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Serie Iain – Bad Guy

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17.06.2018
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Anmerkungen zum Text

Nach über einem halben Jahr hab ich meine Rüstung wieder genommen und bin zurückgekehrt zu den Wortkriegern. Es war viel los in der Zeit und ich habe im Stillen an zwei Romanen gearbeitet. Einer davon besteht aus Kurzgeschichten die lose zusammenhängen, aber separat funktionieren, von denen diese hier die erste ist. Ich möchte die Geschichten hier als Serie veröffentlichen und schauen, was ihr so dazu sagt. Viel Spaß und vielen Dank schon jetzt fürs Lesen <3

Iain – Bad Guy

»Ich weiß auch nicht«, sagte Iain König zu seiner Therapeutin. Sie saß ihm schräg gegenüber. Eine eigenartige Position, wie er fand. Sollte man nicht auf der Couch liegen, wie Freuds Patienten es immer in den Filmen taten? Aber sie, Iains Therapeutin, hatte ihm in der ersten Sitzung versichert, er könne sitzen, wie es ihm beliebte. Er müsse sich wohl damit fühlen, das sei die Hauptsache. Also entschied er sich für diese Position. War ihm auch lieber. Die Stimme seiner Seelenführerin im Nacken – ihm graute es.
»Das klingt für mich nicht nach einem anlassbezogenen Vorwurf«, meinte sie und kritzelte wieder etwas auf das Blatt Papier, das er niemals zu Gesicht bekommen würde. Wie viele solcher Zettel sie wohl schon über ihn gesammelt hatte? Womöglich hunderte, die allesamt irgendwo in einem Archiv vor sich hinverstaubten. Sie platzierte das einzelne Blatt immer auf ihrem Schoß, was Iain nicht verstand. Wieso zum Teufel nutzte sie kein Klemmbrett? Die Dinger kosteten nichts und bei dem Honorar, das sie alleine von ihm bekam, musste sie sich darum vermutlich nicht einmal Gedanken machen. Aber nein, sie hatte das Blatt auf ihrem Schoß und hatte sie eines voll, legte sie es rechts neben sich auf den Boden, mit der Schrift nach unten, um von dem Stapel links ihres Ohrensessels ein frisches zu nehmen und wieder auf ihren Schoß zu legen. Und alles fing von vorne an. »Meinen Sie, dass sie das schon länger beschäftigt?«
»Ich weiß nicht«, sagte er.
Vermutlich war die Antwort ja. Aber das interessierte ihn eigentlich wenig.
Sie kritzelte. Dann schloss sie für einen Moment die Augen. Das tat sie immer, wenn sie nach einer neuen Frage suchte, wenn sie einen neuen Versuch startete, ihm vielleicht etwas zu entlocken. Als würde sie in ihrem Kopf nach einer sprachlichen Pinzette suchen, mit der sie ihm alles aus der Nase ziehen konnte.
»Was denken Sie«, sagte sie mit ihrer langsamen, ruhigen Stimme. »Welche Handlungen setzen Sie im täglichen Leben, die Ihre Frau dazu bewegen, so etwas zu Ihnen zu sagen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Iain. Aber irgendetwas musste er jetzt antworten. Er überlegte. »Vielleicht ist es meine Kleidung. Ich kleide mich nicht wirklich aufregend.«
Das war das Einzige, das ihm einfiel, aber es war deshalb nicht falsch. Sein Schrank beinhaltete praktisch ausschließlich weiße T-Shirts und legere Jeans. Er war eben keiner, der gerne auffiel. Aber ob das der Grund dafür war, dass seine Frau ihn spießig nannte, das konnte er beim besten Willen nicht sagen. Und wirklich: Es interessierte ihn auch nicht.
»Aber Kleidung ist doch kein Grund, Sie so niederzumachen.«
»Ich weiß nicht.«
Natürlich nicht! Er war fünfunddreißig, keine fünfzehn. Vielleicht schmissen sich dumme Teenager so etwas an den Kopf, das mochte normal sein. In einer erwachsenen Beziehung war es das sicher nicht. Aber es war auch nicht verwunderlich. Sein Kleidungsstil war wie ein Sinnbild, ein Symbol für ihre Beziehung. Makellos. Langweilig. Dadurch wieder nicht makellos, aber dennoch uninteressant. Irgendwie strange, dadurch speziell. Aber nicht gut.
»Fragen Sie sie«, sagte die Therapeutin mit einem Strahlen im Gesicht. Unglaublich, dass sie es so bewegen konnte. Sie sah aus wie aufgespritzt, aber es war wohl tatsächlich natürliche Jugend, die sie sich erhalten hatte. Das Lächeln sollte Iain wohl motivieren, aber ihm kam es eher so vor, als würde sie sich lustig machen. »Wenn es für Sie passt, in einem Moment. Fragen Sie sie, was sie mit ›spießig‹ meint.«
Sie machte sich definitiv lustig. Was wird sie damit wohl meinen?
»Okay«, sagte Iain, ohne Intention, das tatsächlich zu tun. Wann sollte dafür ein passender Zeitpunkt sein? Wenn er und seine Frau schweigend auf dem Sofa saßen und in den Fernseher glotzten? Wenn sie ihr Nase in der neuen Gala hatte und er sich im Arbeitszimmer über die letzten Quartalszahlen beugte? Blödsinn. Nein, nein, sie würden einfach unglücklich bleiben und unglücklich sterben. Und was war schon dabei? Sie hatten alles, es ging ihnen gut.
»Gut«, sagte die Therapeutin und klopfte mit den flachen Händen auf das Blatt Papier auf ihrem Schoß. »Dann würde ich sagen, ich entlasse Sie heute mit diesen Gedanken – ist das okay?«
»Ich denke schon.«
Endlich!
Sie lächelte. Eigentlich war sie ja ganz nett. Aber er verstand nicht wirklich, was sie von ihm wollte. Dass ihr einziges Ziel war, ihm zu helfen, halbwegs heil durch dieses ganze verschissene Chaos durchzukommen, nahm er ihr nicht ab. Immerhin lebte sie von seinem Geld. Und das wohl nicht schlecht. Außerdem müsste sie ja auch wirklich glauben, dass man als Mensch eines Tages das absolute Glück finden, es besitzen kann. Sie wirkte nicht dumm, würde sie das tatsächlich glauben, würde sie ja mit jeder Sitzung gegen sich selbst arbeiten. Für Iain ging das nicht auf. Was ihm auch nicht aufging, war, warum er überhaupt darüber nachdachte.
»Ich wünsche Ihnen eine ganz wundervolle Woche«, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen.
»Danke«, sagte er, zwang sich zu lächeln und schüttelte die Hand, ehe die Therapeutin die Ihre wie Butter aus seinem Griff fließen ließ.
Es schüttelte ihn. Und er verließe die Praxis.

Als Iain aus dem Haus trat, fiel der Regen, der sich vor der Sitzung durch schwere Wolken angekündigt hatte. Endlich! Die letzten Wochen waren ungewöhnlich trocken gewesen. Aber Iain liebte den Regen. Verdammt, er hatte sich mit 19 überlegt, nach London zu ziehen, weil er sich in den verhangenen Himmel, das aggressive Geräusch der Tropfen an der Fensterscheibe, den moosigen Duft in den Straßen verliebt hatte. Aber den Traum hatte er verworfen. Wien war auch okay. Niemand war so höflich, wie man es in London war. Man stellte sich nicht sinnlos an in Wien. Hier galt das Gesetz des Stärkeren. Man drängelte wie verrückt vor der Theke beim Bäcker, man beschimpfte sich und gewann, wenn man der Unfreundlichste war. Das war mehr Iains Stil als die Londoner I-am-so-sorry-may-I-ask-you-to-Gesellschaft.
Iain streckte sein Gesicht gen Himmel. Der Regen war ganz fein, tippte sanft auf seine Haut. Es war wie die Berührung eines geliebten Menschen. Jemand, den man lange vermisst hatte. Wie der erste Zug an einer Zigarette nach sehr langer Zeit.
Iain blickte sich um. Eine ältere Dame beeilte sich, einen Schirm aufzuspannen. Der war verdreht, ein Metallteil ragte schrägt heraus. Würde wohl nicht mehr funktionieren. Wieso kaufte man auch einen billigen Schirm? Es sollte jedem klar sein, dass so ein Ding beim kleinsten Windhauch die Arme hochriss wie ein Torwart. Und nein, auch wenn die Leute sich das wünschten – den konnte man nicht mehr reparieren. Der war hinüber. Aber gut, wer dumm ist, den bestraft das Leben.
Die alte Frau gab auf und suchte hilflos im nächsten Hauseingang Unterschlupf. Warum Menschen überhaupt solche Angst vor Regen hatten, war Iain nicht klar. Es war nur Wasser. Als würde man duschen. Aber die meisten wirkten, als würde jeder Tropfen brennen wie Lava. Aber duschen sei entspannend, und überhaupt, sich im Schwimmbad abzukühlen, nein wie herrlich! Es ging wohl nur um Kontrolle. Der Mensch wollte immer alles kontrollieren, selbst entscheiden, wann das Wasser seine Haut berühren durfte. Und wenn das nicht gelang, wenn das Wetter einfach nicht hören wollte, dann war sofort alles mies. Zeit für eine saure Miene, liebe Leute! Zeit für Genörgel, das im Kern jenem glich, das man beispielsweise über den Verkehr oder die Lebensmittelpreise oder womöglich die Hitze in das Gespräch einbrachte. Wie furchtbar all diese Dinge waren, über die man keine Kontrolle hatte.
Iain liebte diese menschliche Eigenschaft. Alles bemängeln, was man nicht ändern konnte. Und nichts im Leben kehrte diese Eigenschaft, die den Menschen kollektiv war, in so vielen Personen gleichzeitig hervor wie Regen. Da ein Mann am Telefon, der fluchte über das Scheiß Wetter. Dort eine Frau, die verzweifelt versuchte, ihre Einkaufstasche irgendwie mit dem Mantel zu bedecken, den sie aber natürlich nicht auszog. Dann würde ja sie nass, und sie war offensichtlich gerade auf dem Weg nach Hause. Dort musste man trocken ankommen.
Iain hingegen, er schlenderte über den feuchten Schlickplatz wie ein Kaiser zu seiner Krönung. Hier war er superior, wohl der einzig Glückliche, der Einzige, der über allem stehen konnte. Wozu ein Schirm, wozu sich unterstellen? Es war absurd dagegen anzukämpfen. Und außerdem war es doch so herrlich.
Er traute seinen Augen nicht. Eine Frau kam ihm entgegen. Sie ging vom Ministerium aus einfach quer über die Straße. Jung, vielleicht Ende zwanzig, blond, hochgewachsen, vollkommen durchnässt. Sie trug einen langen schwarzen Mantel, definitiv nicht billig. Hinter sich her zog sie einen knallgelben Koffer. Sie stieg auf den Gehsteig und stolzierte Iain entgegen, als liefe sie am Laufsteg. Die Nase hoch, der Hals entblößt. Zum Anbeißen. Kein Schirm. Eine Frau auf seiner Wellenlänge, dachte Iain instinktiv.
Irgendetwas musste er tun. Iain wusste nicht, wieso, aber diese Frau übte Anziehung auf ihn aus. Ja, sie war super heiß, aber da war noch mehr. Es war lächerlich, nur weil sie sich nicht vor dem Regen schützte. Vielleicht hatte der Schauer sie einfach überrascht – aber nein. So ein Gesicht, fest und kalt, trug niemand, der überrascht wurde. Diese Frau konnte nichts überraschen. Nichts konnte sie beeindrucken, nichts sie verletzen. Sie war wie rostfreier Stahl und Iain war hingerissen, ja, eingeschüchtert von ihrem Anmut. Und trotzdem – deswegen – steuerte er auf sie zu. Die Welt herum verschwand, der Regen öffnete sich wie ein Vorhang. Was wollte er von ihr?
Sie hatte ihn noch nicht wahrgenommen, obwohl er beinahe vor ihr stand. Dann jedoch wich sie aus. Er wieder in ihre Trajektorie. Und sie blieb stehen und sah ihn an. Und er blieb stehen und sah sie an. Was tat er?
»Kann ich dir helfen?«, sagte sie scharf ohne eine Miene zu verziehen. Sie war Russin, oder Ukrainerin. Aus dem Osten auf jeden Fall. Heiß!
Er starrte sie nur an. Sie kam näher zu ihm. Sehr nah.
»Bist du Sex Offender?«, fragte sie.
»Was?«, sagte er, schüttelte desillusioniert den Kopf. »Ich ... nein.«
»Was willst du dann?«
»Ich will gar nichts«, sagte Iain, trat einen Schritt von ihr weg. Definitiv Russin.
»Wieso starrst du wie Sex Offender?«
»Ich bin kein Sex Offender.«
»Dann starr nicht wie Sex Offender.«
»Lassen Sie mich!«, rief er.
Eigentlich müsste das Wasser an ihr frieren, dachte er. Sie war ein Hauch aus Sibirien. Ihre grauen Augen starrten und schüttelten ihn. Plötzlich hob sie den Arm, er wich noch einen Schritt zurück. Sie zeigte auf seinen Rumpf und lachte, scheinbar ohne Freude.
»Weißes T-Shirt im Regen«, sagte sie. »Keine gute Idee.«
»Sie sollen mich in Ruhe lassen!«
Er machte einen Bogen um sie und entfernte sich, so schnell er konnte. Er wusste, dass sie ihm nachsah, und er drehte sich
um. Tatsächlich stand sie immer noch da, starrte ihn an, den Kopf leicht gesenkt, mit einem Lächeln, als wäre ein verhasster Verwandter gestorben. Und sie hörte nicht auf, er fühlte sie noch im Nacken, als er endlich um eine Ecke biegen konnte.
Was für eine Frau.

Sie kroch immer noch in der dunkelsten Ecke in seinem Kopf, als Iain endlich die Haustür hinter sich schließen konnte. Die ganze Zeit hatte er das Gefühl gehabt, vor ihr flüchten zu müssen. Dabei, was er eigentlich wollte, war, in ihren Armen zu liegen, den Schweiß ihrer Haut zu schmecken und ihre Lippen mit seinem Blut zu benetzten. Er wusste nicht, wieso. Schon gar nicht wusste er, wieso solch Spezifisches. Ein Gelüst wie das Verlangen eines Süchtigen. Wer war diese Frau, diese russische Schönheit, diese slawische Herrin der Hölle? Wieso hatte sie diese Anziehung auf ihn? Und wieso wollte er, dass sie seine Herrin wurde? Für sie – in Gedanken nannte er sie, unerklärlich, Nina – für sie würde er auf alle Viere fallen. Er würde ihre Spucke vom Boden lecken. Für sie würde er –
»Hallo, Schatz«, kam es monoton aus dem Wohnzimmer. Seine Frau klang, als hielte man sie seit Jahrzehnten gefangen.
»Hallo«, rief Iain zurück. Er war gehetzt, wie er merkte. Die grelle Stimme seiner Frau hatte seine Lüsternheit in einem Schwall davon gespült, doch ihr, Ninas, Gesicht ... es glühte weiter in Iains Innerem wie ein vom Wind gedämpftes Feuer.
Er schüttelte sich. Was dachte er da? Wie absurd! Keine Fremde – niemand – sollte diese Art von Macht über seine Gedanken haben. Was war sie schon? Bloß eine heiße Blonde und nicht mal das, wenn man auf große Brüste stand. Und außerdem, er würde sie nie wieder sehen. Nur eine Frau auf der Straße. Kalter Nebel, so gerne man ihn hatte, so schnell gab er den Blick auf den viel zu hellen, blauen Himmel frei. Und die Sonne.
Seine Sonne, die Sonne seines Lebens, wie er sie bei der Hochzeit tatsächlich genannt hatte, kam gerade aus dem Wohnzimmer. Nicht, dass er glaubte, sie hätte sich aufbequemt, um ihrem Ehemann eine angemessenere Begrüßung als ein fades Hallo zukommen zu lassen. Nein nein, keines Blickes würdigte sie ihn auf ihrem Weg in die Küche, wo sie auch nicht vorhatte, ihm ein Mahl zu bereiten, wie sie es bei der Heirat versprochen hatte. Dorthin wollte sie nur, um sich ihr eigenes Menü, ihre fetten Chips für ihren fetten Körper, zu holen. Nun, ehrlich musste man sagen: Sie war nicht fett. Sie war ganz normal. Aber das Wort fett hatte die perfekte, eklige Konnotation, die Iain für seine Frau verwenden wollte. Es passte einfach so gut. Sie hatte jede Anziehungskraft verloren. Ein Klos Fleisch, der ihm den Platz im Couchsessel kostete. Sie war wie ein Hahn in der Eierproduktion – eine finanzielle Last ohne Verwendungszweck.
»Wo kommst du gerade her?«, fragte sie unter dem Rascheln der Plastikverpackung. Warum überhaupt? Warum fühlte sie sich verpflichtet, mit ihm zu reden? Jetzt musste er antworten. Es interessierte sie doch wohl genauso wenig, wie es ihn interessierte, mit ihr zu reden.
»Arbeit«, log er.
»Aha«, kam aus der Küche. Dann ließ sie irgendetwas fallen. Womöglich die Schere. Schwach wie sie war, konnte sie die Tüte nicht aufreißen. Dann kam sie wieder in den Flur geschlendert, hätte ihn fast wieder nicht angesehen, blieb dann aber stehen und sagt mit verächtlicher Miene: »Was stehst du so da?«
»Wie?«
»Du bist ja patschnass.« Sie griff in die Tüte, stopfte sich zu viele Chips gleichzeitig in ihr Pferdemaul. »Man sieht deine Nippel. Wieso stehst du da wie nicht abgeholt? Du tropfst ja alles voll.«
Als ob sie es wegwischen würde.
»Das lässt du sowieso mich wegwischen.«
»Natürlich, du machst den Dreck ja.«
Sie ging zurück ins Wohnzimmer. Wie könnte es anders sein, ohne zu fragen, wie die Arbeit war. Oder überhaupt, wie es ihm ging. Sie könnte ihm auch ein Handtuch holen. Oder es gutheißen, dass man seine Nippel sah. Sie könnte es geil finden. Sex haben wollen. Wollte sie aber nicht. Sie war nicht wie Nina.
Iain zog an Ort und Stelle die nassen Klamotten aus. Er hatte keine Lust, noch mehr im Haus voll zu tropfen – noch mehr wegwischen zu müssen. Und dass seine Frau von seiner Nacktheit vielleicht doch erregt werden könnte, das konnte er wirklich getrost ausschließen. Aber gut, das wollte er ihr eigentlich nicht vorhalten. Das beruhte auf Gegenseitigkeit, das war Alltag, das war wie Frühstücken. Und er war froh, dass es so war. Beinahe reckte es ihn bei dem Gedanken, dass sie Sex von ihm wollte. Diesen Spaß hatten sie Gott sei Dank lange hinter sich. Ewige Spielerei, die keine war, sondern bloße Heuchelei. Für Iain, als Mann, war es zum Glück recht einfach. Augen zu und durch. Und sie? Sie tat halt so, nahm er an. In Wirklichkeit kümmerte es ihn wenig. Viele definierten ihre Männlichkeit über die Frage, ob sie ihre Frau sexuell befriedigen konnten. Iain nicht. Für ihn war es schon ein Beweis männlicher Stärke, sie überhaupt nackt ansehen zu können, ohne vor Ekel an Anorexie zu erkranken.
Er kicherte für diesen Vergleich leise in sich hinein.

Seine Kleidung aufhängen, die kleine Lacke im Vorraum aufwischen, irgendetwas zu essen finden – das alles tat er nackt. Seine Frau saß regungslos, stumm im Wohnzimmer. Der Fernseher lief, die Chipstüte raschelte, kein Interesse für nichts kam von ihr. Und zu essen hatte sie natürlich auch nichts gekauft. Es hätte ihn gewundert, wäre es anders gewesen.
»Es gibt nichts zu essen«, stellte er fest, laut genug, um den Fernseher zu übertönen. Natürlich antwortete sie zu leise.
»Was?«
Zu leise.
Iain verdrehte die Augen, ging hinüber ins Wohnzimmer. Am liebsten hätte er sie einfach erschlagen. Deswegen lehnte er sich an den Türrahmen. Im Fernseher lief eine Sendung über Stars und Sternchen. Irgendeine Monarchin wandelte gerade über eine Pferderennbahn, verdeckt von der Halbkugel des Kopfes seiner Frau.
»Es gibt nichts zu essen.«
»Hab’ ich gehört.« Sie rührte sich nicht. Dumme Sau.
»Ich habe aber nicht gehört, was du geantwortet hast. Kannst du mal den Fernseher leiser drehen?«
Seine Frau seufzte genervt. Dann hob sie in Zeitlupe – das tat sie absichtlich so langsam – die Hand zur Fernbedienung und schaltete – man glaubte es nicht – drei Stufen leiser. Sie drehte sich um, grinste widerlich. Um ihren Mund war ein Hof aus Krümel.
»Wieso bist du nackt?«
»Was ist das für eine Frage?«, sagte er. »Ich habe mich ausgezogen.«
»Ach, nicht wirklich.« Ihr Grinsen wurde ernst. »Zieh dir was an, wir führen keinen FKK Haushalt.«
»Ja und? Ich bin hier zu Hause, niemand kann mich zwingen, etwas an zu haben.«
»Ich kann das«, sagte sie, rümpfte die Nase und fuhr mit dem Unterarm über ihr Gesicht, um sich den Mund zu wischen.
Er beschloss, das zu ignorieren.
»Was ist jetzt mit Essen?«, fragte er stattdessen.
»Was soll damit sein?«
»Es ist nichts da.«
»Warum hast du nicht eingekauft?«
»Warum hast du nicht eingekauft?«
»Ich habe alles.« Sie schüttelte die Chips.
»Fotze.«
Verdammt.
»Was?«
»Fortgehen«, sagte er schnell. »Willst du heute fortgehen? Wir können einfach auswärts essen.«
»Hast du mich gerade ›Fotze‹ genannt? Ich glaub’s ja nicht!«
Iain kniff verwirrt die Augen zusammen. »Was? Nein!« Er schüttelt den Kopf voller Inbrunst, das Gesicht verzog er zu einer von Ekel geplagten Grimasse. »Wie kommst du auf sowas?«
»Verkauf mich nicht für blöd, Iain!«
»Das tue ich nicht. Scheiße, ich hab nur gefragt, ob du fortgehen willst. Fort - Gehen. Entweder du wirst alt oder du hörst einfach das, was du hören willst.« »Du spinnst.«
Verächtlich stieß er Luft aus. »Du spinnst.«
»Wieso solltest du mit mir fortgehen wollen? So etwas hast du noch nie vorgeschlagen.«
»Ja«, bellte er. »Ich weiß. Vielleicht habe ich darüber nachgedacht, was du über mich gesagt hast? Vielleicht versuche ich daraus auszubrechen? Für dich? Für uns? Aber dir ist ja nichts gut genug.«
»Iain, ich ...« Das warf sie aus der Bahn, damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hinterfragte sich. Gut. Sie sagte: »Wir können schon ausgehen.«
»Dein Ernst?«
Sie sah ihn hilfesuchend an.
»Du glaubst, dass ich das jetzt noch will?«, fragte er. Er bemühte sich, recht weinerlich zu klingen.
»Es ... es tut mir Leid, okay?«, sagte sie. Sie stand auf, ging zu ihm, als wäre er ein Tier, das sie nicht verschrecken wollte. Sie griff sogar nach seiner Hand, aber er zog sie zurück. Jetzt wirkte sie fast verzweifelt und sagte: »Ich habe wirklich ... Es hat so eindeutig für mich geklungen. Der Fernseher, er –«
Mit zusammengepressten Lippen schüttelte Iain den Kopf. Nun hatte er die Wahl. Sollte er es einfach auf sich beruhen lassen, auskosten, dass er gewonnen hatte? Oder sollte er alles auf eine Karte setzen? Er hatte sie, ungeplant, soweit gebracht. Sie außerhalb ihrer Deckung getroffen. Warum sollte er sie nicht noch ein bisschen weiter vor sich hertreiben?
Fuck it.
»Das du mir das überhaupt zutraust. Was ist nur los mit dir? Was hast du gegen mich? Wieso liebst du mich nicht mehr?« Uh, er war in Fahrt! »Du nennst mich spießig, fragst mich nicht, wie es mir geht, und jetzt stehe ich hier, nackt, und du hast nach wie vor nichts anderes für mich übrig als Verachtung? Solltest du nicht – du bist meine Frau – solltest du nicht über mich herfallen wollen?« War da etwa sogar eine Träne auf dem Weg? Das wäre viel zu großartig, das würde dem Messer in ihrem Herzen den letzten Stoß verpassen. »Ich vermisse uns, Schatz. Ich vermisse die schönen Abende gemeinsam. Ich vermisse es, mit dir zu lachen. Ich vermisse ... den Sex. Du bist doch immer noch –« Und da kam die Träne, genau im richtigen Moment. Jetzt galt es, sie zu nutzen. Iain schniefte, lächelte bitter, sah zu Boden, wieder auf und ihr in die Augen und sagte: »Du bist doch immer noch die Sonne meines Lebens.«
Nina wäre stolz auf ihn.
Jetzt schwieg Iain. Seine Frau starrte ihn nur an. Sie verharrten in Stille und Iain ließ es zu. Es sollte sich alles für einen Moment setzen. Es sollte richtig einsickern, sie von Innen heraus weich machen. Es würde sie nicht brechen, dafür was sie zu selbstgerecht. Aber es würde an ihr nagen. Und jetzt gerade, das sah er in ihren Augen, tat sie sich schwer, das alles zu verarbeiten.
Dann schließlich öffnete sie den Mund. »Iain ...«
Er hob die Hand, schüttelte sanft, fast zerbrechlich, den Kopf.
»Nein, Schatz. Bitte nicht. Ich glaube, ich brauche ein bisschen Zeit für mich.«
»Was ... was heißt das?«, wollte sie wissen.
»Ich werde alleine Essen gehen.«
»Was?« Sie wurde leicht rot im Gesicht. »Das ist jetzt nicht dein Ernst, du kannst doch nicht so etwas sagen und dann einfach –« Sie stockte.
Iain formte den verletzlichsten Blick, den er zusammenbrachte. Sie würde den Streit jetzt nicht umdrehen, sie würde die Macht nicht wieder an sich reißen. Sie hatte verloren, sie musste es nur noch verstehen. Er ging ein wenig in die Knie, wich kaum merkbar vor ihr zurück, beschirmte mit den Händen sein Geschlecht. Sieh nur, du machst mir Angst.
Sie seufzte. Die Wut wich ihr aus den Muskeln, ihre Schultern senkten sich und ihr Gesicht hing wieder schlaff herab wie eh und je.
»Na gut«, sagte sie. »Wir reden morgen.«
Sie drehte sich um, schlurfte zurück zu ihrem Sessel, ließ sich hineinfallen. Sie drehte den Fernseher lauter, jetzt viel schneller, streckte ihre Hand in Richtung der Chipstüte, bekam sie zu fassen. Eine Monarchin am Bildschirm. Iain nackt im Türrahmen.
Aber nichts war wie zuvor. Und das hatte er dem Tipp seiner Therapeutin zu verdanken. Vielleicht war die ja doch für etwas zu gebrauchen.

Und das tat Iain dann tatsächlich. Er ging alleine essen. Und er ließ es sich gut gehen, denn er beschloss, nicht nur in das Lieblingsrestaurant seiner Frau zu gehen, nein nein, er beschloss außerdem das Geld, das er eigentlich für ihren Geburtstag gespart hatte, heute Abend auf den Kopf zu hauen. Die feinsten Speisen, der beste Whisky und das süßeste Dessert mundeten nicht so sehr wie die Genugtuung, die er verspürte. Und er freute sich schon jetzt auf das nächste Mal, wenn er seinen Hass auf sie nicht mehr unterdrücken wollte und ihr brühwarm erzählen würde, dass er ihr Geschenk genommen und selbst verprasst hatte. Und leider würde für sie dann nur noch eine schon halb verwelkte Rose zum Geburtstag herausschauen. Möglicherweise ein weiteres Symbol für ihre Beziehung. Bestimmt aber eines für sie, denn auch seine Frau war ja nicht mehr die frischeste.
Tatsächlich war es erstaunlich, wie schnell sie nach der Hochzeit verfallen war. Keine ihrer Freundinnen im gleichen Alter hatte auch nur ansatzweise eine solch dramatische Transformation durchgemacht. Iains Frau wirkte von Jahr zu Jahr um fünf Jahre älter. Er erinnerte sich noch, als er ihr letztes Jahr zum Geburtstag – und er war eh vorsichtig – einen Gutschein für einen Schönheitssalon im ersten Bezirk und einen weiteren Gutschein für eine Beratung bei der Kosmetikerin schenkte. Und anstatt ihm dankbar zu sein, anstatt sich zu freuen darüber, dass er wollte, dass sie sich in ihrer Haut wohl fühlte, anstatt dessen brach sie in wütende Tränen aus, schrie herum, zeterte wie eine Verrückte und da hatte Iain erkannt, dass er ihr wohl besser einen Gut- schein für eine Schnuppersitzung beim Therapeuten geschenkt hätte. Denn offensichtlich war sie nicht glücklich. Welcher glückliche Mensch würde so auf ein Geschenk reagieren?
All das Gerede in seinem Kopf hatte ihn nach dem Festmahl an die Bar geführt, wo er nun alleine saß und Scotch trank und sich fragt, ob er seine Frau jemals geliebt hatte. Oder ob er damals einfach Angst gehabt hatte, alleine zu sein. War das überhaupt wichtig? Denn selbst wenn es Liebe war, dann war sie doch dahin. Denn Iains Frau wollte sichtlich nicht mehr, sie war nur zu faul, etwas dagegen zu tun. Oder es war ihr einfach gleichgültig. Der Punkt war: Sie wollte die Beziehung nicht kitten, sie wollte sich nicht trennen, sie wollte einfach dahinsiechen. Warum tat sie das? Hatte sie ihn jemals geliebt? Hatte sie bloß Angst alleine zu sein?
War Iain schon so betrunken, oder machte ihm der Bartender tatsächlich schöne Augen? Schaden würde es nicht, er war jung, er war hot. Iain hatte zwar seine Bicuriosity in seinen frühen Zwanzigern ausgelebt, aber im Alkohol war auch heute noch dem Gedanken an einen Mann nicht abgeneigt. Er merkte es fast nicht, aber er verdeckte seinen Ehering. Und das machte den Bartender scheinbar stutzig.
»Wo haben Sie denn ihre Frau gelassen?«, fragte er.
Iain hob eine Braue. Was machte es schon? Er drehte den Ring vom Finger, steckte ihn in die Hosentasche. »Welche Frau?«
Der Bartender schmunzelte. So ein Süßer.
»Wollen Sie noch etwas trinken?« Er deutet auf das leere Glas vor Iain.
Der zuckte mit den Schultern. »Warum nicht.«
Der Bartender schenkte nach, schwieg einen Moment und ließ Iain trinken. Dann fragte er: »Harter Tag?«
»Wie jeder andere«, gab Iain lässig zurück.
»Hart?«
Hart.
»Sehr hart, ja. Härter als die meisten.« Er trank. »Und deiner, ist deiner auch hart?«
Und der Bartender grinste. »Wenn die Gäste hart sind.«
Dann trank Iain sein Glas im Stillen, der Bartender tat weiter seine Arbeit. War er zu den anderen auch so? War das nur seine Masche, ein bisschen flirten und auf Trinkgeld hoffen? Aber Iain war ein Mann. Das einfach so zu tun, ohne Ahnung, ob er überhaupt in diese Richtung neigte, war riskant. Und dann wieder: Flirtete er überhaupt oder war Iain betrunken – Iain war definitiv betrunken, aber flirtete der Bartender überhaupt?
Iain schlug mit der flachen Hand auf die Bar. Was interessierte es ihn? Morgen musste er ins Büro, es war spät. Keine Zeit, zu viel Vernunft, um heute noch ein Wild zu erlegen. Der Bartender? Ja, jung und knackig. Aber bei wem sollte Iain damit ange- ben? Bei niemandem. Und was würde ihm so ein Abenteuer dann geben? Nichts.
Iain zerrte einen Zwanziger aus seiner Geldtasche, schob ihn unter das leere Glas und verschwand aus dem Lokal.

Das Surren des Kopiergeräts resonierte mit den Vibrationen in Iains Kopf. Als er vorhin ins Büro gekommen war, hatte er für einen kurzen Moment geglaubt, Nina sei ihn entgegengekommen. Aber so genau hatte er nicht sehen können, da er die Augen zukneifen musste, um nicht zu viel Licht abzubekommen. Egal, war sowieso Schwachsinn. Eine Illusion seines, in Alkohol aufge- lösten Geistes. So stark war der Wunsch in ihm, Nina wiederzusehen. Aber das gestand er sich nicht ein. Er versuchte einfach, nicht daran zu denken.
Er hätte sich gestern diesen Bartender schnappen sollen.
»Jo, Iain!« Bill kam in den viel zu grellen Raum mit den vier Kopiergeräten. Ausgerechnet jetzt kam er, ausgerechnet heute. Nun, immerhin konnten Iains Kopfschmerzen nicht noch schlimmer werden.
»Hi, Bill«, sagte Iain, sah ihn aber weder an, noch heuchelte er Freude, seinen Kollegen zu sehen.
»Siehst ja durchgefickt aus.« Er lachte widerwärtig und stellte sich an das Kopiergerät nebenan, knallte eine dicke Akte auf den Tisch zwischen ihnen. »Muss wohl echt die Puppe aus dem Sekretariat mal ein Baby rauspressen. Dann treffen wir uns.« Er zog den Rotz in seiner Nase hoch. »Warum man für die nicht Ersatz eingestellt hat. Jetzt muss hier alles selbst gemacht werden.«
»Ich weiß nicht«, sagte Iain knapp. Und er wusste es tatsächlich nicht, denn es interessierte ihn nicht. Iain machte immer alles selbst. Er vertraute weder dem Dümmchen im Sekretariat, noch hätte er einem dümmlichen Ersatz vertraut.
»Gestern länger geworden?«, fragte Bill. Manchmal glaubte Iain, Bill nur deshalb so zu hassen, weil er nicht sprechen konnte. Wie jemand wie er jemanden wie seine Frau, eine Lady aus der High Socitity, ganz gut betucht, an Land ziehen konnte, war Iain unverständlich. So groß konnte sein Schwanz doch gar nicht sein.
»Nein.«
»Bist irgendwie abwesend.«
»Nein, nein. Bin da.«
»Eh, so. Meine aber eher geistig.«
»Auch geistig.«
»Schon die neue Putztante beglotzt?«
»Was?«
»Seit heute gibts ‘ne Neue. Heiß, kann man sagen. Flachbusig. Aber okay.«
Iain schüttelte den Kopf. Er war zwar noch nicht fertig, doch er beschloss, zurück zu seinem Schreibtisch zu gehen. Dieser
Mensch schmerzte doch mehr als jeder Kater.
»Sehen uns dann, ja?«, rief Bill ihm hinterher.
»Wird sich nicht vermeiden lassen.«
Iain würde sich ja krank melden und nach Hause gehen. Das wollte er gerade wirklich gerne. Sein Kopf war wie von Geistern heimgesucht, die schrieen und hinaus wollten. Und Iains Magen fühlte sich an wie eine Flasche Cola, in die man ein Mentos geworfen hatte und die drohte, jeden Moment unkontrolliert zu platzen. Und Leute wie Bill machten all das nicht besser. Zum Kotzen, der Typ.
Zu Hause jedoch, zu Hause wartete seine Frau darauf, das Geld, dass er mit Heim brachte, ausgeben zu können. Hier in der Firma konnte er sich zurückhalten, doch würde er sie sehen, wäre das vermutlich anders. Er durfte gar nicht daran denken, dass er ihr gestern, als er betrunken ins Bett gekrochen war, erlaubt hatte, sich auf ihn zu setzen. Aber Iain in seinem Rausch dachte an der Bartender und vor allem an Nina. Und seine Frau war so wahnsinnig bedürftig, sie wollte sich so gerne entschuldigen und hatte es eiskalt ausgenutzt, dass Iain im Prinzip wehrlos war. Mistsau.
Zuerst dachte Iain, der Kopfschmerz würde nur einmal kurz besonders aufflammen. Aber schnell überriss er, dass es tatsächlich ein Schrei gewesen war, der durch die Büroräume hallte. Was war denn nun los? Er plagte sich auf und streckte den Kopf aus seinem Schuhschachtelbüro. Der nächste Schrei, diesmal um Hilfe. Kollegen liefen in Richtung Kopierraum. Gefühlt alle. Gut, dann musste Iain sich nicht kümmern. Gerade als er sich umdrehen und die Tür hinter sich zuwerfen wollte, schälte sich eine Frau aus der Menge. Iain traute seinen Augen nicht. Sie war gekleidet wie eine Putzfrau, die schwarzen Haare hochgesteckt und unter einem Netz verborgen, aber dieses Gesicht – streng, kalt, graue Augen, wunderschön. Es war Nina.
Sie beeilte sich. Warf Iain einen kurzen Blick zu, huschte an ihm vorbei. Er wollte sie aufhalten, ihr nachlaufen, aber da war sie schon verschwunden. Aber sie war es. Dieses Mal ganz sicher, sie war es. Er hatte sie in der Früh gesehen. Bill hatte über sie gesprochen. Er musste ihr hinterher.
Er wollte loslaufen, spitze Fingernägel gruben sich in seinen Oberarm. Er wirbelte herum. Da stand Verena, eine Kollegin, mit entsetzter Mienen und Tränen in den Augen. Sie jammerte:
»Bill! Es ist Bill. Hat schon jemand die Polizei gerufen? Jemand muss die Polizei rufen
Iain begriff nicht. Er versuchte sich loszureißen, er musste Nina hinterher. Aber Verenas Klauen schienen Widerhaken zu haben.
»Es ist Bill«, ihre schrille Stimme bohrte sich durch Iains Kopfschmerz. »So ruft doch die Polizei
»Sie ist auf dem Weg«, sagte Gert, ein weiterer Kollege, der angelaufen kam und Verena die Hand auf die Schulter legte. »Iain, es ist Bill.«
Was war Bill? Er musste zu Nina. Iain war mittlerweile dabei, sich mit seiner freien Hand aus Verenas Griff zu befreien. Keine Chance.
»Es ist Bill.«
»Was ist Bill?«, schrie Iain entnervt und durch den Schreck gab Verena endlich nach. Jetzt konnte er weg, aber nun packte ihn Gert.
»Wo willst du hin?«
»Ich muss ...«
»Es ist Bill. Er ist tot.«

Als Iain abends nach Hause kam, war seine Frau vor dem Fernseher eingeschlafen. Sie hing in ihrem Sessel wie ein Sack alter Socken. Neben ihr, eine halbaufgefressene Packung Kekse. Er stand vor ihr, betrachtete die langsame Hebung und Senkung ihres schlaffen Busens. Iain war froh, sich nicht mit ihr beschäftigen zu müssen.
Sie hatten Bills Leiche abtransportiert. Der Polizist, der Iain befragt hatte, hatte gesagt, dass Bill mit einem gezielten Stich in die Halsschlagader ermordet worden war. Iain gab sich wortkarg und bedrückt, was ihm nicht schwer fiel. Bills Tod freute ihn, doch das Wissen darum, Nina verpasst zu haben, sie nun wohl wirklich nie wieder sehen zu können, hörte nicht auf, an ihm zu kratzen. So eine Frau traf man nur einmal im Leben. Nur einmal hatte man solch eine Gelegenheit.
Er wusste, dass sie es gewesen war. Er wusste, Nina hatte Bill getötet. Der stechende Blick. Ihre abgehetzten, dennoch kontrollierten Bewegungen. Iain hatte die Befragungen der Putzfrauen genau beobachtet. Aber sie war nicht dabei gewesen. Nina hatte Bill getötet. Und er liebte sie.
Im Fernseher sprang das Bild von einer breit grinsenden, botoxaufgespritzen Moderatorin auf die Werbung und der Ton wurde automatisch lauter. Iains Frau rekelte sich, erblickte ihn, erschrak kurz, lächelte, streckte verträumt die Arme nach ihm.
»Hey mein Schatz«, sagte sie vor Süße triefend. »Beobachtest du mich? Du kleiner Perversling.« Und sie kicherte in sich hinein. »Letzte Nacht war wundervoll. Du bist wundervoll.«
Iain schwieg, starrte sie nur an. Sie war nichts. Nichts im Vergleich zu Nina, nicht einmal im Vergleich zu dem Bartender. Nur eine dumme Hülle, gefüllt mit Fett. Ekelhaft. Ein abstoßendes, wertloses Stück Materie. Er hatte das Geld für ihren Geburtstag für sich ausgegeben, denn sie hatte kein Geschenk verdient. Sie hatte nichts verdient, nicht mal seinen Hass. Bloß Verachtung hatte er übrig, aber nicht mal die hatte sie verdient, doch Iain konnte nicht anders.
Er hörte sie wimmern. »Wie... wieso sagst du so etwas zu mir?«
Was hatte er gesagt?
»Du Drecksschwein!«, schrie sie und sprang aus dem Sessel, dass der Boden erzitterte. »Wer ist Nina? Ist das deine HURE?«
Woher wusste sie von Nina?
»Glaubst du, ich bin dumm?«
Nein, das wusste er.
Sie ging auf ihn zu, packte ihn, schüttelte ihn, schrie ihn in Tobsucht nieder. Er wankte ein wenig unter ihrem Gewicht.
Dann schaffte er es, sie von sich und zu Boden zu stoßen. Da lag sie. Das Gesicht hochrot, die Augen verquollen und feucht. Ekelhaft. Iain nahm den Fernseher von der Kommode, er war schwer. Mit unerklärter Kraft hob er ihn über seinen Kopf. Sie zu seinen Füßen begann zu schreien, hielt die Hand schützend vors Gesicht.
Er schleuderte den Fernseher auf sie. Hob ihn auf, schleuderte ihn wieder auf sie. Hob ihn auf, schleuderte ihn wieder auf sie. Immer und immer wieder in ihre abartige Fresse.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo,

der Text ist auf so vielen Ebenen falsch, ich weiß nicht, wo ich da anfangen soll

Die Erzählstimme. Wenn ein Protagonist im Dialog sagt: Du Mistsau!, dann geht das, es ist eine Äußerung des Protagonisten, verrät etwas über das Mindset, den Charakter. Hier ist es aber der Erzähler selbst, der durchgängig diese miesen, sexistischen und dümmlichen Aussagen trifft.

Insgesamt ein von affektiertem Zynismus durchzogener Text. Erstens die Therapeutin. Die wird hier mit einem Retter-Syndrom gezeichnet. Natürlich ist Iain viel zu cool, um da was an sich ranzulassen, er demonstriert permanent seine Überlegenheit. Ich weiß nicht, so laufen Therapien aber nicht ab. Wenn es um seine Frau geht, würden sie auch viel eher in eine Paartherapie gehen. Und auf der Couch liegst du bei der Tiefenpsychologie oder wenn du eine echte Psychoanalyse machen lässt. Eine Verhaltenstherapie bezahlt in D die Krankenkasse. Niemand, der also ernsthaft an einer Therapie interessiert ist, würde sich so verhalten. Ist ihm aber egal, er bezahlt lieber viel Geld und lässt diese dumme Sau, um mal in deinen Worten zu sprechen, sich an ihm abarbeiten. Warum geht er dann überhaupt noch hin?

Du kümmerst dich auch gar nicht um das kaputte Verhältnis zwischen der Frau und ihm. dass sind alles nur Pappfiguren, Strohmänner für deine pubertär-misantrophischen Gedanken. Ehefrau fette Sau, frisst Chips, fickt nicht mehr. Die Welt, alles kacke, das Leben ein Moloch. Nur Nina, die Russin, mega-heiß, er ist blitzverliebt, denkt an ficki ficki, und dann, ach Zufall, taucht sie als Killerin (!) in seinem Büro auf und tötet seinen sexistisch daherlabernden Kollegen. Mal eben so. Und entkommt. Weil sie sich als Putzfrau verkleidet hat. Ist sie die Amazone, der Racheengel der von sex offendern belästigten Frauen? Dann muss noch so eine wenig Bisexualität mit rein, aber irgendwie dann doch nicht so richtig, weil so was hat man ja schon hinter sich. Lieber erschlägt er seine Frau mit dem Fernseher.

Immer und immer wieder in ihr ihre abartige Fresse.

Was wird mir hier erzählt? Hier scheint doch überall der Autor durch, der sich für nichts interessiert, der keine Geschichte erzählen will, keine Figuren erschaffen, außer als Vehikel für Gewaltexzesse und diskriminierende Aussagen. Das ist in meinen Augen ein bestenfalls leidlich ärgerlicher Text. Willst du so was wirklich schreiben?

Gruss, Jimmy

 

Hallo @jimmysalaryman,

ich hab dich voll getroffen so wie es ausschaut, wunderbar. Vorweg:

Was wird mir hier erzählt? Hier scheint doch überall der Autor durch, der sich für nichts interessiert, der keine Geschichte erzählen will, keine Figuren erschaffen, außer als Vehikel für Gewaltexzesse und diskriminierende Aussagen.

Das weise ich aufs höflichste von mir. Einerseits, natürlich ist die Figur völlig übertrieben, und das war auch so gedacht, es ist eine Geschichte. Jedoch im Kern gibt es diese Menschen. Diese – ich stimme dir ja zu, deswegen weise ich es von mir – grauenhaften, ekligen, widerwärtigen Leute (Männer). Sie laufen da draußen herum, zünden Frauen an, die auf dem Weg zum Gericht sind, um gegen ihre Vergewaltiger auszusagen. Und deswegen kann ich deine Frage

Das ist in meinen Augen ein bestenfalls leidlich ärgerlicher Text. Willst du so was wirklich schreiben?

nur mit Ja beantworten. Ich schreibe nicht über bunte Blumenwiesen, die von verliebten Pärchen mit ihren Picknickdecken plattgesessen werden. Ich schreibe über die, die das Glück auf der Blumenwiese nicht verdient haben. Und ich versuche die Frage zu stellen, wie ein Mensch so werden kann. Du findest Iain leidlich ärgerlich? Er regt dich auf? Gut, das sollte er. Iain ist das letzte.

Die Erzählstimme. Wenn ein Protagonist im Dialog sagt: Du Mistsau!, dann geht das, es ist eine Äußerung des Protagnisten, verrät etwas über das Mindset, den Charakter. Hier ist es aber der Erzähler selbst, der durchgängig diese miesen, sexistischen und dümmlichen Aussagen trifft.

Das finde ich ehrlich gesagt eine reichlich merkwürdige Ansicht. Versteh mich nicht falsch, es ist dein Geschmack und das möchte ich nicht nieder reden. Aber als Autor der Geschichte muss ich schon sagen: Hier ist nichts falsch, es trifft eben nur nicht deinen angesprochenen Geschmack. Ja, die Erzählerstimme ist jener von Iain verdammt nah, so nahe wie es möglich ist. Nenn es einen inneren Monolog in der dritten Person, wenn du willst. Ich halte wenig davon, die Erzählerstimme nur zu verwenden, um zu beschreiben, wie eine Figur von A nach B geht und ein Glas aus dem Schrank holt. Kann man machen, will ich aber nicht.

Niemand, der also ernsthaft an einer Therapie interessiert ist, würde sich so verhalten. Ist ihm aber egal, er bezahlt lieber viel Geld und lässt diese dumme Sau, um mal in deinen Worten zu sprechen, sich an ihm abarbeiten. Warum geht er dann überhaupt noch hin?

Das ist tatsächlich ein guter Einwand. Ich werde mir das durch den Kopf gehen lassen. Ich könnte mir vorstellen, dass seine Frau will, dass er das macht und er es tut, damit sie Ruhe gibt. Aber wir werden sehen. Danke jedenfalls!

Und auf der Couch liegst du bei der Tiefenpsychologie oder wenn du eine echte Psychoanalyse machen lässt.

Und das weiß ich, aber Iain halt nicht. Schau ihn dir an, wirkt er so, als wäre er gebildet genug, so etwas zu wissen? :P

Du kümmerst dich auch gar nicht um das kaputte Verhältnis zwischen der Frau und ihm. dass sind alles nur Pappfiguren, Strohmänner

Nein, das tue ich nicht. Warum sollte ich? Und ja, gerade die Frau ist eine Pappfigur – sie hat nicht mal einen Namen.

für deine pubertär-misantrophischen Gedanken.

Wieder etwas, das ich von mir weise. Wie kommst du eigentlich dazu, Autor und Werk auf diese Art in einen Topf zu werfen? Ich meine, natürlich kommt der Text von mir, natürlich hat er mit mir zu tun. Aber er ist nicht ich. Ich beschäftige mich mit Menschen, die mich eben beschäftigen. Und Menschen wie Iain beschäftigen mich, weil ich sie absurd finde.

taucht sie als Killerin (!) in seinem Büro auf und tötet seinen sexistisch daherlabernden Kollegen. Mal eben so. Und entkommt. Weil sie sich als Putzfrau verkleidet hat. Ist sie die Amazone, der Racheengel der von sex offendernbelästigten Frauen?

Nein, ist sie nicht. Wie gesagt, es handelt sich bei dem ganzen um mehrere zusammenhängende Kurzgeschichten. Zur Erklärung spoiler ich gerne: Nina, die eigentlich Anna heißt, ist eine Auftragskillerin die wiederum von der Frau des getöteten beauftragt wurde. Aber das sind, im wahrsten Sinne des Wortes, andere Geschichten.

Dann muss noch so eine wenig Bisexualität mit rein, aber irgendwie dann doch nicht so richtig, weil so was hat man ja schon hinter sich.

Ja das war gefährlich, ich weiß. Aber auch das musste sein. Ich – selbst bisexuell, wenn wir jetzt schon soweit sind – kenne tatsächlich Menschen, die das so unterdrücken und in sich reinfressen, dass es sie auffrisst. Fasziniert mich, das Menschen das können. Und somit ist auch dieser Teil nur eine weitere Beobachtung aus meinem Leben im Textform gegossen.

So, Jimmy, ich hoffe wir sind gut miteinander. Ich versteh ja, dass dich das sehr aufgeregt hat. Ich finde es auch gut, dass du es aussprichst. Was, wenn ich wirklich ein sexistischer, biphober, gewaltliebender Wichser wäre :D Dann braucht es immer jemanden, der dagegen redet. Ich muss auch ganz ehrlich sagen, ich war fast etwas dumm, zu glauben, dass mir solche Reaktionen nicht entgegenschnepfen werden. Immerhin habe ich Iain schon verabscheut, als ich ihn geschrieben habe. Aber das ist ein halbes Jahr her, ich habe jetzt schon so viel Zeit mit ihm verbracht, dass ich mich daran gewöhnt habe. Traurig aber wahr.
Wie auch immer! Danke fürs Lesen, danke für deine Gedanken und in diesem Fall vor allem deine Gefühle dazu. Die Geschichte ist wie sie ist und ich stehe zu ihr. Aber ich weiß jetzt auch, das sie gefährlich ist.

Liebe Grüße,
Alveus

 

Ich versteh ja, dass dich das sehr aufgeregt hat.

Du hast da was gründlich missverstanden. Mich hat das überhaupt nicht aufgeregt. Und deine Geschichte ist auch nicht gefährlich. Ganz im Gegenteil. Sie ist eher unfreiwillig komisch. Mir war aber klar, dass so ein billiger Frontalangriff kommt (Ich habe dich getroffen!, genau das wollte ich ich erreichen!) wenn sich jemand die Mühe macht, diesen ganzen Text zu entlarven. Es ist ganz einfach eine gewollte Provokation, die leider eben null funktioniert. Das ist in der Tat meine Sicht der Dinge. Und die Erzählhaltung, die in diesem Text vorherrscht, suggeriert natürlich auch etwas. Die suggeriert nicht nur einfach eine Nähe, sondern eine Gleichförmigkeit der Gedankenwelt, das ist ein Guss. Du interessierst dich überhaupt nicht für die Genesis deiner Figuren, du führst sie einfach nur vor, du gibst sie der Lächerlichkeit preis. Und natürlich kann ich die Haltung des Autoren hinterfragen, du bist für deinen Text verantwortlich. In meinen Augen ist das dann eben einfach ein schwacher Text, der mit viel heißer Luft daherkommt, doch im Grunde keine Substanz hat, mir nichts erzählt und das auch gar nicht will. Eine Fassade. Es ist abgeschmackter Voyeurismus, der sich an sich selbst erfreut. Wenn dir das reicht, dann ist das eben so. Das wäre schade, ist aber eben nicht zu ändern.

Naja, wie dem auch sei, an deinem belehrenden, besserwisserischen und arroganten Ton, den du mir gegenüber in deiner Antwort anschlägst, erkenne ich bereits, dass du an einem Austausch im Sinne einer ernsthaften Textarbeit gar kein Interesse hast. Mach mal weiter. Du bist sicher schon ein Genie.

Gruss, Jimmy

 

Hola @Alveus Jekat,

ich wurde recht nachdenklich nach dem Lesen dieses sehr mittelmäßigen Textes, der endet mit:

Alveus Jekat: schrieb:
Immer und immer wieder in ihr ihre abartige Fresse.

Weil mir einfällt, was Du Rob F geschrieben hast:

Alveus Jekat: schrieb:
Von uns kannst du viel lernen.

Dieses ‚uns’ solltest du besser nicht gebrauchen.
José

 

Hallo @josefelipe,

kannst du das konkretisieren? Inwiefern wurdest du nachdenklich? Wegen des Inhalts, der Aussage des Textes? Weil ich Iains Verhalten nicht als das abstoßende bewertet hab, das es ist, sondern es einfach unbewertet hingestellt habe? Was ist an dem Text mittelmässig? Ist das technischer Natur, sprachlicher? Und wieso soll ich das "uns" nicht gebrauchen – wenn ich mich zu einer Gruppe zähle, möchtest du nicht Teil davon sein? Warum? Oder ist einfach meine Technik nicht gut genug, um etwas weitergeben zu können? Was hat dieser Text getan, was habe ich getan, dass du das so siehst? Was hättest du anders gemacht?

Ich frage wirklich nur, um zu verstehen. Das würde ich nämlich gern, aber ich tue es nicht. Ich bin gestern Abend noch wach gelegen und habe über diesen Text nachgedacht, was er tut und wie er das tut. Und das nach nur einer Reaktion. Jetzt habe ich noch deine, aber ich verstehe nach wie vor nicht. Vielleicht bin ich zu engstirnig, vielleicht sehe ich als Autor des Textes nicht weit genug.

Ich kennen deine Art zu kritisieren und schätze sie sehr, das weißt du vielleicht. Deshalb wäre ich dir für eine tiefergehende Antwort sehr dankbar.

Liebe Grüße,
Alveus

 

Keine Antwort ist stillos, ich möchte aber nicht Statist sein in deiner One-Man-Show.

 

Weil ich Iains Verhalten nicht als das abstoßende bewertet hab, das es ist, sondern es einfach unbewertet hingestellt habe?

Ich sollte das nicht tun, tue es aber trotzdem, vielleicht liegt da ja doch eine Lektion für dich drin.

Dein Erzähler ist alles andere als neutral, wie du es behauptest. Dein Erzähler ist überproportional vertreten, er gibt den Handlungen des Protagonisten Recht, er bekräftigt ihn und unterstreicht es mit eigenmächtigen Kommentaren. Du kannst jetzt natürlich die Chewbacca-Verteidigung bringen und sagen, Ja ne, ihr verwechselt da Autor und Erzähler. Das klingt erstmal richtig, aber ist auch nur bedingt so. Du solltest dich dann schon fragen lassen, warum du diesen Erzähler so gewählt hast, was es dem Text bringt, wo der Mehrwert ist, ob es der Narrative nützt. Im Grunde nämlich gar nicht. Und dann wird so eine These, so eine Konstruktion natürlich durchsichtig, durchschaubar, was ja auch deine erste Reaktion zeigt: Uh yeah, also meine Geschichte ist schon gefährlich, das ist aber ja genau, was ich wollte! Ich weiß nicht, wie du gefährlich definierst, aber wenn etwas beim ersten Lesen der Text so aufdringlich und transparent wird, dann ist für dich Kaffee kochen sicher auch schon eine große Gefahr. Versteh mich nicht falsch, jeder Autor sollte mit Erzählperspektiven herumexperimentieren, sollte seine Stimme, seine Sprache finden, aber man sollte sich dann nicht auf so billige Art und Weise herausreden. Ich habe überhaupt gar kein Problem damit, wenn jemand sagt, dass sein Text provozieren will, oder wenn er dem Leser eine gewisse Lesart aufzwingt, weil der im Zweifelsfall immer selbst entscheidet, wie er etwas rezipiert. Man sollte dann aber nicht so tun, als sei man als Autor ein unschuldiges Lamm und wisse nicht, was man da getan habe. Das ist nämlich nicht so.

Mal ein radikales Beispiel:

Er öffnete das Eisentor zur Schleuse. Als sie vor den Kabinen angekommen waren, zeigte er auf die schäbigen Klamotten. "Alles ausziehen, ihr geht jetzt duschen." Er hörte ihre Schreie, roch das Gas. Er wartete noch einige Minuten, bis es ganz still geworden war.

vs

Er trat den verschissenen Hungerhaken in ihre labbrigen Ärsche und schrie: "Ausziehen, ihr Tiere!", denn das waren sie ja, Tiere, nicht mehr wert wie Ratten, wie Ungeziefer. Und als das Gas mit einem Zischen in die Duschkabine strömte, sah er laut lachend und befriedigt dabei zu, wie das Leben aus ihren abartigen Fressen wich.

Da würde ich mich fragen, warum hat der Autor diesen menschenverachtenden Erzähler gebraucht? Was bringt er dem Text? Was soll da besser, klarer werden? Was soll da für ein Gefühl aufkommen? Das ist einfach der allerbilligste und plumpste Versuch, Emotion zu erwecken, durch diese offensichtliche Provokation, weil dem Leser im Grunde nichts anderes übrig bleibt, als Autor und die Erzählinstanz kurzzuschließen, diese zusammenzudenken. Weil, warum würde man das sonst so machen? Und dann kommt von dir wieder die Chewbacca-Defensive, und der Leser wird auf sich selbst zurückgeworfen, und du bist fein raus. Aber so läuft das nicht. Etwas anderes wäre es würdest du Rollenprosa schreiben, wärst du im Kopf des Täters, oder deines Protatgonisten, dann wäre alles erlaubt, dann ist es aber natürlich sehr anspruchsvoll, es gut hinzukriegen, denn auch da kann man schnell voyeuristisch werden, auf den krassen Schockeffekt setzen.

Wie dem auch sei, ich fürchte, du bleibst da sicher auch beratungsresistent. Ich wollte dir nur verdeutlichen, was du eventuell an deinem eigenen Text falsch siehst.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @josefelipe

Keine Antwort ist stillos, ich möchte aber nicht Statist sein in deiner One-Man-Show.

Auch hier kann ich nur sagen, schade, dass du das so siehst.

Liebe Grüße,
Alveus

Hallo @jimmysalaryman

Ich sollte das nicht tun, tue es aber trotzdem, vielleicht liegt da ja doch eine Lektion für dich drin.

Danke, dass du es trotzdem getan hast.

Ich habe deinen Kommentar schon zu Mittag gelesen und mir bis jetzt Zeit genommen, darüber nachzudenken. Ich danke dir auch deshalb dafür, dass du dich noch einmal dran gesetzt hast, weil ich jetzt, denke ich, besser verstehe.

Dein Erzähler ist alles andere als neutral, wie du es behauptest. Dein Erzähler ist überproportional vertreten, er gibt den Handlungen des Protagonisten Recht, er bekräftigt ihn und unterstreicht es mit eigenmächtigen Kommentaren.

Stimmt, du hast Recht, das habe ich einfach nicht so gesehen. Ich hab das erst richtig durch dein Beispiel verstanden. Es wird wohl sein, dass ich das tatsächlich an meinem eigenen Text einfach nicht erkannt habe und jetzt, wo ich das tue, komme ich mir beinahe absurd vor.

Ja ne, ihr verwechselt da Autor und Erzähler. Das klingt erstmal richtig, aber ist auch nur bedingt so. Du solltest dich dann schon fragen lassen, warum du diesen Erzähler so gewählt hast, was es dem Text bringt, wo der Mehrwert ist, ob es der Narrative nützt. Im Grunde nämlich gar nicht.

Auch hier verstehe ich jetzt besser, was du gemeint hast. Ich darf hier, wenn auch wesentlich demütiger als zuletzt, trotzdem ein bisschen zu meiner Verteidigung ausrücken: Der Text, wie erwähnt, ist in einer Serie von Kurztexten der erste. Der zweite Text handelt von der Therapeutin und wie es ihr mit Iains Tat, aber auch mit seinem Wesen an sich ergangen ist und stellt sozusagen das Gegenstück dar. Das heißt: Ja, mein Erzähler – ich – ist nicht neutral und er unterstützt die Figur voll und ganz. Im weiteren Verlauf jedoch lasse ich das nicht unkommentiert, nicht unbewertet stehen, was mein Erzähler & Iain in der ersten Geschichte machen. Das kann hier natürlich niemand wissen – und auch das habe ich absurderweise übersehen.
Zur Frage, wieso ich diesen Erzähler so gewählt habe, hast du dir Antwort praktisch selbst gegeben:

Versteh mich nicht falsch, jeder Autor sollte mit Erzählperspektiven herumexperimentieren, sollte seine Stimme, seine Sprache finden, aber man sollte sich dann nicht auf so billige Art und Weise herausreden.

Es war genau das. Ich habe experimentiert und wollte, wie gesagt, den Erzähler sehr nahe an die Figur rücken, nämlich deshalb, weil ich Geschichten liebe, die das machen. Womöglich war es keine gute Idee, das mit so einer Figur zu machen.
Was mich gleich zum nächsten bringt, nämlich dem Wort »gefährlich«, das habe ich nämlich so

Uh yeah, also meine Geschichte ist schon gefährlich, das ist aber ja genau, was ich wollte!

gar nicht gemeint, da habe ich mich einfach falsch ausgedrückt. Ich habe gemeint, die Geschichte ist für mich gefährlich, eben weil ich mich dann, wie du sagst, fragen lassen muss, warum ich das getan habe. Und weil die Geschichte durchaus so rezipiert werden kann, dass ich das alles super finde, was da passiert und was da gesagt wird. Das will ich sicher nicht.

Das ist einfach der allerbilligste und plumpste Versuch, Emotion zu erwecken, durch diese offensichtliche Provokation

Mit dem kann ich deshalb so schwer leben, weil der Text einfach wirklich nicht als Provokation angedacht war. Dafür hätte ich mich ja hinsetzen müssen mit dem Ziel, einen Text zu schreiben, der nichts anderes tut, als zu provozieren. Aber das habe ich simpel nicht. Ganz ursprünglich war das ein Science-Fiction Text, Iain ein unterdrücktes Wesen, vom Staat, von seiner Frau und die Therapeutin war nur da, um zu versuchen, ihm "auffälliges" Verhalten zu entlocken. Das hat mir nicht gefallen, ich habe es umgeschrieben und das, was da oben jetzt steht, ist eben dabei rausgekommen.
Wie auch immer, ich sehe natürlich ein, dass ich die Rezeption meiner Texte weder steuern kann noch steuern sollen könnte. Deshalb ja, wenn es für dich eine offensichtliche Provokation ist, dann ist es das auch. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass wir – und ich zähle mich natürlich dazu – heutzutage zu schnell in etwas Provokantes eine bewusste Provokation hineininterpretieren und uns so dem versperren, dass da vielleicht noch etwas anderes ist. Und bitte: Ich werfe das niemandem vor, ich möchte nur meine Meinung festhalten.

Etwas anderes wäre es würdest du Rollenprosa schreiben, wärst du im Kopf des Täters, oder deines Protatgonisten, dann wäre alles erlaubt, dann ist es aber natürlich sehr anspruchsvoll, es gut hinzukriegen, denn auch da kann man schnell voyeuristisch werden, auf den krassen Schockeffekt setzen.

Auch dafür danke ich dir, denn ich kannte den Begriff vorher nicht, aber ich glaube, das ist das, wo ich eigentlich hinwollte, aber offenbar versagt habe. Ich werde mich damit beschäftigen.

Naja, wie dem auch sei, an deinem belehrenden, besserwisserischen und arroganten Ton, den du mir gegenüber in deiner Antwort anschlägst, erkenne ich bereits, dass du an einem Austausch im Sinne einer ernsthaften Textarbeit gar kein Interesse hast.

Auch hierzu möchte noch etwas sagen, wenn ich jetzt schon soweit bin. Ich bin sehr an Textarbeit interessiert, ich bin sehr daran interessiert, wie meine Texte aufgenommen werden aber viel mehr daran, warum sie so aufgenommen werden.
Ja, meine erste Antwort an dich war tatsächlich durchzogen von Überheblichkeit und das wusste ich irgendwie auch, als ich sie geschrieben habe. Ich sage dir ehrlich warum: Ich habe in deiner ersten Bemerkung – im Gegensatz zur jetzigen – keine konstruktive Kritik herauslesen können. Ich habe mich nur beleidigt gefühlt. Und Menschen reagieren, wenn sie sich beleidigt fühlen, auf zwei Arten: Entweder, sie schmollen und versuchen dem anderen ein schlechtes Gewissen einzureden. Oder sie reagieren mit überbordender Überheblichkeit, um sich, na ja, vermeintlich abheben zu können. Und ich gehören definitiv zur zweiten Gruppe. Hiermit also eine Entschuldigung dafür.

Wie dem auch sei, ich fürchte, du bleibst da sicher auch beratungsresistent.

Ich hoffe, ich konnte dich vom Gegenteil überzeugen.

Liebe Grüße und ein letztes Dankeschön,
Alveus

Hallo @Manlio,

hatten wir schon das "Vergnügen"?

Ich weiß es leider nicht. Aber jetzt haben wir es jedenfalls und das freut mich (:

Ich verstehe deinen Serientext als "Hommage" an den verunsicherten Mann von heute - und als solcher funktioniert er für mich, ziemlich gut sogar!

Ja, ich mein, er war nicht so intendiert – er war überhaupt nicht intendiert. Ich versuche meine Texte möglichst ohne interpretative Vorgabe zu schreiben und am Ende interpretiere ich dann selbst etwas hinein und dann tue ich mir mit Interpretationen anderer schwer, wie man hier sieht :D Aber ja, tatsächlich verstehe ich ihn auch so. Als ein Abbild eines verunsicherten, frustrierten aber auch dummen Mannes, der lieber mit Brutalität in die Scheiße rennt, als etwas für sein Glück zu tun.

geht aber zur Seelenklempnerin.

Woran ja nichts auszusetzen wäre, wenn er es nutzen würde, anstatt, wie du sagst, den Harten zu markieren.

Bei der Therapeuten-Szene bin ich nicht sicher, ob du nicht hier und da kürzen kannst. Ich würde generell versuchen, den Text noch mehr auf "Tempo" bringen. Dialoge dominieren, was total okay ist, ufern aber manchmal etwas aus.

Alles klar, danke! Ich habe bei meinen Stories oft die Angst, dass sie zu viel Tempo haben und zu wenige Dialoge. Das Gegenteil zu hören ist auch sehr erhellend :D

Vielleicht deutest du an, dass sich Modern Man am wohlsten in der "Natur" fühlt, oder, was davon noch übriggeblieben ist.

Vielleicht auch das, ja! Für mich ist es – wieder, nicht so angedacht, aber im Nachhinein hineininterpretiert – so eine Art Symbol dafür, dass Iain sich nur gut fühlen kann, wenn es den Leuten um ihn herum schlecht geht.

Das gefällt mir sehr gut - frühere Selbstverständlichkeiten wie das "Den-Hof-machen" oder Hinterherpfeifen sind in der Mee-Too-Zeit zu prekären Handlungen geworden, an der Grenze zur Strafbarkeit. Wunderbar absurd beschrieben.

Danke (:

Das ist auch gut: Wie er für sich so eine James Bond-Welt zusammenspinnt. Überhaupt kontrastierst du schön das triste Eheleben des Iain mit einer Art "Szenerie", in der er markieren kann und in die Elemente von Crime, Agentenroman einfließen.

Und auch hier: Danke (: Das habe ich tatsächlich so noch gar nicht betrachtet.

Dein Text ist ja hier hart kritisiert worden, und aus einer bestimmten Warte betrachtet, mag da auch was dran sein. Erkennt man aber an, dass der Text im Grunde zutiefst neurotisch, überhitzt ist, dass er versucht, Sachverhalte ironisch überspitzt bewusst zu machen, dann ist er stark.

Das wäre so auch mein Gedanke gewesen. Aber ich möchte wirklich niemandem vorwerfen, das nicht zu sehen. Im Endeffekt bin ich als Autor dafür verantwortlich, wie die Geschichte rezipiert wird. Vielleicht ist tatsächlich mein Problem, dass ich nicht vorher mit einem Gedanken an die Geschichte drangehe, und dann der eine versteht, was ich verstehe und der andere genau nicht. Wer weiß.

Danke fürs Lesen, Kommentieren und für deine Zeit!

Liebe Grüße,
Alveus

 

Hallo Alveus,

Nach über einem halben Jahr hab ich meine Rüstung wieder genommen und bin zurückgekehrt zu den Wortkriegern.
Schön, dass du wieder zurück bist, aber schade, dass du die Kommentare unter deiner vorherigen Geschichte noch nicht - wie angekündigt - beantwortet hast ...

Einer davon besteht aus Kurzgeschichten die lose zusammenhängen, aber separat funktionieren, von denen diese hier die erste ist.
... sagst du zu dieser Geschichte.

Wozu brauchst du dann diese folgende Erklärung?

Wie gesagt, es handelt sich bei dem ganzen um mehrere zusammenhängende Kurzgeschichten. Zur Erklärung spoiler ich gerne: Nina, die eigentlich Anna heißt, ist eine Auftragskillerin die wiederum von der Frau des getöteten beauftragt wurde. Aber das sind, im wahrsten Sinne des Wortes, andere Geschichten.

Und hierdurch sieht dein Projekt für mich im Augenblick nach einer Fortsetzungsgeschichte aus:
Der zweite Text handelt von der Therapeutin und wie es ihr mit Iains Tat, aber auch mit seinem Wesen an sich ergangen ist und stellt sozusagen das Gegenstück dar.

Bin mal gespannt, ob Serienteil 2 alleine funktioniert, ohne Teil 1 zu kennen.

Viele Grüße,
GoMusic

 

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