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Fast wie Liebe
Vertrauliche Anonymität
Manchmal fühlt es sich fast an wie Liebe. So wie jetzt, wenn ich mich enger an ihn schmiege, um die Kälte zu vertreiben und mich am Duft seines Körpers berausche. Er lächelt, küsst meine Schläfe und leitet mich zielsicher durch die Menschenmenge der Londoner Innenstadt.
Nur noch wenige Meter bis zur U-Bahnstation, an der wir uns traditionell trennen. Unsere Schritte werden langsamer, als könnten wir dadurch den Abschied verhindern.
„Ich hasse diese U-Bahnstation“, sage ich.
Er lacht, bleibt stehen und sieht mich eindringlich an.
„Du weißt ja: Wir sehen uns wieder, Jasmina.“
Er hebt die Hand zum Gruß, dreht sich um und läuft davon. Ich bleibe stehen, sehe ihn auf der Rolltreppe immer kleiner werden und schließlich unter der Erde verschwinden. Es tut ein bisschen weh.
„Ich liebe dich“, flüstere ich. Ein Windhauch trägt meine Worte davon und das Gefühl verschwindet.
Ich laufe zurück zum Hotel, ziehe mich aus und lasse mich in die Laken fallen. Sanft, wie Hendriks Hände, streichelt der Satin meine Haut. Ich fühle nur Leere in mir. Würde ich ihn lieben, hätte ich jetzt wenigstens den Schmerz.
Zuerst waren da Hendriks blaue Augen, ein paar belanglose Gespräche und schließlich sein quietschendes Bett im Studentenwohnheim.
Hendrik und ich, das waren lange Nächte am Baggersee. In einen Schlafsack gekuschelt betrachteten wir gemeinsam die Sterne, jagten flüchtigen Gedanken hinterher und scheuten uns nicht, diese auszusprechen. Wir vertrauten uns Dinge an, die man nur im Dunkeln sagen kann und den Menschen, die man nicht so gut kennt.
Ich kam mir selbst nie näher als in Hendriks Gegenwart.
„Ich gehe zurück nach Schweden“, sagte er eines Abends. Mein Kopf ruhte auf seiner Brust und eine wohlige Schläfrigkeit lag in meinen Gliedern.
Es dauerte einen Augenblick, bis ich den Sinn der Worte erfasst hatte.
„Was?“
„Es tut mir Leid“, sagte er, setzte sich auf und starrte ins Nichts.
Stolz schluckte ich ein paar Tränen herunter und lächelte:
„Was hat Schweden, das ich nicht habe?“
„Ana“, antwortete er. „Wir wollen heiraten. Wir sind seit zwei Jahren verlobt.“
Gemeine Worte wollten aus mir herausdrängen, doch ich schwieg.
„Lass uns die letzten Stunden genießen.“
„So kenne ich dich“, lächelte er.
„Ich mag dich nicht verlieren“, flüsterte ich und zeigte ihm für einen Moment meinen Schmerz.
„Menschen wie wir verlieren sich nicht.“
Trotz aller Ahnungen habe ich nach seiner Abreise gelitten. In meiner Phantasie wurde Ana zu einer Traumfrau mit Topfigur, Engelsgesicht und wallender blonder Mähne. Sie wurde zu Allem, was ich nicht war. Ich quälte mich selbst mit den Vorstellungen ihrer Zweisamkeit und fragte mich, warum er von mir nur Sex und von ihr ein gemeinsames Leben wollte.
Manchmal fand ich eine E-Mail von Hendrik in meinem Postfach. So nichtssagend, dass mir unsere Vertrautheit schon bald wie ein Traum erschien.
Bald tauschte ich meine eingebildete Liebe zu Hendrik gegen eine echte zu Mark ein.
Ich schrieb Hendrik von der anstehenden Hochzeit, er gratulierte mir und wünschte mir Glück.
Es war ein nebliger Morgen, als ich in meinem Postfach wieder eine E-Mail von Hendrik fand. Er würde mich in London gerne wieder sehen. Schlechtes Gewissen und Glück fochten einen Kampf mit mir. Das Glück gewann, ich wollte Hendrik sehen und sei es nur, um einen Schlussstrich zu ziehen.
Es war so leicht, Mark davon zu überzeugen, dass ich geschäftliche Dinge in London zu erledigen hatte. Er stellte keine Fragen.
Wir trafen uns in einer Bar. Hendrik fiel mir sofort auf, er hatte sich kaum verändert: Noch immer strahlten seine Augen, noch immer lag in seinem Gesicht dieser jungenhafte Charme. Die unpersönlichen E-Mails rückten in den Hintergrund und wir fanden sofort wieder zu unserer Vertrautheit und ins Bett zurück.
Ich frage mich, ob Hendrik andere Frauen hat. Ich lächle, weil es mir egal sein sollte. Neben Ana, neben Mark, wünsche ich mir doch, dass wir etwas Besonderes haben.
Es war einer der seltenen Tage, in denen London im Schneefall versank. Gespielt regten wir uns über das schlechte Wetter auf, obwohl wir froh waren, das Hotelzimmer nicht verlassen zu müssen.
„Was ist es, das uns verbindet?“, fragte ich Hendrik. Ich stützte meinen Kopf auf den Arm und sah ihn an. Er wartete einen Augenblick, legte das Buch in dem er gelesen hatte, beiseite und sah mich ernst an.
„Sex“, antwortete er.
Es gibt schönere Männer als Hendrik, Männer mit einem knackigeren Hintern, mit einem muskulöseren Körper und einem attraktiveren Gesicht. Sicher auch welche, die besser im Bett sind und vor allem: Männer, die ich öfters sehen könnte als ihn. Andere haben mich nie interessiert.
Noch immer weiß ich nicht, was uns verbindet. Plötzlich muss ich Hendrik hören, ihn noch einmal fragen.
Schnell wähle ich seine Handynummer und hoffe, dass er noch nicht im Flugzeug sitzt.
„Hendrik?“
„Alles in Ordnung?“ Er klingt irritiert, ich rufe ihn sonst nie an.
„Weißt du noch, als ich von dir wissen wollte, was uns verbindet?“
„Ja.“
„Erinnerst du dich noch an deine Antwort?“
„Ja.“
„Wenn ich dir die gleiche Frage jetzt stelle, was antwortest du?“
„Sehnsucht“, sagt er und legt auf.