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Helden des Amok
Amok: malaiisch; „wütend“; „Wut“; siehe auch:
Amoklaufen: „mörderische Raserei“; „mit einer Waffe umherlaufen und blindwütig töten“
Donner. Bleikugeln bahnen sich ihren Weg. Im Vorbeifahren zerbrechen Schaufensterscheiben, zerschlägt Putz an den Wänden. Menschen werfen sich zu Boden, schreien, bluten. Er rast vorbei, lächelt. An seiner Hand rüttelt die Uzi.
Ich fühle sie, die unbändige Kraft. Heute! Jetzt! Niemand soll mir entgehen. Ich werde sie alle richten. Bin Strafe Gottes. Bin Vergeltung.
Patronenhülsen klimpern über das Türblech. Er rast noch immer die Straße hinunter. Mit einem Mal herrscht Ruhe. Die Maschinenpistole ist leer! Er wirft sie zu den anderen Waffen.
Alle leer. Munition! Wo?
Eine große Leuchtreklame erscheint am Straßenrand. Der Name „Markethall“ ist darauf zu lesen.
Da! Genauso gut wie irgendwo sonst!
Die Räder rumpeln über die Bordsteinkante des Parkplatzes. Auf andere Autos wird keine Rücksicht genommen. Reifenquietschen. Vor einer Glaseingangstür kommt der Wagen zum Stehen. Er zieht den Schlüssel ab und atmet tief ein.
Das Handschuhfach verbirgt seine letzte Waffe: eine fünfundvierziger Magnum.
Sechs Schuss bis zum Waffenladen. Das muss reichen!
Er steigt aus, schließt nicht ab. Plötzlich surren die großen Glastüren. Eine junge Frau kommt herausgerannt. Sie schaut sich ängstlich um. Erneut lächelt er. Die Magnum zielt auf ihren Kopf. Der Frau sieht ihn ungläubig an. Schmale Lippen und große Augen. Wie ein Reh. Mit einem Mal springt sie durch die Hecke am Parkplatzrand. Eine Kugel fliegt ihr hinterher, verfehlt sie.
Soll ich ihr folgen? Nein.
Innen gefliester, kalter Boden. Weit hallen seine Schritte. Der Gang ist lang und leer. Die anliegenden Läden sind erleuchtet. Er kann niemanden darin entdecken. Nur fröhliche Gesichter auf Plakaten.
Flache Menschen ohne Leben mit inhaltslosem Lachen.
Er geht einfach weiter.
Wo ist das Waffengeschäft?
Durch das Deckenlicht dringt gefiltertes Sonnenlicht. Es beleuchtet sanft drei Stockwerke. Er steht jetzt in der Hallenmitte, im Atrium. Allein. Von allen Seiten grinsen die Schaufensterpupen.
Glücklich. Ausstaffiert. Hirnlos. Gedankenlos.
Erneut lächelt und zielt er, verschwendet aber keine Kugel. Dann geht er zum Etagenlageplan an der Rolltreppe.
Wo ist das Waffengeschäft?
Plötzlich Krachen. Schüsse im ersten Stock. Er lauscht aufmerksam. Ersticktes Schweigen! Er stellt sich auf die automatische Treppe, fährt hinauf. Knackend spannt sich der Hahn unter seinem Daumen. Die Magnum ist bereit.
An der rechten Seite erscheint entfernt ein Gesicht. Das Gesicht eines Mannes. Es lächelt ihn an. Die Treppe unter ihm fährt zügig nach oben. Er hebt erneut den Arm, zielt mit ausgestreckter Magnum auf den Mann. Dieser bewegt sich nicht, lächelt weiter, zielt selber - mit seiner Kalaschnikow in die Schulter gedrückt.
Wilde Schüsse zerreißen die Luft. Funken schlagen ringsum aus dem Treppenmetall. Zeitgleich sein Schuss in Richtung des lächelnden Mannes. Blut spritzt, befleckt rot die Decke. Das andere Lächeln verschwindet im Donner.
Ein Ruck in der Schulter reißt ihn rum. Der Atem versagt. Warme Flüssigkeit breitet sich unter seiner Jacke aus. Er sackt zusammen, stützt sich auf die Stufen. Die Treppe ruckelt beharrlich weiter.
Nein! Noch nicht jetzt. Es waren so wenige. Viel zu wenige! Schwach! Bin so...
Langsam rutscht ihm die Magnum vom Finger, holpert klackend die Stufen hinunter.
Oben angekommen fällt er auf den Fliesenboden, bleibt starr liegen. Er sieht Leichen und Verletzte, neben ihm, vor ihm, hinter ihm. Schwärze breitet sich aus. Ihm friert. Jemand kommt näher. Fürsorgliche Worte klingen in seinen Ohren. Dann wird es still.
„Jetzt bei den Achtzehn-Uhr-Nachrichten auf CSN: Ein bisher unbekannter Mann stoppt im Alleingang den Amoklauf eines Wahnsinnigen in einem örtlichen Kaufhaus. Mit seiner heldenhaften Tat rettet er vierundvierzig Eingeschlossenen - davon dreizehn schwer verletzt - das Leben und wird selber lebensgefährlich verwundet. Für vierzig weitere kommt leider jede Hilfe zu spät. Unser Berichterstatter vor Ort, Dante Hicks, wird Ihnen gleich...“