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Jan
„ Jan, du musst zur Schule. Raus aus dem Bett!“, hörte Jan seine Großmutter rufen. Ihre Stimme war schrill und schon allein die Vorstellung an den strengen Knoten, zu dem sie ihre grau-weißen Haare alltäglich zusammenband, verdarb ihm den Tag. Die Zeit hatte ihre Spuren hinterlassen und noch immer trug sie die schon ewig verwaschene Schürze mit den Blumen. Sie war wohl einmal blau, doch jetzt war nichts mehr von der schönen Farbe zu erkennen.
Blau war Jans Lieblingsfarbe. Sie gab ihm das Gefühl von Freiheit. Deshalb liebte Jan den Himmel auch so sehr und so oft er konnte fuhr er mit dem Fahrrad raus aufs Land und schrieb.
Jan schrieb gerne. Über die Liebe konnte er schreiben, wunderschön, wie seine Klassenlehrerin immer sagte - und dabei hatte er doch noch nie dieses Gefühl verspürt. Natürlich hatte er Menschen die er liebte, besser gasagt er hatte welche gehabt, aber noch nie war da eine leidenschaftliche Liebe. Seine Eltern hatte er geliebt, doch die waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Eigentlich hätte er auch sterben sollen, dachte Jan immer, wenn er an diesen Tag zurückdachte.
Da waren Bilder, lang nicht so verschwommen wie viele schöne Eriegnisse, viel zu gut zu erkennen. Es waren schreckliche Bilder und wenn Jan die Augen schloss um sie zu verdrängen, traten sie nur noch stärker hervor. Eine Landstraße, Stimmen. Jan hatte aus dem Fenster geschaut, hinaus in den weiten Himmel. Auch damals war er schon ein Träumer gewesen, ewig auf der Reise.
Seinen Vater hatte das immer gestört, er fand das unnütz. Wozu braucht man Träume?, hatte er immer gefragt. Nur seine Mutter hatte sich manchmal mit ihm auf den Rasen gelegt und seine Träume mitgeträumt. Papas Eltern hatten auch immer den Kopf geschüttelt, wenn sie so dagesessen waren und in diesen Momenten hatte er sich wahrlich nach Mamas Eltern gesehnt, aber die sprangen wohl immer noch irgendwo in Südamerika rum. Er nahm es seinem Vater nicht übel, dass er nicht träumen konnte, dazu liebte er ihn zu sehr, aber er mochte das Gefühl, wenn Mama und er geträumt hatten und wenn ihre sanfte Stimme gesagt hatte, dass man Träume bräuchte um die Wirklichkeit zu verkraften und ihr zu entfliehen. Zu kompliziert für seinen Dad.
Seine Mutter hatte ihm zugelächelt, durch den Rückspiegel und sein Vater hatte ihm einen beunruhigenden Blick zugeworfen. Ein Blick zuviel. Da war ein Baum, groß, sehr groß und auf einmal geriet das Auto ins Straucheln. Ein dumpfer Laut ...
Später sagte man ihm ein Reifen sei geplatzt, doch er bekam es gar nicht wirklich mit. Er träumte, träumte vom Himmel Gottes, sah das Leuchten in den Augen seiner Mutter, die kantigen Gesichtszüge seines Vaters, die tiefgrauen Augen, die weichen Lippen seiner Mutter. Nicht einmal den Schmerz, der durch sein linkes Bein fuhr spürte er. Er wollte weinen, doch da war niemand da, der ihn hätte trösten können. Ganz plötzlich war da niemand mehr, der seine Träume teilte, an dessen Schulter er sich hätte lehnen können und da war auch niemand mehr, dessen Liebe, liebe die man erst suchen musste, ihn halten konnte. Und deshalb träumte er, weiter und weiter, in einer Welt in Jenseits, folgte seinen Eltern um sie nicht noch einmal zu verlieren auf Schritt und Tritt und konnte sie nicht loslassen.
Jan setzte sich auf und wischte sich eine Träne vom Gesicht. „ Tränen sind Salz. Sie leben und sagen dir, dass du nicht alleine bist.“ Das hatte ihm seine Mutter mal ins Ohr geflüstert, abends, als einer seiner Hamster gestorben war und er konnte noch immer ihren warmen Atem an seinem Ohr spüren.
Mühsam stand er auf und humpelte ins Bad. Seit diesem Unfall hinkte Jan und in der Schule hänselten sie ihn deswegen immer. Freunde hatte er keine.
" Jan!" Der Schall trug die Stimme seiner Großmutter durch das ganze Haus. " Beeil dich!"