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Es war am 4. Juli - (1945)

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08.11.2008
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Es war am 4. Juli - (1945)

Es war am 4. Juli
Rosemarie brühte sich echten Bohnenkaffee auf. Diesen Luxus verdankte sie, wie so vieles, Jim. Auch, dass sie nicht, wie ihre Freundinnen, mit dem Kajalstift Nähte auf die Waden malen musste, sondern echte Nylons trug, stets genug Zucker, Mehl und Brot hatte, sonntags ab und zu ein Stück Fleisch, ging auf sein Konto. Und dass sie es sich gönnen konnte, die Filterzigaretten zu rauchen statt sie auf dem Schwarzmarkt einzutauschen. Belebend zog der Duft des Kaffees durch die Küche, die sie sich mit seiner Hilfe notdürftig in einer Ecke des einzigen, intakten Zimmers eingerichtet hatte. Durch einen Vorhang abgetrennt stand das Bett in der anderen Ecke des Raumes, daneben die Babywiege. Und eine Truhe für die Kleider, die gleichzeitig als Tisch diente. Sie nahm sich den Becher mit Kaffee mit aufs Bett und beugte sich über die Wiege – alles in Ordnung, das Kind schlief friedlich. Es schien zu lächeln. Wie ein kleiner, schokobrauner Engel sah es aus mit seinen Löckchen und seinem Schmollmund. Sie lehnte sich zurück in die Kissen und nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette. Sie blickte zur stark beschädigten Zimmerdecke hinauf und ließ ihre Gedanken den Mäandern des Zigarettenrauchs folgen. 4. Juli 1945 war’ s gewesen, kurz nach Kriegsende, da lud sie Trudi zum „Unabhängigkeitsfest“ in den amerikanischen Barracks ein. „Du kannst nicht immer nur schuften und drinnen sitzen“ hatte Trudi zu ihr gesagt, „und warten, dass Heinrich zurück kommt.“ Dieser Satz versetzte Rosemaries Herz einen Stich. Ihr Heinrich. Über ein Jahr war es her, dass sie den letzten Brief von ihm mit der Feldpost bekommen hatte. Aus Russ-land. Er deutete die Schrecken des Krieges an der Ostfront nur an, aber sie spürte, dass zwischen den Zeilen die nackte Todesangst mitklang. Und die Sehnsucht nach ihr, nach der Heimat. Nächtelang hatte sie danach denselben Albtraum: Sie sah ihn in Russland im Kampfgetümmel, die Granaten und Kugeln schlugen um ihn her ein, die entsetzlichen Schreie der Verletzten und Sterbenden umgaben ihn, er lag im Dreck, Seite an Seite mit seinen Kameraden, er sah schrecklich verändert und abgemagert aus. Plötzlich der Knall einer Granate, ohrenbetäubendes Pfeifen und ein blitzlichtartiges Feuer, an der Stelle, an der er zuvor gelegen hatte. Und stets erwachte sie schweißgebadet an dieser Stelle des Traums. Und weinte stille Tränen. Heute wollte sie nicht mehr länger an ihn, an diesen Albtraum denken. Sie wusste ja gar nicht, ob er noch lebte oder in Gefangenschaft war. Sie ging mit zum Fest bei den Barracks. Trudi kannte einige der GIs und machte sie schnell mit allen bekannt. Einer von ihnen, groß und schlank und dunkelhäutig, mit einem strahlenden Lächeln, forderte sie zum Tanz auf, als die Klänge der Jazzmusik ertönten. Schüchtern folgte sie ihm auf die Tanzfläche, sie kannte diesen Tanz noch nicht. Behutsam fasste er sie um die Taille und zeigte ihr einige Schritte und Drehungen. „My name is Jim“, stellte er sich vor. „I’m from Carolina“. Sie hatte keine Ahnung, wo in den USA das lag, aber der Name seiner Heimat gefiel ihr. „My mother’s name is Caroline“, stotterte sie. Später lud er sie auf einen Gin Tonic ein, dann einen Whisky Sour, dann – wusste sie nicht mehr, sie konnte sich die Namen all der Drinks, wie er diese nannte, nicht mehr merken. Sie tanzten die ganze Nacht, sie wurde immer ausgelassener und drehte sich immer wilder mit ihm, bis ihr schwindelig wurde. Besorgt führte er sie zu einem Stuhl. „Wanna go home?“ fragte er sie. Sie nickte. Er legte ihr die leichte Jacke über die Schultern und brachte sie, den Arm um sie gelegt, zu einem Jeep, in dem er sie nach Hause fuhr. Am Fuß der Treppe vor ihrem Haus angekommen, hob er sie lachend ganz auf seine Arme und trug sie das Treppenhaus hoch. Oben ließ er sie sanft auf das Bett gleiten. „Sweetheart“, seufzte er, als sie so da lag und küsste sie vorsichtig. Erstaunt erwiderte sie seinen Kuss, bis sie beide leidenschaftlicher wurden. An den Rest konnte sie sich nicht mehr erinnern. Nur, dass er in den folgenden Wochen stets am Wochenende mit seinem Jeep vor der Tür stand, sie zum Essen oder Tanzen einlud und all die schönen Dinge mitbrachte. Keine vier Wochen später suchte sie den Arzt auf und hatte Gewissheit: Sie war schwanger. Sie war zunächst verzweifelt, Jim ermutigte sie aber, das Kind zu bekommen. Wenn ihre Ehe mit Heinrich erst annulliert sei, würden sie heiraten und nach Carolina ziehen. Heute, ein Jahr später, wieder am 4. Juli, war er nicht da, er musste dringend nach Amerika, seiner Mutter gehe es sehr schlecht, hatte er gesagt. Sie seufzte. Würde er Wort halten? Draußen schlug die Tür. Der Wind, dachte sie. Jim musste mal bald die Scharniere festziehen. Die Treppenstufen knarrten. Sie bemerkte es kaum, so versunken war sie in ihre Träume von Jim und dem Leben in Carolina. Sie schaukelte die Wiege. Plötzlich merkte sie, dass jemand hinter ihr den Raum betreten hatte. Langsam drehte sie sich um – und erstarrte. Dort stand er, in seinem alten Wehrmachtsmantel. Mit genau demselben abgemagerten Gesicht wie in ihrem Albtraum: Heinrich! Er blickte sie mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an, trat näher, betrachtete das Kind, streckte wie ein Schlafwandler die Hand aus, legte sie sich vor die Augen, drehte sich um und stürzte hinaus. „Heinrich!“ schluchzte sie. Es war am 4. Juli. Danach war nichts mehr wie zuvor. © Heike van den Bergh

 

Friedvolle Grüße

und herzlich Willkommen auf KG.de.

Deine Geschichte über ein durchaus nicht unübliches Frauenschicksal am Ende des zweiten Weltkrieges hat mich leider nicht überzeugen können, weil sie zu oberflächlich ist. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, die Thematik taugt nicht zur Verarbeitung in einer Kurzgeschichte. Nicht so wie Du es anlegst, zumindest.

Deine Geschichte beginnt mit einer Frau, die viele Luxusgüter hat, welche der deutschen Durchschnittsfrau zu der Zeit fehlten. Das ist schon mal fragwürdig, denn auch die GIs hatten keinen unbegrenzten Zugang zu diesen Waren. Die internierten auf den Rheinwiesen beispielsweise waren chronisch unterversorgt, weil einfach nicht genug Lebensmittel für die Bestatzer und die Besetzten herangeschafft werden konnte.

Dann kommt die Stelle, an der die Freundin Rosemarie auffordert, doch ihren im Osten verschollenen Mann aufzugeben. Damit gibst Du bereits die Pointe preis, denn ab da ist klar, das am Ende ihr Mann wieder auftaucht.

Was folgt ist das Kennenlernen von Rosemarie und James. Er schenkt ihr kräftig Alkohol ein, und sie liebt ihn so dafür, das sie ihm ein Kind schenkt. Das ist zu wenig. Da muß mehr Gefühl hin, Zweifel auf ihrer Seite ob ihres Mannes, ob der Ernsthaftigkeit der Avancen des Amerikaners. Will sie wirklich eine Liaison mit dem Besatzer eingehen, oder nur körperliche Zuwendung? Will sie ihren Mann aufgeben, liebt sie ihn noch? Die Fragen mußt Du durch die Handlung der Personen beantworten, damit die Geschichte interessant wird.

Ihr Freund Jim verlässt sie schließlich offensichtlich unter einem Vorwand (Heimaturlaub gab es nur bei Todesfällen oder besonderen Umständen, schlechte Gesundheit der Mutter gehörte nicht dazu).

Dann kommt das Ende. Wie vorhergesehen steht Heinrich in der Tür, ausgezehrt und vom Krieg runiniert, und sieht ein Balg bei seiner Frau, das nicht seines ist. Damit geht die Geschichte doch eigentlich erst los. Wie gehen die beiden damit um? Kann er ihr den Fehltritt vergeben, das Kind akzeptieren? Kann sie wieder mit einem Mann im Haus leben? Wie schaffen sie es, miteinander zu leben, oder warum scheitern sie? Fragen die Du nicht beantwortest. Stattdessen läuft Dein Heinrich aus dem Haus, und die Geschichte ist zuende.

Zudem ist die Geschichte nicht in Absätze unterteil, was sie schlecht zu lesen macht. Sich durch so einen Block durchzuwühlen machen halt nur die, welche sich für das Thema wirklich interessieren.

Nach so viel Negativem jetzt auch mal was Postives - Du kannst gut schreiben. Ich bin bei der Geschichte über nichts gestolpert und auch an keiner Formulierung hängen geblieben, was eher selten ist.

Mein Rat ist also: Nutze sowohl Dein Potential als auch das Deiner Geschichte und baue sie aus. Gehe mehr auf die Figuren ein, auf ihr Umfeld. Beschreibe genauer, und ende vor allem nicht, wenn es gerade am Spannensten wird.

Kane

 

Hallo Brother Kane,
danke für deine ehrliche und fachmännische Kritik. Ich muss - nicht zur Entschuldigung, nur als Erklärung - die Entstehung der Geschichte näher erläutern: sie war für einen Wettbewerb, mit Themen - und Zeichenbeschränkung. Am besten schreibe ich offensichtlich nicht grade "auf Bestellung", sondern wenn ich das Thema aus mir selbst hervorbringe und mir meinen eigenen Raum und Zeit gebe... Da ich für das ganze auch noch wenig Zeit hatte, habe ich nicht sauber recherchiert - deine Informationen über die damalige Situation der Besatzungskräfte lagen mir nicht vor. Hauptkritikpunkt, der sicher in einer ausführlicheren Fassung ausräumbar wäre, sehe ich aber in der schwachen Ausgestaltung des Konflikts in der Dreierkonstellation und innerhalb der Protagonistin. Allerdings sah ich ihre Schwangerschaft nicht als von ihr gewünscht an, sondern als einen "Unfall", bedingt durch ihre Einsamkeit, emotionale und materielle Bedürftigkeit - und mangelnde Verhütung (es gab ja damals noch nicht die Pille! das hat ja erst Frauen eine wirkliche, freie Entscheidung für oder gegen Kinder ermöglicht!) Aber du hast recht, von ihren Albträumen wegen ihres so geliebten Heinrichs zur Abhängigkeit von Jim ist es ein zu schneller, kurzer Schritt, der zu reibungslos ohne ihre inneren Konflikte dabei aufzuzeigen, abläuft. Ja, und das Ende ist sehr abrupt (Zeichenbeschränkung), aber vielleicht neige ich auch sehr oft zu Ende offen. Obwohl man da schon mehr Potentiale für zukünftige Entwicklungen andeuten könnte... Werde mal sehen, dass ich die Geschichte demnächst mal überarbeite, ausbaue. Aber sie liegt mir, ehrlichgesagt, auch nicht sehr am Herzen. Aber danke, dass du meinen Schreibstil an sich ok findest. Vielleicht kann ich gut formulieren, habe aber nicht so das richtige Rüstzeug, was zu einer guten Geschichte und Charakteren gehört. Aber da finde ich ja auf dieser wunderbaren Seite genug Beispiele und Inspirationen, wie' s richtig geht! Ich schreibe zwar schon seit über 20 Jahren (mit allerdings ca. 12 Jahren Unterbrechung), aber bewusst erst seit ein paar Jahren. Bin sozusagen noch "Greenhorn", lieber Sensei! (japanisch: "Meister"!)
Gruß venusBonn

 

Hallo venusbonn,

ich vermisse die Nähe zum Geschehen; die Handelnden bleiben flach, wie aus der Vogelperspektive erzählt. Es ist für uns von der Nachkriegsgeneration ohnehin schwer, sich da hineinzufühlen. Den Schluß finde ich plausibel, ob es nun einer ist oder nicht; der Mann kann ja wiederkommen. Aber das ein Mann, der über Jahre in der Kriegsgefangenschaft nichts anderes hatte als ein Bild von seiner Frau oder auch nur die Erinenrung an sie, der alle Hoffnung auf das Wiedersehen gesetzt hat, der vielleicht nur überlebt hat, weil er sie wiedersehen wollte, daß dieser Mann beim Anblick des Kindes einen Schock erlebt, finde ich plausibel. Die Lebensumstände sind nicht nach:"Oh, Du hast ja ein Kind! Das ist ja cool!" Da mußte man schon reichlich stabil sein, wenn man mit so einer Situation überhaupt irgendwie umgehen konnte, anstatt zu flüchten. Es war eine andere Zeit.

Ich stelle auch mal eine Geschichte aus dieser Zeit ein, zum Thema Wiedersehen nach der Gefangenschaft. Mal sehen, wie die an(oder auf)stößt.

Sie heißt auch "Wiedersehen".

Herzlichen Gruß

Set

 

hallo venusbonn

Ich fand die Geschichte durchaus stimmig. Stilistisch war sie angenehm zu lesen, und ich fand sie auch teilweise spannend Am meisten hat mich gestört, dass sie engllisch spricht. Das sollte eine einfache Frau aus Deutschland nicht können. Da wäre es wahrscheinlicher, dass der GI deutsch spricht.
Die Pointe am Schluss war vorhersehbar und den letzten Satz würde ich überhaupt streichen.

Aus Russ-land.
Da hat sich ein Trennstrich verirrt
Jim ermutigte sie aber, das Kind zu bekommen. Wenn ihre Ehe mit Heinrich erst annulliert sei, würden sie heiraten und nach Carolina ziehen.
Diesen Satt finde ich charakterisiert gut, die Distanz. Da kannst du Jim villeicht direkt sprechen lassen, damit das ganze nicht so gefühllos daher kommt.

LG
Bernhard

 

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