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Fluch der Unsterblichkeit
„Hilf mir, dem Tod zu entkommen.“ Garlocks goldenes Medaillon mit dem fünfzackigem Stern brannte sich in seine Brust ein. Viele Jahre lang hatte er sie gesucht, immer mit der Hoffnung, ihr seine Seele anzubieten.
Endlich hatte er sie gefunden – die Legenden waren wahr. Nur sie würde ihm das unendliche Leben schenken können. Er stand vor dem Eingang der dunklen Höhle und war bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Die Abspaltung der Seele war jedoch, ein schwieriger Prozess und ein gut gehütetes Geheimnis. Es hatte ihn ein Vermögen und viele Jahre seines Lebens gekostet, bevor ihn ein Alchemist eingeweiht hatte. Noch heute erinnerte er sich an dessen runde Kopfbedeckung, die mit einer Hahnenfeder verziert war. Er hatte sich nichts dabei gedacht.
Mit einer raschen Handbewegung griff er in den Lederbeutel an seinem Gürtel, auf dem das Symbol der Weiblichkeit eingenäht war. Zum Vorschein kam eine Kristallflasche. Mit einem ruckartigen Schluck leerte er sie. Kurz darauf fühlte er, wie seine Seele Feuer fing.
„Zeig dich mir!“ Vor Erregung überstürzte sich seine Stimme.
Aber es kam keine Antwort.
Langsam bewegte er sich in das Innere der Höhle. Eine böse Vorahnung stieg in ihm auf, erreichte sein Herz, dann seinen Kopf. Das Gefühl drohte ihn zu überwältigen, aber seine Entscheidung war gefallen und es gab kein Zurück. Er ging weiter in die Dunkelheit.
Mit schwindenden Kräften sagte Garlock: „Mach mich unsterblich, Herrin. Ich biete dir meine Seele an.“ Dann hörte er die lang ersehnte Antwort.
„Du suchst nach Unsterblichkeit?“ fragte eine Stimme aus der Schwärze. Garlock kam es so vor, als würde sie ihn aus allen Richtungen erreichen.
„Ja, Herrin. Das ist mein sehnlichster Wunsch. Hilf mir, dem Tod zu entkommen.“
„Du wirst nie wieder sterben können, für immer leben. Du wirst deine Seele verlieren, wenn du diesen Pakt eingehst. Weißt du, was es bedeutet, seine Seele zu verlieren? Bist du bereit dafür?“
Garlock hatte den Eindruck, dass die Stimme zu tief für eine Göttin war. Er hatte sich die Stimme von Venus, der Göttin des Lebens und der Weiblichkeit, höher vorgestellt, mehr wie eine helle Glocke. Doch es musste sich um einen Irrtum handeln. Er redete sich ein, dass seine verzerrte Wahrnehmung dafür verantwortlich sei. Unbewusst berührte er sein Medaillon, den fünfzackigen Stern, mit dem Zacken nach oben - das Symbol des Lebens.
„Ja, ich bin bereit. So gib mir endlich die Unsterblichkeit, Herrin!“
Der Schmerz in seiner Brust nahm immer weiter zu, dann explodierte ein weißes Licht vor Garlocks Augen und er verlor für immer sein Bewusstsein, aber niemals sein Leben.
Noch viele tausend Jahre später, lachten die Schulkinder über den alten Mann, der unter der Brücke neben dem Eingang der Müllhalde wohnte. Wenn Sie morgens im Schulbus fuhren, dann sahen sie ihn immer, wie er mit leeren Augen auf die Straße starrte. Jeden Morgen befand er sich ungefähr an der gleichen Stelle. Eines morgens im Sommer hatte der Bus einen Motorschaden und musste an der Müllhalde einen Halt einlegen. Als die Kinder ausstiegen wegen der Hitze und auf den Ersatzbus warteten, sprachen sie den alten Mann an. Aber er schaute nur weiter vor sich hin, sprach kein Wort und die Kinder dachten, er sei nicht recht bei Verstand.
Fast kam es ihnen so vor, als sei sein Körper nur eine leere Hülle - ohne jegliches Leben darin.