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Ich will

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24.11.2009
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Ich will

Wie wir dort zusammen auf der als durchaus siffig zu bezeichnenden Matratze lagen, konnte man geradezu als klassisch bezeichnen. Auf dem Rücken liegend, entspannter als jedes Faultier, stützte ich meinen Kopf mit der rechten Hand, während sie den Ihren auf meinem linken Arm ruhen ließ. Sie kraulte meine Brusthaare wie selbstverständlich und ließ ihr üppiges Haar über meinen halben Körper ruhen. Die Luft war ekelig süß erfüllt von Gerüchen, die verteufelt deutlich an Sperma, Schweiß und Gummi erinnerten. Unnötig zu erwähnen, dass wir im kompletten Adam- und Evakostüm so vertraut beieinander lagen und die Zeiger auf dem Ziffernblatt meiner billigen Uhr auf eine etwas weiter vorgerückte Stunde hinwiesen. Obwohl als Lichtquelle nur die Mondsichel diente, die ihr altbekanntes bleiches Grinsen in meine Räuberhöhle kotzte, die ich hin und wieder scherzhaft als mein Schlafzimmer bezeichnete, konnte ich nur allzu deutlich ihren Blick erkennen, mit welchem sie mich seit geraumer Zeit malträtierte. Es war mehr als deutlich, dass sie sich ihr süßes Köpfchen über irgend etwas zerbrach, was wohl etwas von Belang war.
»Woran denkst du?«, fragte ich.
Eine Frage, die ein Mann normalerweise niemals stellen würde und schon gar nicht von einer Frau hören möchte, von der er meint, ihr gerade das Gehirn aus der Schädeldecke gevögelt zu haben.
Sie antwortete nicht sofort. Vielmehr erfüllte sie den Raum mit einer dramaturgisch viel zu billigen Art, indem sie einfach nur ein paar Mal vor sich hin seufzte.
»Ich überlege nur...«, begann sie mit einer Antwort, die mir entweder nicht gefallen würde, oder die mir eine ganze Nacht Kopfzerbrechen bereiten würde.
»Ich überlege nur, ob ich es echt ernsthaft mit dir versuchen soll.«
An dieser Stelle sollte ich vielleicht erwähnen, dass diese Szenerie mit ihr nicht die erste solcher Art war. Nein, vielmehr lagen wir in dieser biblischen Stellung schon mehrere Male zusammen, wobei niemals ein ernstes Wort viel. Die wichtigste Entscheidung in dieser Hinsicht war immer, ob wir uns am nächsten Morgen frische Brötchen holen sollten, oder ob wir es bei Kaffee und Zigaretten belassen.
Ehrlich gesagt fühlte ich mich zu diesen Zeitpunkt völlig hilflos, obwohl ich mich normalerweise für einen unglaublich coolen Typen hielt, dem solcherlei Phrasen nichts als ein kaltes Lächeln und ein zufriedener Schlaf bedeuteten oder kosteten. Anders, oder einfacher, ausgedrückt, war ich einfach nur sprachlos und ging, obwohl es in dieser Situation wohl mehr als absurd war, erst einmal auf Tuchfühlung.
»Naja, was denkst du denn?«
Blöder hätte ich es echt nicht formulieren können, aber, mein Gott, ich war echt in Panik. Und schließlich hatte sie diese Frage letztendlich geschluckt (geschluckt! – haha.. ich sollte echt versuchen mal aus meiner Pubertät heraus zu kommen).
»Ich denke...«, schon wieder diese Pause und dieses melodramatische Seufzen. Ich wünschte mir in diesem Augenblick nichts sehnlicher, als eine Kamera, um diesen Schmutz, den jeder GZSZ-Drehbuchautor auf Koks besser geschrieben hätte zu filmen und später eben jenen Autoren zu schicken, damit ich dann doch endlich mal reich werden würde. Doch Pustekuchen, ich konnte mir keine Kamera leisten und die Stunde vor diesem Augenblick wäre sowieso viel interessanter gewesen.
»Ich denke, ich bin in dich verliebt«, antwortete sie endlich und ich konnte es nicht unterlassen, tief durch zu atmen. Und nun? Tja, liebe Leserinnen und Leser, ich wusste es auch nicht!
»Verliebt?«, fragte ich, als ginge es darum, eine in den Raum gestellte wissenschaftliche These zu hinterfragen! Was war ich doch nur für ein Trampel!
»Ja verliebt, was sagst du dazu?«
Jetzt war ihr Blick nicht mehr nachdenklich, sondern eher eindringlich. Jetzt erwartete sie wohl eine Antwort. Logisch, denn immerhin hatte sie eine Frage gestellt. Klugscheißer!
»Verliebt, ach weißt du...«, begann ich, »verliebt, das bist du vielleicht in den nächsten drei Monaten. Maximal. Keine Bange, das geht vorbei.«
Schon während ich diese Worte formulierte, kam ich mir wie ein ausgemachter Lump vor und fühlte mich nichts als jämmerlich! Sie sah mich nun an, als hätte ich mich gerade in ein waschechtes Nashorn verwandelt (in ein nacktes, wohlbemerkt) und bedachte mich mit ihren zauberhaften Augen mit einem Blick, den ich eigentlich vorhatte niemals wieder zu sehen. Meine Güte, ich und mein großes Maul. Mit einem Ton, der verdächtig nach billiger Ausrede klang, fuhr ich fort.
»Ach weißt du, verliebt sein, das ist eine der flüchtigsten Gefühle, die diese Welt je hervorgebracht hat. Und dann liebt man sich entweder, oder man lässt es bleiben. In einer nur allzu sehr absehbaren Zeit trägst du eine Rosabrille und hasst mich am Ende doch nur für Kleinigkeiten, die du in Moment so zuckersüß findest.«
»Das weiß ich doch alles.«
Jetzt war ich echt baff. Das war wirklich nicht die Antwort, die ich erwartet (oder zumindest ein bisschen erhofft) hatte.
»Und was erwartest du von mir?«, fragte ich, ehrlich um eine Antwort bangend.
»Ich sagte dir, dass ich mir überlege, ob ich es ernsthaft mit dir versuchen soll. Vieles spricht nämlich dagegen, weißt du? Ich versuche gerade Fuß zu fassen, etwas festes, verstehst du, was weiß ich, Familie, Haus und guter Job und der ganze Kram. Und du? Du bist nur jemand, der in den Tag hinein lebt, seinen Spaß haben will und nur soviel Gedanken in seine Zukunft verschwendet, wie in der Überlegung, welchen Schlüpfer er morgen anziehen soll. Aber was soll ich machen? Ich bin eben verliebt in dich! Ich weiß eben nicht, was ich tun soll.«
Ich konnte kaum glauben, was ich als nächstes sagte.
»Auch wenn es jetzt zu sehr nach Disney klingt, aber was wäre, wenn du auf deinen Verstand, deinem Haus und Familie und den ganzen Käse scheißt und einfach mal sagst, was deine Gefühle sagen.«
»Ich kann mich nur wiederholen: Ich bin verliebt in dich!«
An ihrer immer schwächer werdenden Stimme und ihren klappernden Lidern konnte ich deutlich erkennen, dass sie dem Dämmerungszustand, den mal allgemein als Schlaf bezeichnete nicht mehr sehr fern war. Hin und her hetzten meine Gedanken, wo vielleicht niemals welche hätten sein sollen. In einem Flash aus Emotionen, die ich weder erklären konnte, noch dessen Existenz mir jemals bewusst war, raste meine folgende Antwort in einem Sud aus nicht erklärlichen Wallungen neuraler und hormoneller Sinnfluten hervor:
»Das trifft sich gut, ich bin nämlich auch verliebt in dich.«
»Ach was, du willst doch nur ficken!«
Also jetzt war ich ehrlich entsetzt.
»Wie kannst du das nur sagen?«, fragte ich mit so viel Entrüstung, wie meine erbärmliche Schauspielkunst es auch nur hergeben konnte. Sie vergrub ihr Gesicht in meine Brust und entgegnete mit einer nicht zu verkennbaren Trauer jenen Satz, den ich eigentlich auch nur erwartet hatte:
»Wenn du nicht nur ficken willst, was willst du dann?«
Hm, gute Frage. Was wollte ich eigentlich? Ich schloss die Augen, atmete noch einmal tief durch und flüsterte darauf los. Die Worte, die folgten erschienen mir so surreal, als wenn sie nicht von mir kamen. Ich dachte nicht darüber nach, habe mir nicht eine Silbe zurecht gelegt, sondern ließ das aus mir heraussprudeln, was mein Herz anscheinend bemüht war so geheim zu halten.
»Ich will...«, begann ich, während sich meine Kehle würgeschlangengleich zusurrte und nur noch krächzende und stockende Laute erlaubte.
»Ich will mit deinem Geruch in meiner Nase einschlafen, diesem Gemisch aus Schweiß und Endorphinen, der nichts als Zufriedenheit bedeutet. Ich will, schlaftrunkend, neben mir greifen und einmal etwas anderes zwischen meinen Fingern spüren, als das zwar flauschige doch nicht nackte Haut ersetzende Fell meines durchgeknallten Katers. Ich will dein Haar berühren, mit dem Wissen, dass es deines, ja, genau deines ist, dein Haar, welches ich eigentlich nie wieder loslassen möchte. Ich will dein Stimme in einer Endlosschleife hören, auch wenn es in meinen Ohren manchmal nur blödsinniges Gewäsch ist, Ich will in deinen Augen versinken, auch wenn ich weiß, dass es nur Augen, nur Glubscher sind, bestimmt, in einer visuellen Welt klarzukommen, die wir uns im Laufe der Evolution blödsinniger weise geschaffen habe, aber, verdammt, es sind deine Augen und ich will meine hässliche Visage darin spiegeln sehen. Ich will mit dir die Oranienstraße entlanggehen, die belebteste Strasse Berlins, und doch hab ich keinen Blick für diese dümmliche Belebtheit, solange ich die Gewissheit habe, dass du, und nur du, es bist, der neben mir schreitet. Ich will dich unentwegt küssen, am liebsten überall gleichzeitig, auch wenn es irgendwann nach Fäule und Verderben schmeckt, solange ich nur gewiss bin, dass du bist, den ich küsse. Ich will dein Leben retten, für dich sterben, wenn es sein muss und für dich leben, wenn ich es kann. Wenn du es zulässt. Ich will mit dir den ganzen Tag im Bett liegen und fernsehen, ohne dass ich auch nur einen einzigen Augenblick lang das Gefühl habe, die Zeit vergeudet zu haben. Ich will die ganze Nacht wach bleiben, um dich beim Schlafen zu beobachten, denn ich kann mir nichts Friedfertigeres vorstellen. Ich will in deiner Gegenwart weinen können, ohne dass du mich belächelst oder bemitleidest. Ich will Leben retten, töten, Berge besteigen, Kriege anzetteln, Bestseller schreiben, Arten erhalten oder auch ausrotten, Wüsten durchwandern und Ozeane durchschwimmen, wenn du, ja nur du, die einzige Motivation dafür bist. Und wenn die Welt um uns herum auseinander berstet, will ich, dass du in meinen Armen liegst und dann will ich das Gefühl haben, dass in diesen Moment die um uns zerfallende Welt völlig in Ordnung ist. Ich will, was du willst, denn genau das ist es, was ich will und nichts anderes ist für mich von Bedeutung. Ich will einfach alles, doch nichts von dem was ich gesagt habe möchtest du vielleicht erfüllen oder auch nichts davon kann ich erfüllen, und dennoch ist es das, was ich will. Ich habe eine Scheißangst davor, aber ich weiß zumindest, dass es das ist was ich will und nichts anderes.
Vielleicht wollte ich das alles nur einmal gesagt haben, ohne dass es jemand hören sollte, egal wer. Sie hatte wahrscheinlich nicht einmal den ersten, geschweige denn letzten Satz mitbekommen, denn sie war längst eingeschlafen und träumte einen Traum, den ich niemals träumen dürfte. Einen Traum der Seligen...

 

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