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Fucking Santa Claus
Die Kassiererin guckt mich mit vor Missbilligung hochgezogener Augenbraue an, während sie mit ihrem muskulösen Arm die erste meiner zwei Jack Daniels Flaschen über den Infrarotscanner zieht.
Ich schenke ihr mein wärmstes Lächeln, während sie die Klopapierriesenpackung (4-lagig, extra weich) scannt, nicke ihr fröhlich zu, als sie die Duftkerzen, Marke Orange und Zitrone über das Band zieht, entblöße meine Zähne, während sie die Streichhölzer verrechnet und nicke ihr freundlich zu, als sie kurz auf mein T-Shirt mit der Aufschrift Fuck Santa guckt - zum Glück kann sie nicht sehen, was die Rentiere auf der Rückseite machen.
Folgende weitere Gegenstände werden noch in meinen Plastiktaschen verstaut und von der Kassiererin verrechnet: ein Hammer, groß, Edelstahl, mit gummiertem Griff, 1000 Nägel, zehn Zentimeter lang, eine Eiswürfelform mit quadratischen Löchern, Blumenerde (»Sand, wir haben hier keinen Sand...«), zwei mittelgroße Yukkapalmen, ein Halogenscheinwerfer, Strohhalme und ein Baseballschläger.
Die Leute hinter mir in der Schlange sehen ungeduldig auf ihre Uhren. Manche grummeln etwas ungehalten.
»Achtung, eine Durchsage für all unsere Kunden«, tönt es aus den Lautsprechern, der Sprecher scheint Schnupfen zu haben. »Wir wünschen ein frohes Weihnachtsfest und einen gesegneten Heiligen Abend.«
Der 24. Dezember kommt immer viel zu schnell. Wenn es nach mir ginge, würde er nie kommen. Immer derselbe Stress.
Ich verlasse das Kaufhaus und trete hinaus in die Kälte. Unzählige Menschen sind noch unterwegs. Dick eingemümmelt in schwere Jacken, Schals, Mützen, ein permanentes Grinsen im Gesicht, voller Vorfreude. Die Geschenke werden immer teurer, größer und vor allem schwerer.
Und... oh, nein! Nein, nicht hier. Nicht jetzt!
»Ho Ho Ho«, ruft der dicke Mann mit dem weißen Bart und der roten Mütze. Er steht beim Kaufhausausgang und scheppert mit einer Glocke, verteilt Süßigkeiten an Kinder und klopft dumme Sprüche. Vielleicht kann ich an ihm vorbei, ohne dass er...
»Na«, sagt er zu mir und bimmelt mit seiner Glocke direkt neben meinem Ohr. »Du brauchst doch heute keine Geschenke mehr einzukaufen, die habe ich doch längst alle besorgt.«
Netter Witz.
»Die liegen am Nordpol«, redet er unbeirrt weiter, während sein falscher Bart an seinem Kinn auf und ab tanzt, »wo meine Wichtel in den Werkstätten noch fleißig an den Details arbeiten.«
»Elfen«, erwidere ich automatisch.
»Wie bitte?« fragte er mich.
»Es sind Elfen, die in den Werkstätten arbeiten.«
»Ho Ho Ho«, ruft er. »Ich werde doch wohl wissen, wer in meinen Werkstätten arbeitet.«
»Schön für dich.« Ich drehe mich um, um zu gehen.
»Ho Ho Ho«, ruft er mir nach.
Wofür hält der Typ sich eigentlich?
Eine dicke, fette Schneeflocke gleitet langsam vom Himmel herab, wild, aber elegant durch die Luft tanzend. Und dann kommen schon ihre unzähligen Geschwister.
Ich werfe einen finsteren Blick nach oben.
Nicht einmal das erspart er mir.
Weiße Weihnachten, na toll!
* * *
(Die Schneeflocken...)
Ich sitze in meiner Wohnung und habe die Rollläden runtergelassen. Die Scheiben sind mehrfach isoliert, kein Laut dringt nach innen. Ich will völlig ungestört sein.
In blinder Wut habe ich meinen Weihnachtsbaum mit Klopapier eingewickelt. Mein Radio habe ich vor einiger Zeit zerschlagen, ich glaube, als Santa Claus is coming to town lief. Mit den Nägeln und dem Hammer nagle ich meine Haustür zu. Ich sichere auch die Fenster. Man kann nie wissen. Als Nächstes werden die Duftkerzen angezündet um diesen Zimt- und Plätzchen- und Weihrauch- Gestank zu vertreiben, der überall durch die Luft geistert. Die Blumenerde verteile ich im ganzen Zimmer, warum haben die im Kaufhaus auch keinen Sand gehabt? Die zwei Yukkapalmen werden noch strategisch günstig positioniert und der Halogenscheinwerfer ersetzt mir die Sonne. Ich drehe die Heizung ein wenig auf und schließe die Augen.
Das wird ein Weihnachtsfest der besonderen Art.
Ich setze die erste Flasche an meinem Mund und kaltes, scharfes Getreidedestillat rinnt in meine Kehle. Die Eiswürfel brauche ich nicht mehr.
»Frohe Weihnachten!«
* * *
(Unzählige Schneeflocken später.)
Hicks.
Es klopft gegen meine Tür.
Alles um mich herum schwankt auf und ab, in meinem Kopf singt eine Fußballmannschaft einen Bach-Choral. Ich drehe die leere Flasche in meiner Hand. Es ist dunkel, die Duftkerzen sind längst ausgegangen.
Es klopft erneut gegen die Tür. Lauter dieses Mal. Die Schläge hämmern sich in meine Gehirnwindungen, bohrend, stechend, hallend.
»Ich weiß, dass du da drin bist«, dröhnt eine brummige Stimme. »Mach auf oder ich erledige das für dich.«
Nein, no way, ich bleibe wo ich bin.
Der späte Besucher scheint seine Drohung jedoch ernst zu nehmen. Kräftige Schläge poltern gegen die Tür, bis diese schließlich unter der Kraft von draußen aufbricht. Gleißendes Licht blendet meine Augen und ich halte eine Hand nach oben, um meine Augen zu schützen.
Eine Gestalt kommt auf mich zustolziert.
»Jedes Jahr der selbe Scheiß«, sagt sie. Sie klingt nicht gerade freundlich. »Du probierst es immer wieder.« Die Gestalt stemmt die Hände in die Hüften und mustert mich kopfschüttelnd. Sie wirft einen Blick auf die leeren Whiskeyflaschen und auf den mit Klopapier eingewickelten Weihnachtsbaum und seufzt.
Hicks. Wo ist der Baseballschläger?
»Du solltest langsam wieder nüchtern werden«, sagt die kleine Gestalt.
»Ich will nicht.«
»Du musst. Und lass dir deinen Bart wachsen. Und die Mütze nicht vergessen.«
Ich sehe ein, dass es zwecklos ist.
Ich werde nüchtern, lasse mir einen langen, weißen Bart wachsen und setze die rote Mütze auf.
»Die Rentiere sind schon bereit« sagt mein Elf. »Nur Rudolfs Nase ist noch etwas blass.«
HO HO HO…