Für immer
Ibnima lag ausgestreckt zwischen den Bäumen und ließ sich von der Sonne bescheinen. Sie mochte Tage wie diese, an denen nur wenige Wolken den Himmel bedeckten. Es waren freundliche Wolken, die gerne auf ein Schwätzchen verharrten, bevor sie dem Ruf eines sanften Windes folgten. Die Wolken sahen viel und wussten viel. Ibnima fragte sich, wie es wohl sei, über den Himmel zu treiben, so viel fremdes zu sehen. Doch blieb sie unten liegen. Sie konnte nicht anders und war schließlich damit zufrieden. Sie ließ leichte Wellen über ihren Körper kräuseln als Gruß an die Wolken. Und die Wolken antworteten auf ihre Art.
Doch die Wolken berichteten nicht nur erfreuliches. Schnell wurden alle ernst, wenn das Thema auf die Menschen kam. Menschen, das bedeutete Zwang. Menschen wollten alles zwingen und was sie nicht zwingen konnten, das zerstörten sie. Ibnima verstand das nicht. Einmal hatte ein Mensch einige Jahre an ihr gelebt. Er hatte aus ihr getrunken, in ihr gebadet, doch niemals hatte er Ibnima zu etwas gezwungen. Ibnima hatte versucht mit ihm zu reden. Sie hatte ihm Botschaften in ihre Wellen geschrieben, doch er hatte sie nicht verstanden.
Die Wolken sagten, die Menschen verstehen nur, was sie zwingen können. Und was sie nicht zwingen können, das zerstören sie. Menschen kann man nicht mögen. Ibnima hatte ihren Menschen gemocht. Seine Reste lagen noch immer auf ihrem Grund. Eines Wintertages, als er in ihr badete hatte er einfach aufgehört zu leben. Ibnima hatte ihn sanft mit Schlamm bedeckt und passte auf, dass ihm nichts geschah.
Doch nun kamen andere Menschen. Unten, am Fuß des Fotgosar, des großen Berges, der auch Ibnima trug, mit dessen Wipfel die Wolken spielten, dort wohnten sie. Sie zerstörten den Wald. Weil sie den Wald nicht zwingen konnten, sagten die Wolken. Weil sie gefräßig waren, sagte der Wald. Niemand mochte sie. Manchmal kamen Menschen von dort zu Ibnima. Sie waren laut. Sie zerstörten, was ihnen im weg war. Sie nahmen, was sie wollten und ließen achtlos liegen, was sie nicht mehr wollten. Diese Menschen konnte Ibnima nicht mögen.
Und noch etwas geschah. Der Fotgosar erwachte. Ob die Menschen ihn geweckt hatten wusste Ibnima nicht. Konnten die Menschen etwas so starkes wie den großen Vater Fotgosar zwingen? Doch er erwachte. Nur ein leichte Zittern bisher hatte Ibnima dieses gesagt. Lange war es her, seit der Fotgosar eingeschlafen war. Seit er seine Söhne das letzte mal in die Welt geschickt hatte. Ibnima konnte sich kaum noch daran erinnern. Und doch wusste sie, was nun geschah. Sie sagte es den Wolken. Die Wolken bestätigten es ihr. Sie sagte es dem Wald. Der Wald wusste es schon und hatte Angst. Seine Tiere flohen. Nicht nur vor den Menschen.
Ibnima wartete. Die Menschen kamen näher. Sie zerstörten den Wald an einer Seite Ibnimas. Sie bauten dort Höhlen aus totem Holz. In denen lebten sie. Ein Mensch war dabei, der sie verstehen ließ, was zwang war. Er zwang ihre Fische sich fangen zu lassen. Er zwang die Pflanzen der Menschen zu wachsen. Er zwang die Tiere des Waldes vom Dorf weg oder vor ihre Jäger. Er zwang gar die Wolken nach seinem Willen zu regnen. Die Menschen in den hölzernen Höhlen verehrten ihn. Gab es Menschen wie ihn, stark genug den Fotgosar zu zwingen? Wenn nicht, konnten sie Fotgosar zerstören, und damit Ibnima, da der große Vater Fotgosar sie ja trug? Ibnima schrie diese Angst zu Fotgosar. Der schlief. Doch er erwachte.
Und schließlich war es so weit. Ein Tag, wie sie ihn früher gemocht hatte. Doch nun saßen Menschen in seltsamen Dingen aus Holz auf ihr, wie in Schalen. Sie zogen ihre Fische aus ihr und schlugen das Wasser. Behinderten so ihre Sprache. Sie wollte mit den Wolken reden. Doch die Menschen machten sie stumm. Fotgosar kündigte sich nicht mehr groß an. Das hatte er in den letzten Tagen getan. Die Menschen waren zu dem gerannt, der zwingen konnte. Dieser hatte die Steine in Fesseln gelegt. Ibnima hatte Angst gehabt, der Fotgosar könnte nun bezwungen sein. Doch das war er nicht. Es begann mit einem gewaltigen Ruck durch das Gestein. Ibnima war von dieser Plötzlichkeit genauso überrascht wie alle Anderen. Doch fasste sie sich schnell wieder. Und sie nutzte die Gelegenheit, die Schale der Menschen auf ihr umzudrehen. Dann kam ein Donnern vom Gipfel des Fotgosar. Viele Steine sprangen zur Seite. Um dem was folgte platz zu machen. Ibnima hatte lange nicht mehr Steine so weit springen sehen. Eine schwarze Wolke kam aus dem Gipfel des Fotgosar. Zusammen mit springenden roten Steinen. Ibnima wusste von früher, dass diese roten Steine fließen konnten. Und heiß waren. Richtig heiß. Sie erzitterte bei dem Gedanken daran. Doch nicht aus Furcht.
Um Ibnima herum brannte alles. Sie konnte nicht erkennen, warum sich das Feuer so schnell ausbreitete. Das Feuer war in Feststimmung und sprach nicht zu ihr. Auch die hölzernen Höhlen der Menschen brannten. Die Menschen schriehen, warfen sich in Ibnima. Ibnima beachtete sie nicht. Denn nun sah sie durch den brennenden Wald oberhalb ihrer selbst etwas herankommen. Wie ein roter Wurm wälzte sich geschmolzenes Gestein den Hang hinab auf sie zu. Sie sah seine Glut, seine unaufhaltsame Kraft, alles einzuschmelzen, was in seinen Weg kam. Auch er hatte sie bemerkt, kroch auf einen Felsen zu um ihn mit seiner Hitze zu zersprengen. An ihrem Ufer verharrte er.
"Ich bin Feifric, Sohn des Fotgosar" Warf er ihr entgegen.
"Ich bin Ibnima" antwortete sie. Und beinahe schüchtern fügte sie hinzu: "Willst Du bei mir bleiben? Für immer?"
Feifric besah sich die Umgebung, den brennenden Wald, die ausgelöschte Siedlung der Menschen. Er hörte die Schreie der letzten lebenden Menschen und deren mitgebrachter Tiere, roch den Geruch des Brandes. Drauf antwortete er:
"Für immer!" und warf sich in sie. Sie umspühlte seinen heissen Körper mit ihrem Wasser und wo sie aufeinander trafen entstanden neue Geister, entflohen sich in der Welt eine Gestalt zu suchen. Um sie herum wurde das Land neu geformt doch Ibnima und Feifric verwoben sich ineinander im Spiel der Elemente.
Ibnima lag ausgestreckt im Gestein und ließ sich von der Sonne bescheinen. Fotgosar hatte sich wieder schlafen gelegt. Der Wald war weg. Die Menschen waren weg. Manchmal sah sie ein paar Vögel. Sie war kleiner geworden. Angefüllt mit Asche. Einen guten Teil ihres früheren Körpers nahm nun Feifric ein. Er war kalt geworden. Kalt wie sie selbst. Doch sie war glücklich. Denn Feifric war bei ihr. Für immer.