It`s no good
Ich lege Musik auf. „Meeee pongo coloraaaaadahaaa..." klingt es durch die ganze Wohnung. Ein komisches Lied würde sie bestimmt denken. Sie ist meine schöne Unbekannte aus der Kneipe. Ich mache mir Gedanken über meine abendliche Kostümierung. Jeder Vogelmann balzt im schönsten Federkleid und Vogelfrau entscheidet sich für das schillernste und glanzvollste. Ich möchte mich heute lieber wohlfühlen in meinen Klamotten. Ich ziehe meine verwaschene Jeans an, die ich an dem Tag anhatte als meine damalige Freundin und ich das letzte Mal gemeinsam als Paar nebeneinander saßen. Oft hatte sie die Jeans mit ihren Händen berührt. Die Neue wird es nicht riechen und nicht fühlen. Ein schwarzes engeres Oberteil betont meine blauen Augen und meine Grundstimmung.
Ich schaue in den Spiegel und übe mein Lächeln. Meine Zähne sind fast weiss und stehen geordnet nebeneinander. Ich lege einen Duftstoff auf. Vielleicht etwas zuviel, aber bei den Menschenmengen muss man ja zumindest olfaktorisch auffallen.
Es klingelt. Peter ist pünktlich. Der Weg zur Tür kommt mir vor wie der Gang zum jüngsten Gericht. Ich sprinte die drei Stockwerke runter. Peter wartet im Auto. Auf der Fahrt unterhalten wir uns über Job und Fußball. Es ist kurz vor halb elf. Die Kneipe wird nicht sehr voll sein. Gute Chancen für mich aufzufallen. Will ich ihr heute auffallen? Ist es der Abend an dem ich ihr auffallen sollte? Mir fällt der Song von Depeche Mode ein: ..I have aaaaall the time in the world...to make you mine...na also...ich habe mein ganzes Leben Zeit. Warum muss es genau heute sein? Will ich nicht lieber weiterträumen und Regisseur meiner Love Story bleiben? Sex haben wann ich will...Knutschen wann ich will...Kuscheln wann ich will? Nein! Ich will nicht mehr.
Peter findet einen Parkplatz genau vor der Kneipe in der sie schon sein wird. Wie gerne würde ich jetzt überfahren werden. Genau vor der Kneipe. Sie hört den Knall. Kommt rausgelaufen. Stürzt auf mich. Nimmt meinen Kopf in ihren Schoss und streicht mir über meine Haare. Sie schaut mit ihren braunen Augen, die mit Tränen gefüllt sind auf mein blutüberströmtes Gesicht. „Du darfst nicht sterben“ flüstert sie verzweifelt. „Ich brauche Dich“. Mein Vorstellung endet bei der Konfrontation mit der Eingangstür.
Wir gehen rein. Gute Laune Musik und ein Rauchnebel geben meiner Inszenierung das richtige Ambiente. Wir gehen den Gang durch. An der Theke steht sie nicht. Meine Augen spielen Terminator. Sie suchen alle Ecken ab. Wir stellen uns in eine der Ecken. Peter erzählt mir was. Ich höre ihn aber nicht. „Wo ist sie“-Gedanken übertönen alles. Vielleicht bin ich gerade beruhigt das sie nicht da ist. Ich glaube an Schicksal. Heute ist wohl noch nicht der Tag der Begegnung.
In dem Moment sehe ich sie und bin überrumpelt. Überwältigt. Überrascht. Wow sie ist wunderschön. Ich habe einen guten Geschmack. Nur was mache ich jetzt? So nahe an ihr und doch so weit weg wie Australien. Beherrsche ich die Sprache überhaupt noch? Wann setze ich noch mal den Konjunktiv ein und wo wird ein Punkt gesetzt? Sie kommt auf uns zu. Warum nur? Hat sie mich wiedererkannt? Will sie mir ihre Gefühle offenbaren? Kann sie nicht an mir vorbeigehen?
Sie ist Kellnerin. Das erste Mal ist sie mir vor 3 Wochen aufgefallen. Seitdem ist sie mein Gedankenfänger. Ihre Augen lachen. Und ihre Stimme berührt mein Herz. „Was wollt ihr trinken?“ Eine Frage, die mich bis jetzt unberührt gelassen hat. Jetzt würde ich gerne die Welt umarmen. Welch ein schöner Tag. Welch eine schöne Frau. Ich lächle sie an. Peter bestellt ein Bier. Ich stocke-bewusst in der Hoffnung sie länger bei mir zu halten. „Auch ein Bier“ höre ich mich sagen. Sie nickt kurz und ist weg.
Das war es. Tagelange Vorbereitungen und Probedurchläufe sind mit einem Satz zerstört. Dabei war es noch nicht mal ein ganzer Satz. Das Verb fehlte. Ich gebe auf. Sie ist zu gewaltig für mich. Ich mache mir eine Zigarette an und beobachte sie auf ihrem Gang zur Theke. Jeder schaut sie an. Jeder bewundert sie. Jeder wäre besser als ich. Der Kampf ist verloren. Meine Waffen werfe ich zur Seite. Vielleicht sollte ich mich erst auf einem niedrigeren Level beweisen. Meine Nachbarin macht mir schöne Augen. Sie ist hässlich. Gott bin ich ehrlich. Weniger Chips und mehr Hautpflege würden ihr bestimmt zu besserem Aussehen verhelfen. Die Vorstellung sie küssen zu müssen, lässt mich in Panik verfallen.
Dann sehe ich wie meine Göttin zu mir kommt. Ich strahle sie an. Mit den Augen versuche ich eine Verbindung zwischen ihr und mir zu schaffen. Sie schaut mich direkt an. Der Ball fliegt schnurstracks ins Tor. Nur ein physikalisches Wunder könnte den Treffer verhindern. Sie gibt uns unser Bier und sagt etwas zu mir. Ich kann es nicht fassen, dass sie mich angesprochen hat. Dabei habe ich nichts verstanden und lache. „Bist Du neu hier“ frage ich sie und wundere mich über meinen Mut. „Ich bin seit einem Monat hier und studiere. Und mein Geld verdiene ich hier mit der Verteilung von Durstlöschern.“ Sie strahlt so sehr dabei, dass jedes Messgerät zerstört wäre. „Fühlste Dich wohl hier“? Ich komme mir vor wie ein chinesischer Reporter, der eine Fee interviewt. Ich höre nichts und verstehe auch nichts. Aber ich fühle mich wohl. Entgegen meiner theatralischen Befürchtungen, die ich mir vor der Begegnung mit ihr ausgemalt hatte.
Eigentlich könnte ich jetzt nach Hause fahren. Denn genug Stoff für weitere Träume habe ich jetzt gesammelt. Ich betrachte ihre Lockenpracht, während sie mir von ihrer Wohnungssuche erzählt. Ich stelle mir vor, wie ich mit ihr auf einer Parkbank sitze. Sie lehnt sich an mich und ihre Locken berühren meine Wange. Wir sitzen wortlos nebeneinander und jeder träumt vom anderen. Ich lächele sie weiterhin an. Sie macht einen Punkt und ich höre heraus, daß sie weiter arbeiten muss. Sie ist ja Kellnerin.
Was für ein Moment in meinem Leben. Ich könnte meinen Freund umarmen. Er steht schmunzelnd neben mir. Ich grinse ihn an. Peter kennt mich schon seit über 15 Jahren. Ich brauche ihm nicht sagen wie ich mich gerade fühle. Über die Boxen läuft Gloria Gaynor. Die Siegeshymne der Looser motiviert mich. Da beobachte ich wie sie sich länger als notwendig bei einem männlichen Gast aufhält. Ich bin sauer und eifersüchtig. Sie ist doch noch gar nicht mein Mädchen. Ich beobachte sie mit Argusaugen.
Sie dreht sich um in meine Richtung. Erschrocken schaue ich weg. Hat sie mich angeschaut? Sie kommt auf mich zu. Mein Herz pocht. Was soll ich sie denn noch fragen? Oder muss ich nun antworten? Ja ich will, wird meine Antwort lauten. „Wie heißt Du“? fragt sie mich und ihr Arm berührt mich. Ich kenne mich mit Körpersprache bestens aus. Sie mag mich. Sie will mich. „Karsten“ sage ich ihr und bin mir nicht mehr sicher ob es die Wahrheit ist. Sie lächelt und streckt mir ihre Hand aus. „ Ich bin die Nadja... “. Ich nehme ihre zierliche Hand in die meine. Zum Glück gibt man sich die Hand nicht mit den Achseln. Unsere Hände passen schon mal gut zusammen. Sie reicht mir einen Zettel. Ich schaue nicht drauf. Die Nummer werde ich heute nacht noch auswendig lernen. Sie lacht noch mal direkt in meine Augen. Und geht.
Es ist viertel vor eins. Der Laden ist voll wie ein Bienenstock. Die Königin hat sich allerdings für mich entschieden. Peter ist müde. Ich bin froh darüber. Denn jetzt will ich nur nach Hause und von ihr träumen. Die paar Augenblicke hundertmal-nein tausendmal in Gedanken noch mal durchspielen. Wir gehen Richtung Ausgang. Ich sehe sie nicht mehr. Es wäre auch unerträglich sie noch ein weiteres mal zu sehen. Warum? Vielleicht könnte sie sich ja noch um entscheiden. Oder mir erklären, dass es ein Missverständnis war. Wir sind raus. Ich habe die Telefonnummer von meiner Göttin.
Peter fährt mich nach Hause. Wir reden kaum. Nadja...der Name passt zu ihr wie sie zu mir. Ich werde sie lieben, schützen, trösten, stärken, unterstützen. Ich werde sie schwängern. Da bin ich mir ganz sicher. Gemeinsam werden wir sämtliche Länder bereisen. Unsere Kinder werden so hübsch wie sie sein. Ja ich will eine Familie. Ich bin der Mann und sie ist meine Frau. Wir sind angekommen. Ich verabschiede mich und verspreche mich zu melden. Oben angekommen verharre ich vor der Tür. Ich werde jede Tür öffnen. Für Nadja und mich.
In dem Moment klingelt es. Aus meiner Wohnung? In meiner Wohnung? Ich stehe hektisch von der Couch auf und öffne. „Warum machst du denn nicht auf? Ich warte schon seit 10 Minuten unten auf dich." Ich ziehe meine Schuhe an. „Peter lass uns heute ins Kino gehen. Ich habe keine Lust auf Kneipe.“
[ 05.06.2002, 11:13: Beitrag editiert von: AZAD ]