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Ist eine Sage neu zu schreiben ein Plagiat?

Seniors
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20.11.2001
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Ist eine Sage neu zu schreiben ein Plagiat?

Wie ist das denn eigentlich bezüglich Plagiat, wenn man Sagen neu schreibt?

Sagen sind ja eigentlich nicht das Werk eines Autors, sondern stammen vielmehr aus mündlichen Überlieferungen aus dem Volk. Wenn ich nun finde, eine Sage ist schlecht geschrieben (stilistisch, etc.), könnte ich sie doch eigentlich neu schreiben, oder?

So gibt es etwa von einer Sage, die von da stammt, wo ich wohne, auch gleich zwei Fassungen. Wobei sie sich sogar im Inhalt leicht unterscheiden, eine klingt logisch, die andere nicht...


Und zwar ist das hier die Fassung, die ich für unlogisch halte – denn niemand rennt wo hinunter, damit er einen besseren Ausblick hat, so ein Blödsinn...:

Die Lichtsäule in Penzing

Als die Menschen in den Vororten erfahren, daß sich die Türken auf Wien zubewegen, packen sie hastig die wichtigsten Habseligkeiten zusammen und machen sich auf, um sich in den Wäldern zu verstecken. So auch der Schuster Rottaler mit seiner Frau und seinem Sohn Michael, der ihnen nachläuft und die Ziege führt.

Der kleine Bub hat schon viel von den Türken gehört, doch wirklich vorstellen kann er sich keinen. Immer wieder blickt er sich um, um vielleicht doch etwas von ihnen zu sehen. Mehr und mehr fällt er zurück, bis plötzlich die Eltern und die anderen Dörfler weit voraus verschwunden sind.

Michael schaut hinunter auf Penzing. Da sieht er die kleine Kirche mit ihrem Turm. Von dort aus müßte man einen guten Ausblick haben, denkt er sich. Er zögert nicht und läuft den Weg, die Ziege hinter sich herzerrend, zurück.

Bei der Kirche angekommen, bindet er das Tier ans Friedhofstor, steigt die steile Holztreppe hinauf und beugt sich in der Glöcknerstube aus dem kleinen Ostfenster. Er braucht nicht lange zu warten. Zuerst entdeckt er die Staubwolke, dann kann er schon ihre Gestalten erkennen. Worte einer fremden Sprache dringen an sein Ohr, Hufgetrappel und Waffenklirren. Sie sehen wilder und kriegerischer aus, als Michael es sich in seinen kühnsten Vorstellungen ausgemalt hat.

Plötzlich fällt ihm die Ziege ein! Sie würden sie finden und mitnehmen. Sein Vater wäre furchtbar zornig. Schnell springt er die Treppe hinab, läuft zur Ziege und bindet sie los. Schon tauchen die Tartaren von Hietzing her auf.

Die Ziege reißt sich los und läuft davon. Michael läuft auch. Er versteckt sich in einem Haus hinter dem gemauerten Herd. Da hört er die Türken rumoren. Sie treten Türen ein, zerschlagen Scheiben und legen überall Feuer! Hier kann er nicht bleiben. Durch ein Kammerfenster springt er in den Garten, über eine Mauer zurück zur Kirche. Aber wo soll er sich verstecken?

Geduckt schleicht er über den Friedhof, jeden Grabstein und jedes Kreuz als Deckung nützend. Plötzlich sieht er die Lichtsäule mit ihrer schmalen Öffnung. Vor dieser Säule stellten die Menschen Kerzen für die Seelen der Verstorbenen hin. Heute stehen hier keine Kerzen - heute brennt der ganze Ort.

Einen halben Tag und eine ganze Nacht sitzt Michael im engen Hohlraum des Säulenschaftes und betet zu Gott und Maria, daß ihn die Türken nicht finden mögen. Erst als es draußen ganz still geworden ist, wagt er sich hinaus. Von den Türken ist nichts mehr zu sehen, der Ort ist jedoch völlig zerstört. Das Kirchlein ist geschändet, die Häuser sind eingeäschert, die Gärten verwüstet.

Michael ist heilfroh, als er den Schmied erblickt, der nach Penzing gewandert ist, um nachzusehen, wie es um den Ort steht. Er bringt den Buben zu seinen Eltern zurück, die ihn überglücklich in die Arme schließen.

Die Ziege bleibt allerdings verschwunden. Aber diesen Verlust verschmerzt der Schuster gerne - hat er doch seinen Sohn unbeschadet wieder.

Die zweite und bessere Fassung gibt es hier zum Downloaden.


Was denkt Ihr darüber, kann man das prinzipiell machen, von Sagen eine neue Fassung zu schreiben?

Alles liebe,
Susi

 

Hmm... "ja - sicher" was? "ja - sicher", es wäre ein Plagiat oder "ja - sicher", man kann das machen? :confused:

 

kann man. Ist urheberrechtlich gar kein Problem. Man hat man allerdings, wenn man alles inhaltlich etc. aus dem ursprünglichen Text entnimmt, natürlich nur die Leistung des "Ausdrucks" erbracht.
Aber ich hätte da keinerlei vorbehalte. Ärgern würden mich Leute, die irgendeine Geschichte nachplappern ( sowie die ein oder ander Barabra-Salesch-Folge hier schon aufgetaucht ist ), und sie dann von vorn bis hinten als "eigene" ausgeben.

Eine schlechterzählte Sage neuzutexten, ist doch eher "verdienstvoll". Die Natur einer Sage ist doch, von jedem erzählt zu werden, der sie erzählen will.

Viel Spaß,
Frauke

 

Ich kann irgendwie nicht so recht begreifen, wo das Problem liegt.
Ein Plagiat liegt vor, wenn man eine Idee oder sonstwas als eigenes Werk ausgibt.

Ansonsten: Sagen sind semihistorische Gebilde. Sie nachzuerzählen und dabei vom Original inhaltlich abzuweichen ist eigentlich eine Fälschung. Man kann es zwar machen, niemand hindert einen daran, aber es wirkt komisch.

Kleidet man die Sage in eine Kurzgeschichte oder einen Roman oder Film, sind Abweichungen allerdings zulässig.

r

 

Wenn ich nun finde, eine Sage ist schlecht geschrieben (stilistisch, etc.), könnte ich sie doch eigentlich neu schreiben, oder?
Bloß nicht, der ganze Charme, den eine Sage nun einmal ausmacht, ginge dabei völlig verloren... :D

Und zwar ist das hier die Fassung, die ich für unlogisch halte – denn niemand rennt wo hinunter, damit er einen besseren Ausblick hat, so ein Blödsinn...

Die Antwort ist aus dem Text zu entnehmen:

Da sieht er die kleine Kirche mit ihrem Turm. Von dort aus müßte man einen guten Ausblick haben, denkt er sich.

Er braucht nicht lange zu warten. Zuerst entdeckt er die Staubwolke, dann kann er schon ihre Gestalten erkennen. Worte einer fremden Sprache dringen an sein Ohr, Hufgetrappel und Waffenklirren. Sie sehen wilder und kriegerischer aus, als Michael es sich in seinen kühnsten Vorstellungen ausgemalt hat.
Von wo hat er einen besseren Überblick? Vom Turm aus direkt in der Nähe der Meute? Oder aus dem sicheren Versteck in den Wäldern?

Ganz davon ab. Was spricht dagegen, sich an eine Neufassung einer volkstümlichen Sage heranzuwagen? Nur nicht so eine Pippi Langstrumpf Huldigung, wie von dir einst versucht. Die ging ja völlig daneben!

 

Es gibt ja auch ziemlich bekannte Kästnerische Fassungen von "Till Eulenspiegel", den "Schildbürgern", ...
...oder das immer wieder neu aufgewärmte Thema um den mittelalterlichen Gelehrten Faust (Goethe, Mann...).
Eine Sage umzuschreiben, weil sie "unlogisch" ist, finde ich aber nicht ausreichend als Motiv. Bei der vorliegenden Erzählung dachte ich mir zB. dass es dieser Junge vielleicht gar nicht so darauf anlegen wollte, seine Eltern so gleich wieder zu finden. Er wollte wohl eher die einfallende Türkenhorde von ganz nah und aus einem erhöhten, übersichtlichen Blickwinkel, dem Kirchturm, erleben. Von der angedeuteten Anhöhe (oder was auch immer) aus wäre das wohl nicht möglich gewesen.

 

Das Beispiel ist nur eine von vielen Sagen, die ich nur gewählt habe, weil mir durch meinen Sohn die unterschiedlichen Fassungen in die Hände gefallen sind... ;)

Was das mit dem Überblick in der Geschichte betrifft, muß man wissen, daß es da eher bergig ist und ich eigentlich dachte, man hätte doch von oben den besseren, und sichereren Ausblick. Aber natürlich hast Du, Poncher, Recht, wenn Du sagst, daß er so viel näher dran war. Hmm...

Es geht mir eigentlich darum, daß viele Sagen so oberflächlich sind. Keine direkten Reden etc., alles schnell runtergeratscht... Mein Ziel ist es also, sie auch ausführlicher zu schreiben - falls ich das mache, jetzt ist es erst mal eine Idee. ;)

dass es dieser Junge vielleicht gar nicht so darauf anlegen wollte, seine Eltern so gleich wieder zu finden.
Sowas gehört zum Beispiel in die Sage hineingeschrieben, meiner Meinung nach.

Euch allen eine gute Nacht! :)
Susi

 

Sage ist ´ne Überlieferung. Da war das... Da war das... Da war das... Hätte man damals schon jeden Dünnschiss penibel aufgezählt, dann wäre es halt alles andere, aber keine Sage. Sagen leben vom groben Inhalt, dessen einzelne Zusammenhänge sich jeder Leser (falls er es will) selbst zusammenkleistern kann.

Bestimmten Sagen ihren Reiz zu entziehen, indem man alles ausbaut, was es auszubauen gibt, halte ich für unklug und verwerflich. Da kann man nur dran scheitern, mutige Absichten in allen Ehren.

:bla: Alles Liebe! :bla:

 

@häferl:

nun jaaaaaaa.... man könnte ja annehmen, dass meine antwort:

Geschrieben von Harkhov Syndrom
ja - sicher.

auf deine frage erfolgte, die am schluss deines postings positioniert war:


Geschrieben von Häferl
Was denkt Ihr darüber, kann man das prinzipiell machen, von Sagen eine neue Fassung zu schreiben?

naja...

 

Tja, es ist halt doch nicht so schlecht, wenn man eine Antwort auf eine ausführliche Frage in vollständigen Sätzen ausdrückt.

 

@Haeferl

In Deutschland (ich nehme an in Oesterreich ist das aehnlich) verfaellt jegliches Copyright 70 Jahre nach dem Tod des Autoren. d.h. rein Rechtlich gesehen, kannst Du ohne Hemmungen von Goethe und Schiller klauen.

Was sagen betrifft, liegt der Spass ja gerade in der Nacherzaehlung. Wie Poncher schon erwaehnte, geht es bei Sagen weniger um die Details, und die Art der Erzaehlung, sondern um den Handlungsablauf. Der wird dann je nach Erzaehler der Sage neu Interpretiert. Also, ich denke nicht, dass irgendjemand Sophokles oder Richard Wagner als Plagiatoren bezeichnen wuerde.

 

@I3en
Ist das in anderen Ländern anders geregelt? Ich meine, wenn ich jetzt Goethe umdichte, könnte ich dann im Land XY Probleme kriegen, weil dort irgendeine Gesellschaft (o.ä.) die Rechte hält?

 

@Harkov -

naja...
Naja, nur so rein theoretisch hätte es ja auch sein können, daß Du Dein "ja - sicher" auf die Frage im Titel des Threads beziehst. - Aber macht ja nix... ;)


@Poncher - nach einigem Überlegen geb ich mich geschlagen und Dir Recht. - Immerhin haben wir jetzt die Frage, ob es ein Plagiat wäre, geklärt, und sollte mich trotz Deiner Einwände wieder mal eine Sage reizen, weiß ich jetzt, daß ich mich dann hemmungslos drüber hermachen kann. :D

 

@häferl:

nur so rein theorethisch hätte es ja auch sein können, dass ich mein "ja - sicher" auf eine frage aus einem anderen thread beziehe. oder auf eine frage die mir der billiant gestellt hat, letzten sommer.

 

@Falk

Das ist ueberall aehnlich. Vielleicht nicht immer 70 Jahre, manchmal 50, oder manchmal 90. Aber in den meisten Laendern werden Copyright-Verstoesse de facto ohnehin nicht gesetzlich verfolgt, siehe Russland oder China.

 

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