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Ein Schutzsternchen für Uwe
Ein Schutzsternchen für Uwe
Sternchen Sturm purzelte erschrocken von der Fensterbank herunter und plumpste in das leicht gefrorene Gras.
„Na das fängt ja gut an!“, murmelte es missmutig, rieb sich seine Zacken und beschloss, nun wirklich wachsamer zu sein. Ansonsten würde sein Plan sicher nicht funktionieren.
Seit langem hatte Sternchen Sturm mal wieder eine Reise auf die Erde unternommen.
Am Himmel war nicht viel los gewesen, denn eine Horde dicker, dunkler Wolken hatte sich dort wie ein Teppich ausgebreitet und sämtlichen Sternen die schöne Aussicht auf die Erde versperrt. Gelangweilt hatte Sternchen Sturm beschlossen, lieber den Menschen auf der Erde einen Besuch abzustatten, als weiterhin zahllose Purzelbäume zu schlagen.
Durch den dicken Wolkenteppich war es getaucht, hatte sich, so leise und unauffällig wie es einem stürmischen Sternchen nur möglich ist, auf die hölzerne Fensterbank eines alten Hauses gesetzt und heimlich durch das Sprossenfenster geblinzelt. Schon von weitem hatte es den bläulichen Schein eines Fernsehers bemerkt und freudig einem Abend mit einem schönen, vielleicht abenteuerlichen Film entgegen gefiebert. Beim näheren Hinsehen hatte es erkannt, dass sich ein kleiner Junge zusammen mit seinen Eltern einen Film über einen Schutzengel ansah.
Beeindruckt hatte Sternchen Sturm die Geschichte des Engels, der einen kleinen Jungen vor jeglicher Gefahr bewahrte, verfolgt, und noch ehe der Film beendet war, hatte es beschlossen, genau dasselbe zu tun.
Ein wagemutiges wie wachsames Schutzsternchen wollte es werden. Für den kleinen Jungen, der übrigens Uwe hieß, und bestimmt ein bisschen Schutz benötigte. Das hatte zumindest Sternchen Sturm gedacht.
Gedanken versunken hatte es überlegte, welche Aufgaben auf ihn als zukünftigen Beschützer zukommen würden, als Uwes Eltern plötzlich das Rollo herunter gelassen und das unaufmerksame Schutzsternchen mit einem Satz von der Fensterbank gefegt hatten. Strampelnd und erschrocken war es unsanft auf den Boden geflogen. Als Beschützer musste es in Zukunft wirklich besser aufpassen.
Nachdem es sich wieder gesammelt hatte, verschwand Sternchen Sturm am Himmel und kuschelte sich in sein Bett. Die ganze Nacht glitzern und strahlen konnte es nicht, weil es am nächsten Morgen als tapferer und ausgeschlafener Beschützerstern an Uwes Seite bereit stehen wollte.
So ruhte sich Sternchen Sturm aus, träumte zwischenzeitlich schöne Schutzsternträume und sprang am nächsten Morgen, als alle anderen Sterne noch friedlich schlummerten, aus seinem wohlig warmen Wolkenbett. Hastig eilte es hinunter auf die Erde, um seinen ersten Schutzsternarbeitstag nicht zu verpassen. Noch bevor die strahlende Sonne den gesamten Himmel erhellte, stand Sternchen Sturm mit wachsamer Mine an Uwes Haustür bereit. Bereit dafür, ihn vor den unzähligen Gefahren des Tages zu bewahren.
Als sich Uwe einige Zeit später auf den Weg zur Schule machte, hockte Sternchen Sturm immer noch vor der Tür, allerdings weniger wachsam. Leise schnarchend und angelehnt an eine Hecke hätte es beinahe seinen ersten Beschützertag verschlafen. Die laut zufallende Haustür weckte ihn jedoch wieder auf. Schlaftrunken schnellte das kleine Sternchen in die Höhe und bemühte sich dann, Uwe auf seinem Weg zu folgen. Es tänzelte unbemerkt hinter ihm her, stolperte hier und da, tollpatschig wie es war, über einen Stein, rappelte sich wieder auf und hastete weiter. Dann beschloss es, als beschützender Stern vor seinem Schützling her zu traben, um ihm die täglichen Gefahren besser aus dem Weg räumen zu können.
Als sie kurz darauf die gefährliche Straßenkreuzung gegenüber Uwes Grundschule erreichten, sprang Sternchen Sturm wagemutig und mit ausgebreiteten Armen auf den Asphalt, um die Autos anzuhalten. So wollte es Uwe sicher über die Straße bringen. Begeistert von seiner Idee, hatte es gar nicht daran gedacht, wie leichtsinnig sein Sprung gewesen war. Die herannahenden Autos quietschten mit ihren Reifen, versuchten zu bremsen, schlitterten ein Stückchen weiter, und um ein Haar hätten sie Sternchen Sturm sogar platt gefahren. Im allerletzten Moment jedoch rettete ihn eine kleine Hand, die ihn fest bei den Zacken packte und zurück auf den Bürgersteig zog.
Erschrocken schüttelte Sternchen Sturm sich den Schreck aus den Gliedern und blickte in ein entsetztes Kindergesicht. Uwes Gesicht.
„Was machst Du da?“, schimpfte dieser mit schriller Stimme, „Man darf doch nicht einfach auf die Straße springen! Dort fahren gefährliche Autos. Es gibt doch Fußgängerampeln, damit man heile auf die andere Straßenseite kommt!“
Sternchen Sturm schaute Uwe mit offen stehendem Mund an und nickte stumm. Dann nahm es Uwes warme Hand und ließ sich von ihm sicher an der Ampel über die Straße führen.
Woher sollte Sternchen Sturm auch wissen, dass es auf der Erde so glänzende Erfindungen wie Fußgängerampeln gab? Im Himmel brauchte man keine Straßen und Autos und folglich auch keine Ampeln.
Um ein richtiger Schutzstern zu werden, musste es wohl noch einiges lernen.
Auf der anderen Straßenseite angekommen, verabschiedete sich Uwe und riet dem unvorsichtigen Sternchen, zukünftig etwas aufmerksamer zu sein. Dann verschwand er in der Schule.
Eine Weile noch blickte Sternchen Sturm Uwe hinterher und wusste nicht, ob er traurig oder fröhlich sein sollte. Einerseits war Uwe wirklich nett gewesen und hatte ihn vor einem Unfall bewahrt, andererseits jedoch war es ein grauenhafter Schutzstern gewesen, der sogar selbst gerettet werden musste. Das kleine Sternchen überlegte einen Augenblick und entschied sich dann, lieber fröhlich zu sein. Das gefiel ihm einfach besser. Und außerdem hatte es einen neuen Freund, nämlich Uwe, gefunden und konnte obendrein immer noch ein Schutzstern werden. Es musste nur noch ein bisschen üben und besser aufpassen und nicht so zappelig sein und dann, dann könnte es eines Tages ein wirklich guter Beschützer sein.