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Hoffnung
Es ist schwieriger geworden. Noch vor einigen Jahren hatte Konversation für mich einen Beiklang von Vergnügen und Leichtigkeit. Ich unterhielt mich gern über die interessanten Themen der Zeit, mit Freunden und Bekannten, mit Familienmitgliedern oder auch mit Fremden, denen ich zufällig begegnete.
Heute ist es nicht mehr möglich, die großen Probleme zu diskutieren und dann beiseite zu legen, ohne dabei das Gefühl zu haben, sich schuldig zu machen. Schuldig, schuldig, für jedes Wegschauen von all den drängenden Fragen, die die Zukunft unserer Kinder betreffen, für jedes Reden ohne Handeln.
Merkwürdigerweise scheint es trotzdem salonfähiger geworden zu sein, egoistisch zu sein. Man kann allein die Welt nicht retten, sollte nicht blind vertrauen, sich selbst nicht gefährden oder übers Ohr hauen lassen und verzichtet haben wir durch Corona nun wirklich lange genug. Wir sind nett, sorgen uns um unsere Familie und pflegen Umgang mit Unseresgleichen. Ansonsten tun wir, wozu wir Lust haben. Wir haben die Mittel, also haben wir das Recht. Im Grunde glauben wir das und leugnen die Realitäten oder gucken verzagt, je nachdem.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich der Himmel über der Welt immer mehr zuzieht, dass es dunkler wird, trotz der wohl durchdachten Spenden, die wir von der Steuer absetzen können und die unser Gewissen beruhigen. Wenn ich Gott wäre, wäre ich schon längst verzweifelt an der Krone meiner Schöpfung. Schon oft habe ich mich gefragt: Worauf hofft er nur?
Doch gestern ist mir etwas Besonderes passiert und ich staune noch immer darüber.
Mein Mann ließ mich am Supermarkt aussteigen, denn es fehlten uns noch zwei, drei entscheidende Zutaten für unser geplantes Essen. Ich selbst hatte keine Tasche mitgenommen, also überließ er mir 20 Euro aus seinem Portemonnaie und eine Plastiktüte aus dem Seitenfach der Autotür. Natürlich fielen mir im Laden noch etliche andere Dinge ein, die auch gekauft werden mussten. Vielleicht waren die zwei Packungen Minipizzen nicht lebensnotwendig, aber die Kinder hatten schon so oft davon gesprochen und diesmal dachte ich eben daran. Auch die Äpfel waren alle, das Geschirrspülmittel fast, das Vanilleeis und die Taschentücher ebenfalls. Salzbrezeln brauchte ich für das Schulfrühstück meiner dünnen Tochter, die lieber nichts als ein normales Schulbrot aß. Schafskäse, Zwiebeln und Cocktailtomaten hatte ich. Ach du Schreck, das Toilettenpapier hätte ich fast vergessen... Wahrscheinlich war ich nun über mein momentanes Budget geraten.
„Ich bin mir nicht sicher, ob meine 20 Euro reichen“, kündigte ich der Verkäuferin an der Kasse gleich an. „Notfalls tue ich was zurück.“ Die unwichtigeren Sachen schob ich schon einmal nach hinten.
Natürlich war es auch so. Ärgerlich. Doch das Eis konnte noch warten. Die Taschentücher reichten noch übers Wochenende und auch die Kokosmilch brauchte ich nicht jetzt.
„Sie müssen das Eis aber bitte zurückbringen, das verdirbt mir hier an der Kasse.“
„Kein Problem, das mache ich.“ Etwas verlegen lächelte ich den hinter mir stehenden Leuten zu und bezahlte. Andere hätten vielleicht mitgerechnet.
„Wieviel fehlen Ihnen denn?“, fragte plötzlich die Frau hinter mir. Sie hatte nur drei Sachen auf dem Band liegen. Ich war etwas erschrocken, denn normalerweise bot mir niemand Almosen an. Ich hatte sie auch nicht nötig.
„Das ist doch egal, ich kann das beim nächsten Mal kaufen“, versicherte ich ihr. "Vielen Dank!"
„Ja, aber wegen ein paar Euro ist das kein Problem!“ Sie suchte im Münzfach ihrer Geldbörse.
„Nein danke, es ist alles in Ordnung!“ Ich lächelte, ließ meinen Einkaufswagen hinter der Kasse stehen und brachte das Eis zurück in den Gefrierschrank.
Als ich zurück kam, war auch der Mann hinter der freundlichen Frau schon am Bezahlen. Auf dem Weg zum Ausgang überholte er mich und plötzlich lagen 20 Euro auf meiner Einkaufstasche.
„Hallo, Sie haben hier gerade Geld verloren!“, rief ich ihm nach. Er hörte mich nicht.
„Hallo“, rief ich noch einmal, dann war ich mir plötzlich nicht mehr sicher, ob er mich wirklich nicht hörte. Was war denn das? Sollte ich das Geld einfach behalten? Aber weshalb? Nein, das ging nicht! Ich rannte los und rief ihn draußen zum dritten Mal. Diesmal drehte er sich um.
„Es ist schon okay“, lachte er mich an.
„Nein, ich brauche es aber nicht“, versuchte ich mich wieder zu erklären.
„Keine Ahnung, vielleicht haben Sie nicht genug Geld dabei gehabt. Ist doch okay!“
Ich war nun fast verzweifelt und sah an mir herab. Hatte ich heute komische Sachen an? Sah ich irgendwie wie eine Obdachlose aus? Lag es an der Plastiktüte und dem losen Geldschein?
„Es ist wirklich nett von Ihnen,“ holte ich nun etwas weiter aus, „aber ich brauche es wirklich nicht! Geben Sie es jemandem, der es nötig hat! ... Es gibt so viele“, setzte ich nach.
Wir sahen uns an und lächelten. Dann nahm er den Schein zurück. Er nickte.
„Okay. Das stimmt, es gibt Vieles und Viele.“ Sein Lächeln war eindeutig strahlend. Tat er so etwas öfter? Oder etwas anderes, er schien ein Mann der Tat zu sein, auch auf die Gefahr hin, einmal daneben zu liegen. Er drehte sich um und lief auf den Parkplatz. Ich sah ihm nach mit seiner Flasche Wein unter dem Arm und musste ein bisschen lachen. Und den Kopf schütteln. Das glaubte mir keiner!
Und plötzlich dachte ich: Vielleicht hofft Gott auf auf solche Leute. Vielleicht hoffe ich auch auf sie. Ich will nicht verzagen, sondern mutig sein. Solange es Menschen gibt, bei denen Sehen, Lächeln und Handeln zusammengehört, gibt es Hoffnung, jeden Tag neu.