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Eine Moritat

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30.12.2002
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Eine Moritat

Zum Zwiebelschneiden setzte sich Rosa immer eine Taucherbrille auf, damit ihre Augen nicht so tränten. Das sah zwar seltsam aus, aber da sie immer alleine in der Küche war, konnte es ihr egal sein. Nachdem sie drei große Zwiebeln fein gehackt hatte, entbeinte sie den Herrn Hansens Oberschenkel. Es war viel Fleisch daran, denn Herr Hansen war sehr sportlich gewesen. Jeden Tag joggte er in aller Herrgottsfrühe einmal rund um den großen See, am dem sie wohnten. Daher hatte er muskulöse Beine, was jetzt ein gute Fleischernte ergab.
Die Erinnerung an Herrn Hansen, wie er, manchmal in Begleitung von Miriam, aber meistens alleine, fröhlich in der Morgensonne seine Runden drehte, bewog Rosa, das Messer sinken zu lassen. Sie fühlte, es war an der Zeit, eine Schweigeminute einzulegen. Dazu schloss sie die Augen unter der dicken Taucherbrille, senkte den Kopf und murmelte leise:“ Riposi In Pace“. Latein war ihr zu verstaubt und tot, und als bekennender Italienfan bediente sie sich zu diesem feierlichen Anlass lieber der lebendigen, italienischen Sprache. Dann straffte sie die Schultern, reckte sich, und nahm ihre Arbeit wieder auf. Immer schön am Knochen entlang schabend, löste sie das Fleisch ab.

Als sie fertig war, drehte sie es durch den Fleischwolf. Rosa hatte einen extra großen Fleischwolf, den sie über alles liebte. Er war nicht ganz billig gewesen, Miriam hatte zunächst protestiert, aber Rosa hatte sie schließlich überzeugen können, und nun hatte er sich längst amortisiert. In einer riesigen Schüssel verknetete sie dann mit den Händen Zwiebeln, Fleisch, Eier und eingeweichte Brötchen zu einem saftigen, lockeren Fleischteig. Miriam hatte beeindruckende Hände. Für eine Frau waren sie ungewöhnlich groß und stark. Rosa nannte ihre Hände liebevoll „meine Baggerschaufeln“, womit sie irgendwie den Nagel auf den Kopf traf.
Nachdem sie dem Teig noch verschiedene Gewürze zugesetzt hatte, begann sie, Frikadellen zu formen, die sie dann auf dem frei in der Küche stehenden Herd in einer großen Bratpfanne mit viel Öl anbriet. Sie erfreute sich an dem Zischen und Brutzeln, an dem lustig herumspritzenden Fett und ganz besonders an dem Duft, der schnell die ganze Küche erfüllte. Die Taucherbrille hatte Rosa inzwischen abgesetzt und in eine der Taschen ihrer rosa-orangefarbene Kittelschürze gesteckt.
Rosa war ziemlich beleibt, hatte ein freundliches, rundes, rosa Gesicht mit kleinen, blauen Schweinsäuglein darin und trug ihre langen Haare zu einem Knoten hochgesteckt. Eine kecke Strähne wagte sich immer wieder hervor und fiel ihr ins Gesicht, aber das störte Rosa, und sie strich sie wiederholt mit dem linken Handrücken zurück, was jedoch von keinem lang anhaltenden Erfolg gekrönt war. Während sie die fertigen Frikadellen auf einer silbernen Servierplatte stapelte und neue ins heiße Fett warf, trällerte sie fröhlich vor sich hin:“ Viva la papa papa col pomo pomo pomo pomodoro…“ Inzwischen war die Küche vom Bratendunst vernebelt und der Boden war rutschig, vom aus der Pfanne spritzenden Fett, aber Rosa tänzelte mit erstaunlicher Sicherheit um den Herd herum, hantierte dabei mit Pfanne und Bratenwender, strich sich nun mit dem Unterarm die kecke Haarsträhne aus dem Gesicht, schwang die drallen Hüften und sang aus voller Brust, bis alles fertig gebraten war.

Mit einem Zipfel der Kittelschürze wische sie sich das schweißige, fettige Gesicht ab und ergriff mit einer Baggerschaufelhand die Platte mit den Pyramidenartig angeordneten Fleischklopsen und mit der anderen das bereits vorher zubereitete und warmgestellte Gemüse und die Kartoffeln. Sie tänzelte zur Küchentür, die sie mit einem gekonnten Hüftschwung aufstieß und betrat das Esszimmer. Dort befand sich ein großer, etwa drei Meter langer, schwarzer Esstisch, den sie festlich eingedeckt hatte, und eine große, klobige, ebenfalls schwarze Vitrine. An jeder Stirnseite des Tisches befanden sich ein Teller, Besteck und mehrere Gläser, in der Mitte des Tisches stand ein schwerer, silberner Kerzenhalter mit fünfzehn brennenden Kerzen. Um diesen herum hatte sie Blumenschmuck arrangiert, der hauptsächlich aus Petersilie, Rosen und Dill bestand. Andächtig platzierte sie die Speisen in der Mitte des Tisches, vor den Kerzen. Dann wirbelte sie herum und holte den bereits geöffneten Wein von der Vitrine und schenkte zwei Gläser damit voll. Der Wein war blutrot und samtig, er funkelte im Schein der Kerzen. Rot wie Blut, dachte Rosa und faltete ihre großen Hände vor ihrem mächtigen Busen. Irgendwie konnte sie den Blick nicht von den Gläsern abwenden.
Da hörte sie plötzlich Miriams Auto kommen.
Eilig lief sie in die Küche zurück und verließ diese durch die Tür, welche zum Kräutergarten führte. Sie lief, so schnell ihre Körperfülle es zuließ, zum kleinen Pavillon am anderen Ende des Gartens. Dort angekommen, ließ sie sich in einen der beiden Ohrensessel fallen, die darin standen, und begann, ein neues Lied zu singen. Wenn sie sang, konnte sie sich am besten beruhigen, und beruhigen musste sie sich, denn sie hatte Angst. Wenn Miriam herausbekam, dass Herr Hansen zu ihrem Abendessen verarbeitet wurde, dann könnte es sehr unangenehm für Rosa werden. Ein wenig regte sich so etwas wie ein schlechtes Gewissen in ihr, aber andererseits hatte sie es doch schließlich nur zu Miriams Bestem getan. Rosa hatte aufgehört zu singen, setzte sich ganz vorn auf die Kante des Sessels und horchte angestrengt durch den Garten, zum Haus hin. Leise wehten Musik und Stimmfetzen zum Pavillon herüber. Da, jetzt lachte Miriam. Ein silberhelles Lachen erleuchtete den Garten. Rosa sank erleichtert in den Sessel zurück. Miriam hatte gelacht, also schien sie nichts bemerkt zu haben. Jetzt lachte auch ihr Besuch, der Mann, den Miriam eingeladen hatte. Der Mann, der gut für Miriam war, reich und angesehen, und für den Herr Hansen sterben musste. Vielleicht würden sie seine Abwesenheit ja gar nicht bemerken, hoffte Rosa inständig. Die Reste Herrn Hansens hatte sie zerteilt und in kleinen Portionen, verpackt in Gefrierbeuteln, in der Tiefkühltruhe im Keller verstaut, schön versteckt, unter den Erdbeeren und den Kirschen vom Vorjahr.

Doch dann geschah es. Rosa beobachtete von ihrem Platz aus, wie zwei Menschen das Haus verließen und den Garten betraten. Es waren Miriam und ihr Besucher. Sie gingen – oh nein! Sie gingen in die Richtung von Herrn Hansens Sommerhäuschen. Noch hörte Rosa Miriams munteres Geplapper und dann, sie wartete atemlos und mit geschlossenen Augen darauf, einen schrillen Schrei. Jetzt hatte sie es entdeckt. Rosa hatte nicht die Zeit gehabt, das ganze Blut aufzuwischen.
„Wo ist Herr Hansen?“ gellte Miriams Stimme durch den Garten. „Rosa, wo steckst du? Was ist mit Herrn Hansen passiert? Warum ist hier alles voller Blut?“ Miriams Stimme war jetzt in ein weinerliches Geschrei übergegangen und wurde immer schriller Rosa presste sich die Hände auf die Ohren. Miriam hatte Herrn Hansen geliebt, Rosa wusste das. Aber Herr Hansen war nicht gut für Miriam. Er hatte einen schlechten Einfluss auf sie. Und Herr Hansen war nicht gut zu Rosa, er hat ihr immer Angst gemacht. In seiner Gegenwart fühlte sie sich immer unwohl. Er hatte es verdient, als Frikadelle zu enden, dachte Rosa mit trotzigem Gesichtsausdruck.
Nun flog die Tür zum Pavillon auf und Miriam stand schwer atmend darin, sie stützte sich mit beiden Händen am Türrahmen ab. Mit schreckensweit aufgerissenen Augen starrte sie ihre Haushälterin an und fragte heiser:“ Was hast du mit Herrn Hansen gemacht?“
Rosa schlug sich die Baggerschaufelhände vors Gesicht und ein rauhes Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. Miriam stieß sich von der Tür ab, stürzte sich auf Rosa und rüttelte mit beiden Händen an ihren Schultern. „Sag es mir, was hast du mit meinem Hund gemacht, Rosa?“

 

Hallo Chausie, Danke fürs Lesen und deine Gedanken dazu. Absätze habe ich eingefügt, du hast recht, so liest es sich besser.
Hmmm, wenn ich geschieben hätte, dass der Hund Rosa mehrfach biss, dann hätte ich dadurch die Pointe vorweggenommen.

 

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