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Gefrierbrand
Das Schweigen steht im Esszimmer wie eine Erektion im Beichtstuhl. Nur das Geräusch des arbeitenden Bestecks erinnert daran, dass mein Gehör noch funktioniert. Metall auf Porzellan. Gabel an Schneidezahn.
Auch das zarte Fleisch der Roulade kann mich nicht von dem letzten Satz ablenken, den du ohne Vorwarnung in die abendliche Zweisamkeit geschmettert hast.
Ich bemerke die Soßenreste in deinen Mundwinkeln, das selbstherrliche Kauen, das nur zutage tritt, wenn du selber das Essen zubereitet hast.
Ein wenig Sport täte mir deiner Meinung nach also gut. Ein bisschen Bewegung zum Ausgleich zu der sitzenden Tätigkeit. Ich weiß, wohin das führt.
Über deine Arroganz habe ich mich, wenn ich mich recht entsinne, nie negativ geäußert. Dich sogar in Schutz genommen, wenn die wenigen verbliebenen Freunde mir sagen, dass du irgendwie ein bisschen eingebildet daherkommst. Ich gehe nicht davon aus, dass du mich verteidigst, wenn deine Kolleginnen behaupten, ich hätte etwas zugelegt.
Mein Messer kratzt etwas zu laut über den Teller. Die daraufhin einsetzende Stille schluckt die vorherige, verdaut alle vergangenen Laute und scheidet ein Vakuum aus, das mir die Luft zum Atmen nimmt.
Du brauchst nicht zu denken, ich sehe nicht, wie du deine Augen verdrehst, während du mit demonstrativer Leichtigkeit das zartweiche Fleisch durchschneidest und die Gabel in Richtung deines taubenähnlich nickenden Kopfes führst.
Ich löse die Krawatte, die du mir für unsere gemeinsamen Abende besorgt hast. Du meinst ja, es sei wichtig auch zuhause gut auszusehen. Gierig sorgen meine Lungen für das Nötigste an Sauerstoff.
„Aus Respekt vor dem Anderen“, sagst du immer.
Respekt, dass ich nicht lache. Was hat das Tragen einer blöden Krawatte mit Respekt zu tun?
Ich sitze hier in einer Wohnung, die du eingerichtet hast, in einem Anzug, den du ausgesucht hast, und esse eine Roulade, die du zubereitet hast. Zu guter Letzt willst du jetzt auch noch, dass ich Sport treibe. Mir das angefressene Fett von den Hüften pumpe und redest von Respekt?
„Ich finde dich einfach nicht mehr attraktiv“, sagst du jetzt also.
Wenn du wüsstest, wie lange ich dich schon nicht mehr attraktiv finde. Wie mir deine Geiernase auf den Keks geht, deine schwimmflügelartig aufgepumpten Brüste in mir Assoziationen wecken, die mit vielem zu tun haben, nur nicht mit Erotik oder gar Schönheit.
„Ich glaube nicht, dass wir, wenn du weiter so aussiehst, noch mal Sex miteinander haben werden.“
Großer Gott, wie kommst du denn darauf, dass ich noch mal Sex mit dir haben will? Lieber geh ich weiterhin zum Bahndamm und zahl die paar Euros (die finden meinen Schwanz auch nicht zu salzig).
Du schiebst den leer gegessenen Teller in Richtung Tischmitte und wirfst mir deinen „Du machst heute den Abwasch“-Blick zu, begleitet von dem „Ich mach ja sonst schon alles“-Gesichtsausdruck.
„Ich habe ja gekocht“, sprichst du jetzt auch noch laut aus.
Das steht zwar im krassen Gegensatz zu deinem „Wer kocht, wäscht auch ab“-Blick, den du mir zuwirfst, wenn ich, wie eigentlich meistens für das Abendessen gesorgt habe, aber das hast du wohl mal wieder vergessen. Zumindest soll das mein „Ich war doch gestern erst dran“-Gesicht demonstrieren.
„Brauchst gar nicht so zu gucken, du kannst ruhig auch mal was tun.“
Immerhin arbeite ich fünfzig Stunden in der Woche, während du drei Stunden am Tag irgendwelcher Leute Fingernägel bearbeitest und dabei wahrscheinlich allen erzählst, was für einen Schwachkopf von Ehemann du hast.
Erzählst du ihnen auch von unserem fünfzehnten Hochzeitstag, wo du ohne zu klopfen ins Bad gestürmt kamst, wo ich gerade am wichsen war. Erzählst du dann auch weiter, wie du dir Trost bei deinem Therapeuten suchtest, er aber unanständige Sachen mit dir vorhatte ... Erzählst du das auch?
Aber die aufgetakelten Weiber lachen sich dann wahrscheinlich trotzdem ins Fäustchen und erzählen von ihren Dickerchen und deren Erektionsproblemen. Ach nein, die sind ja alle so gefühlsbetont. Nicht so rohe Klötze wie ich einer bin. So zumindest tischt du mir die Geschichte dann auf.
Wie du mir dann auch immer wieder mitteilst, soll der Mann, den du dir wünscht, einfühlsam sein und romantisch. Er soll dich umgarnen und dir Komplimente machen. Komplimente, wofür denn?
Dieser Klischeemann soll auch um dich kämpfen, dich hart rannehmen und die Möglichkeit, für dich zu töten, zumindest in Betracht ziehen.
„Einen richtigen Mann halt“, pflegst du zu sagen.
Zumindest den letzten Punkt könnte ich dir erfüllen. Es wäre ja auch für dich eine Erlösung.
Ich stehe auf, um das dreckige Geschirr in die Küche zu bringen und den Abwasch zu erledigen, während du, den Blick auf die Tischdecke gesenkt, deine geschminkten Lippen mit der viel zu teuren Serviette abtupfst. Du schüttelst kaum merklich den Kopf, wobei dein Seufzer weniger subtil ausfällt. Deinem Blick zu meinem Platz folgend bemerke ich den Stein des Anstoßes.
„Sogar zu blöd zum Essen“, sagst du jetzt. Meine Krawatte wird wieder enger.
Warum schafft die das nur immer, ohne zu kleckern. Vielleicht bin ich wirklich ein Idiot. Zumindest war ich es vor neunzehn Jahren und ganz bestimmt an diesem einen Tag.
Du bemerkst den kurzen Anflug von bitterer Heiterkeit in meinem Gesicht, legst deine Serviette ab und bewegst dich in Richtung Rattansofa (das du natürlich ausgesucht hast), um den alltäglichen Fernsehabend einzuläuten.
Ich widme mich dem Abwasch, genieße die Atemfreiheit der Küche und bin voller Vorfreude auf den morgigen Abend, an dem ich die Erlaubnis habe, meine ebenfalls etwas übergewichtigen, verheirateten Kumpels zu treffen, um bei ein paar Bier über unsere Frauen zu meckern, unsere imaginären Affären bis ins kleinste Detail voreinander auszubreiten und uns einfach mal wieder wie richtige Männer zu fühlen, ohne Kopfschütteln von euch zu ernten. Denn für so etwas habt ihr kein Verständnis. Nennt es Treffen der Verlierer und brecht Streitereien vom Zaun, damit wir es uns über Kurz oder Lang zwei mal überlegen, daran teilzunehmen. Aber eine Sache überseht ihr bei eurer Vorstellung von einer perfekten Ehe: Wenn ihr uns die Eier abschneidet, müsst ihr euch auch nicht wundern, wenn wir fett werden.
Du rufst meinen Namen mit der gewohnten Dringlichkeit. Sitzt vor der Glotze und bist mal wieder zu faul, dir deinen Scheiß selber zu holen.
„Du kannst ja auch mal was für mich tun“, könntest du sagen, zumindest klänge es vertraut.
Ich stehe vor dir und deinem Sofa, mit der Spülschürze, die du mir vor ein paar Jahren mal geschenkt hast, und es dauert erst mal, bis du deine Aufmerksamkeit vom Fernseher losbekommst und mir als Belohnung für mein promptes Erscheinen dein Anliegen mitteilst.
„Ich habe Eis mitgebracht, ist im Kühlschrank.“
Das Lächeln, das du dir abmühst, wirkt so künstlich wie dein Gebiss. Trotzdem erwidere ich es, beende meine haushaltliche Pflicht und portioniere zwei Eisbecher mit einem Schuss Sprühsahne und Eierlikör.
Dass du dich dann doch dafür entscheidest, auf dein Dessert zu verzichten, weil ich dir viel zu viel Sahne draufgemacht habe (und Eierlikör sowieso nicht dein Ding ist), bringt mich in die glückliche Situation, zwei Eisbecher für mich alleine zu haben. Was mich ein wenig darüber hinwegtröstet, dass du die Fernbedienung auch an diesem Abend nicht mehr aus der Hand geben wirst. Aber Pretty Woman haben wir ja auch schon lange nicht mehr gesehen.