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In Eile

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03.07.2002
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In Eile

Meine Finger tippen schneller. Immer mehr Tippfehler. Ich muss mich eben mehr konzentrieren. Aber ich bin so in Eile. Was heißt in Eile? Nichts drängt mich. Nur ich selbst. Möchte ganz schnell nach Hause. Doch davor muss ich für meinen Chef noch zehn Seiten abtippen. Dabei habe ich ihm doch erklärt, dass ich heute pünktlich Schluss machen möchte.
Durch das gekippte Fenster höre ich den Feierabendverkehr. Autos stoppen, fahren quietschend an. Ab und zu Gehupe.
Wie soll ich mich bei dem Lärm noch konzentrieren. Die Halogenlampe wirft Schatten auf den Computer. Doch ohne lässt es sich gar nicht arbeiten.
Meine Gedanken sind nicht bei meinen Fingern – die sich schon wieder vertippen, zum Glück habe ich es noch rechtzeitig bemerkt – sie schweifen ab zu mir nach Hause.
Und jetzt klingelt auch noch das Telefon. Gehe ich ran? Eigentlich wäre ich nicht mehr da, wenn ich nicht noch die zehn Seiten tippen müsste. Für einen Kongress am nächsten Morgen.
Ich hebe den Hörer ab. Verwählt. Da hätte ich auch nicht rangehen müssen. Dann wäre ich hier auch schon weiter.
Langsam beginnt mich alles zu nerven: mein Chef mit seinen Extrawünschen kurz vor knapp, der Kongress, die elendige Tipperei, die Frau, die nur falsch verbunden war...alles eben.
Dabei wollte ich heute pünktlich daheim sein.
Meine Gedanken schweifen ab. Während meine Finger automatisch weitertippen.
Vor einem Jahr hatte es angefangen. Alles eben.
Es ist genau ein Jahr her, da bin ich mit meinem Freund zusammen gezogen. In eine nette helle Dachgeschosswohnung mitten in der Innenstadt. Mit Blick auf den wöchentlichen Gemüsemarkt. Ich liebe diesen Blick auf das bunte Treiben, das Stimmengewirr der Marktfrauen, den heraufsteigenden Duft von frischem Gemüse und das Klappern der Schuhe auf dem Kopfsteinpflaster.
Ihn stört der Lärm, den die Bauern schon früh am Morgen machen, wenn sie ihre Stände aufbauen. Auch die helle Dachwohnung gefällt ihm nicht sonderlich. Er wohnte davor in einer dunklen, aber urgemütlichen Kellerwohnung und hätte dort wohl auch noch gerne weiterhin gewohnt.
Doch ich habe ihn ja unbedingt dazu drängen müssen, mit mir zusammen zu ziehen. Ich wollte Nähe. Mehr Nähe als zuvor eben. Nähe, die er nicht zugeben wollte, dass er sie nicht brauchte. Oder nicht wollte.
Also habe ich eine Wohnung gesucht, den Umzug organisiert, seine Umzugskartons gepackt und schließlich die neue Wohnung eingerichtet. Es ist klar, dass ich auch die Miete zahle. Er verdient nicht so viel wie ich. Alleine könnte er sich nie eine solche Wohnung leisten.
Für einen Außenstehenden mag sich das alles nicht nach einer glücklichen Beziehung anhören. Aber wir sind zufrieden und kommen miteinander zurecht.
Dachte ich. Bis letzte Woche.
Letzte Woche kam ich etwas früher nach Hause. Schwer bepackt mit Einkaufstüten stieg ich die Wendeltreppe bis zu unserer Dachwohnung hinauf. Keuchte. War völlig außer Puste.
Ich steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn um und in der Wohnung keuchte auch jemand. Ich lauschte, wagte nicht daran zu denken, was das Gekeuche und Gestöhne zu bedeuten hätte.
Ich ging nicht einmal in die Wohnung.
Stumm und völlig fassungslos ließ ich mich an der spaltbreit geöffneten Haustüre hinunterrutschen und saß wie betäubt zwischen meinen Einkaufstüten. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich so dagesessen habe. Jedenfalls erinnere ich mich noch sehr gut, dass das Stöhnen und Keuchen ewig kein Ende zu nehmen schien.
Und irgendwann huschten zwei braungebrannte schlanke Beine an mir vorbei. Die Füße, rotlackiert , in schwarzen hochhackigen Sandalen.

Und heute habe ich es eilig nach Hause zu kommen.
Ich habe ihm letzte Woche klipp und klar gesagt, dass er ausziehen soll. Er schien nicht besonders unglücklich darüber zu sein.
Und heute ist es soweit. Alle Kartons sind gepackt – dieses Mal habe nicht ich gepackt, sondern ihn packen lassen – er wird ausziehen. Für immer. Wo er wohnen wird, weiß ich nicht. Ich vermute es. Das reicht mir.
Ich habe ihm heute Morgen noch gesagt, er solle den Hausschlüssel einfach in den Briefkasten schmeißen. Damit ich ihn nicht noch einmal sehen muss.
Und jetzt habe ich es eilig.
Ich möchte nach Hause. Will ihn noch erwischen, bevor er den Schlüssel eingeworfen hat.
Will ihm sagen, dass ich ihn brauche. Dass er nicht ausziehen soll. Dass ich ihm alles verzeihe.
Obwohl er mich nicht um Verzeihung gebeten hat.

 

Hallo molinilla,

interessante Geschichte, allerdings fällt es ein bißchen schwer über den Anfang hinaus zu lesen. Du baust die Stimmung der genervten Freu, meiner Meinung nach, sehr gut auf was sich dann auch auf den Leser überträgt.
Das Thema ist allerdings irgendwie deprimierend, wie diese Frau an ihrem Mann hängt der eigentlich nicht viel für sie übrig hat.
Aber irgendwie hat es mir gut gefallen.

Gruß

marble

 

Hi molinilla,

gefällt mir! Schöner Stil; flott und pfiffig! Ich konnte so richtig mitfiebern.

An dieser Stelle aber:

Und jetzt habe ich es eilig.
Ich möchte nach Hause. Will ihn noch erwischen, bevor er den Schlüssel eingeworfen hat.
Will ihm sagen, dass ich ihn brauche. Dass er nicht ausziehen soll. Dass ich ihm alles verzeihe.
Obwohl er mich nicht um Verzeihung gebeten hat.
Mußte ich laut "Nein" rufen. So blöd kann die Frau doch nicht sein, oder? ;)

Gruß!
stephy

 

Ehrlich gesagt war das der Teil, der mir am besten gefallen hat. Am Anfang hakt das Stück mE zu sehr. Die Sätze sind so kurz, dass sie unfertig und ungeschickt werden.
Zudem beschäftigst du dich zu sehr mit Nebensächlichkeiten, besonders im ersten Teil. Was die Protagonistin zu tippen hat ist in meinen Augen irrelevant, auch der Telefonanruf u.ä. . Hier soltlest du nicht so direkt beschreiben, eine oberflächliche Darstellung genügt und lässt die eigentliche Handlung nicht im Hintergrund verschwinden.

Besonders im letzten Teil sehr stark dramatisch und nachzuempfinden. Im mittleren Teil würde in der Beschreibung des Mannes und in den Andeutungen, dass er eigentlich Abneigung gegen eine gemeinsame Wohnung empfindet etc. kürzen. Dies erzeugt beim Leser eine Art Rechtfertigung für die Gesamtsituation, kommt fast so rüber, als ob die Frau sich die Schuld gibt (in dieser Situation zwar gut möglich, aber der Intention, Mitleid bei den Lesern zu erwecken, gegenläufig).
Im Übrigen glaube ich sehr wohl, dass sehr viele Menschen, sowohl Frauen als auch Männer, in den ersten Momenten nach einer Trennung derartige Gedanken haben.

Grüße Frederik

 

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