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Honig für Knecht Ruprecht

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19.08.2003
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Honig für Knecht Ruprecht

Honig für Knecht Ruprecht

„Du“, fragte Philip, „tut das nicht weh, das an deiner Stirn?“
Er hatte die Schulter des Mannes angetippt, den er seit einigen Minuten beobachtet hatte und der bewegungslos, mit gesenktem Kopf, auf der Eingangsstufe zum Theater kauerte. Der Mann blickte auf, mit einem müden Lächeln, winkte ab und sagte mit heiser krächzender Stimme: „Nein, nein, das ist nur ein Beule, hab mich gestoßen, geht bald wieder weg.“
Philip kramte in seiner Hosentasche herum, zog einen zerknautschten Schokoriegel hervor und hielt ihn dem Fremden hin.
„Hier, bitte“, sagte er, „ich hab noch einen davon.“
Der Mann auf der Treppe bedankte sich und senkte wieder seinen Kopf.
„Hallo“, sagte Philip und stupste den Mann erneut an, „du musst ihn probieren, der ist super. Ich habe mir noch ganz viele vom Nikolaus gewünscht.“
Der Angesprochene sah Philip an und lächelte verstehend.
„Und wie viel sind ganz viele“, fragte er.
Philip streckte beide Hände vor und spreizte alle Finger ab. „ So viele Viele“, sagte er wie selbstverständlich.
„Der Nikolaus wird dir deinen Wunsch sicher erfüllen“, sagte der Mann und riss die Folie um den Riegel auf, biss ein Stück davon ab und nickte anerkennen mit dem Kopf.
„Du hast einen guten Geschmack Philip, dieser Riegel ist wirklich spitze. Nur iss am Nikolaustag nicht gleich alle auf, sonst bekommst du noch Bauchschmerzen.“
„Vielleicht bekomme ich ja auch nichts, ich war nicht immer ein lieber Junge, glaube ich“, antwortete Philip.
„Denk nicht an so etwas“, widersprach der Mann. „Ich kenne den Nikolaus und in seinem großen, goldenen Buch habe ich von dir bisher nur Gutes gelesen.“
„Du kennst den Nikolaus?“ Philips Augen waren weit geöffnet vor Überraschung.
„Klar doch, schon seit Jahren“, hörte er mit Erstaunen und wusste nicht, was er dazu sagen sollte.
„Wie heißt du denn?“, fragte er statt dessen.
Der Mann, der den Nikolaus kannte, streckte ihm seine Hand entgegen und sagte nun über das ganze Gesicht lächelnd: „Ich bin Rupert, schön dich kennen zu lernen Philip.“

„Philip! Philip!“, hörte er die Stimme seiner Mutter, „wo steckst du?“
„Hier Mama“, rief er, „ich bin immer noch hier, und ich gehe nicht weg, und ich laufe auch nicht auf die Straße!“
Seine Mama wollte Karten für das Weihnachtsmärchen im Theater kaufen. Es waren jedoch so viele Leute gekommen, dass sie in einer langen Schlange warten musste. Ihm war das zu langweilig geworden. Draußen auf dem Theatervorplatz war es viel interessanter. Nun hatte seine Mama schon das dritte Mal nach ihm gerufen. Er verstand ihre Sorge nicht, er war doch schon ein großer Junge. Und wie überrascht würde sie sein, wenn er ihr von Rupert erzählen würde, dem Mann, der den Nikolaus kannte. Da er doch ein wenig skeptisch war, ob das denn nun wirklich stimmte, wandte er sich erneut an Rupert. Er wollte nicht so direkt sein Misstrauen zeigen, und so fragte er: „Warum sitzt du hier, musst du nicht arbeiten wie mein Papa?“
„Weißt du“, erklärte Rupert, „viele Menschen verlieren heutzutage ihre Arbeit und finden nichts Neues. Dann setzen sie sich auf eine Bank oder wie ich hier auf eine Stufe und überlegen, wie sie das ändern können. Der Nikolaus“, er machte eine kleine Pause, „der Nikolaus, der hat es gut, der hat jedes Jahr zu tun.“
„Stimmt“, bejahte Philip, „und auch Knecht Ruprecht braucht sich keine Sorge machen, der reist immer mit dem Nikolaus.“
„Oh, Oh,“ warf Rupert ein, „Knecht Ruprecht ist nur für die bösen Kinder zuständig, und wenn ich dich so betrachte, dann glaube ich dem Nikolaus, der sagte, dass es heute nur noch liebe Kinder gibt.“

„Komm, mein Schatz, die Theaterkasse hat vor meiner Nase zugemacht, morgen kommen wir noch einmal her“, wurde er von seiner Mama angesprochen, die Rupert freundlich zunickte und den Autoschlüssel aus ihrer Manteltasche nahm. Während der Fahrt nach Hause, hatte seine Mama aufmerksam der Geschichte von ihm und Rupert gelauscht, und auch sein Papa fand später zu Hause, dass es wohl ein tolles Erlebnis gewesen sei.

„Nun aber ab ins Bett!“, sagte Mama kurz nach dem Abendessen, „morgen müssen wir beiden wieder früh raus, sonst bekommen wir keine Karten mehr.“
Philip kuschelte sich in seine Decke ein, nur einschlafen konnte er nicht. Immer wieder musste er an Rupert denken. Woher kannte der den Nikolaus. Mama hatte immer erzählt, dass kein Mensch je den Nikolaus gesehen hätte, sondern immer nur die Süßigkeiten, die bei lieben Kinder am Nikolaustag im Strumpf oder auf einem bunten Teller zu finden waren.
Schließlich siegte aber die Müdigkeit. Doch kurz vor dem Land der Träume schreckte er auf.
Oh Mann, dass er da nicht früher drauf gekommen war, Rupert war Knecht Ruprecht! Er hatte Knecht Ruprecht kennen gelernt! Rupert hatte gewusst, dass er Philip hieß, und zwar ohne dass er, Philip, es ihm gesagt hatte. Er hatte im goldenen Buch des Nikolaus gelesen und wusste, dass es nur noch liebe Kinder gab. Und leider war das Gute das Schlechte für ihn: Knecht Ruprecht war arbeitslos. Mit einem Mal war Philip sehr traurig. Das hatte der Rupert nicht verdient, er war doch so nett zu ihm gewesen. Er musste etwas unternehmen, ihm helfen. Philip überlegte und überlegte, und dann kam ihm die rettende Idee.

Er liebte Honig über alles und erinnerte sich daran, wie er sich vor einiger Zeit sehnlichst ein Honigbrot gewünscht hatte. Es war morgens, sein Papa war schon zur Arbeit gegangen und die Mama schlief noch. Dafür wollte er die Mama aber nicht wecken. Er hatte ihr oft genug bei der Zubereitung zugeschaut. So wagte er es und machte sich selbst ein süßes Frühstück. Mit der Margarine und dem Brot war es noch einfach gewesen, nur das mit dem Honig gestaltete sich doch schwieriger, als er gedacht hatte. Der wollte nämlich nicht dort hin, wo er ihn hin haben wollte. So hatte er in kurzer Zeit eine riesige, honigklebrige Schweinerei angerichtet. Mama war furchtbar böse geworden und hatte mit ihm geschimpft. Dann hatte sie ihm verboten noch einmal so etwas anzustellen und gesagt, so etwas würden nur ungezogene Kinder machen.
Das war es doch! Er würde sich nun ein Honigbrot machen. Nicht weil er Hunger darauf hatte, nein, nein, aber damit würde Knecht Ruprecht wieder beim Nikolaus arbeiten dürfen. Es gab wieder ein böses Kind, es gab einen Philip, der trotz Verbot wieder ein kleine Honigschweinerei angestellt hatte.

Am nächsten Tag saß Rupert nicht mehr auf der Treppe des Theaters. Ganz sicher, dass sein Plan funktioniert hatte, war Philip jedoch erst am Nikolaustag, denn da waren nur zwei seiner Lieblingsriegel im Strumpf.

 

Hallo Jadro!

Das ist eine nette, liebevoll erzählte Geschichte, die ich sehr gerne glesen habe. Es ist schön, wie selbstverständlich Philip auf Rupert zugeht, mit ihm redet und dann beschließt, ihm zu helfen, auch wenn das für ihn letztlich "Strafe" bedeutet.
Ich musste lachen, als ich las, dass die Ungezogenheit darin besteht, sich ein Honigbrot zu machen... ;)
Sehr warmherzig erzählt, hat mir wirklich gefallen. :)

Etwas ist mir aufgefallen:

"Er hatte die Schulter des Mannes angetippt, den er seit einigen Minuten beobachtet hatte und bewegungslos, mit gesenktem Kopf, auf der Eingangsstufe zum Theater kauerte." - es müsste heißen: ... und der bewegungslos...

schöne Grüße
Anne

 

Hi Jadro!
Ich finde deine Geschichte echt niedlich und schön. Mir gefällt sie, besonders, dass Philip sich so hilfsbereit zeigt und Rupert, obwohl Philip dabei acht seiner Schokoriegel "verschenkt", hilft, seine Arbeit wieder zu bekommen.
Bye,

Jenny

 

Hi Jadro!
Deine Geschichte ist wunderbar. Sie hat mir wirklich gut gefallen, sprachlich und inhaltlich. Du hast die Dialoge treffend formuliert.
Das einzige, was nicht so passt, ist der Absatz mit dem Honig. Ich meine, dass einige Zeiten verwechselt sind, so dass ich ihn zweimal lesen musste, um ihn genau zu verstehen.
Du solltest diesen Absatz nochmal durchsehen, weil er, meiner Meinung nach, aus dem restilchen, flüssigen Text herausfällt.
Ansonsten ist die Story spitze. Ich habe sie gespannt bis zum Schluss gelesen.
Weiter so.

Grüsse
Sabine

 

Zunächst einen 'Rundumschlag': Danke Euch Dreien für das Lob, so etwas tut immer wieder gut!

Hallo Maus,
zig Mal habe ich die Stelle gelesen, bin immer wieder darüber gestolpert und bin doch nicht auf das kleine Wörtchen 'der' gekommen.

Danke und Gruß aus Hamburg
Jochen


Hi sumsebiene,
hast Recht. Das war eine unglückliche Bandwurmsatz-Konstruktion. Ich glaube jetzt ist es etwas besser.
Auch dir danke und liebe Grüße

Jochen

 
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Hallo Jadro,

Deine Geschichte ist entzückend. Philips Idee, Knecht Ruprecht endlich wieder zu Arbeit zu verhelfen, indem der Junge eine Honigschweinerei anstellt, ist wunderbar. Wie schön wäre es, wenn wir auf so einfache Weise den Obdachlosen Arbeit und Unterkunft verschaffen könnten ...

Mir gefällt sehr, wie natürlich der Junge auf den Mann zugeht, und wie einfühlsam dieser auf das Kind reagiert. Und für die zuhörenden oder selber lesenden Kinder bietest Du auch eine kleine Hoffnung an: Rupert sitzt am anderen Tag nicht mehr auf der Treppe - sicher hat er Arbeit.

Ein paar Bemerkungen zu einzelnen Formulierungen habe ich natürlich wieder :D :

"„Der Nikolaus wird dir deinen Wunsch sicher erfüllen“, sagte er und riss die Folie " --> Da Du im Satz zuvor mit "er" Philip meinst, ist das hier missverständlich, denn dieser "er" ist doch jetzt der Obdachlose, nicht wahr?

"Schließlich siegte doch die Müdigkeit. Doch kurz vor dem Land der Träume " --> die Wortwiederholung "doch" ist nicht so schön ...

"Und leider war das Gute das Schlechte für Ihn, Knecht Ruprecht war arbeitslos. " --> "ihn" müsstest Du wohl klein schreiben - oder willst Du das Wort besonders betonen ( so wie man "Er" groß schreibt, wenn man Gott meint?)? Und dann würde ich danach kein Komma, sondern einen Doppelpunkt machen. Ich finde, dass das das Ungeheuerliche der Arbeitslosigkeit von Knecht Ruprecht unterstreichen würde.

"Er musste etwas unternehmen, im (ihm!) helfen. "

Liebe Grüße
Barbara

PS.: Zu der von sumsebiene kritisierten Textstelle. Obwohl Du sie wohl schon geändert hast, musste auch ich zweimal lesen, bevor mir klar wurde, dass es sich um eine Rückblende handelte. Vielleicht wäre es eine Möglichkeit, diesen Rückblick konsequent im Plusquamperfekt zu schreiben und mit einem Satz wie "Philip erinnerte sich an damals, als er sich ein Honigbrot hatte machen wollen..." einzuleiten?

 

Hallo al-dente,
danke für das aufdecken der Fehler, habe sie natürlich sofort behoben. Auch habe ich mir den Absatz mit der Rückblende noch einmal vorgenommen.

Es freut mich, dass dir auch diese Geschichte gefallen hat.

Lieben Gruß aus Hamburg
Jochen

 

Hi Jadro,

durch den einleitenden Satz, den Du jetzt an der entsprechenden Stelle eingefügt hast, ist die Rückblende nun einwandfrei erkennbar! :)

Liebe Grüße
Barbara

 

Hallo Jadro,

prima erzählte Geschichte, ein neuer Aspekt: Hilfeleistung durch `Bosheit´, der Kleine opfert sich wirklich auf.
Das `locker auf Fremde zugehen´ ist halt leider so ein Problem…

LG,

tschüß… Woltochinon

 

Hi Woltochinon!
Sicher ist es eine Gradwanderung, Kinder zu einer offenen und dennoch den Gegebenheiten entsprechenden, skeptischen Verhaltensweise Fremden gegenüber zu erziehen. Ich glaube jedoch, dass gerade in solchen Geschichten eine ‚gute’ Welt aufgezeigt werden sollte. Wer eine solche Geschichte vorliest, sollte Gefahren aufzeigen; Kinder, die selber lesen (zumindest meine), sind sensibilisiert genug, zwischen Geschichte und Realität zu unterscheiden.

LG
Jadro

 

bist du ein Vielschreiber?

Eine schöne Geschichte. Gut zum Vorlesen, denke ich.
Und vielleicht auch etwas zum Nachdenken, Nacharbeiten. Nicht jeder auf der Treppe wird ein Rupprecht sein. Und Arbeitslosigkeit können nur alle angehen, vielleicht auch mit Honig. Wie wär’s damit?

Dank und Gruß
Peter

 

Hallo Peter,
ja, für meine Verhältnisse bin ich wohl ein Vielschreiber, obwohl ich noch nicht viel geschrieben habe – das Schreiben meiner erste Kurzgeschichte liegt mal gerade sechs Monate zurück.
Die Idee mit dem Honig find ich prima – damit setzt man dem bitteren ‚Geschleime’ so manchen Politikers etwas entgegen.

Lieben Gruß aus Hamburg

Jadro

 

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