- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 12
Eine Kurzgeschichte
Die Aufgabe war es, eine Kurzgeschichte zu schreiben. Na schön, dachte ich, dann mal an die Arbeit. Das Thema war „Glück“. Ich wusste schon, worüber beziehungsweise was ich schreiben wollte. Doch als Frau Prikk von uns forderte, in Gruppen eine Kurzgeschichte zu verfassen, stöhnte ich auf. Sofort drehte sich meine Sitznachbarin Vanessa zu den hinter uns sitzenden Mädchen Priska und Laura um. Ich seufzte und folgte dem Beispiel Vanessas. „Über was sollen wir schreiben?“ – „Über den geilen Rufus!“ – das war ja so klar gewesen. Übrigens, Rufus war ein junger Mann, der gar nicht so hieß. Aber da wir seinen wahren Namen nicht kannten, nannten wir den einfach so. Der Name passte zwar, aber trotzdem fand ich den Namen irgendwie komisch. Ich schätzte ihn auf achtzehn, er arbeitete im Café Meyerbeer und bediente die Kunden. Er hatte einen braunen Wuschelkopf und ein kantiges Gesicht. Schlank war er auch, aber nicht sonderlich groß. Und alle weiblichen Wesen fanden diesen Typen „geil“. Alle. Außer mir. Ich verdrehte meine Augen und blickte verzweifelt zum Himmel – zu einer weißen Decke mit Lampen, die die Sonne ersetzten. Während die drei über Rufus schwärmten, ließ ich meinen Blick über den Raum schweifen. Alle plauderten im Flüsterton, nur unsere Gruppe nicht. Ich blickte einem von unserer Nachbargruppe über die Schulter. Sie hatten eine viel bessere Idee. Na toll. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder meinem Tisch zu.
„Also, wir fangen so an: ´Ich bin ein Glückspilz!`, dachte Rufus ...“
„Ja, aber zuerst mal die Überschrift!“
„Wie wär’s mit ´Glückspilz?`“
Sie hatten alle ja so viel Fantasie.
„Okay.“
Bei mir nicht.
„Also noch einmal: ´Ich bin ein Glückspilz!`, dachte Rufus ... ja, und dann?“
„...und gab ihr den Caramell Macciato ...“
Da ich unnötigen Streit verhindern wollte, schrieb ich einfach mit. Ich wusste, dass mir so oder so niemand zuhören würde, wenn ich mich einschalten würde. Nie hatte jemand bis zum Ende zugehört - eher überhört!
„Ja und dann ...wie wär’s mit: Für einen kurzen Augenblick berührten sich ihre Hände?“
Oh nein, das ging zu weit. Ich hasse Liebesgeschichten.
„Nee, keine Liebesgeschichte!“, griff ich ein. Die anderen starrten mich an, als hätte ich was ganz Schlimmes gesagt. „Du kannst auch ruhig alleine schreiben, Johanna!“ – „Du willst ja immer alles alleine machen ...!“ und schon ging es los. Ich hob abwehrend meine Hände und versuchte ein Lachen, was mir gänzlich misslang. „Ist ja schon ok, regt euch ab, Mann!“, beeilte ich mich zu sagen. „Wie ist der nächste Satz?“, fragte ich hinterher, um schnell das Thema zu wechseln. Die ganze Stunde lang über langweilte ich mich und schmollte ein bischen herum. Die anderen merkten meine Verstimmtheit nicht. Auch egal. Schließlich waren wir mit der Geschichte fertig, und ich hatte nichts beigetragen, weil alles abgelehnt worden wäre. Es sah ungefähr so aus:
Glückspilz
´Ich bin ein Glückspilz`, dachte Rufus und gab ihr den Caramell Macciato. Für einen kurzen Augenblick berührten sich ihre Hände. Als sie sich leise bedankte, klopfte sein Herz wie verrückt. Für einen Augenblick verlor er die Kontrolle und stempelte seine Hand, statt die Treuekarte, ab. Doch dann sagte seine Angebetete zu ihrem Begleiter: „Holst du mir mal einen Strohhalm, Schatz?“ Für Rufus blieb die Welt stehen und krokodilsgroße Tränen kullerten über seine vor Aufregung geröteten Wangen. Für einen Augenblick hatte er geglaubt, er hätte seine wahre Liebe gefunden und endlich einmal Glück gehabt. Doch wie so oft rauschte das Glück an ihm vorbei. Auf einmal riss ihn der Begleiter aus seinen Gedanken, indem er fragte: „Was ist mit meinem Kaffee?“
Es war sehr kurz und mit vielen Fehlern bespickt. Jedenfalls aus meiner Sicht. Ich fand die Kurzgeschichte überhaupt nicht... schön. Ich fand es grässlich, einfach nur grässlich. Vor allem die Szene mit den Tränen gefiel mir nicht, es passte einfach nicht. Und das mit der großen Liebe – zu kitschig. Oh mein Gott, gab es was Schrecklicheres?
Ich stöhnte noch lauter auf, als Vanessa sich meldete, um die Kurzgeschichte vorzulesen. Ich wartete darauf, dass alle lachen würden. Doch überraschenderweise lobte uns die Lehrerin. Wir hätten fast auf alles geachtet. Bemerkte sie nicht, wie blöd diese alberne Geschichte war? Und wieviele Fehler sie hatte?
´Was ist denn das für eine?!`, dachte ich verärgert. Den Rest des Tages lief ich schlecht gelaunt herum.