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ich bin ganz anders als ihr

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22.08.2001
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ich bin ganz anders als ihr

Du hättest dich gefreut, wenn ich mal angerufen hätte. Ich hätte mich gefreut, wenn du mich nie im Leben kennengelernt hättest und mir nie gesagt hättest, wie toll ich bin. Aber so ist es jetzt. Ich stehe auf dem Hof. Du vor mir und redest. Ich will auch reden, aber es funktioniert nicht. Ich bringe kaum ein vernünftiges Wort heraus, weil meine Zunge durch den Alkohol gelähmt ist. Mir ist schlecht und du fragst, wieso ich dich nicht anschaue. Ich habe auf einmal das Bedürfnis, dich zu schlagen, aber ich bleibe still. Du nimmst meinen Kopf zwischen deine Hände. Willst, dass ich dich anschaue. Um mich herum ist es so still. Alle Leute reden und schreien. Sind fröhlich. Sie trinken - wie ich. Du willst wissen, wie es mit mir endet. Dieser Sadismus. Ich spucke dich an. Mitten ins Gesicht. Ich finde das ein guter Zug von mir. Samstag rufe ich dich an. "Es tut mir leid". Ich habe ewig nicht angerufen. Ich habe angst davor. Angst vor dir und deinem ewigen Wortgemetzel. Und dann tue ich wieder so, als würde ich dich hassen. So, als hätte ich mich total verändert. Als wäre ich jetzt jemand, dem nichts anhaben kann, weil ich will, dass du dir Vorwürfe machst. Und inmitten dieser Erkenntnis, da bin ich ganz kurz mal ehrlich und belüge mich im selben Moment wieder selbst. Und du bist ganz traurig. Und je öfter ich dich treffe, desto präziser und ausgefeilter wird meine Technik, dich schuldig fühlend zu machen. Manchmal denke ich, dass ich ein kleiner Regisseur bin. Dann bin ich größenwahnsinnig und denke, ich könnte dich so etwas wie manipulieren. Dich beherrschen. Dann fühle ich mich ungemein mächtig. Und immer und immer wieder brauche ich das Gefühl. Und immer dann rufe ich bei dir an oder spiele ein Gespräch mit dir im Kopf durch.
Abends sitze ich bei einer Freundin. Sie und ihr Freund liegen auf dem Bett. Ich störe, das merke ich. Der Hund riecht an mir. Er mag mich. Ich habe ewig nicht geduscht. Halte es für unnötig. Selbst wenn ich gut riechen würde, würde sich jeder vor mir ekeln. Aber der Hund mag meinen Gestank. Er sitzt unter dem Tisch in der Küche. Ich rede mit ihm. Er kaut dabei auf einem rosa Stoffschwein herum. Ich höre die zwei auf dem Bett lachen. Sie wünschten, ich wäre nicht da.
Dann fahren wir wieder weg. Nach Hause. Und die Freundin trinkt sich weiter alleine bewußtlos, weil sie denkt, dass das ihr Leid unterstreichen würde. Sie trinkt und dann geht sie in die Küche. Sieht zu, wie das Blut auf die weißen Fliesen tropft. Freut sich dabei, würde am liebsten ein Foto davon machen und es sich auf ein T-Shirt drucken. Sie hat wohl recht. Sowas sollte ich auch tun, damit mich ja jeder bemitleidet und mir helfen will. Aber ich kann leider nicht zusehen, wie mein eigenes Blut auf weiße Fliesen tropft. Und ich kann mich nicht alleine betrinken. Das macht keinen Spass. Und dann wird sie sich Küchenpapier um die Ritze wickeln und an den Compter gehen. Sie wird eine neue Geschichte schreiben, die von Kummer, Liebe und Leid handelt. Manchmal sind sie auch schön.
Und dann wieder du. Um mich herum nur Menschen, die zuviel sagen. Zuviel und doch gar nichts. Reden von Kommunismus, über Individualität, darüber, ganz anders zu sein und zu werden, wie alle anderen. Und du. Alles läuft perfekt.
Ich werde nach Hause gehen, mir Fotos von dem zerstörerischen Sommer anschauen und dabei Smashing Pumpkins hören. Obwohl ich sie hasse. Und ich werde so leer sein. Viel zu leer. Ich werde nicht mehr wissen, was überhaupt wahr ist und an mir selbst und an meiner Existenz zweifeln. Weil ich so leer sein werde. Und ich werde immer und immer wieder an verschwendete Stunden und Minuten denken müssen, in denen ich an ebenso verschwendete Wörter geglaubt habe. Ich werde nicht einschlafen können und werde mir sagen, dass ich nie wieder einschlafen möchte und nie wieder aufwachen möchte. Und wenn ich aufwachen sollte, dann bitte in einer ganz anderen Welt oder in einer ganz anderen Zeit.
Aber ich werde einschlafen und am nächsten morgen wird die Leere weg sein. Und ich werde zur Schule gehen und nirgends hingehören. Immer nur wieder zuhören und mit keiner Miene dasitzen. Mit einem Einheitsgesicht. Nur kalt. Weil es mir Spaß macht, so zu tun, als ob nichts wäre. So zu tun, als ob mich selbst der 3. Weltkrieg nicht stören würde. Ich habe "der Schakal" gelesen. Genauso möchte ich sein. Graue, undurchdringbare Augen. Zerstörerische Kälte. Eiserne Präzision. Aber in Wirklichkeit bin ich wie alle anderen. Genauso dumm, oberflächlich, unwissend. In jedem von ihnen sehe ich mich selbst. Darum hasse ich sie. Später dann - wenn ich alt, krank, verblödet, unglücklich und einsam bin, dann werden Briefe von Einladungen zum Klassentreffen kommen. Aber ich werde nicht hingehen. Vielleicht einmal. Das nächste Mal werde ich nicht hingehen. Und sie werden mir dann auch irgendwann keine Einladungen mehr schicken. Dann haben sie mich völlig vergessen. Ich werde allen erzählen, dass ich froh darüber bin. Aber in Wirklichkeit bin ich traurig. Ich werde nämlich allein irgendwo sitzen und auf mein Leben zurückschauen. Und dann werde ich die Einzige sein, die nichts erreicht haben wird. Gar nichts, außer der Einsamkeit, die ich mir immer gewünscht hatte und die ich dann verfluchen werde. Weil ich immer ganz anders sein wollte als sie. Dann werde ich ja sehen, wie weit ich damit gekommen bin, mit dem "ganz-anders-sein".

 

Die Masse derjenigen, die nicht einer aus der Masse sein wollen.

Schöner Text.

 

Ich dachte zuerst, dass es hier um eine zwischenmenschliche Beziehung geht, nämlich zwischen Dir und "ihm". Diesen Punkt hast Du später völlig fallen lassen. Warum eigentlich?
Deine Geschichte ist zwar trotzdem flüssig und auch sehr tiefgehend, aber mit "ihm" lockst Du den Leser zuerst auf eine falsche Fährte.

 

Der Text wirkt sehr konfus, was die innere Zerrissenheit der Protagonistin zeigt. An manchen Stellen ist Dir das sehr gut gelungen, an anderen wirkt es etwas unbeholfen. Insgesamt könntest Du etwas schlüssiger schreiben (das geht, auch wenn man Verwirrtheit darstellen will :) ).
Insgesamt ist der Text ziemlich hoffnungslos, da die Protagonistin keinen Ausweg sieht, was ich recht realistisch finde, wenn auch nicht erstrebenswert (wer will schon leiden?!.
Gruß,

chaosqueen :queen:

 

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