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Fast wie immer
„Nein… gar nicht… mach ruhig.“ sagte er während sie seinen Aufsatz nahm und ihn sich durchlas.
Er hatte seit vorgestern daran gesessen. Seiner Meinung nach war dies das beste Essay, das er je geschrieben hatte.
Sie sagte, über das Papier gebeugt: „Wow, darüber habe ich gar nicht nachgedacht!“ Er sah sie an und dachte: „Sag bloß …“
Er beobachtete sie und fragte sich, warum er sich eigentlich immer wieder mit ihr abgab. Ihre abgedroschenen Kommentare darüber, wie schlau er doch wäre, ließen ihn immer wieder in Gedanken sagen: „Ich bin nicht schlau … Du bist dumm!“ Natürlich wusste er, dass der einzigste Grund für ihr Interesse an seinen Aufsätzen darauf beruhte, dass sie selbst nicht dumm dastehen wollte. Dies misslang ihr allerdings, in seinen Augen, vollkommen.
„Oh Mann, wie kommst du nur immer auf solche Ideen?“, fragte sie, ohne vom Papier aufzublicken. „Ich benutzte das komische, schwammige Ding zwischen meinen Ohren!“ antwortete er in Gedanken.
Immer wieder kam die Frage auf, was sie wohl ohne ihn machen würde. Und immer wieder fiel ihm die gleiche Antwort ein: „Sie findet einen anderen, du Depp!“
Als er sie so ansah, wie die Spitzen ihres goldenen Haares auf dem Papier lagen und sie ein wenig auf ihren Nägeln kaute, so befand er, dass sie schön war. Sie schien dieses mysteriöse Lächeln gepachtet zu haben. Ihre Lippen lasen jedes Wort lautlos mit, während ihre Augen über das Papier fuhren. Immer wieder stockten sie, um den vorherigen Satz noch einmal zu lesen, vielleicht um ihn besser zu verstehen.
Sie legte die erste Seite von sich und fuhr mit der Zweiten fort.
Dann kam mal wieder einer ihrer geistreichen Kommentare: „Das wusste ich ja gar nicht.“ Er ergänzte in Gedanken: „Es wäre eine viel zu große Aufgabe aufzuzählen, was du alles nicht weißt.“
Wieder huschten ihre Augen über das Papier, das mit schwarzer Tinte beschrieben war. Er fing an sich zu fragen, ob sie ihn vielleicht wirklich mochte, ob ihre Zuneigung nicht gespielt war. Und wieder fuhr er sich selbst an: „Ja klar und Newton entdeckte die Erdanziehungskraft, als ihm ein Amboss den Schädel zertrümmerte.“
Ihre abgehalfterten Kommentare versiegten für eine kurze Zeit und er genoss die Ruhe, die sich langsam im Raum ausbreitete. Sie legte die zweite Seite von sich und fing an die Letzte zu lesen. Sie schwieg weiter und las den Text gebannt.
„Ich muss sagen, das muss deine beste Arbeit seit langem sein.“ Er nickte, sah sie an und wusste genau, welche Frage jetzt kommen würde. „Darf ich etwas davon in meinem Aufsatz benutzen?“, fragte sie wie immer und war schon dabei mit seinem Essay zu gehen.
Er sah sie an und sprach endlich das Wort aus, das ihm bis jetzt immer gefehlt hatte: „Nein!“ Er nahm ihr seine Arbeit aus der Hand und ging an ihr vorüber. Er hörte sie fluchen und ging weiter … Weiter den Gang hinunter …