Mitglied
- Beitritt
- 11.12.2003
- Beiträge
- 398
Es war einmal im Wald
Es war einmal im Regenbogenland
Einst geschah etwas. Etwas Furchtbares. Es war grauenhaft. Derart schlimm, dass es nie einer erfahren sollte. Doch irgendwann erfuhr es doch jemand. Als er es hörte, fand er es wahnsinnig schlimm. Es war das Grauenhafteste, das er jemals gehört hatte. Derart schlimm, dass es nie jemand anders erfahren sollte. Nämlich folgendes:
Es geschah an einem warmen Nachmittag im Regenbogenland. Der kleine Schildkrötenjunge Turti, sein Vogelfreund Birdi und der Hase Rabbi schlenderten gemütlich den Waldrand entlang. Es ging ein leichter Wind, aber es war dank der strahlenden Sonne angenehm warm. Alle drei hatten einen wahnsinnigen Hunger. Da schlug Turti etwas vor.
"He Freunde. Warum fangen wir nicht ein paar Würmer?"
"Ich weiss nicht, ich bin nicht unbedingt ein begeisterter Fleischesser.", erwiderte Rabbi.
"Ach komm schon, ich doch auch nicht!", entgegnete Turti. "Aber man muss doch mal was Neues ausprobieren!"
"Ja, dat find ich aber auch!", zwitscherte Birdi.
"Klappe zu, dich hat keiner gefragt!", brüllte Turti.
"He he, ganz ruhig, Turti! Er hat dir ja zugestimmt!", versuchte Rabbi, eine Eskalation zu verhindern.
"Ja richtig ...", murmelte Turti. "Hast Glück dass ich heute so gut aufgelegt bin! Blöder Vogel!", schrie er Birdi an.
"Was?", rief Birdi empört. "Blöder Vogel! Ich zeig dir gleich ..."
"Also gut, kommt jetzt! Fangen wir ein paar Würmer!", rief Rabbi dazwischen.
"Ok, los geht’s!", stimmte auch Turti zu.
Die Drei machten sich sogleich auf den Weg zum Sumpfgebiet, wo angeblich sehr viele leckere Würmer hausten.
Dort angekommen, mussten sie gar nicht lange suchen, denn schon gleich kamen die ersten Würmer aus dem Boden geschlüpft, um nachzusehen, wer denn hier so laut herumtrampelte.
"He, ihr da! Runter von meinem Rasen!", rief auch gleich einer der Würmer.
"Klappe zu! Das ist unser Wald da vorne, demnach gehört uns auch dieser Sumpf!", schrie Turti mit erhobener Faust zurück.
"Na na na, ganz ruhig, Turti. Bleib freundlich. Du verscheuchst sie nur noch!", sagte Rabbi.
"Ja genau! Ruhig bleiben!", stimmte auch Birdi zu.
"Du hälst sowieso besser deinen Schnabel, du Vollidiot!", brüllte Turti.
"Pssst! Schluss jetzt! Wollen wir nun Würmer fangen oder nicht?", fragte Rabbi.
"Ok ok! Von mir aus ..."
Sogleich zogen die Drei voller Freude einen Wurm nach dem anderen aus der feuchten Erde. Besonders gefiel ihnen auch der schöne Ton, dieses "Sluurp!", wenn sie einen herauszogen, dieser sich in der Erde festzuhalten versuchte und sie ihn schliesslich doch rausziehen konnten. Die Würmer waren sehr verärgert. "Lasst uns in Ruhe, verdammt nochmal!", schrie einer. "Wir kommen auch nicht mitten in der Nacht in eure Höhlen und ziehen euch raus um euch danach zu verspeisen! Unverschämtheit!"
"Klappe zu!", rief Turti. "Wir haben Hunger! Das ist der Kreislauf der Natur!"
Schon bald hatten Turti, Rabbi und Birdi etwa 50 Würmer in ihren Bechern. "Wow, ganz schön viele, was? Da werden wir locker satt! Hihi!", scherzte Birdi.
"Klappe zu! Deine Witze sind nicht lustig!", zischte Turti ihn an.
"Ruhe!", rief Rabbi. "Wir gehen jetzt nach Hause und essen sie dort. OK?"
"Einverstanden. Gehen wir.", erwiderte Birdi.
Während die Drei den Sumpf verliessen, hörte man die Würmer in den Bechern um Hilfe rufen und schreien. Die übriggebliebenen Würmer kamen aus der Erde geflutscht und winkten schluchzend und mit Tränen in den Augen den Gefangenen zum Abschied.
"Mami, wann kommt Papi wieder?", fragte ein kleiner Wurm seine Mutter.
"Ach Wormi. Wir werden ihn bestimmt wieder sehen. Irgendwann ...", schluchzte sie.
Zuhause angekommen, zogen Birdi, Turti und Rabbi erstmal ihre Schuhe aus.
"Puh... Würmer fangen ist ganz schön anstrengend.", stöhnte Turti, während er sich in den warmen Sessel vor dem Kamin sinken liess.
"Und macht hungrig! Hihi!", ergänzte Birdi.
"Klappe zu! Du hast ja fast keinen gefangen! Die meiste Arbeit haben Rabbi und ich ge.."
"Seid doch mal still!", fuhr Rabbi dazwischen. "Wir wollen uns doch nicht den Appetit verderben, oder?"
"Natürlich nicht...", murmelte Turti.
"Also, kommt her. Wollen wir sie braten? Oder roh essen? Wie mögt ihr sie am liebsten?"
"Gar nicht!", rief ein empörter Wurm aus dem Becher. "Wir sind ungeniessbar, verdammt nochmal! Lasst uns endlich gehen, oder..."
"Oder was?", unterbrach ihn Rabbi.
"Oder ihr werdet es mit tausenden und abertausenden Würmern zu tun bekommen! Sie werden schon bald da sein! Also rate ich euch, uns lieber ganz schnell frei zu lassen, wenn ihr die kommenden Nacht überleben wollt!"
"Wuaahahahahahahaaa!", lachte Rabbi laut los. "Rraaa Ha Ha Ha Ha Haaa! HAhaha!!!" Turti begann ebenfalls, laut zu lachen, allerdings klang es bei ihm etwas gekünstelt. Er warf Birdi einen bösen Blick zu, als wolle er sagen "Du solltest lieber auch mitlachen, kleiner Scheisser!"
Birdi verstand die Botschaft und strengte sich an, ein einigermassen echtes Lachen mit seinem Schnabel zu erzeugen, doch er brachte nur ein halbstarkes "Fiep fiep" heraus, was in der Vogelsprache soviel wie "Ha Ha" bedeutete.
Die Drei lachten etwa zwei Minuten lang ununterbrochen. Die Würmer sahen sich verängstigt an, bis auf den einen, der die Forderung gestellt hatte. Er starrte Rabbi nur empört an, als ob er auf eine Antwort nach diesem künstlichen Lachanfall wartete.
Schliesslich hatten sich die drei Freunde ausgelacht und rieben sich noch die Tränen aus den Augen.
"Wir sollten besser tun, was er verlangt.", sagte Birdi ängstlich.
"Klappe zu! Verdammter Hosenscheisser!", rief Turti. Dann flüsterte er zu Rabbi "Ich glaube, er hat Recht. Ich habe keine Lust, von tollwütigen Würmern überfallen zu werden. Und ausserdem mag ich irgendwie gar keine Würmer..."
"Was? Der ganze Scheiss war doch dein Idee, oder? Und jetzt wollt ihr einen Rückzieher machen? Feiglinge!", schrie Rabbi. "Aber ok, du hast Recht. Lassen wir sie raus. Tollwütige Würmer können bestimmt ganz schön gefährlich werden...", gab auch er anschliessend zu.
Turti und Birdi sahen ihn etwas erbost an. "Naja, oder wollt ihr von Würmern umgebracht und aufgefressen werden?", lächelte er verlegen.
Sie gingen zitternd vors Haus und blickten nach allen Seiten. "Sie sind noch nicht da. Los, lasst sie frei!", flüsterte Birdi nervös.
Turti und Rabbi legten die Becher vorsichtig auf den Boden und gingen sogleich einige Schritte zurück. Langsam krochen die Würmer aus den Bechern. Während die meisten gleich ins Gras verschwanden, blieb der "Anführerwurm" noch kurz liegen.
"Ihr habt die richtige Entscheidung getroffen.", sagte er ernst. "So werden euch sehr viele Schmerzen und furchtbare Qualen erspart. Legt euch nie wieder mit uns an!", rief er zum Schluss und schlängelte sich dann ebenfalls in die feuchte Erde.
"Nichts wie rein!", rief Turti, und alle Drei rannten wie wild zurück ins Haus. Drin angekommen, schmetterten sie die Tür hinter sich zu und verriegelten sie sofort.
"Das war keine gute Idee mit den Würmern!", schluchzte Birdi.
"Klappe zu!", rief Turti. "Wir werden nie wieder in den Sumpf gehen! Geschweige denn uns mit Würmern anlegen!"
Auch Rabbi war ganz ausser sich. "E.. Einverstanden! Nie wieder! Wir sind gerade so knapp dem Tode entronnen!", stotterte er.
Draussen hörte man noch die ganze Nacht ein lautes Wurmgelächter, das erst gegen Morgengrauen aufhörte. Seit diesem Tag machten die Drei einen riesigen Bogen um den Sumpf, und die Würmer konnten in Frieden weiterleben. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie alle noch heute.
Ende