Was ist neu

Fünf Minuten

Seniors
Beitritt
23.01.2007
Beiträge
1.005
Zuletzt bearbeitet:

Fünf Minuten

Fünf vor halb acht: Mertens liebte es, wenn der Bus pünktlich kam. Mit einer Bewegung, die für ihn selbstverständlich geworden war, korrigierte er die Lage seines Krawattenknotens.
Inmitten der Herde aus Pendlern wurde er in den Bus geschoben, geknautscht, gefaltet. Die Menschen rochen muffig nach nassen Haaren, am Ende des Raumes lachten Jugendliche, tauschten Ohrstöpsel und trugen ausgefranste Jeans. Der Fahrer saß hinter dickem Plexiglas wie ein Kinovorführer, das Lenkrad seine Filmspule; die Welt ruckelte draußen vorbei, es gab nur Laiendarsteller.
In der City leerte sich der Bus, der muffige Geruch blieb zurück wie der ausgezogener Schuhe.
Mertens trat ins Freie, blickte nach links, blickte nach rechts, ging zum Kiosk. Die Zeitung würde er im Büro lesen, bei einem Kaffee, schwarz, ohne Zucker.
Fünf vor acht. Zwei Minuten am Kiosk, zwei Minuten zum Büro, eine Minute für Unberechenbares - er liebte Pünktlichkeit.
»Haste mal 'n Euro?« Die Stimme riss ihn aus seiner Gleichmütigkeit. Er sah sich um, das Hemd kratzte ungewohnt an seinem Hals. Auf der Bank neben dem Kiosk saß ein Mädchen, vielleicht war es vierzehn, vielleicht aber auch erst zwölf. Sein Gesicht war schmutzig. Mertens richtete sich die Krawatte.
»Wie bitte?«
»'n Euro, Mann. Is' für 'n guten Zweck.«
Mertens blickte auf die Uhr, blickte zum Kiosk. Viereinhalb Minuten. Die Zeit würde nicht reichen.
»Keine Zeit«, sagte er und ging zum Kiosk. Vor dem Büro war es Punkt acht, das Mädchen war aus seinen Gedanken verschwunden; Bürokram, Kaffee, Akten.
Um zwei kam der Anruf, ein Unfall, sie hätten keine Chance gehabt.
Mertens blickte auf das Bild neben dem Telefon, Sara lächelte, seine Tochter, die Brille hatte sie nie gemocht, die Zahnspange auch nicht. Morgen hätte sie Geburtstag gehabt, er wäre gekommen, ganz sicher.
Er lehnte sich zurück, die Wände entfernten sich, der Raum dehnte sich, ließ ihn alleine auf dem schwarzen Leder zurück.
Die Krawatte, so sehr Mertens auch zupfte, der Kampf war verloren, nur dieses eine Mal. Er verließ das Büro um fünf, suchte die Watte in den Schuhen, doch sie war in seinem Kopf. Die Ziffern seiner Uhr zitterten, fünf Minuten, vielleicht sechs.
»Haste mal 'n Euro?« Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah sich um, das Hemd kratzte ungewohnt an seinem Hals. Mertens fühlte, wie der Schweiß kam, sich über seinen Körper ausbreitete, an seinem Rücken hinab rann und von der Hose aufgesogen wurde.
Das Lächeln des Mädchens verschwamm in seinem Blick. Wie spät war es? Vor seinem Auge tauchte ein Uhrwerk auf, Zahnräder überall, dann stand er auf dem Ziffernblatt, ein Ruck ging durch das Uhrwerk, eine Sekunde verstrich. Er drehte sich um, ein Zeiger war hinter ihm, groß und bis zum Horizont reichte er, dabei war er schmal und dünn, er vibrierte und machte einen Satz auf ihn zu, eine weitere Sekunde. Er sah nach oben, sah ein Gesicht durch das Quarzglas, die Krawatte hing schlaff herab.
Seine Hände waren schweißig, er streifte sich die Uhr vom Handgelenk, reichte sie dem Mädchen. Es kräuselte die Nase, griff danach, berührte dabei seine Hand, ganz kurz nur, aber Mertens Leben dehnte sich zu Äonen, in seinem Kopf explodierten Farben, malten Bilder von lachenden Kindern; sie spielten Ball, da kam auch schon die Mutter, sie brachte Kekse, ein Mann stand am Grill, nur die Krawatte störte das Bild.
»Wer bist du?«, fragte er. Das Mädchen entriss ihm die Uhr und das Bild verlosch, schleuderte ihn zurück ins Jetzt, zeitlos.
»Keine Zeit«, sagt es hastig, dann rannte es davon.

 

hallo yours,

ich muss gestehen, dass ich mit dem Text nicht so viel anfangen. Dafür ist er mir nicht stringent genug. So weit ich mitbekommen habe, bekam er einen Anruf und seine Tochter ist gestorben. Er ist aber nicht sofort aus dem Büro, sondern hat seelenruhig abgewartet bis die Arbeitszeit zu Ende war. Dann noch die Beschreibung mit der Uhr. Insgesamt zu unverständlich und ich weiß nicht, was du mit dem Text aussagen möchtest.

rochen muffig nach nassen Haaren

riechen nasse Haare zwangsläufig? Sie riechen nur, wenn sie vll. fettig sind.

Fünf vor acht. Zwei Minuten am Kiosk, zwei Minuten zum Büro, eine Minute für Unberechenbares - er liebte Pünktlichkeit.

eine Minute früher als pünktlich zu bezeichnen - weiß nicht -, es könnte ja sein, dass er am Kiosk länger warten muss oder so.

Er verließ das Büro um fünf, suchte die Watte in den Schuhen, doch sie war in seinem Kopf.

keine gute Metapher, Watte im Kopf, warum, was macht die Watte im Kopf?

insgesamt lässt mich der text unbefriedigt zurück und ich denke, dass du die Sache mit der Tochter stärker herausarbeiten solltest, vorahnungen, Erinnerungen und Ängste einbauen, damit der Text ein Thema bekommt. So ist er nur seltsam und kurz und wirkt wie schnell hingeschrieben ohne Mühe.

mfg mantox

 

Hallo Mantox!

Danke dir für deinen Kommentar. Ja, ich denke, ich habe auch eingesehen, dass der Text hier "zu" seltsam ist, zu kryptisch und ... einfach nicht gut. :)

Werde den wohl neu schreiben und dann hoffentlich weniger Wirren drin haben.

Schöne Grüße,

yours

 
Zuletzt bearbeitet:

Moikka yours,

fiep, bitte nicht "ist schlecht" alles neu macht der Mai - für meinen Geschmack jedenfalls!
Für mich hat der Stil sehr gut funktioniert, und ich fand einige Schilderungen bedrückend realistisch - dazu noch in sehr eleganter, reduzierter Sprache:

Er lehnte sich zurück, die Wände entfernten sich, der Raum dehnte sich, ließ ihn alleine auf dem schwarzen Leder zurück.
In der City leerte sich der Bus, der muffige Geruch blieb zurück wie der ausgezogener Schuhe.
»Wer bist du?«, fragte er. Das Mädchen entriss ihm die Uhr und das Bild verlosch, schleuderte ihn zurück ins Jetzt, zeitlos.

Den längeren Teil dann mit dem Zeitgefühl fand ich ganz hinreissend, fast surrealistisch, trotzdem behutsam, intensiv.

Mich haben die muffigen gewaschenen Haare überzeugt - habe mir den gleichen Geruch vorgestellt, den zu häufig gewaschene Kleidung hat, die in feuchten Wohnungen zu langsam trocknet: Frisch und doch ekelhaft muffig. (Muffig ist überhaupt ein tolles, schier gemeines Wort!)

Die Watte im Kopf kenne ich sogar selbst, das mit den Schuhen fand ich allerdings auch zu schräg, und zu konstruiert.

Und: Geniale Namenswahl! Mertens, Anzug, Büro und Pünktlichkeit, das ist einfach schon so ... unglaublich passend.


Zwei Sachen hätte ich aber auch:

Wenn er so super durchorganisiert ist, hätte er evt. schon das Geld vor dem Kiosk rausgesucht gehabt, und jemandem einen Euro in die Hand zu drücken, dauert nicht länger als ein paar Sekunden. Besser wäre vllt. gewesen, wenn er schon eine Minute an einer roten Ampel verloren hätte, und er damit in seinem Augen im Verzug wäre.


Um zwei kam der Anruf, ein Unfall, sie hätten keine Chance gehabt.
Klingt für mich nicht realistisch. Wenn das Gespräch so verkürzt wird (was ich an sich sehr gut finde!), hätte wohl die rountinemäßige Anteilnahme des Polizisten besser gepaßt. "Um zwei kam der Anruf, ein Unfall, aufrichtiges Beileid."


Das Ende hat ein paar Gedanken um diese Uhr entstehen lassen, wobei ich nicht sicher bin, ob das Intention war. Die Übergabe der Uhr, daß das Mädchen plötzlich seine Worte wiederholt und eilig davonläuft, hat die ganze story für mich in ein neues Licht gerückt: wie ein höllisches Spielzeug, das seine Besitzer im eisernen Griff hält, sie vom Leben, der Realität entfremdet, und unaufhaltsam ins Unglück treibt. Ist das erreicht, wechselt sie den Besitzer, und das Spiel beginnt von Neuem.
Eine kleine Lament Configuration, die man nichtmal mehr öffnen muß.


Ich würde jedenfalls eine komplette Umarbeitung der Geschichte ausgesprochen schade finden!

Herzliche Grüße,
Katla

 

Hallo yours,

nicht so vorschnell mit den hängenden Köpfen - so schlecht fand ich die Geschichte nicht, zumindest nicht sprachlich.
Filmspulenlenkrad und Alltagsstatisten, schiefe Krawatte, und gerade die Watte unter den Füßen und im Kopf erzeugen schöne, treffende Bilder.
Sie trifft das Gefühl von tauber Leere im Cerebrum und weich schwankendem Boden unter den Füßen sehr gut.

Nur finde ich die Geschichte viel zu wenig seltsam, um die Wahl der Rubrik zu rechtfertigen. Eigenlich ist sie, zumindest in meinen Augen, nahezu platt in der Message, und gerade das macht für mich ihre Schwäche aus.
Atom- und Stechuhrsklave hat sich von seiner Familie getrennt - vielleicht, weil das lebendige Chaos mit Kindern zu viel war - und merkt erst, dass er über die akkurat eingehaltene Zeit das Leben versäumt hat, als es zu spät ist.
Geläutert gibt er den alten Sklaventreiber her, doch wie gesagt, es ist zu spät.

Wie gesagt, in meinen Augen ist es sprachlich schön, doch inhaltlich - ach, reden wir nicht mehr drüber ;).

LG, Pardus

 

hi yours, ich habe mir einfach mal deine zuletzt gepostete story vorgenommen.
die art der sprachlichen gestaltung ist ungewönlich und gefällt mir größtenteils, besonders hier:

Um zwei kam der Anruf, ein Unfall, sie hätten keine Chance gehabt. Mertens blickte auf das Bild neben dem Telefon, Sara lächelte, seine Tochter, die Brille hatte sie nie gemocht, die Zahnspange auch nicht. Morgen hätte sie Geburtstag gehabt, er wäre gekommen, ganz sicher.
ist es knapp auf den punkt gebracht, trifft den leser direkt zwischen den augen. finde das gelungen.

an dieser stelle:

Fünf vor acht. Zwei Minuten am Kiosk, zwei Minuten zum Büro, eine Minute für Unberechenbares - er liebte Pünktlichkeit.
»Haste mal ´n Euro?« Die Stimme riss ihn aus seiner Gleichmütigkeit.
denke ich, dass du dich entscheiden solltest, wenn er ein in die pünktlichkeit vernarrter uhrmensch ist, wirkt gleichmut an dieser stelle unpassend.

von da an

Das Lächeln des Mädchens verschwamm in seinem Blick. Wie spät war es?
steige ich gedanklich aus, auch beim zweiten konzentrierten lesen.

beste grüße!
kubus

 

Hallo yours,

Ja, ich denke, ich habe auch eingesehen, dass der Text hier "zu" seltsam ist, zu kryptisch und ... einfach nicht gut.
Einspruch !
Der Text wirkt auf mich in seiner für mich auch nicht überbordenden Kryptik, in seinen sehr disziplinierten Bildern von Herrn Mertens, in der Beiläufigkeit, mit der die spezifische und die generelle Katastrophe seines Lebens geschildert wird, in dem Kontrast durch die Begegnung mit dem Mädchen.
Auf mich wirkt er und nimmt am Ende noch deutlich an Fahrt auf, um dann mit einem Spiegelbild Deines Antihelden zu enden - vielleicht nur eine Miniatur und kein opulentes Gemälde, doch in seiner Konzentriertheit intensiv. Und drum für mich kein Grund, diese Version vollkommen in die Tonne zu kloppen, schon garnicht deswegen, weil sie zu kryptisch sein könnte, dafür finde ich die Bilder klar genug und wirkend.

Ein paar Anmerkungen hab ich dennoch :)

Inmitten der Herde aus Pendlern wurde er in den Bus geschoben, geknautscht, gefaltet.
das ist mir eines zuviel, zumal sich falten und knautschen widersprechen, ich würde das "gefaltet" rausnehmen
am Ende des Raumes lachten Jugendliche,
es handelt sich um einen Bus, da ist mE das Bild schief - auf den hinteren Bänken, hinten im Bus, sowas würde exakter sein
In der City leerte sich der Bus, der muffige Geruch blieb zurück wie der ausgezogener Schuhe.
da Du vorher den Ursprung des muffigen Dunstes in den Haaren der Mitreisenden definiert hast, ist das Bild mit den Schuhen schief (oder extrem ekelhaft)
Auf der Bank neben dem Kiosk saß ein Mädchen, vielleicht war es vierzehn, vielleicht aber auch erst zwölf. Sein Gesicht war schmutzig.
sicher ist es machbar, sich auf den unbestimmten Artikel zu beziehen, doch eleganter fände ich den Bezug auf das Mädchen, also "Ihr Gesicht"
»Keine Zeit«, sagt es hastig, dann rannte es davon.
auch hier fände ich zumindest beim 2. "es" das spezifischere "sie" eleganter


Die Verunsicherung mit frischen Geschichten kenne ich nur zu gut, doch ich kann Deiner Argumentation keinen Zuspruch geben; auch wenn ich nicht für mich beanspruchen kann, Deine Botschaft gefunden oder erkannt zu haben, so habe ich doch eine für mich gefunden und mag den Text.

Grüße
C. Seltsem

 
Zuletzt bearbeitet:

hallo ...,

Um zwei kam der Anruf, ein Unfall, sie hätten keine Chance gehabt. Mertens blickte auf das Bild neben dem Telefon, Sara lächelte, seine Tochter, die Brille hatte sie nie gemocht, die Zahnspange auch nicht. Morgen hätte sie Geburtstag gehabt, er wäre gekommen, ganz sicher. Aber jetzt kann er nicht mehr kommen, weil die nächste Feier die Beerdigung ist?!?
Er lehnte sich zurück, die Wände entfernten sich, der Raum dehnte sich, ließ ihn alleine auf dem schwarzen Leder zurück.

ich weiß nicht, was ich mit diesem Absatz anfangen soll, weil soweit ich es verstanden habe, ist die Tochter bei diesem Unfall gestorben mit seiner Frau oder Exfrau vll. Warum bleibt er seelenruhig im Büro und wartet bis die Arbeitszeit
verstrichen ist? Er müsste doch aufgelöst sein, komplett von der Rolle. Oder steh ich hier auf der Leitung?

Die Geschichte ist nicht schlecht. Sie hat was. Nur die Sache mit der Tochter ist mir eine Spur zu beiläufig, dafür, dass sie gestorben ist. Ich weiß nicht. Ich werde noch weitere Geschichten lesen, um zu verstehen, wie wichtig es ist, bestimmte Dinge stärker zu beschreiben, andere schwächer. Aber das ist nur mein Gefühl. Jeder hat eine andere Meinung. Du siehst ja, was die anderen sagen.


mfg mantox

 

Hallo yours,

na, wer wird denn gleich die Geschichte gleich so schlecht reden? Kryptisch? Naja, so sehr finde ich nicht. Ich finde sie nicht einmal besonders seltsam. Ich habe sie gerne gelesen, obwohl es mir ein wenig vorkam, als ob mir die Moral mit dem Vorschlaghammer übergebraten wird (das wäre vielleicht auch für mich der Kritikpunkt an Deiner Geschichte).

Du hast schöne Bilder drinnen. Die Kinosache im Bus, die Watte. Und für mich geht auch die Reaktion des Vaters auf die Nachricht. Nicht alle verhalten sich gleich. Manche verfallen in einen Schock, realisieren nicht sofort, andere in Verdrängung, andere brechen zusammen, etc. . Die Reaktion Deiner Hauptfigur passt zu dem Bild, das Du gezeichnet hast.

Komplett neu musst Du nicht machen. Das fände ich auch schade. Die Sprache ist gelungen. Etwas feilen, ja, aber komplett neu muss nicht sein.

Liebe Grüße,
gori

 

Moikka yours, liebe Leute,

bin ich eigentlich die Einzige, die in diese Uhr etwas leicht Übernatürliches reininterpretiert hatte? Das war für mich auch der stärkste und logische Bezug zur Rubrik.

:shy: Katla

P.S. Das Verblieben im Büro nach dem Anruf lese ich übrigens eher als eine lähmende Schockreaktion, nicht wie Ruhe, Unbeteiligtsein oder ähnliches.

 

Moikka yours, liebe Leute,

bin ich eigentlich die Einzige, die in diese Uhr etwas leicht Übernatürliches reininterpretiert hatte? Das war für mich auch der stärkste und logische Bezug zur Rubrik.

:shy: Katla


Joa, jetzt, nachdem ich mir durchgelesen habe, was Du geschrieben hast, kann ich es auch sehen- besonders wenn man sich dann noch yours' Antwort ins Gedächtnis ruft. Beim Lesen der Geschichte allerdings, nö, da kam das für mich nicht rüber :shy:

 

Hey Yours!

Ich finde den Text überhaupt nicht unverständlich, und ich finde ihn ziemlich perfekt eigentlich. Ich glaube zu bemerken, dass sich das Schlagen der Uhr im Stil abbildet, diese ganz kurzen Sätze und Ellipsen erzeugen so ein Bamm Bamm Bamm. Ja, die Geschichte führt etwas ganz deutlich vor: Dass jemand das eigentliche Leben versäumt, weil er immer pünktlich sein will, seine Pflicht erfüllen will. Er ist selbst nur mehr ein Zeiger, der immer über das gleiche Ziffernblatt rast. Und er kommt da auch nicht mehr raus, auch nach dem Anruf nicht: Unentschieden bleibt, weil er einfach keine Gefühle mehr hat oder weil diese ganzen Pünktlichkeitsrituale ihm jetzt den letzten Halt geben.

Der Fahrer saß hinter dickem Plexiglas wie ein Kinovorführer, das Lenkrad seine Filmspule; die Welt ruckelte draußen vorbei, es gab nur Laiendarsteller.
schönes Bild, die Mechanikmetapher zieht sich ja durch den ganzen Text, ein Film hat ja viel mit der ablaufenden Zeit zu tun.
In der City leerte sich der Bus, der muffige Geruch blieb zurück wie der ausgezogener Schuhe.
den nochmaligen Vergleich braucht es nicht, das Unterstrichene würde ich ersatzlos streichen.
er liebte Pünktlichkeit.
weiß nicht, ob das noch ausdrücklich gesagt werden muss.
Er lehnte sich zurück, die Wände entfernten sich, der Raum dehnte sich
"lehnte", "dehnte" stört mich in ihrem Gleichklang, statt "dehnen" könntest du "weiten" nehmen.
an seinem Rücken hinab rann
zusammen: hinabrann

Also mir gefällt es sehr gut, so wie es jetzt ist. :)

Gruß
Andrea

 

Hey yours!

Was willst du da eigentlich überarbeiten? :)

Ich finde die Geschichte auch weder seltsam noch kryptisch, eher alltäglich und die Gesellschaftskritik war für mich auch nicht zu überhören, vielleicht bisschen zu laut? :P
Nur das Ende ist "merkwürdig" - vielleicht erweckt auch nur die Rubrik "Seltsam" diesen Eindruck, weil man eben was Seltsames erwartet und gerade danach sucht. Es könnte ja auch gut sein, dass das Mädchen Angst hat, Mertens könnte sich umentscheiden, und sie rennt deshalb weg oder sonstwas.
Dass sie allerdings das gleiche wie er sagt, lässt eben auch andere Interpretationsweisen zu.

Mir haben die abgehackten Sätze auch gut gefallen, die Sterilität, die Mertens verströmt, kam auch bei mir an. Das einzig Interessante an der Geschichte ist für mich die Reaktion auf den Tod seiner Tochter und das Ende.
Die erste Hälfte sind Beschreibungen eines normalen Angestellten, der bisschen neurotisch ist, was die Pünktlichkeit angeht, aber ich hab mir sagen lassen, dass die meisten Deutsche so sind. :D :P

JoBlack

 

Hi Yours!

Gern gelesen, sprachlich einwandfrei, du schaffst schöne Bilder. Ich finde den Text eher gesellschaftskritisch als seltsam. Inhaltlich gibt es nichts mehr zu interpretieren, ein Satz stört meine innere Harmonie:

In der City leerte sich der Bus, der muffige Geruch blieb zurück wie der ausgezogener Schuhe.

Vorschlag:
Im Zentrum leerte sich der Bus, zurück blieb muffiger Geruch, wie von ausgezogenen Schuhen.

Manuela :)

 

Hallo!

Mich freuts sehr, sehr, dass die Geschichte nicht ganz durchgefallen ist. Für mich war es neu, so zu schreiben, und es kam mir selbst seltsam vor, darum auch die Rubrik.

Was mich noch sehr viel mehr freut, ist, dass sie sogar verstanden wurde. :)

Katla!

Danke fürs Lesen und für deinen Kommentar. Freut mich, dass dir meine Sprache gefallen hat.

Wenn er so super durchorganisiert ist, hätte er evt. schon das Geld vor dem Kiosk rausgesucht gehabt, und jemandem einen Euro in die Hand zu drücken, dauert nicht länger als ein paar Sekunden.

Ja, aber dann hätte er ja nochmal in die Tasche greifen müssen. Das Mädchen ist mit seiner Sprache einfach ganz, ganz, ganz falsch in seinem Ablauf.

Klingt für mich nicht realistisch. Wenn das Gespräch so verkürzt wird (was ich an sich sehr gut finde!), hätte wohl die rountinemäßige Anteilnahme des Polizisten besser gepaßt. "Um zwei kam der Anruf, ein Unfall, aufrichtiges Beileid."

Es wäre wohl dramatischer gewesen, mehr zu zeigen, nicht nur zu sagen "keine Chance". Da geb ich dir Recht. Ich denk drüber nach.

Die Übergabe der Uhr, daß das Mädchen plötzlich seine Worte wiederholt und eilig davonläuft, hat die ganze story für mich in ein neues Licht gerückt: wie ein höllisches Spielzeug, das seine Besitzer im eisernen Griff hält, sie vom Leben, der Realität entfremdet, und unaufhaltsam ins Unglück treibt.

Stimmt, so ist das. Die Uhr, die Zeit, man bindet sie sich ans Handgelenk wie Handschellen.

Pardus!

Danke auch dir fürs Lesen und für deinen Kommentar. Mich freut, dass die Bilder auch bei dir angekommen sind.

Sie trifft das Gefühl von tauber Leere im Cerebrum und weich schwankendem Boden unter den Füßen sehr gut.

Ja, genau das ist es. Das war die Watte, und es freut mich sehr, dass ich das so ausgedrückt habe, dass du es verstehen konntest.
Wie gesagt, in meinen Augen ist es sprachlich schön, doch inhaltlich - ach, reden wir nicht mehr drüber

Ich hab ja immer so meine Probleme mit dem Inhalt. Leider, leider. Aber ich kann es offensichtlich zumindest ausdrücken. :)

Kubus!

Danke dir fürs Lesen und für deinen Kommentar! Schön, dass auch dich meine Bilder erreichen konnten.

steige ich gedanklich aus, auch beim zweiten konzentrierten lesen.

Sie verschwimmt, weil er weint. Dann fühlt er, wie ihn die Zeit treibt, wie klein er ist, sie berührt ihn und er entdeckt, was ihm fehlt. Das hatte ich zumindest so gedacht. :)


Seltsem!

Danke, danke für deinen Kommentar und überhaupt fürs Lesen. Und dafür, dass du es nicht zu kryptisch fandest. Das war ja am Anfang meine Angst, dass die Geschichte zu unverständlich ist, weil sie ja doch sehr verworrene Bilder enthält.

am Ende des Raumes lachten Jugendliche,

es handelt sich um einen Bus, da ist mE das Bild schief - auf den hinteren Bänken, hinten im Bus, sowas würde exakter sein

Die Formulierung, muss ich zugeben, hab ich vom Peter Glaser geklaut. Also das mit dem Raum. Weil es so ganz völlig reduziert ausdrückt, was der Bus ist: Ein Raum. Glaser verwendet das für ein Einkaufszentrum, so in der Art: " ... und am Ende des großen Raumes transportierten Rolltreppen Stufe um Stufe nichts empor."

Ich mag den. :)

sicher ist es machbar, sich auf den unbestimmten Artikel zu beziehen, doch eleganter fände ich den Bezug auf das Mädchen, also "Ihr Gesicht"

Ja, das ist schon wahr, und ich hatte da auch ein "Ihr" stehen. Aber dann hab ichs unpersönlich gemacht, weil das "es" farblos ist. Ein "sie" hätte Farbe, und da die Geschichte aus seinem Blickwinkel geschrieben ist, dachte ich, die Farbe passt da nicht. Die ist seinem Traum vorbehalten.

Also. Ähm, so wars zumindest geplant. :)

so habe ich doch eine für mich gefunden und mag den Text.

Danke, danke!


Mantox!

Danke auch dir fürs Lesen und für deinen Kommentar! Ich höre ja immer gern, wenn jemandem etwas gefallen hat.

Warum bleibt er seelenruhig im Büro und wartet bis die Arbeitszeit
verstrichen ist? Er müsste doch aufgelöst sein, komplett von der Rolle. Oder steh ich hier auf der Leitung?

Auch das ist eine Störung in seinem Alltag. Das zeigt, wie sehr er daran festhält, dass nicht einmal so eine Katastrophe ihn rausreißen kann. Das passiert erst später, am Ende dann, als er das Mädchen vor sich sieht. Und endgültig, als er es/sie berührt.


gori!

Danke auch dir, dass du sie gelesen hast und für deinen Kommentar!

Ich habe sie gerne gelesen, obwohl es mir ein wenig vorkam, als ob mir die Moral mit dem Vorschlaghammer übergebraten wird

Hm, eigentlich wollte ich keine Moral hineinlegen. Natürlich, wenn du eine herausliest, dann wird schon eine drin sein. Ich wollte zeigen, wie verzweifelt dieser Mensch ist. Er fühlt sich ja nicht gut damit, wenn er daran festhält. Sein Leben ist wie ein Alptraum, nur wenn er träumt, gibt es Farben, Gefühle, Menschen.


Katla!

Danke auch dir, dass sie dir gefallen hat. :) Ähm, übernatürlich?

bin ich eigentlich die Einzige, die in diese Uhr etwas leicht Übernatürliches reininterpretiert hatte? Das war für mich auch der stärkste und logische Bezug zur Rubrik.

Hm, hm. Klar, das kann schon sein. Ich mein, einerseits ists ja nur die Uhr. Andererseits wirkt sie Macht. Aber sie tut das ja nur, weil er das zulässt. Eigentlich ist ja er derjenige, der ist, wie er ist, die Uhr kann nichts dafür. Sie ist ein Symbol, eher, wenn man Zeit als Gut betrachtet, wenn man sie sammelt, nach ihr lebt, macht sie sich einen zu eigen.

Wie bei Momo, irgendwie.

Und ja, natürlich ist er geschockt.


Andrea!

Dass jemand das eigentliche Leben versäumt, weil er immer pünktlich sein will, seine Pflicht erfüllen will. Er ist selbst nur mehr ein Zeiger, der immer über das gleiche Ziffernblatt rast. Und er kommt da auch nicht mehr raus, auch nach dem Anruf nicht: Unentschieden bleibt, weil er einfach keine Gefühle mehr hat oder weil diese ganzen Pünktlichkeitsrituale ihm jetzt den letzten Halt geben.

Das hast du wundervoll zusammengefasst. Genau! Danke dir. Sie geben ihm halt, ja, sind wie ein Ektoskelett, in dem er sich ausbreiten und leben kann. Ohne dieses Gerüst würde er vermutlich buchstäblich zusammenbrechen. Darum kann er auch nicht raus, als der Anruf kommt, er würde dann den kompletten Halt verlieren.

Eigentlich ist er ein durch und durch armer Kerl, dieser Herr Mertens.

Deine Vorschläge werde ich mit einarbeiten. Danke dir für deinen Kommentar! Und fürs Lesen und ... ja. Überhaupt.


Centaurus!


Danke auch dir für deinen Kommentar.

Du verstehst es, durch Deinen sehr guten Schreibstiel, Stimmungen und Bilder zu erschaffen und dadurch eine sehr dichte Atmosphäre zu erzeugen.

Ah, danke, danke, das freut mich, dass du das sagst und magst, was ich hier geschrieben habe.


Jo!

Mir haben die abgehackten Sätze auch gut gefallen, die Sterilität, die Mertens verströmt, kam auch bei mir an.

Ja, es ist steril, sehr sogar. Farblos, nur riechen tut es fad, abgestanden. Das ist dann nicht steril. Aber grau ist es, ja, und wohl der Alltag vieler Menschen in Deutschland.

Danke dir, dass dir auch mal was zumindest nicht nicht gefallen hat, was ich fabriziert habe. Das ist, glaub ich, noch nie passiert. :)


Manuela!

Danke dir fürs Lesen und für deinen Kommentar. Und natürlich für dein Lob.

Gern gelesen, sprachlich einwandfrei, du schaffst schöne Bilder. Ich finde den Text eher gesellschaftskritisch als seltsam.

Ja, das haben schon mehr Leser angemerkt. Hm. Vielleicht passt sie wirklich besser anderswo rein? Gesellschaft? Alltag? Gesellschaft? Ich trau mich ja nicht, Gesellschaft, da hab ich ja noch nie. :)

Wünsche euch allen ein schönes Wochenende!

yours

 

Guten Tag, yours truly,

Das ist eine ganz starke Geschichte, für mich die beste, die Du bisher geschrieben hast. Sie hat mich unheimlich mitgenommen, ich trau mich gar nicht, ins Detail zu gehen. Die Bilder sind großartig, über die Maßen logisch, und haben mich voll erwischt. Deine seltsamen roten Fäden: Blass, aber zwingend, wie nachschleifende Wurzeln. Saugut. Am heftigsten fand ich, wie mit der Uhr dieses ganze ... äh ... weitergereicht ... also ... weggelegt ... transzendiert ... verstehst Du das bitte auch wortlos, ja? Ich habs nicht so mit Worten. Aber wow.
Hier allerdings:

Um zwei kam der Anruf, ein Unfall, sie hätten keine Chance gehabt.
würde ich nur schreiben: Um zwei kam der Anruf.
Und den Satz in eine eigene Zeile.

Einen geruhsamen Montag!
Makita.

 

Hey Yours,

habe die Geschichte jetzt zum zweiten Mal gelesen. Wollte schon beim ersten Mal einen Kommentar verfassen, hatte aber wohl "keine Zeit" ;)

Gefällt mir gut. Dieser gehetzte Erzählstil passt großartig zum Thema. Die Geradlinigkeit deines Prots bringst du treffend zum Ausdruck.
Um 2 der Anruf, aber erst um 5 vrläst er das Büro. Hätte er das früher getan, wäre vermutlich die ganze Welt zusammen gebrochen. So kann er sich an seine Routine klammern und den Zusammenbruch noch etwas hinausschieben.

Beim ersten Lesen war ich mir nicht ganz schlüssig, ob ich es genial oder kitschig finden soll, dass er dem Mädel ausgerechnet seine Uhr schenkt. Zunächst dachte ich, dass es zu aufgesetzt wirkt, aber beim drüber Grübeln, habe ich entschlossen, es doch sehr passend zu finden. Klar, Zeit ist sowieso das Thema, aber dieser Satz

Morgen hätte sie Geburtstag gehabt, er wäre gekommen, ganz sicher.
legitimiert die Abgabe der Uhr erst in vollem Maße. Für mich spricht hier deutlich das schlechte GEwissen heraus. WIe viele Geburtstage hat er wohl nicht miterlebt, weil er keine Zeit hatte?

Ach, bitte bessere doch deine Akzente durch den korrekten Apostroph aus (über der #-Taste). Das sieht ja gräußlich aus.
`n Euro versus 'n Euro

gerne gelesen
grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Makita!

Danke dir fürs Lesen und fürs gut finden und für die Empfehlung!

Am heftigsten fand ich, wie mit der Uhr dieses ganze ... äh ... weitergereicht ... also ... weggelegt ... transzendiert ... verstehst Du das bitte auch wortlos, ja?

Ich hoffe mal, dass ich dich verstehe. :) Ich hab ja lange nicht geglaubt, dass die Geschichte jemanden wirklich erreicht, darum freut es mich sehr, dass sie doch einigen gefällt, und dass sie sogar manchen etwas sagt.

Wegen dem Satz da ... ja, ich könnte ihn weglassen, und es wird ja später gesagt, dass was passiert. Nur, würde ich sie das erste Mal lesen, die Geschichte, wäre es mir zu beliebig, wenn es nur "ein Anruf" wäre. Sie könnte ja auch abgesagt haben, ihre Tochter, oder zu Mutter in die USA reisen, oder mit Durchfall im Bett liegen oder so.


Hallo weltenläufer!

habe die Geschichte jetzt zum zweiten Mal gelesen. Wollte schon beim ersten Mal einen Kommentar verfassen, hatte aber wohl "keine Zeit"

Ja, das kenn ich, das kenn ich. Aber danke, dass du dir die Zeit beim zweiten Lesen genommen hast! :)

Um 2 der Anruf, aber erst um 5 vrläst er das Büro. Hätte er das früher getan, wäre vermutlich die ganze Welt zusammen gebrochen. So kann er sich an seine Routine klammern und den Zusammenbruch noch etwas hinausschieben.

Genau, es ist ja nur ein Hinausschieben, weil: Passiert ist es ja schon. Aber ... wie ein Pendel, dass es gewohnt ist, hin und her zu schwingen, lebt er noch weiter seinen Schwung, bis die Feder eben leer ist, und er sich damit auseinandersetzen muss.

Ach, bitte bessere doch deine Akzente durch den korrekten Apostroph aus (über der #-Taste). Das sieht ja gräußlich aus.

Hab ich, hab ich.

Danke!


Euch allen schöne Grüße,

yours

 

Hi yours,
das ist das Beste, was ich bis jetzt von dir gelesen habe! Die Geschichte ist rund, ohne dass der Leser damit abschließen kann, er wird beschäftigt, irritiert von der Symbolik sowie von der trockenen Sprache, muss denken. Der Zeigefinger ist zwar da, aber nicht entmündigend.
Viel hab ich nicht daran zu mäkeln, zwei Details nur:

"ausgefranste Jeans" ist ein typisches Bild und deswegen fad, vllt. findest du ein lebendigeres Merkmal.

"es gibt nur Laiendarsteller" - zieht den Satz ein wenig zu sehr in die Länge, ein knappes "überall Laiendarsteller" würde dem sonstigen trockenen Ton ein besseres Tribut leisten.

Gern gelesen!
Gruß
Kasimir

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo yours,

habs auch gelesen.

Wenn ich es, (so spät am Abend), richtig verstehen findet ein Wechsel zwischen realer und surrealer Perspektive statt:

"Das Lächeln des Mädchens verschwamm in seinem Blick. Wie spät war es? Vor seinem Auge tauchte ein Uhrwerk auf, Zahnräder überall, dann stand er auf dem Ziffernblatt, ein Ruck ging durch das Uhrwerk, eine Sekunde verstrich. Er drehte sich um, ein Zeiger war hinter ihm, groß und bis zum Horizont reichte er, "

Dieses Bild von dieser Uhr erinnert mich irgentwie an einen Charlie Chaplin Streifen, zum anderen gibt es da son paar Computerspiele, die ebenfalls eine übergrosse Uhr benutzen.

Vielleicht solltest du ein "Bild" zeichnen welches weniger abgedroschen ist. Dann wird die Geschichte herausragender.

Gruss Hanqw

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom