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Farben des Krieges

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15.04.2015
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Farben des Krieges

Aus dem Weltall betrachtet sieht die Erde friedlich aus. Doch sinkt man hinab, durch weiße Wolken in denen Schneestürme toben, werden aus blauen Ozeanen zerstörte Korallenriffe und man sieht karge braune Landschaften. Manch Einer würde nun schon längst wieder aufsteigen, weg von der kaputten Welt, die sich hinter schönem Schein versteckt.

Doch nehmen wir an, man lässt sich noch weiter hinab, fast wieder auf den Boden, den Boden der Tatsachen, dann sieht man die Welt in ihrer vollsten Schrecklichkeit.

Zerstörte Städte ziehen sich durch die Täler, auf den Feldern wachsen Hungersnöte. Zwischen Palästen aus Trümmern und Burgen aus Schutt huschen eilig Leute vorbei, in Gewändern grau vor Staub.

Die erschreckende Warheit hat etwas an sich, etwas magisches. Als wären abgebrochene Stahlpfeiler magnetisch geworden, ziehen sie einen an. Ziehen einen an, bis man sie berührt. Eine kalte, graue Oberfläche, wie die Welt selbst.

Wie sähe die Welt aus, wenn man die Warheit schon aus dem Weltall sehen könnte? Sähe man die Wolken oder düstere Orkane? Sähe man Wälder oder graue Felswände?

Ein kleiner Junge sah seine Stifte durch. Weiß und Grün hatte er nicht mehr. Er sah auf seinen schwarzen Stift. Dieser war immer der längste gewesen, doch nun war er so stumpf, dass er kaum noch malte. Braun hatte er am meisten. Aber was konnte man damit malen? Schutt und Trümmer waren zu kompliziert für ihn. Er war ja erst neun. Er dachte zurück, an die Zeit, als Mama und Papa und die große Schwester noch da waren. Sie hatten noch ein Kaninchen besessen, ein kleines Braunes. Vorsichtig begann der einsame Junge auf der Rückseite eines dreckigen Faltblattes die ersten Striche des Kaninchens zu zeichnen. Der Körper war wie eine seitlich liegende Acht: ein runder Bauch und ein runder Kopf. Er erinnerte sich, wie seine Schwester einst lauter solcher Achten gezeichnet hatte. Sie hatte geantwortet, das stände für Endlosigkeit.

Das Kaninchen bekam lange Ohren. Fast ein bisschen zu lang für Kaninchen, aber das erinnerte ihn an seine Freunde, wenn sie von dem alten Lehrer die Ohren lang gezogen bekommen hatten.

Dann zeichnete er die Nase, so wie die Stupsnase des schreienden Babys in der Nachbarschaft. In Gedanken sah er, wie seine Schwester das Baby auf den Arm genommen hatte, auf dem Klavierhocker hatte sie gesessen. Das Klavier, erinnerte sich der kleine Junge, hatte lustige Schnitzereien, vor allem an den Füßen. Sie hatten wie echte Löwenpranken ausgesehen und ein bisschen danach malte er jetzt die Pfoten des Kaninchens.

Das Kaninchen war fast fertig. Seiner Schwester hätte es bestimmt gefallen. Aber nun war sie nicht mehr da, so wie die Augen des Kaninchens ihn bislang leer anstarrten.

Hellblau waren sie gewesen, er erinnerte sich. Aber er hatte keinen hellblauen Stift mehr. Es war ihre Lieblingsfarbe gewesen, dass wusste er noch genau, und kurz vor ihrem Tod hatte er ihr den Stift gegeben. Eine Träne kullerte über seine Wange, fast hätte sie das Bild zerstört. Das hätte seine Schwester nie gewollt! Langsam drehte er seinen Kopf nach hinten, der Blick fixierte die Trümmer eines ganz bestimmten Hauses. Die Grundmauern standen sogar noch, es war ausgebrannt und die Tür war versperrt, aber er würde sich durch ein zersplittertes Fenster quetschen können.

An den gezackten Festerresten schnitt er sich die Hand auf. Ein kleiner Tropfen Blut fiel auf den braunen Boden. Ein ganz anderes Braun, als das Kaninchen hatte. Wie viel sagten Farben eigentlich tatsächlich aus? Er kroch bis zu ihrem reglosen Körper, direkt in der vordersten Tasche ihres Kleidchens steckte der Stift. Stattdessen tat er den Schwarzen hinein, den würde er nicht mehr brauchen, er war zu stumpf zum malen.

Das Kaninchen hatte einen schwarzen Fleck am Bauch gehabt, erinnerte er sich und dann sagte er zu sich selbst:

Schwarz steht nicht für den Tod, für mich nicht.

 
Zuletzt bearbeitet:

Aus dem Weltall betrachtet sieht die Erde friedlich aus.

Kein guter Einstieg. Der Satz ist in etwa so abgedroschen wie "Und sie waren glücklich bis ans Ende ihrer Tage".

Doch sinkt man hinab, durch weiße Wolken in denen Schneestürme toben, werden aus blauen Ozeanen zerstörte Korallenriffe und man sieht karge braune Landschaften.

Warum sollte man herabsinken? An wen richtet sich die Geschichte? Schwebewesen, die über den Wolken leben? Ich kann mir vorstellen, dass du eine Kamerafahrt im Kopf hattest, die durch die Wolken hinab zur Erde führt, aber das kommt bei mir, als Leser, nicht an.

dann sieht man die Welt in ihrer vollsten Schrecklichkeit.

Der Satz liest sich echt schräg. "Schrecklichkeit" ist nicht das richtige Wort für die Wucht, die du übermitteln möchtest. Außerdem müsste man sich wirklich an spezifischen Orten vom Himmel herablassen, um das zu sehen, was du beschreibst.

Zerstörte Städte ziehen sich durch die Täler,

Nein, die ziehen sich nicht durch Täler, weil Städte üblicherweise nicht auf Reise sind.

auf den Feldern wachsen Hungersnöte.

Dann sollte man schleunigst etwas anderes anbauen. Das Gleichnis hinkt. "Auf den Felder wächst nichts" klingt vernünftiger als Hungersnöte.

Zwischen Palästen aus Trümmern und Burgen aus Schutt

Da sieht man mal wieder, wie anpassungsfähig Menschen sind. Die bauen ganze Paläste und Burgen aus Müll!

Die erschreckende Wahrheit hat etwas an sich, etwas magisches

"Die erschreckende Wahrheit hat etwas magisches an sich."

Als wären abgebrochene Stahlpfeiler magnetisch geworden, ziehen sie einen an. Ziehen einen an, bis man sie berührt.

Wer? Was? Wer zieht wen an? (Ich weiß, wie du es meinst, aber der Satz ist irreführend formuliert!)

Sähe man die Wolken oder düstere Orkane?

Um genau zu sein, sieht man soetwas vom Weltraum aus. Tropenstürme haben ein sehr charakteristisches Aussehen und Wolken sind von oben auch zu sehen. Die werden nicht unsichtbar, wenn man von oben draufschaut! Demnach sieht man beide Dinge, die du für ein Gleichnis benutzt und das macht das ganze Ding obsolet.

"Jeff, sieh mal. Ein Orkan."
"Nein Matt. Das ist ein ... düsterer Orkan."
"Woran machst du das fest?"
"Die Wolken in diesem handelsüblichen Orkan sind weiß, aber die da sind lila und sichtbare Blitze zucken darin herum. Da geht nichts gutes vor sich, Matt."

Sähe man Wälder oder graue Felswände?

Wenn das so wäre, wäre unsere Welt von gigantischen Lebewesen bewohnt, die ein vorbeifliegendes Raumschiff greifen und sich wundern würden, was die Fliege in ihrer Stratosphäre soll.

Schutt und Trümmer waren zu kompliziert für ihn.

Als Kind fand ich, dass Schutt und Trümmer einfach zu malen waren. Man hat einfach wie ein bekloppter mit grauen und braunen Stiften auf dem Papier herumgeschmiert und das ganze dann als Müllhaufen verkauft.

An den gezackten Fensterresten

****

Für eine Geschichte über die Schrecken des Krieges ist das zu wenig, finde ich.

Der Text besteht aus ein bisschen "Guck mal wie scheiße alles ist" und ein wenig Druck auf die Tränendrüse. Nichts davon überzeugt mich in der Umsetzung oder erzielt die gewünschte Wirkung.

Das hat natürlich Gründe:

1. Die Formulierungen bringen mich als Leser zum stolpern und klingen stellenweise albern
2. Ich weiß gar nicht genau, wo ich mich eigentlich befinde
3. Was nützt mir die ganze Exposition über die Familie, wenn du uns den wahren Schocker vorenthälst? Was genau ist da passiert? Wenn wir das wüssten, könnten wir uns besser in die traumatische Situation reindenken, mit der der Junge sich konfrontiert sieht.

Um das Potenzial der Geschichte zu wecken, musst du gehörig ranklotzen. So ist das nix Halbes und nix Ganzes, auch wenn der zweite Teil der Geschichte wesentlich besser ist, als die Einführung.

 

Schwarz steht nicht für den Tod, für mich nicht.
Keine Farbe symbolisiert etwas eindeutig. Das gilt nicht nur für diese Geschichte, selbst weiß steht für den Tod. Als das Plattencover für Abbey Road fertig gestellt war, Lennon ganz in weiß darauf und McCartney barfüßig, folgerte der daraus, dass er aus der Symbolik heraus bei einem Unfall (im Hintergrund ist ein Fahrzeug zu sehen) ums Leben gekommen sein müsste. "Ich erfahr es wieder einmal als Letzter", war McCartney's Kommentar.

Hallo und herzlich willkommen hierorts,

liebe Tellmydream!,
Dein nickname sei Programm, finde ich.

Du bist sehr jung, dass Du wahrscheinlich weder von den Beatles und noch nie von Jean Paul gehört hast, vielleicht aber doch die bekanntesten Namen derer, die von ihm beeinflusst waren: Georg Büchner und Gottfried Keller. Jean Paul, weder Stürmer und Dränger, erst recht kein Klassiker oder Romantiker, fiel aus allen Schubladen heraus und neben Idyllen und Satiren (daselbst beinflusst von Sterne und Swift) verfasste er auch eine Poetik, ein umfangreiches Werk, das er ironisch „Vorschule der Ästhetik“ nannte), und ein umfangreiches Werk zur Erziehung, „Levana“ (1807). Darin dachte er sich „einmal eine Dichtung vom Jüngsten Tage und den zwei letzten Kindern …“, und daran wurd ich durch Deine kleine Schrift erinnert (ich füg ein paar Zeilen des Originals an). Du siehst also, wie hoffentlich auch mein Vorredner, es gibt nix Neues unterm Himmel, wenn auch auf technisch höherem Niveau.

Du nimmst die naive Haltung eines Neunjährigen an (mit 14 ist man da ja noch nicht so weit weg) – Jean Pauls Figuren sind Ungeborene – den Leichenbergen der Revolutions- und napoleonischen Kriege angemessen.

Einig wenige Anmerkungen (in der Reihenfolge, wie sie im Text auftauchen)

Wäre nicht der durchgängige Konjunktiv statt des Indikativs für solche Vorstellungen angesagt (ich seh an dem Text, dass Du ihn durchaus beherrscht), also statt z. B.

Doch sinkt man hinab, durch weiße Wolken in denen Schneestürme toben, werden aus blauen Ozeanen zerstörte Korallenriffe und man sieht karge, braune Landschaften
wäre m. E. besser „Doch sänke man hinab, durch weiße Wolken, in denen Schneestürme tobten, würden aus blauen Ozeanen zerstörte Korallenriffe und man sähe karge braune Landschaften“.

Hier zwingt die Annahme förmlich zum Konjunktiv

Doch nehmen wir an, man l[ieße] sich noch weiter hinab, fast wieder auf den Boden, den Boden der Tatsachen, dann s[ähe] man die Welt in ihrer vollsten Schrecklichkeit.

Hier verwechselstu einige Male das Verb sein ("war") mit dem Adjektiv „wahr“
Wa[h]rheit
Bissken Flüchtigkeit
An den gezackten Fe[n]sterresten …
… steckte der Stift. Stattdessen tat er den chwarzen hinein, den würde er nicht mehr brauchen, er war zu stumpf zum malen.

Hier noch der angekündigte Ausschnitt aus Levana (angepasst an heute durch mich):
»– Und so geht denn hinunter zur Erde«, sagte der Geist zu zwei kleinen nackten Seelen, »und werdet geboren als Schwester und Bruder!« – »Es wird aber sehr schön drunten sein«, sagten beide und flogen Hand in Hand zur Erde, welche schon im Brand des Jüngsten Tages stand, und aus der die Toten traten. »Schau doch«, sagte der Bruder, »dies sind sehr lange, große Kinder, und die Blumen sind gegen sie ganz kurz; sie werden uns viel herumtragen und das meiste erzählen; es sind wohl sehr große Engel, Schwester!« – »Schau doch«, antwortete sie, »wie der große Engel ganz und gar Kleider an hat, und jeder – und wie überall das Morgenrot auf dem Erdboden läuft.« – »Schau doch«, sagte er, »es ist die Sonne auf den Erdboden gefallen und brennt so umher – und dort macht ein entsetzlich breiter Tautropfe feurige Wellen, und wie darin die langen Engel sich herumtauchen.« – »Sie strecken die Hände herauf«, sagte sie, »sie wollen uns eine Kusshand geben.« – »Und schau doch«, sagte er, »wie der Donner singt und die Sterne unter die großen Kinder hüpfen.« – »Wo sind denn aber«, sagte sie, »die großen Kinder, die unsere zwei Eltern werden sollen?« – »Schaust du nicht«, sagte er, »wie diese Engel unter der Erde schlafen und dann herauskommen? – Fliege nur schnell!« – »Nun so seht uns freundlich an, ihr zwei Eltern«, sagten beide näher an der flammenden Erde, »und tut uns nicht wehe und spielet mit uns, aber lange, und erzählt uns viel und gebt uns einen Kuss!«

Alles kein Beinbruch – und es ist eh noch kein Meister vom Himmel gefallen, und selbst wenn, was hätte er davon bei einem gebrochenen Genick?

Kurz: Es wird schon werden, meint der

Friedel

 

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