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Höhenangst

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11.07.2004
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Höhenangst

Sie hatte Höhenangst. Jedes mal, wenn sie auf einem Balkon oder an einem Fenster stand, merkte sie, wie eine unsichtbare Kraft sie nach unten zog. Die Angst zu fallen war dann das einzige, was sie fühlen könnte. Deshalb hatte sie es auch gehasst, in die neue Wohnung zu ziehen. 10. Stock. Sie konnte sich nicht einmal darüber freuen, dass ihr Zimmer riesig war, fast 25 m², und durch das große Fenster im Osten jeden morgen goldenes Licht fiel und den hellbraunen Parkettboden beschien.

Während sie die Feuerwehrautos, tief unter ihr, zusammenfahren sah und Schritte die Treppe hinaufkommen hörte, musste sie an den Morgen in der Schule denken.

„Scheiße“

Eine Träne rann über ihre Wange.

„Nicht weinen, dieses Arschloch bringt dich doch nicht zum heulen.“

Sie schloss die Augen und riss sie sofort wieder auf. Sie hatte in seine schrecklich blauen Augen gesehen. Andere hätten sie vielleicht schön blau oder azur blau genannt. Zu denen hatte sie bis heute morgen auch noch gezählt. Aber jetzt waren sie nur noch schrecklich.

„Nein, Mia, tu es nicht!“

Was nicht machen?

„Es war nicht so gemeint, es war anders als du glaubst, Mia!“

Sie ging einen Schritt zurück, weg von den Stimmen, hin zum Abgrund. Die, die ihren Namen gerufen hatten, verstummten schlagartig. Einer löste sich aus der Gruppe, die immerhin noch kurz hinter der Tür zum Treppenhaus stand, das vom Dach führte. Natürlich war es Felix. Seine blauen Augen sahen ein wenig schuldbewusst aus. Zu wenig, entschied sie, ging noch mal einen Schritt zurück.

„Geh, geh weg, oder ich mach es!“

Er blieb stehen.

„Komm, Mia, das bringt doch nichts, es war nur ein Scherz!“

„Haha, sehr witzig! Pass auf, das ich nicht noch vor Lachen vom Dach falle. Es war schon ziemlich lustig, mich immer zu ignorieren. Und dann, als ich es fast nicht mehr ausgehalten habe...“

Dann hatte er sie endlich wahrgenommen. Hatte sie eingeladen. Felix, der so perfekt war, dem sie schon seit ihrem ersten Tag in der neuen Schule hinterhergelaufen war. Die Monate, in denen keiner mit ihr sprach hatte sie nur von einer Berührung mit ihm geträumt. Er hatte sie eingeladen, war mit ihr im Kino gewesen. Aber jetzt...

„Nein, denk da nicht dran, das macht alles nur noch schlimmer“

Sie war hier nie glücklich gewesen. Hatte nie mehr gelacht. Und seit diesem... Ding mit Felix am Morgen war alles noch schlimmer geworden. Als sie ihn jetzt ansah, fingen ihre Augen an zu brennen. Sie schloss sie, damit ihnen keine Träne entkam. Er sollte nicht sehen, wie sehr es wehtat.

Kaum waren ihre Lider geschlossen, sah sie wieder alles vor sich. Herrn Klein, den Lehrer, der vorher mit ihrer Mutter darüber gesprochen hatte, dass er versuchen wollte, ihr den Einstieg in die neuen Klasse so leicht wie möglich zu machen. Sie sah, wie genau dieser Herr Klein den Zettel vorlas, mit lauter Stimme, wie seine Augen vor Schadenfreude nur so glänzten. Sie hörte förmlich noch, wie alle lachten, wie ER lachte, wenn auch nicht ganz so breit und so laut wie sonst.

Irgendwo, in einer der Mädchenzeitschriften ihrer Schwester, wahrscheinlich in „Sugar“ oder „Yam“, hatte sie gelesen, dass es nichts schlimmeres gäbe, als wenn der Freund über das Telefon Schluss macht. Diese Schreiberlinge hatten keine Ahnung von der Realität einer 16- Jährigen. Die schlimmste Art, eine Beziehung zu beenden, ist öffentlich. Und wenn dann noch zufällig alle plötzlich wissen, dass er dich nur genommen hat, weil er dachte, du seiest leicht rumzukriegen, ist die Hölle.

Sie hatte ihn geliebt. Oder das wenigstens geglaubt. Jetzt fand sie ihn nur noch schrecklich.

„Schrecklich, ekelhaft, zum Kotzen, Arschloch, Schwein“

Sie hasste sein Lächeln, die Art, wie er jetzt um Worte rang, um sie daran zu hindern, hasste seine blauen Augen. Vor allem die hasste sie.

Sie hatte sich schon öfter überlegt, Tabletten zu schlucken. Ging aber nicht, weil ihre Mutter nur homöopatische Medizin kaufte und benutzte. Und diese kleinen weißen Kügelchen konnte man bekanntlich in Massen schlucken, ohne irgendeinen Schaden anzurichten.
Eine andere Möglichkeit wäre natürlich gewesen, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Aber sie war wehleidig. Schon ein aufgeschürftes Knie trieb ihr die Tränen in die Augen.
Da war diese Möglichkeit immer noch die beste!

„Es war nicht so, wie du denkst, Mia! Peter hat mir den Zettel geschickt, er wollte mit seiner Freundin Schluss machen, nicht ich mit dir!“

Sie wollte ihm glauben. Nichts hätte sie lieber getan. Aber sie hasste es, wie er versuchte, sie anzulügen. Er war ein miserabler Lügner.

Mia atmete tief durch. Sie machte einen kleinen Schritt.
Nach vorne. Sie schlug ihn ins Gesicht, trat ihn, stürmte auf die Treppe zu und rannte, rannte um zu vergessen.

 

hallo jägerin - zuerst mal: ein herzliches willkommen auf kg.

also zwei dinge gefallen mir sehr gut an deiner geschichte: die (unerwartete) schlusspointe und die blauen augen, die Felix durch die ganze story begleiten - mal lieb, mal böse.

ob der titel passt, bin ich mir nicht so sicher. sicher ist aber, dass die höhenangst deine protagonistin vor dem tod bewahrte.

ansonsten ist die geschichte flüssig geschrieben, mit den unterschiedlichen darstellungen hast du klar "handlung" und "gedanken" getrennt, so, dass auch der lesefluss dadurch nicht gehemmt wurde.

mach weiter, es lohnt sich!
herzliche grüße
ernst

 

Hallo, und danke für die nette Begrüßung. *g*

Also, der Titel gefällt mir auch nicht... ich hab das nicht so mit denen. Reicht ein dackelblick, damit ihr mir einen guten vorschlag macht?
Naja, klar könnte sie sich umbringen, auf ganz einfache art, aber das hätte mir keiner geglaubt. In ihr schwingt zuviel momentane Wut, zu wenig tiefe Verzweiflung, um diesen Schritt zu tun, glaube ich, da gebe ich dir Recht.
Danke dass ihr alle so lieb seit, und mich bestärkt (ich weiß, bin eine kleine Schleimerin ;) )

Grüße von der
Jägerin

 

Hallo!

Im Großen und Ganzen gefällt mir der Text ganz gut - saubere Arbeit! ;)

EIn paar Dinge, die mir aufgefallen sind:

- Der allererste Satz gefällt mir irgendwie überhaupt nicht. Er tut eigentlich nichts wesentliches, ausser den Titel zu wiederholen und wirkt auch sprachlich sehr platt. Man könnte ihn m.E. ersatzlos streichen oder besser noch: Einen ersten Satz wählen, der einen sofort in die Situation einführt. Sowas wie "Eigentlich sollte sie gar nicht hier sein." - in der Richtung halt.

- Der Schluss wiederum gefällt mir - die Entscheidung fürs Leben und ein Tritt in die Eier für Mr. Blueyes! :D Da steckt eine starke Botschaft drin, von der ich mir wünsche, mehr junge (und ältere) Frauen schrieben sie sich auf die Fahne. Da ich zudem kein großer Freund von allzu weinerlicher, pseudo-romantischer Suizid-Dramatik bin - und ich hatte diese Geschichte eine Weile auch in Verdacht - war ich von diesem Schluss umso angenehmer überrascht! :thumbsup:

- Ich hatte beim ersten Lesen allerdings ein wenig Schwierigkeiten, mich in der Story zurechtzufinden - inbesondere die kursiven Textteile haben mich beim ersten Mal irgendwie irritiert, weil ich nicht zuordnen konnte, ob dass jetzt ihre Gedanken sind oder ob evtl. jemand neben ihr steht und mit ihr redet oder ob sie sich an die Worte von einer Freundin erinnert - ich versuch aber noch mal rauszukriegen, ob das am Text liegt, oder ob mich momentan tatsächlich ein dezentes Aufmerksamkeitsdefizit beutelt. ;)

Alles in Allem: Story okay! Weiter so!

Gruß,
Horni

 

Morgen, Horni!

Also, was du von mir denkst! Als ob ich schrecklich schnulzige suizid dramens schreiben würde, nee, soweit kommt's noch! Und weiterhin glaube ich wirklich, das du unter ADS leidest... da gibt's so ganz tolle fragebögen, die man sich beim kinderarzt abholen kann, und die dann deine mama ausfüllen muss *G*
Aber noch mal zum verständnis... Sie redet mit sich selbst, das kursive ist das, was sie denkt und nicht ausspricht. Und sie redet eben in der 2. person mit sich... wenn ich EXTREM verzweifelt, wütend oder traurig bin, mach ich das auch. Wenn mit aber noch jemand sagt, das sei nicht verständlich genug ändere ich es eben noch!

grüßend,
Jägerin

 

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