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Grammatikfrage "Zeuge eines Verbrechens"

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Grammatikfrage "Zeuge eines Verbrechens"

Liebe Wortkrieger,

ich bin soeben über einen Ausdruck gestolpert, bei dem ich nicht sicher bin, ob es davon eine weibliche Form gibt, oder ob dies ein fester Ausdruck ist:

Herr Müller wurde Zeuge eines Verbrechens.

Wenn es jetzt eine Frau ist, heisst es dann
Frau Meier wurde Zeugin eines Verbrechens.
?

Aber

jemanden als Zeugen/zum Zeugen anrufen
ist ja ein fester Ausdruck, also wird es davon keine weibliche Form geben, oder? Oder kann/muss ich eine Frau als Zeugin anrufen? Oder dürfen gar beide Formen verwendet werden?

Liebe Grüsse von der etwas verwirrten und wahrscheinlich betriebsblinden
Raki

 

Ich habe schon einige Verhandlungen mitgemacht und die weibliche Form wurde immer verwendet.
"Bitte holen Sie die Zeugin", die Zeugin sagte aus ... etc.


Jedoch das:

Frau Meier wurde Zeugin eines Verbrechens.
hört sich für mich falsch an.

Das ist in meinen Augen ein feststehender Ausdruck: Zeuge eines Verbrechens sein.

Mal sehen, was die anderen sagen.

 

Nimm Zeugin, selbst wenn die Regel noch anders ist. Man sollte sich nie scheuen, sinnvolle Sprachanpassungen selbst zu forcieren.

 

Selbst wenn es nur einen „Zeugenstand“ (singular) gibt,

Raki,

gibt’s auch „die Zeugin eines Verbrechens“. Oder wäre Mutti, weil es nur ein „Kanzleramt“ gibt nicht doch „Kanzlerin“, obwohl ich gender equality und - main streaming für Blödsinn halte, weil durch bloße Wortakrobatik keine Kreatur der Welt Gleichberechtigung oder gar Gleichheit erfährt.

Tatsächlich stammt das mhd. (ge)ziuc „Zeuge“ nicht vom Verb „zeugen“, sondern „ziehen“ ab und ist die sächliche Substantivierung „(das) Ziehen“ und wurde dann enger gefasst zum „Ziehen vor Gericht“.

Übrigens galt das ahd. urkundi für beide Geschlechter. Da wars Gericht als Thing/Ding auch noch wirklich eine öffentliche Veranstaltung unter Gleichen - also ohne Unfreie ...

Wenn sich Ohr und Aug bei dem Satz

Frau Meier wurde Zeugin eines Verbrechens.
nach innen drehn, warum sollte dann Frau M. nicht "Zeuge" sein oder ein Verbrechen bezeugen?

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo ihr zwei,

danke für eure Antworten.

bernadette Das klingt für mich eben auch falsch; aber noch mehr irritiert mich "als Zeugen anrufen"; dies wird im Duden online unter "Wendungen, Redensarten, Sprichwörter" aufgeführt - das wäre für mich dann eher ein fixer Asdruck. :confused:

Aber unser Webmaster hat irgendwie ja recht; da ch eben keine Regel gefunden habe, leide ich vielleicht doch ein wenig an Betriebsblindheit und verliesse mich anstelle besser auf das Sprachgefühl ... :)

Bitte entschuldige, Friedrichard, da warst du doch glatt noch schneller mit deiner Antwort als ich mit meiner. Danke dir vielmals für die Erläuterungen. Und nebenbei:

obwohl ich gender equality und - main streaming für Blödsinn halte, weil durch bloße Wortakrobatik keine Kreatur der Welt Gleichberechtigung oder gar Gleichheit erfährt.
Da sprichst du mir aus dem Herzen. :)

Danke euch für eure Rückmeldungen.

Liebe Grüsse
Raki

 

Dieses Problem hatte es früher nicht gegeben, denn etwas bezeugen konnten nur Männer. :D

Im Ernst – Wikipedia sagt: Im antiken Rom wurde ein Eid mit Berühren der Hoden geleistet, das lateinische Wort testis für Hoden bedeutet eigentlich Zeuge

Im Italienischen ist das noch deutlich zu sehen – dort heißt Zeuge testimone (von lat. testis). Im Deutschen ist das nicht viel anders, denn Hoden dienen der Zeugung, wovon das Wort Zeuge herkommt, schließlich haben wir zu großen Teilen römisches Recht übernommen, das zur Zeit der Übernahme lateinisch formuliert war.

Duden sieht das allerdings anders. :rolleyes:

 
Zuletzt bearbeitet:

Dion schrieb:
Duden sieht das allerdings anders. :rolleyes:
Vermutlich, weil die Dudenredakteure keine Eier mehr haben. :Pfeif:


(Im Ernst jetzt, Dion: vielen Dank für die interessanten Ausführungen.)

 

Danke, Dion,

für die kleine Exkursion! In der Tat habe ich auch nur jene Erklärungen gefunden, welche auch schon Friedrichard erwähnt hat ("Ziehen vor Gericht")... Das scheint wohl die kinderfreundliche Variante zu sein ;)

Spannend, was das so alles zum Vorschein kommt ... äh, ja. :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Nee, kinderfreundlich ist nix beim Zeugen!, aber auch nicht unbedingt frauenfreundlich ...


Ich noch mal, auf die Gefahr hin, lästig zu werden,

liebe raki,
aber die Dudenredaktion braucht fürn Zeugen auch keine Eier und erst recht nicht, wenn einer „Gott zum Zeugen“ anruft. Das wäre eine Posse, wenn der seinen Hoden mit der Hand wärmen müsste. Aber ernstlich:

Im lex Bajuvarium taucht zum ersten Mal 772 ein weder lateinisches noch entlehntes „zauganzuht“ auf, und selbst wenn es kein ahd., sondern ein altes Bairisch ist, kann selbst der Nicht-Bayer und –Österreicher daraus eine „Zeugenzucht“ erkennen. Die gesicherte Ablautstufung lässt den „Zeugen“ nur vom Verb „ziehen“ zu und hat recht wenig mit Geschlechtsteilen oder überhaupt der Zeugung zu tun.

Zeugin, „f., zu zeuge, das an sich ohne diese form auskommen kann“, so noch die Grimm bros., taucht das erste Mal 1499 in Straßburg auf als „zügin“.


Quellen: Das Deutsche Wörterbuch, Bd. 31, Stichworte Zeuge und Zeugin.

Tschüss

vridel,
itzo ist genug, auf zwo Geräte zu glotzen ...

 

Ich noch mal, auf die Gefahr hin, lästig zu werden,

Nein, gar nicht!

Lieber Vridel :),

danke für die Richtigstellung. Mich dünkte doch auch die Herkunft von Ziehen einleuchtender, oder besser gesagt, richtig (wobei die Wikipedia-Geschichte noch ein gewisses Mass an Witz hat, irgendwie :)). Danke dir auch für die wirklich interessanten Hinweise - ich sitze nur hier und staune, woher du das alles weisst; lasse mich sehr gerne belehren!

Liebe Grüsse und einen schönen Abend
Raki

 
Zuletzt bearbeitet:

- ich sitze nur hier und staune, woher du das alles weisst; lasse mich sehr gerne belehren!
Mich deucht, ich sollt' und dürft' es Dir verraten,

Raki,
sofern Du es nicht weitersagst ... Drei Quellen sind`s:

a) Bücherwurm mit ausgezeichnetem Gedächtnis, vor allem wo was zu finden sei

b) irreligiös gegenüber den neuen Religionen Konsum und Internet und Ungläubiger gegen Werbung, der auch „Marketing“ studiert hat und weiß, wie's geht. Selbst Wiki… ist gegen Werbung nicht gefeit wie überhaupt Internet und co.

c) riesiger Zettelkasten, zu dem der ausrangierte XP-Rechner umfunktioniert wurde (ist natürlich beim Scannen richtig Arbeit)

zusammengefasst:

d) siehe Quellenangabe, wobei für den ersten Durchgang Duden Bd. 7, das Herkunftswörterbuch, ausreichte … und der eh glaubwürdiger als alle Wiki... nebst Ablegern.

Gruß

Friedel

 

Zitat: „es mögen nit zeügen kinder, die under vierzehen jaren seind, noch weyber, dann in etlichen sachen“

Warum? Weil weder Knaben noch Weiber zeugungsfähige Hoden haben. :D

Außerdem: Wenn dem so wäre, wie Du, Friedel, schreibst, dann kommt auch das Wort „Zeug“ vom „ziehen“. Aber das Wort „Zeug“ bedeutet was ganz anderes als das Wort „Zeuge“ oder „zeugen“ und alle davon abgeleiteten Wörter wie erzeugen, was man auf Zeugung oder Erzeugung (durch Hoden) eines Kindes beziehen kann, und nicht auf das Ziehen oder das Erziehen dessen.

Übrigens kenn auch Duden z.B. das Testimonium als Zeugnis aus lateinischem testimonium hervorgehend (zu: testis = Zeuge). Gleiches für testieren in der Sprache des Rechts als für „ein Testament errichten“, mit folgenden Synonymen: attestieren, beglaubigen, bescheinigen, bestätigen, beurkunden, bezeugen, quittieren, zugestehen; (bildungssprachlich) konzedieren, zertifizieren.

Dass Zeuge eine Übersetzung aus lat. testis (Hoden) ist, zeigen auch Wörter wie z.B. Testat (schriftliche Bestätigung) oder Attest (ärztliche Bescheinigung, Zeugnis). Neben dem schon erwähnten italienischen testimone für Zeugen, gibt es ähnliche Ableitungen auch im Englischen: to testify für als Zeuge aussagen. Und im Französischen: testimonial, testimoniale für Zeugen. testimonial gibt es mit gleicher Bedeutung auch im Spanischen, im Portugiesischen gibt es testmunha für Zeugen.

Überall, wo die Römer waren, gibt es die gleiche Herkunft für das Wort Zeuge/n, nur in Deutschland soll es anders gewesen sein?

 
Zuletzt bearbeitet:

Überall, wo die Römer waren, gibt es die gleiche Herkunft für das Wort Zeuge/n, nur in Deutschland soll es anders gewesen sein?

Wie naiv muss ich eigentlich sein, so’n Zeugs zu glauben, der Imperativ zeuch! (= zieh!), die Redewendung „jemandem am Zeug flicken“, Zeuge eines Vorfalls zu sein und ein Kind zu zeugen und im Gegensatz dazu, dessen Geburt zu bezeugen, sei aus - vermutlich wegen optischer und lautlicher Ähnlichkeit) einer Wurzel entstanden, einer lateinischen zudem? Das Wort „Zeuge“ taucht frühestens im 12. Jh. auf („geziuc/geziuge“, worinnen „ziehen“ noch zu erkennen ist). Reichert [, Hermann: Nibelungenlied-Lehrwerk. Sprachlicher Kommentar, mittelhochdeutsche Grammatik, Wörterbuch. Passend zum Text der St. Galler Fassung („B“)] bildet die Reihe „ziehen – ziuhe – ziuhest- ziehent – zôh – züge“ oder
„zuge – zugen – gezogen“,

lieber Dion,

aber den Zeugen gab es vordem schon, denn im Niederfränkischen (das, was an der Rheinschiene gesprochen wurde und heute noch im Rheinischen und im Niederländischen weiterlebt) bezeichnete „urkundo“ den Zeugen (Peter Paul Schweitzer: Altdeutscher Wortschatz. Ein sprachgeschichtliches Wörterbuch), im ahd., wie schon erwähnt, „urkundi“ (Gerhard Köbler: Chronologisches Wörterbuch des Althochdeutschen). Jahrhunderte zuvor brauchte Wulfila auch schon keine lateinische/griechische Entlehnung, weil selbst die Goten ein eigenes Wort für den Zeugen hatten: weitwoþs, fürs erzeugen – um nur ein Beispiel zu nennen - „usatjan“, wo selbst wir noch das „aussetzen“ drin erkennen können. Das Verb „ziehen“ schrieb sich bei den Goten „tiuhan“ (Köbler: Chronologisches Wörterbuch des Gotischen), das dem „ziohan“ („h“ wahrscheinlich wie unser „ch“ ausgesprochen) im ahd. sehr nahe kommt.

Ich werde aber nun keinen Mundraub unterstellen und behaupten, die westgermanistische Zunge habe es von der ostgermanistischen übernommen.

Zweifellos haben die Römer uns das Fenster gebracht und das Testat und den Testamentsvollstrecker, nicht aber die Urkunde und den Zeugen und erst recht nicht den Hoden. Dass sie vor den Runen schon eine Schrift kannten und ein nahezu schon bürgerliches Recht mit einer eigenen Rechtsprache entwickelten, als die Bärtigen jenseits des Rheins und nördlich der Donau noch mit Holzklötzchen spielten, ist doch gut.

Man muss ja auch nicht immer wieder das Rad neu erfinden, meint der

Friedel
Kurz: Welche Quellen gibt den wer unter Wikipedia an?

 

Zweifellos haben die Römer uns das Fenster gebracht und das Testat und den Testamentsvollstrecker, nicht aber die Urkunde und den Zeugen und erst recht nicht den Hoden.
Warum weist Du hier etwas zurück (dass die Römer uns die Urkunde und den Zeugen gebracht hätten), was ich nicht behauptet habe?

Ich habe gesagt, dass wir das römische Recht übernommen haben (es war übrigens bis zum 1.1.1900 (Inkrafttreten des BGB!) bei uns gültig), und damit möglicherweise auch eine Übersetzung dessen, wie die Römer das mit dem Eid und dem Zeugen (vor Gericht und anderswo) gehandhabt haben. Wäre doch möglich oder?

Welche Quellen gibt den wer unter Wikipedia an?
So eine Frage zu stellen ist an Scheinheiligkeit – in Bayern sagen wir zu so einem Verhalten: hinterfotzig - kaum zu überbieten, hast Du doch selbst im von mir verlinkten Artikel gesehen, dass es dort dazu keine Quellenangabe gibt.

Aber natürlich gibt es Quellen anderswo. Eine davon ist Sexualität und Religion - Zitat:

Da für das Volk Israel Fruchtbarkeit von entscheidender Bedeutung war, sah man die männlichen Geschlechtsorgane als unverletzlich, fast als heilig an. Als zum Beispiel Abraham seinen Knecht aussandte, um eine passende Frau für seinen Sohn Isaak zu finden, forderte er ihn auf, einen heiligen Schwur abzulegen. Also legte der Diener seine Hände um Abrahams „Hüften" (eine Umschreibung für die Geschlechtsorgane) und schwor zu Gott, er werde dafür sorgen, dass sein Sohn keine Nicht-Jüdin heiraten müsse (1. Mose 24, 2-4). - Dieses Ritual ist einem Brauch der alten Römer ähnlich, wo man die Hoden berührte, während man einen Schwur tat. Das lateinische Wort „testis" („Zeuge der Wahrheit") ist noch heute in unserem medizinischen Begriff für Hoden (Testis) enthalten.

 

Oh, da muss ich was missverstanden haben,

lieber Dion,

aber ging es um das römische Rechte als Blaupause fürs bürgerliche Recht - das übrigens mit dem code civil und den Napoleonischen Eroberungskriegen über den Rhein kam, oder um die Herkunft des Wortes "Zeuge/Zeugin"?

Nun ja, ich fühlte mich gerade genötigt, entgegen meinen Gewohnheiten, in Wikipedia nachzuschauen - und was sehe ich da

"Wortherkunft[Bearbeiten]

Etymologisch leitet sich der rechtliche Begriff Zeuge über die mittelhochdeutsche Form (ge)ziuc „Zeugnis, Beweis“ vom Verb ziehen ab und ist ursprünglich also im Sinne vom Ziehen vor Gericht zu verstehen, wie es bereits in althochdeutschen Quellen mit der Formel zi urkundin ziohan „zum Zeugnis heranziehen” schriftlich belegt ist.[1] ..." *

und das sogar mit Quellenangabe (was mich natürlich nicht zum Freund Gott guugel & co.machen wird. Der Beitrag fährt fort

"... Das häufig verwendete Substantiv Augen-zeuge ist eine direkte Lehnübersetzung zum lateinischen testis ocularis, dessen Grundwort testis „Zeuge“ u.a. dem deutschen Verb testieren „bezeugen“ zu Grunde liegt."*

So, und wenn ich dn ungeliebten Altkanzler Schröder zitieren darf - "basta"!

Friedel

* http://de.wikipedia.org/wiki/Zeuge

 

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