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In der Schleife
Ich sitze auf dem Klappstuhl in der Küche und warte. Ich rauche nicht, trinke nicht, höre keine Musik. Wie lange saß ich nicht mehr so, ohne jede Ablenkung?
Im Nebenraum ist Sofie mit einer Plastiktüte zugange. Ich kann das Rascheln und Knistern hören. Sie packt.
Am Mittag waren wir zusammen auf dem Fluss. Es waren Gewitter gemeldet und doch schien es ein schöner Tag zu werden. Wir hatten Lachs und Wein eingepackt, hatten das Schlauchboot aufgepumpt und in die Altmühl gesetzt. Das alte Ritual. Drei Stunden konnte man sich eine riesige Flussschleife hinabtreiben lassen und kam beinahe wieder am Ausgangspunkt an.
Nachdem wir die Flasche entkorkt hatten war Wind aufgekommen und in den Badesachen froren wir. Wir redeten kaum und an ihrem Blick erkannte ich, dass ihr das nicht passte.
„Ich mach mir Sorgen,“ sagte sie. „Du warst seit fünf Wochen in keinem Kurs. Du hebst kaum ab, wenn man dich anruft.“
Ich atmete durch. Dann legte ich mich zurück, so dass mein Kopf auf dem Bootrand ruhte und betrachtete die Wolken. Regenwolken. „Bitte,“ sagte ich. „Das hatten wir schon.“
Eine Zeit lang trieben wir in vollkommener Ruhe, dann sagte sie so etwas wie: „Wenn du so weiter machst, werfen sie dich nach der Zwischenprüfung raus“ und dann bekam ich nichts mehr mit, weil mich der Fluss faszinierte. Es hatte zu regnen begonnen und die Tropfen fielen ins Wasser, obwohl die Sonne noch durchkam. Jeder Einschlag ein Lichtblitz.
„Hey,“ rief sie, „hörst du mir zu? Genau das meine ich, du kümmerst dich nur um dich. Dir ist alles egal.“
„Absolut alles,“ sagte ich und grinste. „Komm her, wütendes Mädchen!“
Ich betrachtete sie in ihrem nassen Bikini. Die Kälte hatte ihre Brustwarzen aufgerichtet. Ich wusste, dass sie deren Form nicht mochte, aber mir gefielen sie.
Sie starrte mich an, sagte nichts, aber dann krabbelte sie doch auf meine Bootseite und umarmte mich.
„Wo sind meine Overknees?,“ ruft sie aus dem Nebenraum. Ich blicke auf den Tisch. Wie hässlich dieser Metalltisch eigentlich ist. „Weiß nicht,“ flüstere ich.
Sie küsste mich und ich strich mit der Hand die winzigen Regentropfen von ihren Armen. Wir trieben durch ein Waldstück, in dem sich der Fluss ausdehnte und an Strömung verlor. Kein Haus, kein Weg, keine Anlegestelle. Ideal, dachte ich, und Sofie presste ihren Körper gegen meinen, aber da sah ich hinter ihrem Kopf drei Boote aus einem Nebenarm auftauchen. Sie waren mit Seilen zusammengeknotet, so dass die Männer, die darauf saßen trinken konnten, ohne sich ums Steuern zu kümmern. Sie benutzten die Paddel, um ins Wasser zu schlagen, sich gegenseitig nass zu spritzen oder Schaukämpfe auszufechten.
Ich griff nach den Rudern, um weiterzukommen, aber wir waren schon entdeckt. Zuerst brüllte nur der Kühnste von ihnen, dann stimmten alle ein. Gleichzeitig klatschten sie sämtliche Paddel aufs Wasser. Sah witzig aus und auch der Lärm war beeindruckend. Sofie jedenfalls schien ihre Augen nicht abwenden zu können. Ob ihr die vielen Muskeln gefielen?
„Was machst’n so allein hier draußen?,“ rief ihr ein Dünner mit Stoppelhaaren zu. „Ich sonn mich,“ antwortete Sofie und gab mir demonstrativ einen Kuss.
„Wir sind nämlich Piraten,“ rief Stoppelhaar und grinste seine Kameraden an. Woraufhin diese wieder die Paddel aufs Wasser schlugen, dann eintauchten und ihr Dreierfloß in Bewegung setzten. „Mach was“, flüsterte Sofie. Ich betrachtete die enormen Arme der Ruderer. Selbst wenn ich Jahrzehnte lang Hanteln heben würde, bekäme ich keine solchen Muskeln. Ich tauchte die Paddel ins Wasser, aber zog sie nicht durch. „Mach was!“, drängte Sofie jetzt. Ich sah, dass zwei der Männer noch einen Zug aus ihrer Bierflasche nahmen, aber die Mehrzahl konzentrierte sich. Es roch nach Pulverdampf, tropfendem Öl, Aromen eines Gelages.
Eine Schublade wird zugeschoben, dann tritt Stille ein. Was tut sie? Überlegt sie, was sie vergessen könnte? Sitzt sie auf meinem Bett? Weint sie?
Meine Gedanken schweifen wieder aufs Wasser. Sofie im Schlauchboot. Ihre Formen, kaum vom Bikini verhüllt. Zehn Freibeuter. Was für eine Rolle sollte ich dabei spielen? Ich passe nicht in das Stück. Wer weiß, vielleicht hat sie es gar inszeniert. Diese gewaltige Flusskreatur entworfen, aus der Arme hervorschießen, um Sofie aus unserem Boot zu ziehen. Ihr Kreischen, ihr verrutschter Bikini.
Die Vorstellung erregt mich und ich lasse meine Stirn gegen den Tisch fallen. Das hilft. Sofie betritt die Küche. Offenbar haben die Anhängsel ihres Lebens in zwei Tüten gepasst. Beide halbleer.
„Wo bist du? Wo bist du die ganze Zeit?,“ fragt sie und fixiert mich. Dann dreht sie sich um, geht zur Wohnungstür. Öffnet sie und verschwindet. Ich kann mich nicht dagegen wehren, ihren Po anzustarren.
Dann sitze ich weiter auf dem Klappstuhl in der Küche und warte. Ich rauche nicht, trinke nicht, höre keine Musik.