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Es ist doch nur Spaß
Der Dielenboden knarrt unter den flinken Schritten der Bedienung. In dem behaglichen kleinen Restaurant scheint, was das Interieur betrifft, die Zeit schon etliche Jahre stillzustehen.
„Das ist richtig gemütlich hier“, stellt Klaus fest, „sieh mal, die Ahorntische sehen aus, als würden sie jeden Tag geschrubbt werden.“
Er hatte mich mit seinem ausgeprägten Blick für Sauberkeit schon manchmal, und nicht nur angenehm, überrascht.
„Sollen wir zur Feier des Tages ein Glas Sekt trinken?“
„Zur Feier des Tages?“ Ich blicke ihn verwundert an.
„Liebe Karin“, stöhnt er leicht auf, „heute vor einem Jahr haben wir uns kennen gelernt."
„Oh...“, bringe ich gerade noch hervor. Muss man so etwas feiern?
„Und du weißt“, kommt es angestrengt aus ihm heraus, während er zu vorsichtig mit seiner rechten Hand meine linke streichelt, „ich warte. Noch.“
„Es tut mir leid, Klaus“, gebe ich ihm ehrlich zurück, „und ich danke dir für deine Geduld.“
Leo. So lebendig neben mir, so nah.
Du mochtest keinen Sekt, wenigstens habe ich jetzt jemanden, der ihn mit mir trinkt.
Klaus bestellt zwei Gläser Sekt, die rasch serviert werden.
„Auf uns.“ Fast bittend dringen seine leisen Worte zu mir.
„Ja, auf uns“, erwidere ich und versuche, einen zuversichtlichen Ton in meine Stimme zu legen. Lange halte ich seinem klaren Blick stand. Das Braun der Augen erinnert mich an Russisch Brot, so dunkel sind sie.
Die Speisekarte liegt vor uns. Szenen unseres letzten gemeinsamen Abends spalten meine Aufmerksamkeit, die Erinnerung an Klaus’ Küche verdrängt alle Gerichte, die um Order buhlen.
„Manche Hausfrau könnte neidisch auf deine Einrichtung und Ausrüstung sein“, stellte ich fest, als ich das Gemüse mit der komfortablen Brause abwusch, „und ich gehöre auch dazu.“
Es war eine Freude zu erleben, wie er fachmännisch mit seinen schlanken, schönen Händen den Fisch zerlegte und den Brokkoli aufmerksam garte, so dass er seinen Biss behielt.
Leo hatte sich nie in der Küche nützlich gemacht, jahraus, jahrein stand ich alleine am Herd.
Scheinbar hast du zu deinen früheren WG-Zeiten gut und gerne gekocht, wieso hast du mir das nie demonstriert?
„Suchst du einen Wein aus?“ bat mich Klaus. Ich entschied mich für einen leichten Gutedel. Obwohl Klaus eine Schürze vor seinem Schoß trug, war er mit seiner hochgewachsenen Gestalt und dem vollen, dunklen Haar für mich sehr anziehend und ich fragte mich, ob er wohl auch so eine haarige Brust wie Leo hatte.
Es hat gekitzelt, wenn ich mich an dich gekuschelt habe.
Nach dem letzten Bissen strahlte ich Klaus an:„Du kochst so wunderbar, bist so aufmerksam, wirkst durch dein Äußeres auf Frauen – wieso bist du denn noch Single?“
„Bin ich das denn noch?“ Er kam auf mich zu, nahm meine Hände in seine und küsste mich zart auf den Mund.
„Der Wein ist so süffig, lass uns noch eine Flasche öffnen“, versuchte ich ihn abzulenken und drehte meinen Kopf auf die Seite.
„Du bekommst noch ein Glas, aber nur, wenn ich dich dafür richtig fest in den Arm nehmen darf.“
„Das ist Erpressung“, gab ich lachend zurück.
Leo, es ist ja nur Spaß.
Das Tischabräumen überließ ich ihm, während ich einen Beat auf meine Oberschenkel klopfte und dabei vor seinem umfangreichen CD-Regal tänzelte.
„Was soll ich auflegen?“
Aus der Küche hörte ich den Korken aus der Flasche knallen.
„Ach herrje, hast du noch nichts gefunden?“
Mir fiel in dem Moment auf, dass es früher meist Leo war, der die CDs gekauft hatte. Immer war es spannend, wenn er welche nach Hause brachte, denn er beherzte gerne die Tipps weit ab vom üblichen Gedudel der Radiosender.
Erinnerst du dich noch an die erste von flide ma?
Die gefüllten Gläser stellte Klaus auf dem Wohnzimmertisch ab.
„In dieser Situation passt nur ein Lied.“ Im Handumdrehen lag eine CD im Player und jeder hatte sein Glas in der Hand. Wir tranken, während wir uns erwartungsvoll beobachteten, jeder einen langen Schluck. Mit den satten Gitarrenklängen von Pink Floyd nahm mich Klaus zum ersten Mal forsch an sich.
Seine Wäsche duftete penetrant nach überdosiertem Waschmittel. Er knabberte zuerst mein Grinsen mit seinen Lippen an meiner oberen an, bevor er mit weicher Zungenspitze ihre Kontur nachzog. Die erregende Feuchte ließ mich tief Luft holen. Auf nackter Haut, versteckt unter meinem T-Shirt, schoben sich seine Hände zitternd Richtung Nacken und stockten mitten in der Bewegung, denn ich machte mich steif. Plötzlich zerrten an allen Seiten irritierende Kräfte an mir.
Es ist doch nichts Ernstes.
Abrupt ging ich einen Schritt zurück und seine Arme wurden ruckartig aus der vibrierenden Höhle gezogen.
„Hey, was ist los? War ich zu frech?“
Mein Körper schien wie ein Stück Plastik im Feuer zusammenzuschnurzeln, ich japste nach Luft.
„Geht es dir nicht gut? Hol mal tief Atem!“, wies mich Klaus mit besorgtem Blick an.
Nach einigen Zügen löste sich die Verkrampfung und machte einem erlösenden Strom von Tränen Platz.
„Es ist ...“, setzte ich an, war aber durch das Weinen so gefangen genommen, nicht mehr sagen zu können als „ ... Leo."
„Karin, Leo ist jetzt fast drei Jahre tot. Du aber lebst! Was denkst du denn, was du ihm Schlechtes antust, wenn du endlich wieder einmal mit einem Mann vögeln willst?“ Er streckte mir ein Päckchen Papiertaschentücher entgegen und ich schnäuzte.
„Er ist neben mir. Verstehst du, ich fühle, dass er neben mir steht und mich auf Schritt und Tritt begleitet. Meist ist das für mich beruhigend, so habe ich ihn nicht ganz verloren.“
Klaus sah mich nachdenklich an.
„Ich spreche mit ihm, lasse ihn teilhaben an meinem Alltag.“
„Karin, du musst loslassen. Solange er so präsent ist, bist du auch halbtot.“
„Ach, was verstehst du denn von alledem? Wir waren so viele Jahre glücklich miteinander!“, schrie ich ihn an.
„Keiner, am wenigsten ich, möchte dir die Erinnerung nehmen. Aber lass es eine werden, Leo ist keine Gegenwart mehr“, gab Klaus mit eindringlichem Ton zurück.
„Sorry, ich hab dir den Abend versaut, ich geh jetzt lieber.“
„Nein, das hast du nicht. Karin, ich möchte, dass es für uns ein Wir gibt, ohne dass Leo vergessen wird. Aber du musst ihm den richtigen Platz zuweisen, ansonsten finde ich keinen in deinem Leben.“
„Haben Sie etwas ausgesucht?“, reißt mich die Bedienung aus meinen Gedanken. Ich blinzele irritiert erst Klaus, dann sie an und nenne ihr das erste Gericht, das mir beim Blick auf die Karte ins Auge fällt.
„Mir hing unser letztes Treffen noch ganz schön im Magen“, gesteht er und knetet mit einer Hand intensiv seinen Nacken.
Du hast mit den Händen auf den Oberschenkeln gerieben, wenn dir etwas unangenehm war.
„Mir kam ein Gedanke, den ich loswerden will.“
„Sag“, ermuntere ich ihn mit einer zwiespältigen Ahnung.
„Ich denke, du kommst alleine mit dieser Leo-Manie nicht klar. Wie willst du es denn schaffen, in der realen Welt wieder richtig Fuß zu fassen, wenn ich penetranter Hund das nicht einmal fertig bringe? Karin, du brauchst professionelle Hilfe.“
Ich schlucke.
Er will, dass du verschwindest.
„Klaus“, meine Stimme vibriert, „ich kann dir jetzt nicht sagen, was ich gerade fühle. Ich bin ...“
Meine Nase fängt an zu brennen und die Tränen drücken.
„So nicht, Klaus.“
„Wenn du schon an das Leben nach dem Tod glaubst: Wer sagt denn, dass dein Leo nicht auch eine Geliebte im Jenseits hat?“, schleudert er mir hilflos entgegen.
Ich stehe auf und gehe langsam aus dem Lokal.
Lass uns gemeinsam unsere Lieblings-CD anhören.