die Prinzessin nicht lesen?“, fragte Lara.
„Doch, natürlich konnte Suseliese lesen“, sagte Papa. „Sie war doch gerade so alt wie du, elf Jahre.“
„Wieso wuchsen dann an den Bäumen keine Geschichtenbücher?“, wollte Lara wissen.
„Natürlich gab es auch Bäume, die Geschichtenbücher trugen. Es gab sogar einen Baum, an dem Springseile wuchsen. Die Springseile waren übrigens besonders schwierig zu pflücken, weil sie sich immer miteinander verknoteten und um die Äste herum wuchsen, wie der Knöterich hinter unserem Haus. Aber Suseliese besaß ein goldenes Springseil, deshalb wollte sie sich nie ein neues Seil pflücken.
Und einmal, als die Prinzessin unbedingt einen Gameboy ernten wollte und partout keinen Baum finden konnte, an dem so ein elektronisches Spielzeug heranreifte, da schickte der König Boten in aller Herren Länder, damit sie die seltenen, gameboytragenden Bäume suchten und ein Exemplar in sein Reich brachten, um es in Suslieses Spielzeugallee zu verpflanzen. Es dauerte also eine Weile, aber im nächsten Sommer konnte sich die Prinzessin von siebenunddreißig frischen Gameboys den Schönsten aussuchen.
Natürlich machte es sehr viel Arbeit, die Spielzeugallee in einem guten Zustand zu erhalten. Die Bäume mussten gegossen und beschnitten werden. Reifes Spielzeug, welches die Prinzessin nicht benötigte, musste geerntet und für den Verkauf verpackt werden.“
„Das finde ich doof!“, unterbrach Lara ihren Vater und zog eine Schnute.
„Was findest du doof?“, fragte Papa.
„Ich finde es blöd, dass der König das überflüssige Spielzeug verkauft. Er ist doch sowieso schon so reich. Er braucht doch nicht noch mehr Geld. Ich finde, er sollte die Spielsachen an arme Kinder verschenken“, gab Lara streng zur Antwort.
Papa musste seiner Tochter recht geben, es wäre wirklich ein netter Zug von dem König, wenn er mit den überzähligen Spielsachen armen Kindern eine Freude machen würde.
Also fuhr Papa fort:
„Das Spielzeug, welches die Prinzessin nicht brauchte, musste im Herbst geerntet und in Kisten verpackt werden, bevor es mit Kutschen zu allen Waisenhäusern, Kinderheimen und Hospitälern gebracht und dort an die Kinder verschenkt werden konnte, die noch niemals etwas so Wunderbares, wie eine Puppe oder ein kleines Plastikauto besessen hatten.
In der Spielzeugallee gab es demzufolge das ganze Jahr über sehr viel Arbeit. Gärtner, Erntehelfer, Packer und Kutscher arbeiteten Tag für Tag, um die Kinder im ganzen Königreich mit Spielsachen zu versorgen. Wo so viele Menschen arbeiteten, da musste einer sein, der alles regelte und organisierte. Es musste einen Aufseher, einen Chef, geben. Und dieser oberste Wächter der Spielzeugallee hieß Erich und war ein Zwerg. Er war so klein, dass er Suseliese gerade bis zum Bauchnabel reichte.“
„Warte mal!“, rief Lara und sprang aus dem Bett. Sie stellte sich breitbeinig vor Papa auf und zeigte mit dem Zeigefinger auf ihren Bauchnabel. „So groß war Erich also!“, murmelte sie nachdenklich, nickte und schlüpfte zufrieden wieder unter ihre Bettdecke. „Da war Erich ja ziemlich klein. Naja, eben ein richtiger Zwerg“, setzte sie noch hinzu und blickte Papa erwartungsvoll an.
„Erich war der beste Freund von Prinzessin Suseliese“, erzählte Papa weiter. „Zu seinen Aufgaben gehörte es auch, mit der Prinzessin zu spielen, wenn sie es wünschte. Und da Erich auch ohne Spielzeug ganz fantastisch spielen konnte - .“ Papa zwinkerte Lara verschmitzt zu. „Er konnte zum Beispiel aus dem Stand die tollsten Geschichten erfinden – fast so gut, wie dein alter Vater –.“
„Na, das wollen wir erst einmal sehen!“, sagte Lara schnippisch. „Deine Geschichte hat ja gerade erst angefangen. Bisher kann man noch gar nicht wissen, ob sie wirklich so toll wird. Und nun schweif‘ nicht ab. Erzähl‘ lieber endlich weiter!“
Papa lächelte und fuhr fort:
„Weil Erich so wunderbare Geschichten erfinden konnte, wollte Suseliese sehr oft mit ihm spielen.
Der Zwerg war immer schneeweiß gekleidet. Er trug eine weiße Zipfelmütze, ein blütenweißes Hemd und eine leuchtend weiße Leinenhose, um die jeder Müller ihn beneidet hätte.“
Lara kicherte. Das Kichern stieg glucksend in ihr hoch und blubberte aus ihrem Mund. Papa stockte irritiert und fragte:
„Was ist denn nun los? Ist dir nicht gut?“
Lara schüttelte den Kopf:
„Nein, nein. Mir geht es sogar besonders gut. Ich hatte nämlich eben eine ganz tolle Idee. Ich möchte mir noch eine Zutat zu dem Märchen bestellen, das geht doch, nicht wahr?“
Papa verstand zwar nicht so recht, worauf Lara hinauswollte, aber weil sie ihn so schmeichelnd anlächelte, nickte er.
Da sagte Lara: „Ich möchte, dass in deinem Märchen Heidelbeerpüree vorkommt.“
„Was?“, fragte Papa erschrocken. „Du möchtest was? Was soll das denn? Wir sind in der Spielzeugallee. Da hat doch Heidelbeerpürree nichts zu suchen.“
Lara legte den Kopf schief:
„Ach, du kannst kein Heidelbeerpüree in dem Märchen unterbringen? Schade. Ich dachte, du könntest die tollsten Sachen erfinden.“ Sie legte sich im Bett zurecht und kreuzte die Arme über der Brust. „Na, dann eben nicht. Ich hatte es mir ja schon gedacht. Dann wird es eben nichts mit dem Märchen. Obwohl – der Anfang war schon ganz nett... Dann halt nicht. Die Wette hast du aber verloren!“, fügte sie mit Nachdruck hinzu.
Mit diesen Worten und mit ihrem zufriedenen Blick verletzte sie Papas Stolz. Jetzt erst recht dachte er. Und deshalb beeilte er sich, zu sagen:
„Moment! Moment! – Heidelbeerpüree sagtest du? – Mal sehen, mal sehen... das muss doch irgendwie unterzubringen sein...“
Er murmelte noch etwas Unverständliches und verstummte dann. Man konnte richtig sehen, wie angestrengt er nachdachte. Lara hatte fast den Eindruck, dass aus seinem Kopf kleine Rauchwolken aufsteigen würden. Sie wartete eine Weile, doch dann riss ihr der Geduldsfaden.
„Siehst du jetzt, Papa“, sagte sie streng, „wie schwierig es ist, auf Befehl etwas Spannendes, Interessantes zu erzählen? Mit unseren Schulaufsätzen ist es immer genauso. Wenn ich so lange überlege, wie du jetzt, dann läutet es und die Hefte werden eingesammelt.“
Auf Papas Stirn traten kleine Schweißperlen. Er nickte.
„Ja, ich sehe schon, dass du recht hast. So unter Zeitdruck, da kann es schon einmal schwierig sein – aber das Wichtigste ist, dass man nicht aufgibt. – Gibst du mir noch eine Chance?“
Obwohl Lara es nicht zugeben wollte, war sie nun schon sehr gespannt darauf, was Suseliese und Erich wohl noch erleben würden und deshalb sagte sie:
„Na meinetwegen. Eine Chance bekommst du noch – aber vergiss das Heidelbeerpüree nicht!“
„Ganz sicher nicht!“, versprach Papa und erzählte weiter.
„Der weißgekleidete Erich hatte also jeden Tag sehr viel zu tun. Er versorgte die Spielzeugbäume, beaufsichtigte die Arbeiter und spielte mit der Prinzessin. Da er so viele Pflichten hatte, geschah es manchmal, dass er aus Zeitmangel vergass, etwas zu essen und so wurde er von Tag zu Tag dünner. Es dauerte nicht lange, und seine schöne, weiße Leinenhose schlotterte um seine Beine und rutschte ihm über die mageren Hüften. Er gewöhnte es sich an, die Hose mit der linken Hand vor dem Bauch zusammenzuziehen und festzuhalten, um so zu verhindern, dass er sie verlor.
Eines schönen Tages nun pflückte Suseliese sich einen großen, roten Ball von einem Spielzeugbaum und sagte zu Erich:
„Komm, lass uns Ball spielen!“
Der Wunsch der Prinzessin war dem Zwerg Befehl und die beiden verließen die weiß bekieste Spielzeugallee, um zwischen dem Blaubeergestrüpp am Wegesrand mit dem Ball zu spielen. Sie warfen sich den roten Ball durch die Luft zu und rannten und sprangen, um ihn nur ja nicht fallen zu lassen. Dabei benötigte Erich natürlich beide Hände, und so vergaß er seine rutschende Hose und ließ den Hosenbund los. Das weiße Kleidungsstück glitt über die Knie des Zwerges hinab und wickelte sich so unglücklich um seine Beine, dass Erich auf seinen Po plumpste.
Da saß er nun, mitten zwischen den reifen Heidelbeeren und sah sich verdutzt um. Suseliese kam natürlich sofort angelaufen und half ihrem Freund wieder auf die Beine.
„Hast du dir weh getan, Erich?“, fragte sie liebevoll.
Der Zwerg schüttelte den Kopf, zog seine Hose bis zum Bauchnabel hoch und – erschrak. Das gute, weiße Stück war übersät mit violett-blauen Flecken und Spritzern.
„Oh, schau nur, Prinzessin, wie meine gute Hose aussieht!“, rief Erich traurig.
Suseliese streckte einen Zeigefinger aus und tauchte ihn in einen der dicksten Flecken. Dann hob sie den Finger an die Lippen und leckte das blaue Mus vorsichtig ab.“
Lara kicherte und Papa erzählte weiter:
„Heidelbeerpüree!“, stellte die Prinzessin fest. „Eindeutig Heidelbeerpüree.“
Erich seufzte: „Obstflecken. Das geht nie wieder aus der Hose raus! – Es war meine Lieblingshose.“ Und er ließ verzweifelt den Kopf hängen.
Suseliese versuchte ihren Freund zu trösten, aber was sie auch versuchte, nichts konnte Erich aufheitern.“
„Stop! Stop! Stop!“, rief Lara plötzlich eifrig. „Überraschung! Überraschung!“
„Überraschung? Ach du liebes Bisschen! Was ist denn auf einmal mit dir los?“, fragte Papa und sah etwas ängstlich aus. Sicher befürchtete er eine weitere Märchenzutat, deren Verarbeitung Lara jetzt von ihm verlangen würde. Und richtig:
„Ich möchte mir noch etwas Neues für das Märchen wünschen“, verlangte seine Tochter.
„Ich habe es befürchtet.“ Papa wurde blass. „Hoffentlich ist es etwas Vernünftiges und nicht so etwas Verrücktes wie „Satellitenschüssel“ oder „Rohrzange“.“ Ängstlich hielt er die Luft an.
Doch Lara konnte Papa beruhigen.
„Es ist etwas ganz Vernünftiges“, teilte sie ihm mit. „Ich möchte, dass in dem Märchen Hosenträger vorkommen!“
Papa atmete erleichtert auf und lachte:
„Danke! Das passt ja ganz vorzüglich. – Nachdem es Suseliese nicht gelungen war, ihren Freund Erich nach dem Unfall mit dem Heidelbeerpüree aufzumuntern, erzählte sie ihrem Vater dem König am Abend von dem Unglück und fragte ihn, wie sie Erich helfen könnte.
Der König, der den Zwerg längere Zeit nicht gesehen hatte, wurde sehr besorgt, als er hörte, dass Erich so dünn geworden war, dass seine Hosen immer rutschten. Voller Sorge begann der König damit, seine Anweisungen zu erteilen. Er befahl dem königlichen Oberhofschneider, sofort eine neue, weiße Leinenhose für Erich zu nähen. Er stellte einen zweiten Aufseher für die Überwachung der Arbeiter in der Spielzeugallee ein. Er verbot Prinzessin Suseliese mit dem Zwerg während der Essenszeiten zu spielen. Er bestellte bei seinem Lieblingskoch eine besonders leckere, kalorienhaltige Kost für Erich und er schenkte dem Zwerg ein sehr wertvolles, diamantenbesetztes Paar Hosenträger. Die neuen Hosenträger würde Erich vorerst tragen können, denn bei aller Fürsorge würde es wohl doch einige Zeit dauern, bis der Zwerg sein Normalgewicht wieder erreicht hatte.“
Als Papa nicht weiter sprach, fragte Lara: „Ist das Märchen jetzt schon zu Ende?“
Papa sagte unsicher:
„Ja, eigentlich dachte ich, dass das Märchen jetzt zu Ende ist. Findest du das denn nicht?“
Er sah richtig ein bisschen erschöpft aus. Ganz so einfach, wie er zu Anfang behauptet hatte, war es offenbar nicht gewesen, ein niegel nagel neues Märchen zu erfinden. Da beschloß Lara, Papa nicht weiter zu quälen und sagte:
„Naja, ganz zu Ende ist das Märchen noch nicht. Der König erklärte Suseliese nämlich, dass es ganz wichtig ist, dass man sich um seine Freunde kümmert. Er sagte ihr, dass sie rechtzeitig hätte merken müssen, dass Erich immer dünner wurde und dass sie auch hätte darauf achten müssen, dass der Zwerg genug Ruhe hatte, um seine Mahlzeiten einzunehmen.
Suseliese schämte sich sehr und versprach, dass ihr so etwas nie wieder passieren würde. – Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“
Lara schaute Papa zufrieden an:
„Für dein erstes Märchen auf Bestellung ist es doch ganz prima geworden, findest du nicht?“
Papa, der sehr müde und erschöpft aussah, nickte:
„Meinst du? Ich habe mir jedenfalls alle Mühe gegeben. Aber jetzt muss ich mich unbedingt ein bisschen ausruhen. Das Erzählen hat mich doch sehr angestrengt.“
„Aber Papa“, sagte Lara vorwurfsvoll, „so anstrengend kann das doch gar nicht gewesen sein. Mit dem Märchenerzählen ist es wie mit dem Aufsatzschreiben: Man muss nur seine Fantasie spazieren gehen lassen und schon geht alles wie von selbst. Das hat mal irgend so ein weiser Mann gesagt.“
Da wurde Papa tatsächlich rot.