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Frei sein
Die Aussicht ist atemberaubend und ich merke, wie die Sonne mein Gesicht langsam und angenehm wärmt. Nach all dem Stress der letzten Zeit genieße ich den Augenblick der Ruhe, habe ich doch kaum die Bibliothek verlassen, war ständig umzingelt von Lehrbüchern und Kommentaren, von Urteilen und Kommilitonen.
Ich lausche dem Wind, wie er als schwache Briese über mein Gesicht streift, lasse meinen Blick in die Ferne wandern und fixiere die Windräder am Rande der Stadt. Unermüdlich drehen sie sich, ohne Rast, kennen keine Pause. Meine Augen ziehen weiter und ich betrachte die Gebäude um mich herum, nehme ihre Details genau wahr, sauge sie auf mit gierigem Blick. Manche niedrig, manche größer noch als das, auf dem ich stehe, sind sie doch alle wunderschön in ihrer eigenen Art. Ich frage mich, wie viele der Menschen hier wissen, wie es ist, wenn man die Nacht durcharbeitet und dennoch nichts erreicht.
Wenn man lernt und dennoch kaum versteht.
Eine Taube gesellt sich neben mir auf mein Dach und ich schenke ihr ein Lächeln.
Ich erinnere mich an die Worte eines Bundesrichters, die ich gelesen habe. Das Studium sei leicht. Ich denke an die verzweifelten Lerngruppen, an die Studenten mit tiefen Augenringen und der dritten Tasse Kaffee in der Hand. Ich denke an zitternde Hände mit Stiften, die wie wahnsinnig übers Papier fliegen, darauf bedacht Seite über Seite zu füllen, bevor es zu spät ist. Nur um dann doch der Willkür eines Unbekannten ausgeliefert zu sein. Ich glaube, nein ich weiß, dass der Bundesrichter doch den falschen Weg beschritten hat. Ich kann es besser machen. Wieder kann ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Ich fühle mich frei. Und springe.