- Beitritt
- 01.01.2015
- Beiträge
- 1.130
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 16
- Anmerkungen zum Text
okay, ich brauche immer ein Weilchen um meine Ursprungsidee loszulassen. Ich denke, jetzt habe ich einen Mix aus meiner Idee und den ja zum Glück übereinstimmenden Hinweisen der Kommentatoren.
Entscheidungen
Ausgerechnet nach der Scheidung laufe ich Anna, einer alten Studienfreundin in die Arme. Ohne meinen Widerspruch zu hören, schleppt sie mich in diese Bar. Wir sitzen am Tresen und ich stürze bereits den zweiten Caipirinha hinunter.
„Katie, mach langsam! Du sollst erzählen!“
„Was?“ Dumm stellen wird nichts bringen, ich weiß, dass sie heiß auf Details und vor allem den Grund unserer Trennung ist. Immerhin hatten mir beim letzten Studienjahrestreffen alle bestätigt, dass ich die geborene Ehefrau sei. Na ja, alle Männer, die Frauen guckten teils recht skeptisch.
„Na, wieso du und Mr. Perfekt sich nun doch getrennt haben?“
„Wieso ‚Nun doch‘ ?“, frage ich und male Anführungszeichen in die Barluft.
„Ach, komm schon! Du hast ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen, nie dein Ding gemacht. Und er war immer noch verliebt in dich, das konnte man beim letzten Treffen deutlich sehen. Auch wenn er ansonsten ein anstrengender Typ war.“
„Aber nicht verliebt genug, um mir zu verzeihen.“ Ich spüre Tränen aufsteigen, wische sie unauffällig weg. Die Trauer um meine Ehe, mein Versagen als Ehefrau tut so weh.
Aufstöhnend versuche ich es mit dem harmlosen Anfang. „Na, wir waren doch im Mai zu diesem tollen Hamburg-Wochenende.“
„Ja, ich hatte Bilder in deinem Status gesehen: perfektes Häuschen in Blankenese, viele Museen- und Konzertkarten und du hast wahrscheinlich immer nur genickt.“ Anne rückt das Cocktailglas aus meiner Reichweite.
„Aber Tobias hatte wirklich großartig geplant. Nur für die Kinder musste ich halt ein bisschen was Passendes einbauen, das war nie seine starke Seite. Unser Vermieter gab den Tipp: Geht zum Strand!“ Ich angle mein Glas zurück und stürze es in einem Zug hinunter.
„Wenigstens einer, der an die Kinder gedacht hat.“ Anne grinst.
Vor meinen Augen sehe ich uns glücklich lächelnd neben dem Reetdachhaus stehen und in Mias Handy lächeln. Tobias etwas angestrengt, ich war einfach nicht schnell genug für den Ausflug fertig geworden.
Der Barkeeper schiebt mir einen neuen Cocktail zu und dankbar für die Unterbrechung lächle ich ihn an.
„Ich hatte an fast alles gedacht, Mias neuen Bikini und Tobias Lesebrille. Als die Kinder Würstchen wollten, bin ich gesprungen und wir wären auch rechtzeitig fürs Konzert zurück. Wenn nicht …“
Anne legt ihre Hand auf meine. Offensichtlich hat der Typ neben uns mitgehört und grinst mich an. „Feines Frauchen, immer schön dem Manne recht machen.“
Während ich noch nach einer Erwiderung suche, zeigt Anne ihm den Mittelfinger.
„He, he, ich mag aufopferungsfreudige Frauen.“
Meint der mich? Anscheinend genießt er die Provokation.
Ich drehe mich zu Anne, senke die Stimme. „Erst waren wir auf dem Fischmarkt: Garnelen für Tobias und die Kinder, frisches gesundes Obst, teures Frühstück in der Auktionshalle.“
Dafür zeigt der Barkeeper mir den erhobenen Daumen.
„Tobias nahm mich in den Arm, versicherte mir, dass ich diesmal alles richtiggemacht hätte. Du weißt bestimmt noch, wie wichtig ihm solche Dinge waren?“
„Er war und ist ein pingeliger Egoist, sich immer selbst der Nächste. Aber du sagtest, ihr solltet zum Strand gehen. Gibt es so etwas überhaupt mitten in Hamburg?“
„Oh ja, und was für einen!“ Kurz spüre ich die Maisonne und den typischen Geruch nach Hafen, Sonnenöl und eine Prise nasse Socken. „Du biegst um die Ecke der Promenade, ein Mauervorsprung, der weit in die Elbe ragt und vor dir öffnet sich eine weite Bucht. Weißer Strand, Liegestühle und Strandbars – richtiges Strandfeeling. Und das im Mai.“
„Das klingt doch, als wäre es ein toller Tipp, ein wunderbarer Ausflug gewesen?“ Anne wartet offensichtlich auf das Drama, was zum heutigen Super-GAU geführt hat. Und ich will es nicht erzählen, will es nicht noch einmal durchleben.
„Ihr habt euch also gesonnt und hoffentlich nicht in der versifften Elbe gebadet.“
„Paul wollte schon, aber Mia hatte ihm was von abfallenden Fingern erzählt. Und ja, es war herrlich, die erfrischende Brise, die Möwen, entspannte Menschen. Tobias war zufrieden, ich glücklich.“ Ich verfalle in Schweigen, greife nach dem fast leeren Glas und halt mich daran fest.
Anne hebt die Augenbrauen, wartet.
„Es gab einen Menschenauflauf, Paul schrie von dem Promenadenpodest zu uns herunter, winkte aufgeregt. Tobias ist zu den Kindern hinauf und ich war halt auch neugierig.“ Ich schließe die Augen, schlucke, sehe einen Rotschopf zehn Meter vom Ufer entfernt. Er dreht sich um sich selbst, wirkt orientierungslos.
„Ringsum herrschte Aufregung, Stimmengewirr. Von ‚Dummheit gehört aus dem Genpool gelöscht‘ bis ‚Hilf ihm doch jemand‘ war alles zu hören. Ich habe mich nach vorne durchgeschoben, wollte die Kinder aus diesem aufgewühlten Haufen herausholen.“ Mir läuft Schweiß den Rücken hinunter, Gänsehaut kriecht die Arme hinauf. Aber Anne wird mich nicht ums Erzählen drum herumkommen lassen. Sie glaubt, reden hilft.
„Da war also wer im Wasser?“, hakt Anne nach.
„Ja, jetzt weiß ich, dass es der junge Mann war, der mich bereits auf dem Fischmarkt angerempelt hatte. Stark alkoholisiert, rotzfrech. Seine Kumpel johlten am Ufer. Er rief die ganze Zeit: ‚Ist nicht kalt, kommt rein ihr Weicheier!'“ Ich schlinge die Arme um mich, versuche Wärme zu erzeugen. Das Entsetzen, als ich die Situation erkannte, holt mich auch heute wieder ein. „Am Strand war kein Rettungsschwimmer, keiner der Gaffer machte Anstalten, etwas zu unternehmen. Es wurde fotografiert und gefilmt, aber niemand telefonierte, setze einen Notruf ab. Ich glaube, das war der Moment, ich bin einfach wieder in die Routine als Rettungsschwimmerin gerutscht: Situation einschätzen, Hilfe rufen, Hilfsmöglichkeiten analysieren.“
„Stimmt, du warst jahrelang aktiv. Was habe ich dich immer um den Monat in Warnemünde am Strand beneidet. Aber das ist doch Jahre her!“
„Vierzehn, seit ich mit Mia schwanger war. Aber es war alles da, all die antrainierte Abläufe. Ich hab mich durchgedrängelt, die 112 gewählt und dem Koordinator die Situation geschildert.“
„Richtig gemacht! Und dann haben die Hilfe losgeschickt.“ Anne hängt an meinen Lippen, der Typ neben mir versucht gar nicht mehr zu verbergen, dass er lauscht und auch der Barkeeper ist voll dabei.
„Ja! Die Hilfe sollte in fünf Minuten eintreffen.“ Wieder sehe ich den Kopf des jungen Mannes versinken, seine Bewegungen wurden langsamer, zäher. Rufen tat er schon nicht mehr.
„Ich antwortete: ‚Die hat er nicht, ich geh rein.‘ So selbstsicher das klang, würgte ich doch an der Säure in meinem Hals. Ich hatte schon Übungen in Flüssen, wusste, was auf mich zukäme. Die unglaubliche Ohnmacht gegenüber der zerrenden Strömung, die Sogwirkung der tiefen Fahrrinne. Mit einmal war Tobias da. Seine Hand schwer auf meinem Arm und er sagte: ‚Ich will das nicht!‘
‚Was meinst du? Der ertrinkt.‘ Fassungslos starrte ich ihn an. Ein Mensch braucht Hilfe, was würde er tun, wenn er meine Ausbildung hätte.
‚Wir sind deine Familie, das ist ein Fremder!‘
‚Das ist egal!‘ Kopfschüttelnd sah ich Tobias an. Er konnte doch nicht wirklich meinen, was er sagte. ‚Man kann doch bei Rettungseinsätzen oder Hilfe nicht erst fragen, wer bist du und mag ich dich leiden?‘
Ich zog mich kopfschüttelnd aus, nach kurzem Zögern stand ich in Unterwäsche auf der Promenade.
Tobias schaute sich unsicher um, drückte mir das T-Shirt wieder in die Hand. ‚Zieh das über, meine Frau läuft hier nicht nackt herum.‘
Hin und hergerissen zog ich das T-Shirt wieder über. Ich musste los, auch wenn ich das Gefühl hatte, mit ihm reden, es, nein, meine Überzeugung erklären zu müssen.
‚Du gehst da nicht rein! Das ist lebensgefährlich!‘
Da habe ich ihn angefaucht: ‚Wenn ich jetzt nicht hinterherschwimme, hat er keine Chance.‘
Tobias baute sich vor mir auf, umklammerte meinen Arm, tat mir weh. ‚Du ertrinkst dort drin und wofür? Für einen besoffenen Idioten!‘
Ich verharrte, wollte es ihm begreifbar machen, ihm erklären, warum das aus meiner Sicht keine Frage war. Es ging um ein Menschenleben. Und ich war in der Lage, es zu retten. Alles was ich antworten konnte war: ‚Ich bin Rettungsschwimmerin! Ich muss!‘
Tobias zerrte mich zu den Kindern, seine Stimme überschlug sich: ‚Der ist dir wichtiger als die Kinder und ich?‘ Erst da realisierte ich, wie verstört meine Kinder wirkten. Mias Augen glänzten, rote Flecken überzogen den Hals. Und Paul! Er schluchzte, wimmerte. Ich habe mich hingekniet, wollte ihn trösten. Er schaute mich mit schreckgeweiteten Augen an, die Hand fest um die Finger seiner Schwester gekrallt. ‚Papa sagt, du wirst sterben!‘ Er hatte solche Angst. Was sollte ich tun? Aber eigentlich stellte sich die Frage nicht.“
„Na, auch wenn ich Tobias ungerne Recht gebe, aber was wäre passiert, wenn du wirklich ertrunken wärst?“ Anne sieht mich forschend an. Ich hatte bisher nicht darüber sprechen können, wollte nicht einmal darüber nachdenken. Auch jetzt wird mir übel.
„Im Mai habe ich nur reagiert. Ich bin reingesprungen, hab den Rettungsring mitgeschleppt und bin so schnell geschwommen, wie meine untrainierten Arme es hergaben. Es war kalt, das Wasser zog an mir, das doofe T-Shirt schlabberte um mich und störte. Der Abstand war gewachsen, ablaufendes Wasser, Unterströmung. Mir war schnell klar, dass ich da nicht gegenanschwimmen könnte, aber einmal musste ich ihn ja erreichen. Und dann war er weg! Verschwand unter einer Welle.“ Ich schlucke, sehe die versinkende Hand vor mir. Und die ganze Zeit hämmerten in meinem Kopf Pauls Worte ‚Du wirst sterben!‘. Aber ich konnte ihn retten, musste es wenigstens versuchen. Was wäre, wenn es Tobias oder eines meiner Kinder wäre? Würde ich nicht auch hoffen, dass für sie jemand ins Wasser springt?
„Musstest du tauchen?“
Während ich nicke, schmecke ich die Panik des Moments. Ich tauchte in die Elbe, wie in einem Darkroom. Nur Finsternis, nichts zu erkennen. Plötzlich griffen Hände nach mir. „Er kam wieder hoch, klammerte sich fest, versuchte auf mich zu klettern. Er zerkratzte mir die Schulter, das Gesicht, alles brannte.“
„Ah, bei sowas dürft ihr den zu Rettenden ausschalten, oder?“ Annes Augen leuchten fasziniert. Irgendwie wirkt sie wie einer der Schaulustigen, die am sicheren Ufer warteten und mir hinterher irgendwelche Videos vors Gesicht hielten.
Ich muss mehrfach ansetzen, um weiterzusprechen. Bin wieder in der Angst der Rettungsaktion gefangen. Spüre die müden Muskeln, die zäher werdenden Bewegungen, die Angst, es nicht zu schaffen. Meine Stimme klingt monoton, ich versuche meine Gefühle fern zu halten, als ich den Rest erzähle.
„Ich habe auf ihn eingeredet, meine Kraft war zu Ende, die Tiefe der Fahrrinne zog uns runter. Er war schon so fertig, ich konnte ihn mit dem Rettungsring auf Abstand drücken und sichern. Irgendwie bin ich mit der Strömung schräg zum Ufer geschwommen. Das Rettungsboot kam, keine Ahnung, wie lange das alles gedauert hat.“ Ich hatte es geschafft, aber was würde Tobias sagen.
„An Land applaudierten die Gaffer, zeigten sich gegenseitig die spannende Rettungsaktion auf ihren Handys.“
„Also alles gut, du hast ihn gerettet und dir ist nichts passiert.“ Anne lächelt mich begeistert an, der Barkeeper und der neugierige Zuhörer klatschen begeistert in die Hände.
Ich schüttle nur den Kopf. Den jungen Mann haben sie am Ufer reanimiert, im Krankenhaus ist er fast gestorben. Das passiert viel zu oft, alles umsonst. Aber ja, ich hatte alles richtig gemacht.
„Am Ufer stand Tobias und hat mich angestarrt. Er hat Paul festgehalten, ihn nicht zu mir gelassen. Ich sei verantwortungslos. Nur Mia strahlte, sagte, ich wäre eine Heldin.“
Anne lehnt sich zurück, ich sehe, dass sie es immer noch nicht kapiert.
„Ich bin zu ihm gelaufen, wollte umarmt, gewärmt werden und alles was er sagte war: ‚Ich kann dir nicht mehr vertrauen!‘ Eine Woche später hat er die Scheidung eingereicht.
Schwankend stehe ich auf, klammere mich an der Theke fest. „Und jetzt“, ich brauche zwei Anläufe, um den Satz richtig zu sortieren, „und jetzt bin ich allein, weil ich einmal nicht auf ihn gehört habe.“ Ich schluchze, aber es ist mir egal. Anne nimmt mich in den Arm, der Barkeeper schaut verstört, die Umstehenden schütteln den Kopf. „Aber es war trotzdem richtig!“
Leicht schwankend verlasse ich die Bar. Wenn ich mich nicht sehr irre, dann hat der Barkeeper was von ‚endlich aufgewacht‘ gemurmelt.



)


raus, die ganz bewusst versucht, diesen Zwiespalt zu verdeutlichen und würde es gerne noch mal ganz jungfräulich lesen ... Ich hoffe für dich, dass da noch jemand Unverbrauchtes wartet und dir einen unverfälschten Eindruck dalässt.
