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Serie Flucht aus Winterstramm

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23.02.2004
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Flucht aus Winterstramm

Flucht aus Winterstramm

„Ich kann nicht mehr!“ Sie fiel auf die Knie, versank im Schnee und stöhnte. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, und ihr trockener, heißer Atem verdampfte sichtbar in der Kälte.
Gepard drehte sich zu ihr um und sank ebenfalls auf die Knie. „Bitte, Louisanne. Du musst aufstehen.“ Auch sein Atem dampfte, und in den buschigen Augenbrauen hatten sich kleine Eiskristalle gebildet.
„Ich kann nicht mehr.“ Ihre braunen Augen wirkten ausdrucksvoll und stark. „Ich bin am Ende.“
Gepard fand, dass sie trotz der Krankheit und der Kälte hier draußen unheimlich schön war.
„Louisanne, wir haben’s doch bald geschafft. Es sind noch zwei oder drei Stunden nach Saintville, und dort sind wir in Sicherheit.“ Er streifte seine Fäustlinge aus Bärenfell ab und legte seine Hände auf ihr Gesicht.
„Das Fieber ist schlimmer geworden.“ Er wischte ihr mit den Fingern den Schweiß von der Strin. „Wir müssen einfach weiter. Erst wenn wir im Dorf sind, kann dir geholfen werden. Du wirst sehen. Du bekommt ein heißes Bad und eine warme Suppe. Und die richtigen Kräuter.“
„Gepard, bitte. Lass uns doch Rast machen. Ich habe nicht mehr die Kraft, durch den Schnee zu stapfen.“ Sie sprach ruhig, und doch merkte Gepard das Zittern in ihrer Stimme. Seit sie die Krankheit hatte, war sie nicht mehr sie selbst. Sie sprach wirres Zeug im Schlaf, und ihre Rufe in einer fremden Sprache ließen Gepard darauf schließen, dass es sich nicht um bloße Fieber-Fantasien handelte. Ihr Blick hatte sich auch verändert. Er war viel zu intensiv.
„Ranchal et herathet en un Haath.“
Da war es wieder.
„Schatz, hör auf damit.“ Gepard packte sie an der Schulter und schüttelte den kraftlosen Körper. „Sieh mich an. Sieh mich an!“
Ihr Blick richtet sich auf, und als er in ihre Augen blickte, wusste er, dass sie keinen Anfall hatte. Es war wohl noch nicht ganz so schlimm heute Nacht. Die richtig schweren Anfälle würden erst mit der Morgendämmerung kommen.
„Liebling, hör zu.“ Er sprach leise und ruhig. “Siehst du den See dort vorne?“ Er deutete Richtung Westen durch den Wald. Einige hundert Meter entfernt schimmerte es inmitten des schneebedeckten Waldes. Wasser.
Louisanne nickte.
„Das ist der Silbersee. Kennst du ihn noch? Als wir Kinder waren, waren wir manchmal hier herunten zum Spielen.“ Gepard wirkte nachdenklich. Als er das letzte Mal soweit von Winterstramm entfernt war, war er ein kleiner Junge gewesen. Damals, vor fünfzehn Jahren, war das Wetter noch normal und die Ernten noch reichlich gewesen. Im Winter waren die Weißen Berge zwar auch mit Schnee bedeckt, doch im Sommer war es heiß und die Sonne strahlte vom Himmel, dass man meinte, man befand sich in einer der Wüsten im Westen. Man konnte nackt durch die Wälder springen und in den Bächen baden. Heute waren die Sommer zwar schneefrei, doch die Temperaturen waren gesunken, und die Sonne stand nur noch wenige Stunden am Himmel, nur halb so heiß brennend wie einst. Der Krieg hatte auch das Wetter verändert.
Louisanne erblickte das Wasser und nickte kraftlos.
„Das Wasser ist trinkbar, und die Raubtiere meiden den See. Dort machen wir eine Stunde Rast, nicht länger.“
Wieder nickte Louisanne.
„Okay.“ Gepard ließ sie los und streifte sich wieder die Fäustlinge über. „Komm, steh auf. Wir haben’s gleich geschafft.“
Er half ihr auf Beine und stützte sie, so gut er konnte.

Er wusste, dass es keine gute Idee war, zu rasten. Nicht wegen ihrer Krankheit, die sich von Minute zu Minute weiter in ihrem Körper ausbreitete, und nicht wegen der Tiere. Früher hatten in den Wäldern alle möglichen Wesen gehaust, doch seit sie im Krieg vertrieben wurden, waren sie weg geblieben. Sie hatten sich in die Berge zurückgezogen.
Doch in letzter Zeit hatte es Anzeichen gegeben. Böse Anzeichen.
Vor wenigen Wochen wurde Gepard in einer Nacht von Geräuschen geweckt. Geräusche, die unmenschlich klangen und aus dem Stall neben seiner Hütte drangen. Er war aus dem Bett gestiegen, hatte sich die Axt geschnappt und war nach draußen gegangen. Sobald er in der eisigen Kälte draußen stand, war das Jaulen verstummt. Doch plötzlich flog die Stalltüre auf und etwas Großes, Schwarzes huschte nach draußen. Es war blitzschnell – die bitterkalte Nacht gab lediglich einen schwarzen Schatten zu erkennen, dann war es bereits im Wald verschwunden. Gepard hatte ein Petroleumlicht entflammt und stapfte damit in den Stall. Er fand eine seiner beiden Kühe am Boden in ihrem eigenen Blut liegen. Sie zuckte und jaulte, lag mitten in ihren Eingeweiden. Sie war wenige Minuten später gestorben. Gepard hatte daraufhin den Stall mit einigen Querbalken verriegelt, doch wirklich sicher hatte er sich dadurch nicht gefühlt.
Er wusste nicht, welches Tier seine Kuh so zugerichtet hatte, doch er wusste, dass es sich um eines der alten Wesen handeln musste. Kein Wolf konnte eine Kuh zerreissen wie einen Stoffetzen.
In einer anderen Nacht war der Mond von grauen Wolken verdeckt und es schneite. Der Wind bließ leise gegen das Holz der Hütte, und Gepard lag wach in seinem Bett. Louisanne – gesund und lebendig – war auf seiner Brust eingeschlafen, nachdem sie sich geliebt hatten. Ihr Atem war flach und gleichmäßig, und wieder hörte Gepard Geräusche.
Diemal war es das Schlagen von Flügeln vor seinem Fenster, doch die Nacht war zu dunkel, um etwas erkennen zu können. Einen Augenblick lang glaubte er draußen leuchtende Augen zu erkennen, doch dann waren der Wind und Louisannes Atem wieder die einzigen Geräusche.
Ja, er glaubte, dass dies Anzeichen waren. Als sie aufgebrochen waren, um den Apotheker aufzusuchen, hatte Gepard an manchen Bäumen Kerben und Kratzspuren gesehen. Auch der Wald hier war voll davon. Ja, er glaubte, die Wesen kamen zurück. Langsam aber sicher kehrte das Grauen aus den Bergen in die heimischen Wälder zurück.
Die Rast sollte so kurz wie möglich dauern.

„Es ist so kalt.“
Lousianne zitterte unter der Decke, in die Gepard sie eingehüllt hatte.
„Ich weiß, mein Schatz.“ Er führte eine kleine Trinkschale mit frischem Wasser an ihrem Mund. „Hier, trink das.“
Sie trank in kleinen Schlucken, dann fing sie an zu husten.
„Es wird gut“, sprach Gepard. „Alles wird gut.“
Am Ufer des Silbersees wiegte er Louisanne in seinen Armen.

Sie schlief nun bereits eine Stunde. Gepard wollte sie nicht wecken, denn Schlaf war das einzige, was ihr noch Kraft schenkte, und bis jetzt hatte er noch keinen Grund zur Annahme, dass sie hier in unmittelbarer Gefahr waren.
Es stimmte, dass die Tiere den See mieden. Die alten Geschichten, die Gepard von seinem Vater gehört hatte, erzählten vom Silbersee und seiner Macht. Seine Tiefe war so unergründlich, dass es hieß, ein Felsbrocken, der in den See geworfen wurde, bräuchte einhundert Jahre, um am Grund des Sees aufzuschlagen. Die größten und schrecklichsten Wesen des Waldes wohnten in diesem Wasser, so hieß es, und kein Waldwesen wollte da hinein geraten.
Das Wasser war an der Oberfläche klar und silbrig, am Rande in dünnen Eisschichten zugefroren, die hier und da aufbrachen und überspült wurden. Und obwohl am Grunde des Sees den Geschichten nach Dinge vor sich gingen, die sich von der Menschheit nicht erforschen ließen, weil sie über den Verstand des Menschen hinausreichten, so war das Wasser doch trinkbar und von guter Qualität. Hier, am Ufer, wo das Wasser nicht tiefer als einige Meter war, befanden sie sich in Sicherheit.
Wenn sie nicht bald aufwachte, würde er versuchen, ein Feuer zu machen. Er hatte das Nötigste in seiner Rückentasche, und um den See herum gab es genug Holz, das zwar feucht war, sich aber dennoch entzünden lassen würde.
„Ranchal et herathet en un Haath.“
Gepard zuckte zusammen. Sie hatte es wieder gesagt, diesmal im Schlaf. Er blickte sie an. Ihre Augen bewegten sich unter den geschlossenen Lidern, Schweiß stand ihr auf der Strin und ihre Wangen schienen zu glühen.
„Psssssssst“, flüsterte Gepard zärtlich. „Pssssst, mein Liebling. Alles wird gut.“
Plötzlich vernahm er hinter ihnen ein Geräusch. Hastig warf er den Kopf herum und blickte in den schwarzen Wald hinein.
Nichts. Er konnte nichts erkennen.
Doch da war es wieder – das Geräusch. Es war ein Stapfen. Das Knirschen des Schnees unter einem Stiefel.
Oder unter einer Pfote, dachte Gepard, und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Er legte Louisannes Kopf auf die Decke, dann erhob er sich. Er griff nach seiner Axt und stellte sich schützend vor den schlafenden Körper seiner Frau.
Das Geräusch ertönte erneut, und plötzlich glaubte Gepard einen Umriss erkennen zu können. Ein Schatten im Wald.
„Wer ist da?“, rief er, doch nicht einmal das Echo antwortete ihm.
Der Umriss war immer besser zu erkennen – was immer es war, es bewegte sich langsam aus dem Wald heraus und auf ihn zu.
„Hallo?“
Dann trat das Wesen aus dem Walde und wurde vom Mondlicht erfasst.
Es war ein Mensch.
„Wer seid Ihr?“, rief Gepard, der jetzt erkannte, dass es sich um einen Mann handelt.
„Ich will Euch nichts Böses!“ sagte der Mann, der jetzt noch dreißig Meter von Gepard entfernt stand. Er trug schwarze Kleidung und keine Kopfbedeckung.
„Ich bin Priester und komme in Frieden.“

„Was treibt Ihr hier draußen, in dieser Eiseskälte?“, fragte der Priester. Er war jetzt schon fast bei Gepard angelangt.
„Das gleiche könnte ich Euch fragen“, sagte Gepard und trat einen Schritt zur Seite. Der Priester erblickte die in Decken gehüllte Frau.
„Ist sie tot?“ Er wirkte interessiert, und plötzlich kam er Gepard gar nicht mehr gefährlich vor.
„Nein.“ Gepard blickte kurz zu Louisanne hinab, dann sah er wieder den Priester an. „Sie hat eine schwere Krankheit. Wir sind auf dem Weg nach Saintville, um Hilfe zu holen.“
Der Priester kniete sich vor Louisanne und fasste ihr an die Stirn. „Wisst Ihr, um welche Krankheit es sich handelt?“

Gepard und der Priester saßen um das frisch entfachen Feuer am Ufer des Silbersees und tranken Wasser. Gepard streichelte das Haupt seiner Frau, die noch nicht erwacht war.
„Nun, Pater…“, sprach Gepard und sah den Priester an.
„Hendrik. Pater Hendrik.“
Gepard nickte.
„Nun, Pater Hendrik, warum treibt Ihr Euch des Nachts im Walde herum, so weit entfernt von da, wo ihr sagt dass ihr herkommt?“
„Strongwall.“ Der Pater sprach leise, sein Gesicht war mit Frost überzogen. „Aus Strongwall komme ich, und ich bin unterwegs in die Berge.“
„Strongwall? Das ist nicht weit von Saintville. Wie lange glaubt Ihr, ist es noch bis dorthin?“
„Bis Saintville? Mein Gott, ich würde sagen fünf Stunden Marsch.“ Kurz darafu fügte er hinzu: „Bei der Schneemenge vielleicht sieben.“
Gepards Blick wurde starr. Sieben Stunden? Hatte er sich so verschätzt? Würde Louisanne einen derartigen Marsch noch überstehen? Er sah dem Priester in die Augen.
„Könnt Ihr etwas für sie tun?“
Der Priester blickte die schlafende Lousianne an, die jetzt trotz des Feuers heftig zitterte.
„Nicht, wenn Ihr mir nicht Eure Geschichte erzählt, Master Gepard.“
Plötzlich krachte es irgendwo hinter ihnen im Wald, und ein Tier begann zu winseln. Gepard griff intuitiv nach seiner Axt.
„Ruhig.“ Pater Hendrik legte seine Hand auf Gepards. „Keine Sorge, das ist meine Gemahlin.“
„Eure…Eure Gemahlin?“ Gepard ließ von der Axt ab. „Ja, will sie denn nicht zu uns kommen, und sich am Feuer wärmen?“
Der Pater ließ den Blick in den Wald schweifen.
„Sie zeigt sich nicht gerne, und vor Feuer hat sie Angst. Macht Euch keine Gedanken, Master Gepard. Sie ist es, um die wir uns jetzt kümmern sollten.“ Er deutete auf Louisanne.
Gepard begann zu erzählen.

„Es war an in einer kalten Nacht vor einigen Tagen. Draußen tobte der Sturm und Schnee fiel in Massen vom Himmel. Louisanne stand am Ofen und kochte einen Eintopf, der im Kessel brodelte – der Geruch ließ mir das Wasser im Munde zusammenlaufen. Der heiße Dampf stieg auf und wurde vom Abzug erfasst, der in den Schornstein mündet, und somit in die kalte Nacht hinaus geweht.
Ich selbst saß am Tisch und entwarf einen Plan, wie ich die Stallungen und unsere Hütte mit Holzverbauten besser schützen konnte. Schützen vor dem, was sich in letzter Zeit viel zu häufig in den Wäldern herumtreibt.
Plötzlich begann es am Dach zu poltern, und ich schreckte von meinem Zeichenpapier hoch. Auch Louisanne erschrak und drehte sich zu mir um. Dann ertönte ein lautes Schleifen, und wir wussten – irgendetwas kam da lautstark den Schornstein herunter, kam zu uns herein.
Sofort sprang ich auf und stürzte in Richtung Louisanne, doch da war es bereits zu spät – ein schwarzes Etwas krachte durch den Schornstein auf den Ofen herab, fiel in den den brühend heißen Suppentopf, stieß ihn um und stürzte sich mit einem schrillen Kreischen auf Louisanne. Sie schrie.
Das alles passierte in einem Sekundenbruchteil – das Wesen bewegte sich so schnell, dass ich erst nicht erkennen konnte, um was für ein Tier es sich handelte.
Ich stürzte mich auf Louisanne und packte das Wesen an seinem Fell, doch es hatte es sich in ihrem Haar festgekrallt. Louisanne schrie auf, und plötzlich war überall Blut. Da packte ich es am Genick und drehte dem Vieh den Hals um. Das Genick brach auseinander sprödes Holz, und das Tier ließ von Louisanne ab. Sie blutete am Hals, und ich sah, dass das Vieh, das sie gebissen hatte ein Großwiesel war.
Könnt Ihr Euch das vorstellen, Pater? Ein Großwiesel. Jene flinken Tiere, die niemandem etwas zu Leide tun und vor Menschen mehr Angst haben als Mäuse vor Eulen. Das Ding muss mit Tollwut infinziert gewesen sein – eine Bösartigkeit, die sich auch bald in Louisannes Zustand widerspiegelte. Wir haben die Wunde am Hals mit Alkohol gesäubert und so gut wir konnten desinfiziert. Und doch mussten die Keime bereits in sie eingedrungen sein. Ihr Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag. Die Nächte sind am schlimmsten, vor allem kurz vor Morgengrauen. Sie wird von heftigen Anfällen geplagt, hat schrecklich hohes Fieber und redet wirres Zeug. Zuerst dachten wir, dass das Fieber mit Ruhe und Geduld wieder vorbeigehen würde, doch es wurde immer schlimmer.
Ich musste nach Saintville aufbrechen, um Medizin zu holen, doch ich sah große Probleme: zum einen würde es wahrscheinlich zu lange dauern, nach Saintville und wieder zurück zu marschieren. Zum anderen wollte ich Louisanne nicht alleine in der Hütte lassen. Nicht bei dem, was in letzter Zeit geschehen war. Und dann war da noch die Sache, dass der Apotheker in Saintville sie wahrscheinlich untersuchen musste, um ihre Krankheit eindeutig festzustellen.
Also brachen wir gemeinsam auf. Ich nahm die Gefahr auf mich, sie und mich dem Dunkel des Waldes auszuliefern. Wir hatten Hoffnung. Wir haben Hoffnung, Pater.“
Pater Hendrik nickte.
Gepard schloss die Augen und strich Lousianne über das heiße Gesicht.
„Ranchal et herathet en un Haath.“
Gepard erstarrte.
„Was hat sie gesagt?“ Die Augen des Paters wurden groß.
„Ich…ich weiß es nicht. Sie spricht dauernd wirres Zeug, sie…“
„Mein Gott, Gepard.“ Der Pater erhob sich plötzlich vom Feuer. „Welche Symptome hat sie noch? Rollt sie mit den Augen? Lässt sie Speichel aus dem Mund laufen?“
„Nein.“ Gepard war verwirrt. „Ja…ich meine, ja ihre Augen bewegen sich meist unter den Lidern, und…“
„Gepard, Ihr wisst, dass dies keine Krankheit ist, und schon gar keine, die ein tollwütiges Tier übertragen hat.“ Der Pater stand jetzt über ihnen.
Gepard starrte Louisanne an, dann richtete er seinen Blick auf den Pater. „Was…was glaubt Ihr dann, was es ist?“
„Ranchal et herathet en un Haath.“, sagte Lousisanne und schüttelte ihren Kopf im Schoß ihres Mannes hin und her. „Ranchal et herathet en el ranchal et henduiggghhghh“ Die letzten Worte waren nur noch ein gurgelndes Glucksen in ihrer Kehle, dann begann sie zu husten. Ihre Augen flackerten dabei wie wild.
Der Pater zog Louisanne ein Augenlid nach oben. Das Auge war klar und doch leer. Es zuckte.
„Gepard, es ist genauso, wie es in den alten Büchern geschrieben steht. Sie hat alle Symptome.“
„Was denn, Pater. Was hat sie?“
Der Pater schluckte.
„Sie ist vom Koos befallen.“
Gepard erstarrte. „Ihr meint, sie wird einen Dämonen gebären?“

Gepard hielt Louisannes Kopf in den Händen, und mittlerweile zitterte er selbst.
„Das ist unmöglich, Pater. Der letzte Koos wurde im Großen Krieg getötet, das ist viele Jahre her. Im ganzen Land wurde der Niedergang der Koos gefeiert, die Menschheit war befreit. Sie ist befreit.“ Gepard hielt inne. Was, wenn das Böse, das aus den Bergen zurückkehrte, auch jene heimtückinschen Dämonen mit sich brachte?
Der Pater schloss die Augen. „Ich weiß es nicht, Gepard, aber es sieht ganz danach aus, als gäbe es nach wie vor welche von ihnen. Sie können jede Gestalt annehmen, und ich möchte wetten, dass dieser Koos den Wieselkörper verlassen hat, bevor Ihr ihm den Gar aus gemacht habt. Doch davor hat es Eure Frau geschwängert. Es tut mir Leid, Gepard, wir können nichts für sie tun.“
„Nein!“ Gepard sprang auf. „Pater, Ihr seid ein Priester. Ein heiliger Mann. Ein Mann Gottes. Ihr könnt etwas machen. Könnt Ihr denn nicht…?“
„Was?“, sagt der Pater laut. „Ein Dämonenkind abtreiben? Nein, Master Gepard, das kann ich nicht.“
„Es ist Eure heilige Pflicht, Pater. Ich flehe Euch an.“
„Master Gepard, glaubt mir, ich bin schon lange nicht mehr so heilig, wie ihr glauben mögt. Ich bin in Wahrheit kein Priester mehr, ich bin nicht einmal mehr…“
Ein Mensch, dachte er.
„Es tut mir Leid.“
Gepard fiel auf die Knie, und Tränen liefen ihm aus den Augen und tropften auf das glühend heiße Gesicht seiner Frau hinab.

Der Pater und Gepard saßen am Feuer, das nun beinahe ganz niedergebrannt war.
„Unsere Hütte steht oben in Winterstramm, nur wenige Stunden von Fuße des Eiswindberges entfernt. Das Böse kehrt zurück. Sie waren lange genug da oben, und jetzt holen sie sich ihr Eigentum zurück – die Wälder und Höhlen, die Lichtungen und Felsstätten in unseren Breiten. Sie kommen zurück, und Louisanne muss es am eigenen Körper erfahren.“
Gepard hielt seine zitternde Frau in den Armen.
„Wenn es stimmt, was ihr ahnt, Master Gepard, dann steht unserem Land Schlimmes bevor. Und Eure Frau wird dazu beitragen.“
Gepard schwieg.
„Master, so hört mir zu. Ihr seid ein lebendiger junger Mann, euer Leben ist noch nicht zu Ende. Wenn die Schatten aus den Bergen über das Land herfallen, wird es mich nicht betreffen, und ebensowenig meine Gemahlin. Ich bin neutral, stehe weder auf der einen, noch auf der anderen Seite. Aber Euch, Master Gepard, Euch wird es treffen.“
Gepard sah zum Pater auf. „Wie meint ihr das, Pater?“
Im Hinterholz knackste etwas, gefolgt von einem kurzen Jaulen, das mittendrin plötzlich erstickt wurde. Der Pater sah in den Wald, dann wandte er sich wieder Gepard zu.
„Meine Tage sind gezählt. Manchmal sind die Dinge im Inneren nicht so, wie sie nach außen hin scheinen, werter Master. Aber sprechen wir nicht über mich, sprechen wir über Euch.“
Gepard schluckte.
„Ihr seid jung, ihr könnt fliehen. Flieht nach Saintville, und findet dort Unterschlupf. In Saintville gibt es starke Krieger, Medizin und alles was ihr benötigt. Kehrt nicht mehr nach Winterstramm zurück. Flieht nach Saintville.“
„Aber…“ Gepard sah seine Frau an. Sie war immer noch schön wie am ersten Tag, auch wenn sie etwas Böses in sich trug, das sie innerlich vergiftete.
„Gepard. Ihr wisst so gut wie ich, dass eine Frau die Geburt eines Dämons nicht überlebt. Was glaubt Ihr, wie lange es noch dauern wird, bis ihre Haut aufbricht und aus ihrem Inneren sich ein Grauen windet, dass Ihr Euch genauso wenig vorstellen mögt wie ich. Koos sind die bösartigsten Dämonen, die die Menscheit kennt. Herzenfresser, Venkyle und Werwölfe – das sind alles geplagte Wesen, arme Geschöpfe, die nur töten um zu überleben, nicht aus Bösartigkeit. Koos aber….“
„Ich weiß was Koos sind, Pater. Ich kenne die Geschichten so gut wie Ihr.“
„Dann wisst Ihr auch, was zu tun ist.“
Gepard schloss die Augen, dann beugte er sich nach unten und küsste Louisanne auf den Mund.

Im schwachen Schein des verglimmenden Feuers machten sich Gepard und der Pater an die Arbeit. Mit Gepards Axt fällte Pater Hendrik zwei kleine Bäume.
„Ihr seid stark für einen Priester“, sagte Gepard, der ungläubig dabei zusah, wie der Pater den Baum entrindete.
„Ich habe Euch bereits gesagt, beurteilt niemanden nach seinem Äußeren.“
Gepard lief ein Schauder über den Rücken, dann half er dem Pater bei der Arbeit. Sie mussten tun, was getan werden musste.

Das Floß war bald gebaut.
Gepard kannte die Aufzeichnungen seiner Vorfahren. Er wusste, dass man die Mutter eines Koos-Kindes nicht töten durfte. Starb die Mutter, starb der Embryo keineswegs – im Gegenteil, es konnte schneller Herr über einen toten Körper werden, als über einen lebendigen. Wenn sie Louisanne töteten, würde die Leiche nach wenigen Minuten den Dämon gebären.
Es gab nur eine Lösung, wenn er nicht wollte, dass seine Frau starb und er von einem der gefährlichsten Dämonen der ganzen Erde verfolgt wurde. Die Lösung brach Gepard das Herz, doch es war besser, als seine Frau mit den eigenen Händen zu töten. Den einzigen Menschen, den er liebte.
Der Pater hatte ihm dabei geholfen, seine Frau auf das aus wenigen Holzstämmen gebaute Floß zu hieven. Sie lag in eine Decke gehüllt, das Gesicht frei zu Atmen.
„Es ist soweit“, sagte Pater Hendrik, nachdem er ein Gebet über dem zitternden Körper gesprochen hatte. „Lassen wir sie rein.“
„Pater, lasst mich noch einen Moment allein mit ihr.“ Gepard standen die Tränen in den Augen.
„Natürlich.“ Der Pater entfernte sich vom Seeufer.
Gepard kniete sich vor Louisanne.
„Schatz“, sprach er leise, den Mund dicht an ihrem Gesicht. „Ich weiß du kannst mich hören. Irgendwo tief in dir kannst du mich hören.“
Louisannes Augenlider flackerten jetzt wieder, ihre Haut war feucht vom Schweiß. Sie bewegte sich nicht.
„Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt. Bitte vergiss das nicht. Nicht hier, und nicht dort, wohin du bald gehen wirst. Ich werde dich in Erinnerung behalten, wie du immer warst. Gutherzig. Zärtlich. Wunderschön.“ Wieder begann Gepard zu weinen.
„Doch ich kann nicht zulassen, dass du zum Tor der Hölle wirst. Du darfst nicht für die Schandtaten des Bösen missbraucht werden, nicht tot und nicht lebendig. Der See ist die Gabelung, an der sich unsere Wege trennen. Vergiss mich nicht, wohin du auch gehst.“
Er küsste Louisanne ein letztes Mal.
„Ruhe sanft, meine Schöne.“ Mit diesen Worten stieß er das Floß ins Wasser, und als Louisannes Körper wieder zu beben begann, schlimmer als je zuvor, wusste Gepard, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Beiden standen am Ufer und blickten schweigend dem Floß nach. Es trieb ungefähr dreißig Meter von ihnen entfernt auf die Mitte des Sees zu. Es war nicht mehr zu erkennen, ob Louisannes Körper noch zitterte, nicht mit den klaren Augen des Paters, und nicht mit den getrübten Augen Gepards.
„Ruhe in Frieden, bis in alle Ewigkeit“, sagte Gepard leise.
„Mögen die Götter Euren Mut belohnen, Louisanne.“ Auch Parter Hendrik ließ seinen Blick nicht vom Floß ab.
„Sie war die wunderbarste Frau, die sich ein Mann wünschen kann“, sagte Gepard und ertappte sich dabei, dass er bereits in der Vergangenheitsform von ihr sprach. Bald wird sie Vergangenheit sein, dachte er und tiefe, schwarze Trauer umspülte sein Herz.
Und dann, als der Mond bereits zu verblassen drohte, und der Himmel das tiefe Schwarz der Nacht gegen ein dunkles Grau tauschte, durchbrachen die Ungeheuer die Wasseroberfläche.

Riesige, schuppige Schlangenhälse räkelten sich in der Mitte des Sees um das Floß, und als schließlich der Dämon aus Louisannes sterbenden Körper fuhr, rissen sie das Böse mitsamt dem Floß in die Tiefe. Ein langer Kampf würde toben, ein Kampf zwischen den mächtigsten Wesen der Erde, ein Todeskampf der Dämonen, und keiner vermochte zu sagen, wie lang er dauern würde, oder wer als Sieger von Dannen zog. Die Seeungeheuer waren in der Überzahl, soviel war sicher, und wenn sie es schafften, Louisannes Körper und den bösen Koos auf den Grund zu zerren, wäre die Menschheit wohl lange Zeit vor ihm in Sicherheit. Ein Felsbrocken, so hieß es, würde einhundert Jahre lang sinken, bis er dort ankam, wo Unglaubliches vor sich ging.

Das Wasser hatte sich beruhigt, und nichts war mehr zu sehen. Gepard wusste nicht, wie lange er schon hier stand und auf den See hinaus blickte. Der Pater war schon vor ein paar Stunden aufgebrochen. Aufgebrochen, um endlich Ruhe zu finden, an einem Ort, an dem er das sein konnte, was er war.
Sie hat ihren Frieden gefunden, hatte der Pater gesagt, bevor er gegangen war.
Gepard ließ den Blick über den See schweifen.
Frieden, dachte er.
Dann stieg er davon. Langsam und mit sicheren Schritten. Es gab jetzt keine Eile mehr. Wenn er Glück hatte, würde er Saintville bis zum Morgengrauen erreichen.


© Markus Böhme, Januar 2008

 

Hallo forsakingmax,
Schade, das du auf ein Kommentar so lange warten musstest.

Mir gefällt die Geschichte bisher echt gut. Spannend und gefühlvoll geschrieben. Ich hoffe, es gibt bald eine Fortsetzung!!!
Du beschreibst alles sehr gut und es hat mich wirklich gefesselt...


Hier noch ein paar Korrektürchen :)

Er wischte ihr mit den Fingern den Schweiß von der Strin
Stirn

Du bekommt ein heißes Bad und eine warme Suppe.
bekommst

Diemal war es das Schlagen von Flügeln vor seinem Fenster,
Diesmal

Kurz darafu fügte er hinzu: „Bei der Schneemenge vielleicht sieben.“
darauf

Das Genick brach auseinander sprödes Holz
wie sprödes Holz

Das Ding muss mit Tollwut infinziert gewesen sein
infiziert

Gepard erstarrte. „Ihr meint, sie wird einen Dämonen gebären?“
Ich würde nur *Dämon* schreiben, weil sie bekommt nicht mehrere oder?

Was, wenn das Böse, das aus den Bergen zurückkehrte, auch jene heimtückinschen Dämonen mit sich brachte?
heimtückischen

Im Hinterholz knackste etwas, gefolgt von einem kurzen Jaul
Ähm, bin mir nicht sicher aber Hinterholz gibts glaub ich nicht- heißt doch Unterholz? !*grins*

Koos sind die bösartigsten Dämonen, die die Menscheit kennt
Menschheit

Also ran an die Fortsetzung bitte :))

LG Joker

 
Zuletzt bearbeitet:

Also ran an die Fortsetzung bitte :))
Hallo Joker, danke für deine Rezi und schön, dass dich die Story gefesselt hat ;)

Eine Fortsetzung gibt´s eigentlich schon, bzw. eine Story, die davor spielt (da erfährt man, was das Ding im Wald ist und wer der Pater ist):
http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?t=42793

Und eine Story, die dort spielt, wo die in dieser Geschichte handelnden Personen hinwollen: in Saintville, wo gerade etwas Schreckliches vor sich geht:
http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?t=32452

;)

LG
Markus

 

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