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Jorska

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14.08.2012
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Jorska

Natürlich gibt es in meiner Heimatstadt dieses Kaffeehaus nicht, zumindest nicht an dieser Hausecke, zumindest nicht in diesem Viertel. Und natürlich biegt auch keine Straßenbahn um diese Ecke. Denkbar wäre es, doch allein die Topografie, dieser zum Meer hin abfallende Hügel, lässt mich an andere Städte denken, an Städte, die sich an küstennahe Berge ducken, aneinander gedrängte Häuserreihen, ein Häusermeer gewissermaßen, als wäre die Brandung das Steilufer hoch gefegt und zu Stein erstarrt. An Lissabon fühle ich mich erinnert und an Chañaral und an Macondo … als würde das irgendeinen Unterschied machen, so groß wie unsere Welt ist, diese so wunderbare und so grausame Welt mit ihren vielen Städten und ihren vielen Menschen. Aber immer wieder träume ich von diesem Kaffeehaus in dieser Stadt, die nicht mehr die meine ist und deren Namen ich nie wieder aussprechen werde.
Jedenfalls spielten wir Billard in diesem Café, Jorska und ich, in einem seltsam ockerfarbenen Licht, einem goldenen … fast möchte ich sagen, in einem güldenen Licht, das aus kristallenen Lustern fiel. Die Fenster staubig, die Wände vergilbt und rauchig, sienabraun, in den Ecken fast dunkelbraun, fast pompejanischrot, so rot wie die Plüschbänke, und unter all dem ein in Jahrzehnten gealterter, getretener, pechschwarzer Parkettboden, ölig glänzend und unter meinen Chucks knarrend, als wollte er Geschichten von früher erzählen, von irgendwann. Alles, wirklich alles hier, wirkte alt und schäbig, selbst der Kellner mit seinen eisgrauen Haaren.
Wir spielten Karambol mit einer weißen und zwei roten Kugeln. Jorska, ganz Kavalier, ließ mich beginnen, doch schon den dritten Stoß vermasselte ich und rechtfertigte das mit einer Haarsträhne, die mir ins Gesicht gefallen sei, nein, mit dem Zigarettenrauch, der sich in meine Augen gekräuselt hatte. Jorska nahm mich in die Arme und küsste mich. - Du solltest mal wieder zum Friseur, mein Schatz, meinte er, und außerdem rauchst du zu viel.
Aber dann war’s vorbei mit Kavaliersein. Von seinem ersten Stoß an kam ich kaum noch an den Tisch, nahezu fehlerlos spielte Jorska und zauberte ein imaginäres Liniengewirr auf den Filz. Währenddessen sprach er wieder von seinen beiden Töchtern, die er so lange nicht mehr gesehen hatte und die er so sehr vermisste, mit seiner wunderbar tiefen Stimme sprach er, in diesem Singsang, in diesem Idiom, das ich so mochte, das ich liebte, seit ich als Kind einen Sommer bei meiner Patentante in Chișinău verbracht hatte, dieser von mir vergötterten Grande Dame, dieser vollkommen meschuggenen Alten, der verrückten Modeschöpferin mit ihrem betörenden Frauenduft, einem Duft, der mir schon als achtjährigem Mädchen eine Ahnung vermittelt hatte von meiner Zukunft in dieser großartigen Welt.
Jorskas Töchter, Anyana und Carmen, sechs und neun Jahre alt, lebten bei der Oma in Tiraspol, das wusste ich. Sie seien ihrer verstorbenen Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, zum Glück, sagte er, und soweit er das überhaupt noch beurteilen könne aus tausend Kilometern Entfernung. Jedesmal, wenn Jorska sich über den Tisch beugte und die Kugeln längs des Queues anvisierte, wurde seine Stimme leiser und seine Stirn legte sich in Falten und wenn sich der Hemdärmel über das linke Handgelenk schob, zeigte sich sein bescheuerter Glücksbringer, dieses Bändchen aus geflochtenem Elefantenhaar. Ob es denn in Moldawien überhaupt Elefanten gäbe, hatte ich ihn nicht erst einmal gefragt. Soviel ich weiß, schon in unserer ersten gemeinsamen Nacht, damals, als ich ihn als klitschnasses, frierendes Bündel Mensch in dem Park, dessen Namen ich nie mehr nennen werde, aufgelesen hatte, in diesem gottverfluchten Park, wo er unter einer Platane gekauert war, leise singend und mit einem Taschenbuch von Neil Stevenson über dem Kopf, Snow Crash in der Originalfassung. Er könne es ohnehin beinahe auswendig, sagte er, so oft habe er es auf seiner Odyssee gelesen, und als er mich dabei spitzbübisch angrinste und seine dunklen Zigeuneraugen Blitze schleuderten, spürte ich zum ersten Mal dieses Ziehen im Schoß und meine Beine zitterten. In jener Sommernacht vor eineinhalb Jahren, die so regnerisch und stürmisch war, dass Jorska lachend meinte, er sei wohl in Patagonien gestrandet und nicht in … in dieser elendigen Stadt, deren Namen ich nicht mehr weiß. In dieser Stadt, in der ich siebenundzwanzig Jahre glücklich lebte, und deren Namen ich nicht mehr weiß, deren Namen ich nie wieder aussprechen werde.
Als Jorska ein letzter Zweibander zum Sieg fehlte und er sich konzentriert über den Tisch beugte, trat ich hinter ihn und ließ mich mit dem Oberkörper auf seinen sinken, ganz behutsam, ganz leicht nur. Ich rieb meine Brüste an seinem Rücken und ich spürte, dass er das spürte. Dann glitt ich mit den Händen unter sein Hemd, fuhr ihm mit den Fingerspitzen über Bauch und Brust, küsste ihn hinters Ohr und schließlich einigten wir uns auf ein Remis.
Mein Gott, wie ich ihn liebte.
Als wir das Café verließen, war es stockdunkle Nacht, soweit man eine Nacht in der Stadt überhaupt als stockdunkel bezeichnen kann und wenn überdies der Vollmond am Himmel steht. Wir schlenderten Hand in Hand durch den Park, blieben hin und wieder stehen, um uns zu küssen, um uns in die Augen zu blicken und uns anzulächeln, und über das Singen und Grölen, das undeutlich zu hören war, zerbrachen wir uns nicht weiter den Kopf. Wir steckten in einem Kokon reinsten Glücks.
Und auch der Schlag zerbrach meinen Kopf nicht, nein, er ließ mich nicht einmal ohnmächtig werden. Sie rissen mich von Jorska weg und warfen mich zu Boden, schimpften mich Hure und Drecksfotze, stopften mir meinen Seidenschal in den Rachen und fesselten mich an eine Parkbank. Sie waren zu siebt und einer von ihnen hielt meinen Kopf fest und zwang mich, zuzusehen. Zuerst verschlossen sie Jorskas Mund mit Klebeband, wickelten es mehrmals um seinen Kopf und sprühten ihm aus einer Lackdose Farbe in die Augen. Dann brachen sie ihm die Finger, alle zehn, einen nach dem anderen, und noch heute meine ich, Jorskas verzweifeltes, rasendes Knurren zu hören, und dann ... oh Gott, dann stachen sie ihm mit einer Glasscherbe ein Auge aus und ich, ich konnte meine Blicke nicht von Jorska lassen, weil ich wusste, dass ich ihn jetzt zum letzten Mal lebendig sehe. Ich konnte nicht einmal wegschauen, als sie ihn kopfüber an den Stamm einer Linde hängten, als sie Gerüstnägel durch seine Fußgelenke trieben … ja, sie nagelten ihn an, als wäre er ein lebloses Stück Holz, und ja … da lebte mein Jorska noch.
Oh Gott, da lebte mein Jorska noch ...
Mehrere Stunden noch habe er gelebt, hieß es später. Doch ich war irgendwann ohnmächtig geworden. Oder gestorben, ich weiß es nicht, aber wo ist da der Unterschied? Denn Jorskas stummes Schreien hätte mich noch auf der anderen Seite der Erdkugel erreicht, selbst auf einem fernen Planeten, nicht einmal vom Lachen dieser Männer wurde sein stummes Schreien übertönt, sein ersticktes Wimmern, sein Stöhnen, das mir das Herz in Stücke riss … ich hörte sein lautloses Flehen, ihm zu helfen, ich hörte jedes einzelne Wort. Oh Gott, Lucie, hilf mir, hilf mir doch … nein, lauf weg, Lucie, lauf um Himmels Willen weg … oh Gott …
Oh Gott, was haben sie mit dir getan, Jorska? Wo bist du, mein Jorska? Wo sind deine zärtlichen Hände, deine Augen? Wo ist dein Lächeln jetzt?
Verrückte Drogensüchtige seien das gewesen, stand in den nächsten Tagen in den Zeitungen, und dass Jorskas Brust und Rücken und Gesicht mit hineingekratzten, hineingeritzten, hineingeschnittenen, hineingebrannten Schimpfwörtern und Hakenkreuzen übersät gewesen seien, und dass die Spurensicherung und die Gerichtsmediziner, schrieben sie, mehrere Stunden am Tatort verbracht und sich immer wieder abgelöst hatten, weil selbst diese hartgesottenen Typen von der Abscheulichkeit der Tat bisweilen die Augen abwenden mussten. Während Beamte des Sonderkommandos den Park abriegelten, ringsum die neugierigen Gaffer mit ihren Handykameras herumfuchtelten, während ein milder Frühlingsmorgen in einen ebenso milden Vormittag überging, während sich die Weltkugel also langsam weiterdrehte, lag meine Welt in Trümmern.
Warum wir den Weg durch den dunklen Park genommen hätten, fragten sie mich bei der ersten Einvernahme im Krankenhaus. Behutsam, liebevoll, beinahe zärtlich gingen sie mit mir um, wie mit einem verwundeten Rehkitz.
„Wegen des Vollmonds ... und weil es der kürzeste Weg war … und weil wir uns so liebten.“
Und dann begann ich zu weinen und ich weine bis heute. Und nur manchmal träume ich von einer Stadt, die nicht mehr die meine ist und deren Namen ich vergessen habe.

 

Zwei Menschen lieben sich und einer davon wird umgelegt.:D

Geil auf den Punkt gebracht. Aber ist auch klar, weil: Do küss us Kölle, Jung, et hätt noch emmer joot jejange!

 

Stimmt;) - und wir sagen hier ja auch: Leeve un leeve losse bzw. Wat soll dä Quatsch?:D

 
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barnhelm schrieb:
Seit zwei Tagen stellt sich für mich die Frage, wie hätte ich diesen Text bewertet, wenn er nicht von offshore, sondern von einem neuen (fremden) Mitglied eingestellt worden wäre.
Tja, liebe barnhelm, diese Frage kann ich dir leider nicht beantworten. :D *)

Darüber hinaus ist mir allerdings wahnsinnig viel zu deinem - im Übrigen ungemein klugen und lesenswerten - Kommentar eingefallen. Aber vermutlich werde ich dir von diesen Gedanken eher chaotisch und durcheinander erzählen, weil es mir noch nicht richtig gelungen ist, sie in meinem Kopf zu sortieren. Aber ich versuch’s halt mal ...

barnhelm schrieb:
Beim ersten Lesen war ich geschockt, nicht von der brutalen Wende, die konnte ich gleich als Konstrukt zur Seite legen, nein, ich war verwirrt von der Manieriertheit der Bilder und der auf Effekt angelegten Sprache.
Ich lese einen Text, der beeindrucken soll in seiner Sprache, seinen Bildern.
Bei mir schleicht sich das Gefühl ein: Ich soll geplättet sein, von der Schönheit der Sätze, der Bilder, ich soll staunen. Ein legitimes Anliegen eines Autors, aber muss ich das durchgängig spüren? So stark, dass dahinter die Geschichte, die mir erzählt werden soll, fast unwichtig wird.

Ich gehe davon aus, barnhelm, dass du „Effekt“ hier pejorativ verwendest, im Sinne von „bloßer Effekt“, oder, wie es Adorno definierte, als bloße Wirkung ohne Ursache, als ein Eindruck, der auf den Rezipienten unmittelbar wirken soll, ohne dass sein Auftauchen motiviert oder begründet wäre.
Und das ist ein Vorwurf, der mir ehrlich gesagt schon ein bisschen weh tut. Weil er mir und meinem Schreiben quasi unlautere Motive unterstellt, mich sozusagen als eingebildeten, hochmütigen Typen hinstellt.

In meinem gestrigen Beitrag habe ich ja viel zum Erzählstil dieser Geschichte und wie es zu ihm kam, geschrieben. Leider entstand dieser Beitrag beinahe zeitgleich mit deinem, sonst hätte ich dieses Thema schon gestern ausführlicher behandelt.
Na ja, versuch ich’s halt jetzt, noch dazu, wo ja auch Novak noch einmal auf die Frage des Schreibstils eingegangen ist:

Novak schrieb:
Vielleicht übertreib ich es, aber manchmal hab ich halt das Gefühl, als würden viele hier meinen, nur knapp und verdichtet, adjektivarm und mit einem bestverstehbaren Satzaufbau sei ein Stil gut. Und so seh ich das nicht. Es gibt viele sehr individuelle Schreibarten.

Also ich will noch einmal zu begründen versuchen, warum gerade diese Geschichte in gerade diesem (durchgeknallten offshore-)Stil geschrieben ist.
Zum einen war es sicher der Zeitpunkt des Schreibens, nämlich beinahe unmittelbar nachdem mir die Geschichte eingefallen ist - bzw. sie mir zugeflogen, bzw. sie sich mir erträumt hat. Zum anderen der Zeitrahmen. Ich hab sie ja binnen zweier Stunden handschriftlich hingefetzt. (Handschriftlich deshalb, weil ich nach wie vor mit Bleistift auf Papier sehr viel schneller schreiben kann als auf einer Tastatur.)
Das heißt, der überwiegende Teil des Textes (sicherlich mehr als 95%) entstand vollkommen spontan, um nicht zu sagen intuitiv, entspricht also genau dem, was in diesen zwei Stunden aus meinen Kopf rauswollte, und auch genau der Sprache, in der es im Kopf drin entstand.
Im Gegensatz zu fast allen anderen meiner Geschichten, wo ich bisweilen abendelang an einem verdammten fünfzeiligen Absatz herumtun kann, den ich dann Tage später eh wieder leidenschaftslos rauslösche, entstand diese Geschichte binnen kürzester Zeit wirklich beinahe wie von selbst.
Jetzt kann man natürlich sagen, okay, so ein Erstentwurf kann nie und nimmer eine taugliche Geschichte sein, jetzt geht’s mit der Arbeit doch erst richtig los. Aber dieses Gefühl hatte ich diesmal einfach nicht. Nachdem ich das Ding abgetippt und es mir vier-, fünfmal durchgelesen hatte, war ich noch immer davon überzeugt, dass es genau dem entspricht, was ich und vor allem wie ich es hatte schreiben wollen. Oder anders gesagt, dass es genau dem entspricht, was ich mir selber erzählen wollte, oder noch anders gesagt, dass es haargenau dem entspricht, was ich momentan lesen will.
Und vielleicht komm ich damit zu einer ganz grundsätzlichen Frage: Für wen schreibe ich überhaupt? Oder anders gefragt, warum bin ich überhaupt kreativ, schöpferisch tätig? Erschaffe ich Dinge, weil ich anderen Menschen damit gefallen, sie beeindrucken will? Oder ist es nicht vielmehr der Wunsch bzw. der Drang, meinen ganz persönlichen ästhetischen Vorstellungen entsprechend zu handeln? Egal, ob ich nun eine Stahltreppe konstruiere und zusammenschweiße und mich dabei in Details verliere, die keinem Menschen außer mir selber jemals auffallen werden, einfach weil sie mir verdammt gut gefallen, weil ich den Akt des Herstellens einfach cool, geil, what ever, finde, weil ich Dinge so gestalten will, eben weil ich es kann … oder ob ich jetzt einen siebenzeiligen Satz mit ausgefallenen Adjektiven zuschütte, für wen tu ich das? Für mich oder für wen anderen?

Ehrlich, barnhelm, das kannst du mir jetzt glauben oder nicht, ich tu es in allererster Linie für mich selber. Und wenn das jetzt noch so affektiert und hochnäsig klingt: Ich bin mir der erste und wichtigste Rezipient meiner Arbeiten.
Natürlich freue ich mich, dass beinahe alle meine Geschichten hier im Forum bisher so positiv aufgenommen worden sind, allerdings definiere ich den Wert, den eine Geschichte für mich persönlich hat, nicht über deren Wirkung auf andere, sondern dadurch, wie gerne ich sie selber lese.
Und jetzt kann man sich natürlich die Frage stellen, what the fuck ich hier im Forum dann überhaupt zu suchen habe? Oder sich fragen, ob ich mit meiner extravaganten Einstellung zu Lektüre und Literatur mir überhaupt anmaßen soll, über die Texte von anderen zu urteilen?

Sorry, barnhelm, ich hab gerade das Gefühl, dass ich ein bisschen vom Thema abkomme (erst gestern musste ich mir in einer PM anhören, ich sei ein Schwätzer :D), aber im Grunde will ich ja nur sagen, dass ich mit meinem Stil, nicht nur nicht bewusst andere „plätten“ oder „erstaunen“ will, sondern dass obendrein dieser Stil mir speziell bei dieser Geschichte schon auch ein ganz wesentliches Gestaltungselement und Gefühl-Transportmittel war. Dazu hab ich gestern das geschrieben und ich wiederhole es noch einmal:

offshore schrieb:
… der Versuch, für die erzählende Protagonistin und ihren Zustand eine adäquate Sprache zu finden.
Natürlich wäre es eine Möglichkeit gewesen, die Ich-Erzählerin in radikal verknapptem Stil sprechen zu lassen (wie es z.B. @Isegrims in ihrer TdM-Story versucht hat), ihrer Sprachlosigkeit sozusagen dadurch Ausdruck zu verleihen, dass ihr förmlich die Worte fehlen. Allerdings hätte das weder meinen persönlichen Sprach- und Stilvorlieben entsprochen, noch wäre es meiner Erzählintention gerecht geworden.
Diese junge Frau hat ja was ganz Entsetzliches erlebt und ist vermutlich schwer traumatisiert, sie wird von Alpträumen geplagt und erträgt ihr Leiden offenbar nur dadurch, dass sie zum einen verdrängt (sie weigert sich, die Orte des Verbrechens zu benennen), zum anderen sich in geträumte Erinnerungen (erinnerte Träume?) flüchtet. Und für genau dieses Traumhafte der Geschichte schien mir dieses assoziative in Bildern und Worten Schwelgen einfach die angemessenste Darstellungsform zu sein.

Oder anders gefragt: Warum soll ich ein Bild mit Bleistift kritzeln, wenn mir Buntstifte zur Verfügung stehen? Ist so ein Vorgehen denn gleich manieristisch und selbstverliebt? Oder noch anders gefragt: Soll ich nicht so "schön und gut" schreiben, wie ich's eigentlich könnte, weil mir das dann eventuell als Arroganz und Überheblichkeit angelastet wird? Soll ich absichtlich Schweißnähte vermurksen, um nicht als präpotenter Hund zu gelten?

barnhelm schrieb:
Auch mit der Zeichnung Jimmys komme ich nicht zurecht.[…]
Ein Liebhaber, wie wir ihn uns alle erträumen: ein Kavalier, der die Dinge, die er macht, gut macht (Billard spielen), der Traurigkeit (seine verstorbene Frau) zulässt, der romantisch ist , der belesen ist (Originalfassung), der witzig über sich selber sein kann (die Töchter sind ihm zum Glück nicht ähnlich), der Augen hat, die Blitze verschicken können, der großzügig ist (Remis).
Wer würde einen solchen Mann nicht lieben? […]
Doch Jimmy bleibt für mich eine Kunstfigur, kein wirklich fassbarer Mensch.

Weil er zu gut ist? Jimmy hat doch auch seine Schattenseiten, die ja durchaus angesprochen werden: Was ist mit seinen Töchtern? Warum hat er sie in seiner Heimat zurückgelassen, sie also im Stich gelassen?

Und das ist es, was mir bleibt: Da wird mir eine konstruierte Welt vorgeführt. Kunst darf das. Aber für mich muss Kunst auch auf etwas in der Realität verweisen, damit sie für mich eine Bedeutung erhält. Du sagst, du willst dich mit dem Bösen-an-sich auseinandersetzen. Aber so, wie du mir das Böse darbietest, wird es für mich in seiner Konstruiertheit nicht wirklich erfahrbar.

Also darauf weiß ich jetzt wirklich nicht viel zu antworten. Erscheint dir die Geschichte deshalb so konstruiert (realitätsfern), weil das Verbrechen derart monströs ist?
Aber im wirklichen Leben geschehen doch tagtäglich und überall noch weit unvorstellbarere, monströsere Verbrechen. Hutus schlachten Tutsis zu Tausenden ab, Frauen werden bis zu den Schultern eingegraben und ihre Köpfe mit Steinen beworfen, Gliedmaßen werden abgehackt, Menschen werden angezündet, gefoltert, zu Millionen vergast usw. ...
Hätte die Geschichte besser für dich funktioniert, wenn, was weiß ich, eine junge Mutter vom Tode ihres Kindes erzählt, das auf dem Schutzweg von einem besoffenen Autoraser überfahren wird? Erschiene dir dieses alltägliche Verbrechen auch zu konstruiert?

Vorgestern hab ich Dion geantwortet, ich denke nicht daran, meine Geschichte zu rechtfertigen, und jetzt tu ich’s doch.
Mann, ich bin so ein wankelmütiger, inkonsequenter Hund.

Ganz lieben Dank jedenfalls, barnhelm, für deine vielen Gedanken.

offshore


*) Ich könnte mich ja noch nachträglich in den Hintern beißen, dass ich meinen Text - wie ich es Montagabend sogar kurz in Erwägung gezogen habe - nicht in den Maskenball gestellt habe. (Dessen sanftes Entschlummern ja erst kürzlich - ich glaub, das war im TdM-Thread - beklagt wurde.)

 

Lieber ernst offshore

es war so eine Erschöpfung in mir nach dem ganzen TdM-Hype, all dem Zeug drumherum. Dann habe ich angefangen alle, wirklich alle Geschichten zu lesen, die neu eingestellt wurden oder die ich verpasst habe. Jetzt bin ich durch. :read:
Und will über die etwas schreiben, die mich besonders berührt haben, in die eine oder andere Richtung.
Deine Geschichte ist wie ein Inferno, wie ein gewaltiges Beben.
Irgendwo habe ich gelesen, dass du sie in Rausch und Wut und Notwendigkeit dahingeschmettert hast. Solltest du dir merken, solltest du öfters machen. Deine anderen Geschichten mögen durchdachter sein, aber artifizieller sind sie eben auch. Diese Urgewalt strotzt vor Leidenschaft, trägt das Innere nach außen.
Klar gibt es Schwächen. Nur: wenn du sie allzu sorgfältig entfernst, verliert sie an Kraft.

Den Anfang beispielsweise finde ich vergleichsweise schwach.

Denkbar allerdings wäre es, doch allein die Topografie, dieser zum Meer hin abfallende Hügel, lässt mich an andere Städte denken, an Städte, die sich an küstennahe Berge ducken, aneinander gedrängte Häuserreihen, ein Häusermeer gewissermaßen, als wäre die Brandung das Steilufer hoch gefegt und zu Stein erstarrt.
verspielt, Konjunktive... ich kapiers ja schon, dass du das ganze modellhaft machen willst... Häuser und gleich wieder Häuser, ist nicht so elegant...

Aber immer wieder träume ich von dieser Stadt, die nicht mehr die meine ist und deren Namen ich nie mehr wieder aussprechen werde.
edgar allan poe?

Die Fenster verstaubt, die Wände vergilbt und rauchig, sienabraun, in den Ecken fast dunkelbraun, fast pompejanischrot, so rot wie die Plüschbänke, und unter all dem ein in Jahrzehnten gealterter, getretener, geteerter, pechschwarzer Parkettboden,
das ist sehr, sehr gut, hier beginnt der "Rausch", hier erkenne ich einen ähnlichen Effekt wie bei reduzierten Texten, auch so ein monströser Stakkatostil...

meschuggenen Alten,
müsste das nicht meschuggen heißen?

in dieser elendigen Stadt, deren Namen ich nicht mehr weiß.
Hand durch den Park, dessen Namen ich nicht mehr weiß,
bisschen thomas bernhard- mäßig: ein drehen und wenden und immer wieder auf einen punkt zurück kommen, aber entweder treibst du das noch weiter auf die spitze oder du lässt das zitierte raus...

„Weil es der kürzeste Weg war … und wegen des Vollmonds … und weil wir uns so liebten.“
Und dann begann ich zu weinen und ich weine bis heute.
beste passage, die ich hier seit langem gelesen habe... mir zerfetzt es das Herz...

Und nur manchmal träume ich von einer Stadt, die nicht mehr die meine ist und deren Namen ich vergessen habe.
der schluss-satz: ich schwanke, ob ich jetzt sagen soll: lass ihn raus ... wirkt irgendwie schwach... andererseits passt es eben...

:thumbsup:
:Pfeif:
sehr starker Text, Ernst
viele Grüße
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Isegrims schrieb:
meschuggenen Alten,
müsste das nicht meschuggen heißen?
Möglicherweise, Isegrims. Klingt für mein Gefühl allerdings noch bescheuerter als meine Variante. :D

in dieser elendigen Stadt, deren Namen ich nicht mehr weiß.
Hand durch den Park, dessen Namen ich nicht mehr weiß,
bisschen thomas bernhard- mäßig: ein drehen und wenden und immer wieder auf einen punkt zurück kommen, aber entweder treibst du das noch weiter auf die spitze oder du lässt das zitierte raus...
Hm. Dieses immer wieder Beharren der Erzählerin darauf, dass sie die Stadt/den Park/den Tatort vergessen hat, nicht mehr weiß, nie mehr wieder den Namen aussprechen wird usw. ist mir schon sehr wichtig. Soll halt irgendwie so wirken wie das Verdrängen eines Alptraums. Noch öfter will ich’s allerdings nicht strapazieren. Na ja, und weglassen schon gar nicht.

„Weil es der kürzeste Weg war … und wegen des Vollmonds … und weil wir uns so liebten.“
Und dann begann ich zu weinen und ich weine bis heute.
beste passage, die ich hier seit langem gelesen habe... mir zerfetzt es das Herz...
Was meinst du, Isegrims, wie es mir beim Schreiben gegangen ist?

Irgendwo habe ich gelesen, dass du sie in Rausch und Wut und Notwendigkeit dahingeschmettert hast. […] Diese Urgewalt strotzt vor Leidenschaft, trägt das Innere nach außen.
Na ja, genau das war mein Anliegen bei dieser Geschichte, nämlich so richtig in der Gefühlskiste zu wühlen, sowohl inhaltlich als auch sprachlich, auch auf die Gefahr hin, dass der eine oder andere die Grenze zum Kitsch überschritten sähe. Dass es dir nicht so ergangen ist, freut mich natürlich.
Vielen Dank, Isegrims.


offshore

PS

Aber immer wieder träume ich von dieser Stadt, die nicht mehr die meine ist und deren Namen ich nie mehr wieder aussprechen werde.
edgar allan poe?
Diese Frage verstehe ich leider nicht. Das Allereinzige, was ich von E.A. Poe kenne, ist die Kurzgeschichte „Die Grube und das Pendel“. Und die hab ich als Zwölfjähriger gelesen, ist also vierundvierzig Jahre her. :drool:

 

Vielleicht ist dein Problem mit dem Anfang, ein ähnliches wie meines. Dieses Kaffehaus, welches es in der Heimatstadt ja gar nicht gibt, erscheint mir erstmal so dermaßen uninteressant, dass ich gar nicht bis zum nächsten Absatz lesen möchte um zuerfahren, was es damit aufsicht hat.

Ich habs aber dennoch gemacht und nicht bereut. Hut ab, eine echt krasse, aber sehr lesenswerte Geschichte!

 

Natürlich gibt es in meiner Heimatstadt dieses Kaffeehaus nicht.

Das ist doch eine Verortung. Man sollte sich nach dem ganzen ersten Absatz schon mal fragen - ist das überhaupt ein zuverlässiger Erzähler? Viel zu viele gehen davon aus, dass der Erzähler einfach die Wahrheit spricht. Der offshore hat das hier schon sehr gut gemacht, er bereitet das vor, man könnte nach dem Lesen auch vermuten, dass nichts davon tatsächlich passiert ist.

 

maria.meerhaba schrieb:
Ich weiß jetzt nicht, wie die anderen darüber denken, aber ich mag deinen Anfang nicht. Das ist jetzt das vierte Mal, dass ich deine Geschichte anklicke, doch diesmal überspringe ich den ersten Absatz. Ich kann jetzt nicht genau sagen, was mir daran nicht gefällt, aber irgendetwas stört mich einfach daran und ich will es nicht noch einmal lesen und nach diesem „etwas“ suchen.

schwarze sonne schrieb:
Vielleicht ist dein Problem mit dem Anfang, ein ähnliches wie meines. Dieses Kaffehaus, welches es in der Heimatstadt ja gar nicht gibt, erscheint mir erstmal so dermaßen uninteressant, dass ich gar nicht bis zum nächsten Absatz lesen möchte um zu erfahren, was es damit auf sich hat.

Ja, ich weiß, dieser verdammte erste Absatz. Über den gehen die Meinungen ja durchaus auseinander.
Aber ich mag ihn nach wie vor und er ist mir auch unheimlich wichtig. Für mein Gefühl deutet er an, dass die (schwer traumatisierte) Erzählerin immer wieder von den Erlebnissen jener furchtbaren Nacht träumt und dass ihre Erinnerungen daran durch ihre Träume auch verfälscht sein könnten, so eine Vermischung halt sind von real Erlebtem und Traumbildern.
Auch wenn ich Jimmys diesbezügliche Interpretation nicht zur Gänze teile:

jimmysalaryman schrieb:
Man sollte sich nach dem ganzen ersten Absatz schon mal fragen - ist das überhaupt ein zuverlässiger Erzähler? Viel zu viele gehen davon aus, dass der Erzähler einfach die Wahrheit spricht. Der offshore hat das hier schon sehr gut gemacht, er bereitet das vor, man könnte nach dem Lesen auch vermuten, dass nichts davon tatsächlich passiert ist.
Die Erzählerin berichtet ja rückblickend von ihrem schrecklichen Erlebnis, und klar, da kann es schon mal zu Ungenauigkeiten kommen, zu Erinnerungslücken, oder zu einer Art selektiver Wahrnehmung bzw. kognitiver Dissonanz, oder gar zu Verdrängung der allergrausamsten Details. Aber ich würde nicht so weit gehen, die ganze Geschichte eventuell als reines Fantasiekonstrukt der Erzählerin zu betrachten. Obwohl diese Lesart durchaus ihre Berechtigung hätte, schon als quasi psychohygienischer Schutzmechanismus des Lesers, der sich sagen kann, das war ja kein unfassbar grausames Verbrechen, sondern nur ein Alptraum der Erzählerin.

Vielen Dank schwarze sonne, fürs Lesen und fürs Loben, und vielen Dank, Jimmy, fürs Intervenieren.


Und jetzt noch mal zu dir, maria:

Ich bin sooo schlecht.

Ich fühle mich schlecht, so richtig miesgelaunt,

und vielleicht hätte ich deshalb nicht diese Geschichte lesen sollen, weil mir meine eigenen Gefühle im Weg sind,

Dafür darfst du mich jetzt hassen.

Ich glaube, das liegt wieder einmal an mir, an der blöden Maria, die ihre blöden Gefühle nicht im Zaun halten kann und sich so blöde unwohl fühlt, seit Tagen schon,

ich war so erschrocken,

Eher der blöden Maria, die sich einfach nur elend fühlt.

Ich hasse mich dafür.

hat mich auch schon damals erschreckt, als es mir gut ging.


Ach maria, auch wenn du ganz gerne das zynische Riot-Girlie raushängen lässt, bist du offenbar eine ungemein feinfühlige Leserin … und wenn ich dich jetzt so leiden sehe, würde ich dich am liebsten in den Arm nehmen und dich vor dieser bösen Welt und den bösen Geschichten, die von dieser bösen Welt erzählen, beschützen.

Also da kriegst du ungeheuerliche Respektpunkte und ein kleines Ich-liebe-dich-dafür.

Kann es sein, dass ich diese Geschichte nur dafür geschrieben habe? :D

Immer noch ganz lieeebe Grüße von der Maria, die niemals aufhören wird, deine Geschichten zu lesen.
So ein schönes und liebes Versprechen, maria. Vielen Dank dafür.


offshore

 

ernst offshore,

puh...harter Tobak, deine Geschichte. Die hinterlässt Eindruck.

Du hast einen ziemlich ausgefeilten Schreibstil, der mir gut liegt.

Sehr gelungen, in dieser Kürze!

Wir wären nicht die Wortkrieger, wenn nicht auch noch Kritik käme:

Der Anfang hat mir Probleme bereitet, ich versteh ihn nicht. Was soll der Vergleich mit den anderen Städten und wozu überhaupt dieses Intro. Tatsache bleibt, dass die Prota diese Stadt nie wieder mögen wird. Diese Aussage ist es doch, die wichtig ist. Diese Aussage verschwindet irgendwie am Anfang.

Es ist zwar eine wunderbare Formulierungen drunter, wie

als wäre die Brandung das Steilufer hoch gefegt und zu Stein erstarrt
, aber wozu das alles dort?

Dann denke ich, dass deine Prota den Namen dieser Stadt in ihrem ganzen Leben nicht vergessen wird. Sie wird aber alles tun, um es zu versuchen. Sie wird den Namen zu verdrängen versuchen. Daher hat es mich immer dann gestört, wenn du an den Stellen im Text davon schreibst, dass sie den Namen nicht mehr kenne. Erscheint mir unlogisch. Zeig lieber, was sie anstellt, um ihn zu vergessen, zu verdrängen.

Diese Stelle

klebten sie Jimmy den Mund mit Paketband
hat mich rausgezogen, weil für mich Paketband nur so eine dünnes, aber starkes Band ist aus Sisal oder Kunststoff. Du meinst aber sicherlich das breite Klebeband, nicht wahr? Das ist ja eine superstarke Szene, die hier beginnt und ich finde, auch an dieser Stelle darf keine Unlogik aufblitzen, nicht wahr?

Die Folterszene ist mir zu verkürzt dargestellt. Oh nein, ich bin keine Person, die dringend ausführliche detaillierte Folterszenen benötigt, ich kann mir deine Prota nur vorstellen, wenn sie noch mehr von dieser Szene, die sie schließlich ja nur noch in der Ohnmacht ertragen konnte, wenigstens mehr beschreibt. Schau, was ist denn das Entsetzliche, wenn man jemanden liebt und miterleben muss, wie er gefoltert wird. Es ist diese irrsinnige Hilflosigkeit, man meint, man spürt den Schmerz genauso mit, es tut nur nicht körperlich weh, sondern die Seele schreit vor Pein. Mir fehlen dazu Eindrücke deiner Prota. Sie ist nicht umsonst in Ohnmacht gefallen.
Mir fehlen bruchstückhafte Erinnerungsfetzen der Prota. Es taucht immer wieder was auf, was schnell weggepackt werden muss, weil man es auch als Erinnerung nicht erträgt. So in der Art.

Dann und dies ist mein letzter Kritikpunkt, habe ich mir die Szene mit dem Aufhängen an den Füssen nicht vorstellen können. Da fehlt vermutlich nur ein Satz. Erst hatte ich es mir so vorgestellt, dass man ihn an einen Ast drunter nagelt, aber sein Eigengewicht hätte ihn doch wieder runtergerissen, nicht wahr?
Dann fiel mir ein, dass du es auch so gemeint haben könntest, dass er mit dem Fußspann auf dem Ast Halt bekommen hat und er dann so fixiert wurde. Ich weiß, es ist ein höchst widerliches Unterfangen, sich das allein vorstellen zu müssen. Das fällt mir echt schwer, aber Logik bleibt Logik und du hast es nicht nötig, bei dieser starken Geschichte, lasch in puncto Logik zu werden.

Ich hoffe, du verstehst, dass ich hier auf recht hohem Niveau Forderungen stelle. Die Geschichte ist bereits gut, mach sie hervorragend.

Lieben Gruß


lakita

 

Warum dauert das bei dem so lange, dass der reagiert, mag man sich fragen,

lieber ernst,

aber der ist förmlich hängengeblieben schon in der beeindruckenden Einleitung in der Kunst, Kitsch gekonnt in Kunst zu verwandeln, aber quasi gestolpert über

… Städte, die sich an küstennahe Berge ducken, …
„sich duckende Städte“ - gibt’s die (oder doch wenigstens eine), kann's so etwas geben? Wenn die Bewohner einer Stadt kuschen - sagen wir wegen Androhung von Gewalt - dann mag man alle Stadtbewohner einsilbig reduzieren, dann duckt sich eben eine "Stadt" als Platz- und/oder (das Wortspiel muss jetzt sein) Statthalter für deren Bewohner ...

Die Dudenredaktion definiert „ducken“ als „eine schnelle Bewegung ... machen“, eine Bewegung, die dem Bild eines (bewegten, wenn man so will, wogenden) Häusermeeres entgegenkommen könnte, wäre es nicht nur die Bewegung in eine Richtung, „eine … Bewegung (nach unten) ...“, was nicht nur für einzelne Häuser katastrophal wäre (selbst hierorts im Pott gibt’s durch den Bergbau bedingte Erdrutsche und ab und an sackt schon mal ein Gebäude ab oder verschwindet gar). Und jetzt isset passiert: Bei den Grimm Brüdern find ich folgenden Beleg „die stadt macht einen rechten katzenbuckel mit ihren geduckten häusern“ (Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbänden. Leipzig 1854-1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. Online-Version vom 03.02.2016., Spalte 1492, Wörterbuchnetz). Wat nu, die Stadt "buckelt" und deren Häuser sind "geduckt" (was etwas anderes ist als sich ducken). K. A. Müssten wir die von den Grimms zitierte Bettina (vermutlich v. A.) fragen.

Und ist die Tante nicht eher eine "Grande Dame"?

Ja, da frag ich mich auch gelegentlich, ob der Einbruch von Gewalt, der in der Regel keines Grundes außer der Machtfrage bedarf (und wär's ein Lächeln zum falschen Augenblick). I. d. R. wäre noch Missbrauch und Vergewaltigung als Mittel des Krieges zur Demütigung hinzuzudenken. Womit wir wieder beim " ducken" wären und seines transitiven Gebrauchs.

Wie immer - gern gelesen (sogar ausgesprochen lange, und doch nicht verzagt) und über Deine Schreibkunst gibt's nichts zu sagen, was nicht schon gesagt wäre, "nothing you can't sing that isn't sung",

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

lakita schrieb:
Der Anfang hat mir Probleme bereitet, ich versteh ihn nicht. Was soll der Vergleich mit den anderen Städten und wozu überhaupt dieses Intro. Tatsache bleibt, dass die Prota diese Stadt nie wieder mögen wird. Diese Aussage ist es doch, die wichtig ist. Diese Aussage verschwindet irgendwie am Anfang.

Erst gestern habe ich in meiner Antwort an maria und schwarze sonne den Anfang noch einmal zu erklären versucht:

offshore schrieb:
Ja, ich weiß, dieser verdammte erste Absatz. Über den gehen die Meinungen ja durchaus auseinander.
Aber ich mag ihn nach wie vor und er ist mir auch unheimlich wichtig. Für mein Gefühl deutet er an, dass die (schwer traumatisierte) Erzählerin immer wieder von den Erlebnissen jener furchtbaren Nacht träumt und dass ihre Erinnerungen daran durch ihre Träume auch verfälscht sein könnten, so eine Vermischung halt sind von real Erlebtem und Traumbildern.
Aber offenbar wird das wirklich zu wenig deutlich. Hm. Mal sehen, lakita, ob mir da noch was Besseres einfällt.

Dann denke ich, dass deine Prota den Namen dieser Stadt in ihrem ganzen Leben nicht vergessen wird. Sie wird aber alles tun, um es zu versuchen. Sie wird den Namen zu verdrängen versuchen. Daher hat es mich immer dann gestört, wenn du an den Stellen im Text davon schreibst, dass sie den Namen nicht mehr kenne. Erscheint mir unlogisch.
Auch das ist ein gerechtfertigter Einwand. Denn natürlich weiß die Erzählerin die Namen der Stadt und des Parks. Aber sie weigert sich halt, die Namen auszusprechen, ähnlich einem Kind, das sich die Augen zuhält, weil dadurch eine Gefahr vermeintlich verschwindet. Sie will die Namen nicht mehr wissen, nie mehr hören …
Vielleicht muss ich bei diesen Sätzen einfach noch ein klein wenig an der Wortwahl arbeiten.

Zeig lieber, was sie anstellt, um ihn zu vergessen, zu verdrängen.
Das ist schwierig, weil ich die Erzählform, diesen quasi inneren Monolog der Erzählerin nicht durchbrechen und dementsprechend keine weiteren Szenen einbauen will.
Aber vielleicht fällt mir auch dazu noch was ein.
Überhaupt hat mich die Fülle der überwiegend sehr positiven Kommentare angespornt, noch ein bisschen mehr aus dem Text zu machen. Dass darin noch ein gewaltiges Potential schlummert, um die Leser noch ein bisschen mehr zu verstören, ahne ich ja selber.

Diese Stelle
klebten sie Jimmy den Mund mit Paketband zu
hat mich rausgezogen, weil für mich Paketband nur so eine dünnes, aber starkes Band ist aus Sisal oder Kunststoff. Du meinst aber sicherlich das breite Klebeband, nicht wahr? Das ist ja eine superstarke Szene, die hier beginnt und ich finde, auch an dieser Stelle darf keine Unlogik aufblitzen, nicht wahr?.
Genau das meinte ich, lakita. (Das, was man gemeinhin als Tape oder Gafferband bezeichnet.) Beide Wörter gefielen mir aber nicht so recht, und hätte ich einfach Klebeband geschrieben, wäre das mit dem Begriff zukleben im selben Satz kollidiert. Und was kann man statt zukleben noch sagen? Zupicken? Das Wort kennt ihr Nichtösis vermutlich gar nicht. :D
Vielleicht so?
Sie waren zu siebt und zuerst verschlossen sie Jimmys Mund mit Klebeband.`
Nö, gefällt mir auch nicht. Tja, muss ich auch noch drüber nachdenken.

Die Folterszene ist mir zu verkürzt dargestellt.
:eek: Jessasmaria, lakita!

Oh nein, ich bin keine Person, die dringend ausführliche detaillierte Folterszenen benötigt, ich kann mir deine Prota nur vorstellen, wenn sie noch mehr von dieser Szene, die sie schließlich ja nur noch in der Ohnmacht ertragen konnte, wenigstens mehr beschreibt. Schau, was ist denn das Entsetzliche, wenn man jemanden liebt und miterleben muss, wie er gefoltert wird. Es ist diese irrsinnige Hilflosigkeit, man meint, man spürt den Schmerz genauso mit, es tut nur nicht körperlich weh, sondern die Seele schreit vor Pein. Mir fehlen dazu Eindrücke deiner Prota. Sie ist nicht umsonst in Ohnmacht gefallen.
Mir fehlen bruchstückhafte Erinnerungsfetzen der Prota. Es taucht immer wieder was auf, was schnell weggepackt werden muss, weil man es auch als Erinnerung nicht erträgt. So in der Art.

Du bist tatsächlich die erste, die in dieser Szene noch mehr … Gewalt? Blutrünstigkeit? Abscheulichkeit? einfordert, aber vielleicht bist du auch einfach die ehrlichste Leserin. :D
Aber du hast recht. Wenn ich die Frau (und die Leser) schon so leiden lasse, dann kann ich’s auch ruhig auf die Spitze treiben.
Mal sehen lakita. Ich bin mir sicher, da fällt mir noch was ein.

Dann und dies ist mein letzter Kritikpunkt, habe ich mir die Szene mit dem Aufhängen an den Füssen nicht vorstellen können. Da fehlt vermutlich nur ein Satz. Erst hatte ich es mir so vorgestellt, dass man ihn an einen Ast drunter nagelt, aber sein Eigengewicht hätte ihn doch wieder runtergerissen, nicht wahr?

So steht’s in der Geschichte:

Dann hängten sie ihn kopfüber an den Stamm eines Maulbeerbaumes, indem sie ihm Gerüstnägel durch die Fußgelenke trieben, ja, sie nagelten ihn an, als wäre er ein lebloses Stück Holz,
Na ja, und unter Gerüstnägeln muss man sich so richtig fette Stahlstifte vorstellen, und wenn die zwischen den Knochen der Fußgelenke (waagrecht) in einem Baumstamm stecken, reißt da vermutlich so schnell nichts aus.

Die Geschichte ist bereits gut, mach sie hervorragend.
Vielen Dank, lakita, für dein Lob und deinen Ansporn. Ich setz mich noch mal dran, versprochen. Seit du vor gut drei Jahren den „Witwer“ empfohlen hast, bist du mir ja eine der wichtigsten Kritikerinnen. :kuss: (Sorry, aber das musste jetzt einfach sein.)

offshore


Edit:
Ups, eben seh ich, dass Friedrichard auch was geschrieben hat. Darauf zu antworten, schaffe ich heute aber nicht mehr.
Also, bis wann auch immer, Friedel. Auf jeden Fall schon mal danke!

 

Hallo ernst offshore,

weißte, das ist ja immer das riesige Problem hier. Wenn man wirklich alles, was die Kritiker annahmen oder sich wünschen erfüllen würde, wär es manches Mal eine komplett neue Geschichte, nicht wahr?
Das finde ich für mich so schwierig, da herauszufiltern, was noch zu einem passt, was man ehrlich nachvollziehen kann und selbst für verbesserungswürdig hält. Standhaft zu bleiben, ohne ignorant zu sein und dazu zu lernen, das ist die Aufgabe, finde ich.

Ich möchte z.B. nicht mit Gewalt, dass du die Gewaltszene ausweitest, ich meinte damit, dass du dichter am Erinnerungsvermögen der Prota sein müsstest. Was erinnert sie noch? Garantiert erinnert sie gruselige Bruchstücke, nur Stücke wohlgemerkt, nicht den ganzen Film bis zu ihrer Ohnmacht. Auch hier könntest du so etwas wie ein Versteckspiel zeigen. Sie will sich nicht erinnern, sie will nicht auf diese Weise damit gefoltert werden. Aber diese fiesen Erinnerungsfetzen tauchen auf, und dümpeln wie kleine Korken auf der Wasseroberfläche. So meinte ich es mit dem Ausbau der brutalen Szene. Aber vielleicht hast du das ja schon verstanden.

Überhaupt hat mich die Fülle der überwiegend sehr positiven Kommentare angespornt, noch ein bisschen mehr aus dem Text zu machen. Dass darin noch ein gewaltiges Potential schlummert, um die Leser noch ein bisschen mehr zu verstören, ahne ich ja selber.
JAAAAAA!

Du hast es erfasst.

Wie wäre es mit "drückten Klebeband auf seinen Mund".


Lieben Gruß und gutes Gelingen

lakita

 

Hi ernst offshore,

hätte ich einfach Klebeband geschrieben, wäre das mit dem Begriff zukleben im selben Satz kollidiert. Und was kann man statt zukleben noch sagen?

Wie wäre es mit: "Sie umwickelten seinen Mund mit dickem Klebeband."?
Nur so ne Idee ...

LG, GoMusic

 
Zuletzt bearbeitet:

Umwickeln. Auf jeden Fall. Als Klebeband um den Mund-Erfahrene:

"drückten Klebeband auf seinen Mund"
hält 1 Minute. Um den Kopf. Ich empfehle Panzertape. Soll Schall gedämpft werden, muss noch Stoff rein. ;-)
Ich tendiere zu dem Vorschlag von GoMusic. Für mehr Grausamkeit und Realitätsnähe vor dem Zukleben was in den Mund. Wenn man gerne einen wunderbaren Film zitieren will: einen Tischtennisball.

 
Zuletzt bearbeitet:

Die Gewalt lebt davon, dass sie von Anständigen nicht für möglich gehalten wird.‘‘
Jean-Paul Sartre​

Friedrichard schrieb:
Ja, da frag ich mich auch gelegentlich, ob der Einbruch von Gewalt, der in der Regel keines Grundes außer der Machtfrage bedarf (und wär's ein Lächeln zum falschen Augenblick).
Ja, was denn nun?
Auch wenn ich beim besten Willen in diesem Satz keine schlüssige Aussage erkenne (kann es sein, dass du beim Schreiben über der Tastatur eingeschlafen bist?), so ahne ich zumindest, in welche Richtung deine Gedanken unterwegs waren, lieber Friedel.
Oder haben dich die Abscheulichkeiten in der Geschichte dermaßen verstört, dass du einfach nicht weiterdenken wolltest?


Natürlich habe ich mich beim Schreiben gefragt, ob die Darstellung der unfassbaren Grausamkeiten, die Menschen anderen Menschen anzutun imstande sind, in einem ich nenn‘s mal „belletristischen Unterhaltungstext“ überhaupt legitim sei, ob ich da nicht klammheimlich Gewaltpornografie betreibe …
Was soll es dem Leser außer Verstörtheit bringen? Schafft man Gräuel aus der Welt, indem man sie benennt, indem man sie zeigt? Oder hatte es für mich selbst eine kathartische Wirkung, meinen Alptraum niederzuschreiben? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich weiß nur, dass es mir nicht besser gegangen wäre, hätte ich es nicht geschrieben.

Danke Friedel für deinen Besuch. ´
Und natürlich für das e der Grande Dame. (Diesmal dachte ich wirklich, selbst du könntest in dem Text keinen Fehler finden. Hm. Na ja, scheiß drauf, muss man unbedingt Französisch können?)

lakita schrieb:
weißte, das ist ja immer das riesige Problem hier. Wenn man wirklich alles, was die Kritiker annahmen oder sich wünschen erfüllen würde, wär es manches Mal eine komplett neue Geschichte, nicht wahr?
Das finde ich für mich so schwierig, da herauszufiltern, was noch zu einem passt, was man ehrlich nachvollziehen kann und selbst für verbesserungswürdig hält. Standhaft zu bleiben, ohne ignorant zu sein und dazu zu lernen, das ist die Aufgabe, finde ich.

In die stilistische Gestaltung meiner Texte lass ich mir ohnehin kaum dreinreden, lakita, da bin ich recht stur. (Bzw. einfach ein eingebildeter Hund.)
Als meine große Schwäche sehe ich nach wie vor das Plotentwerfen an, deshalb bin ich da für Anregungen auch durchaus dankbar.

Ich möchte z.B. nicht mit Gewalt, dass du die Gewaltszene ausweitest, ich meinte damit, dass du dichter am Erinnerungsvermögen der Prota sein müsstest. Was erinnert sie noch? Garantiert erinnert sie gruselige Bruchstücke, nur Stücke wohlgemerkt, nicht den ganzen Film bis zu ihrer Ohnmacht. Auch hier könntest du so etwas wie ein Versteckspiel zeigen. Sie will sich nicht erinnern, sie will nicht auf diese Weise damit gefoltert werden. Aber diese fiesen Erinnerungsfetzen tauchen auf, und dümpeln wie kleine Korken auf der Wasseroberfläche. So meinte ich es mit dem Ausbau der brutalen Szene. Aber vielleicht hast du das ja schon verstanden.

Tatsächlich hab ich noch in der Nacht nach deinem Kommentar an der Erweiterung der Szene gearbeitet. (So was mache ich prinzipiell nur spätnachts, selbst auf die Gefahr hin, dass ich auf diese Art irgendwann endgültig verrückt werde.)
Ob das Ergebnis in deinem Sinne ist, weiß ich natürlich nicht. Ich weiß nur, dass die Szene zumindest mir beim Lesen nun noch mehr den Hals zuschnürt, als zuvor.
Aber vielleicht stecke ich mittlerweile auch schon viel zu tief drin im Martyrium von Jimmy und seiner Freundin.

Vielen Dank jedenfalls für deine Ermutigung, lakita.

GoMusic schrieb:
Wie wäre es mit: "Sie umwickelten seinen Mund mit dickem Klebeband."?

Gtetha schrieb:
Umwickeln. Auf jeden Fall.

Zweifellos habt ihr beiden es mit eurem Vorschlag gut gemeint. Vielen Dank.
Leider genügt er meinen Ansprüchen an präzise Sprache ganz und gar nicht, weil man einen Mund (mit Klebeband oder was auch immer) einfach nicht umwickeln kann, genau so wenig, wie man, was weiß ich, ein Loch zubinden kann (Auch wenn die meisten vermutlich verstehen, was gemeint ist.) Man kann höchstens den Kopf umwickeln und dabei, quasi als Nebeneffekt, auch den Mund zukleben.
Aber egal, weil mittlerweile hab ich eh eine Lösung gefunden und statt Klebeband nun doch Tape geschrieben. Dieses Wort ist ja schon längst eingedeutscht.

 

Alles, wirklich alles hier, wirkte alt und schäbig, selbst der Kellner mit seinen eisgrauen Haaren.

Ja, schon die Einleitung ist eine rhetorische Meisterleistung, über die ich zunächst stolperte und dann die Machtfrage in den Weiten des Universums entschwinden ließ. Und - ganz nebenbei,

lieber ernst,

wer dt schreibt, muss nicht frz können (obwohls ne Bereicherung sein kann). Hier lag der Stolperstein

an Städte, die sich an küstennahe Berge ducken,
aufgrund der Etymologie des Verbs „ducken“ (= sich schnell bewegend, Kopf + Schultern einziehen + den Oberkörper beugen oder in die Hocke gehen) riskant erschien. Inzwischen seh ich's als Vorgriff aufs gewaltsame (faschistoide?) Ende der Geschichte aus Maldovia als legitim an i. S., dass jeder Bewohner der Stadt aus Angst/Unterwürfigkeit sich demütigen lässt und somit demütig zeigt und nicht wagt, gegen diese latente/offene Bedrohung aufzubegehren – das die Bedrohung nicht nur latent ist, erfahren wir erst in der etwas anderen Kreuzigungsszene, die mich an Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges erinnert, in denen die Leute vom Balkan, insbesondere Bosnier und Kroaten (warum nicht auch Maldovier?) als besonders brutal galten. Zurück zum Text.

In dem sich alle Bewohner demütig zeigen, sich ducken, duckt sich die Stadt der Duckmäuser. Wobei, wenn wir weiterlesen, der nächste Hinweis auf Kommendes weg vom Allgemeinplatz der Stadt zum besonderen Spielplatz der Liebenden steckt. Ein Bild, dass einem, der hierort damit auf etymologischer Basis missioniert, dass Liebe Freiheit für jeden Liebenden bedeute und keine Besitzansprüche stelle.

Was kann im Billardspiel, der Verschwisterung von Geometrie und Physik geheimnisvoll sein? Es ist wieder die Etymologie, die den Weg weist und unterm Einfluss von bille = Kugel, aber auch Pflock „zum krummen Stab“ wird. Selbst das Spielgerät ist aus krummen Holz!

Der/das Queue ist übrigens der Schwanz, die Queue meint immer eine lang Reihe oder militärische ein Kolonne, eine Mehrzahl aufgereihter Leute (Du hast Dir halt vieles vom Franzmann aufgeladen, ernst.

und dann ..[.] oh Gott, dann stachen sie ihm mit einer Glasscherbe ein Auge aus und ich, ich konnte meine Blicke nicht von Jimmy lassen, weil ich wusste, dass ich ihn jetzt zum letzten Mal lebendig sehe [nicht doch besser "sah"?].
Eine umgekehrte, stilisierte Kreuzigungsszene, deren Vorbild zu Zeiten des Tiberius nach Recht und Gesetz incl. Geiselung bis aufs Blut, sich von der Methode der sieben (heilige Zahl, muss ich drüber nachdenken, wie überhaupt über die Zusammenhänge Ducken/Demütigung/Krummholz, und - nicht zu vergessen, dass des Mädchens Name Licht bedeutet. Schon allein darum denk ich über eine Empfehlung nach ...

In der fünften Kalenderwoche erhielt ich folgende PN, in der ernst mich um Rat bat

..., dich heute bei einer grammatikalischen Frage um Rat zu bitten:
Alles, wirklich alles hier, wirkte alt und schäbig, selbst der Kellner mit seinen eisgrauen Haaren.
Also mich macht das zweite Komma (hinter hier) noch verrückt.
Wenn ich’s weglasse, weil ich's beim Lesen ja auch nicht als quasi Pause betone, habe ich das Gefühl, das sei ein Fehler, weil „wirklich alles hier“ ja eigentlich ein Einschub ist (mit Anfang und Ende).
Wenn ich’s hingegen hinschreibe, stolpere ich beim Lesen drüber.
Hm.
Gibt’s dafür überhaupt eine einschlägige Regel oder ist das ein Sonderfall?

Ratlose Grüße aus Wien,
vom Ernst


Klar, gibt;s da eine Regel (allein der Markt regelt sich selber durch die unsichtbare schwarze Hand), an die sich ernst ja auch gehalten hat, die da grob zusammengefasst festlegt
Eigenzitat:
grundsätzlich werden Einschübe wie hier die eingeschobene Erläuterung durch Kommas eingeschlossen, wobei es z. T. hirnrissige Ausnahmen gibt, wenn etwa das einschließende Komma entfällt, weil der Einschub zwischen Adjektiv und Substantiv (hier wäre das Pronomen halt Statthalter) oder Verb und Hilfsverb steht. Wenn's regelkonform gehen soll, vielleicht „Alles hier, wirklich alles wirkte alt ...“, wobei der alte Hegel und der olle Nietzsche grinsen, denn wirklich ist nur das, was wirkt.

Am 8. 2. schrieb ich zurück:
sollten wir das Kommaproblem nicht öffentlich machen? Ich denk schon, das es mehr als zwo Leute interessieren wird.
mit der prompten Antwort
Gute Idee, Friedel.
Hab ich mir nach der PM an dich nämlich auch schon gedacht. So wie das substantivierte "Küssen" in meiner Copywrite-Geschichte ja auch von allgemeinem Interesse war.

Nicht für die Schule lernen wir, sondern fürs Leben.

Am gleichen Abend holte der Infekt das arme Dante Friedchen ein, und heute (Stimme ist immer noch bluesig, Näschen läuft noch immer, aber kein Vergleich mehr zur Woche zuvor, und die Bedeutung des Einschubs "wirklich alles hier" hat sich in meinem Kopf geändert. "Wirklich" meint nicht das Adjektiv (wirklich - wirken) sondern das Adverb als Bestandteil des Jargons der Eigentlichkeit, das nicht so sehr das Subjekt "Alles" - was ja ziemlich viel ist und eben im Idealfall "alles" meint - einschränken soll (wirklich + hier). Als Adverb will "wirklich" aber nicht "alles" be- und einschränken, sondern verstärken wie ein "ehrlich", "echt" oder auch "eigentlich", die einer, der Ironie im Repertoire führt, nur in ihrer gegenteiligen Bedeutung verwendet.

Kommabefreiend wäre nach jetzigem Stand - es wird nicht der letzte Beitrag sein - allein der Verzicht auf den minimalen Einbruch des Jargons. Denn welche Glaubwürdigkeit würde etwa mit dem Abschluss "kannstu mir glauben", ... ehrlich, ... echt wahr gesteigert? Wenn einer Wahrheit oder Wirklichkeit in den Mund nimmt, sollte mit Skepsis rechnen.

Aber ehrlich auch!,

schließt der

Friedel

Die Regeln zu Appositionen und sonstigen nachgestellten Zu-Sätzen finden sich unter K 103 bis K 107 des Rechtschreibdudens bzw. §§ 77 f. der amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung (findet sich als PDF im Internet

 
Zuletzt bearbeitet:

Zu deinen etymologischen Anmerkungen könnte ich jetzt natürlich sagen: „Wahnsinn, dass der Friedel all das entdeckt hat, was ich da an Anspielungen reingepackt habe!“, aber das wäre natürlich gelogen. In Wahrheit treffe ich meine Wort- und Namenswahl ausschließlich nach lautklanglichen Gesichtspunkten.

Vielen Dank jedenfalls, Friedel, dass du noch einmal vorbeigeschaut hast und natürlich auch für deine detaillierten Ausführungen zum Kommaproblem. Obwohl es offenbar regelkonform ist, stört mich das Scheißding aber noch immer. Andererseits, was reg ich mich über ein Komma auf, in einem 1300-Wörter-Text, der insgesamt 169(!) Kommas hat. :drool:

 
Zuletzt bearbeitet:

Weiß ich doch, dass wir gut und richtig, vor allem aber "schön" für Aug und Ohr schreiben,

lieber ernst,

aber darüber lässt man doch nicht den Kopf hängen und spielt mit Statistik das eigene Leiden an der Sprache runter! Wie wär's mit nem bissken Möbelrücken - wenn schon auf kein Wort verzichtet werden soll (ich hätte kein Problem gegenüber dem verstärkenden Adverb, das einschränkende "hier" bleibt notwendig, weil "alles" nun mal sonst allzuviel wär. Zerschlag und teil den Zusatz und ein Komma könnte gespart werden

"Wirklich alles,[alternativ: " - "] alles hier wirkte alt und ...", das himmelhochjauchzend übertriebene alles wird runtergeholt ins hier und jetzt ... und wäre auch noch schön mit dem Pivot-Element "alles" anzuschauen.

oder so ähnlich ...

Friedel

Wie sagte doch schon der große Peter Altenberg (der ja eigentlich Engländer hieß):

„Ik beheers de Duitse taal, maar het Duitse gehoorzamt me niet."

 

snif schrieb:
Ganz ehrlich, ich kann diesen zweiten Teil nicht lesen. Das heisst, gelesen habe ich ihn schon, aber weisst du, mit schiefem Kopf und zusammengekniffenen Augen habe ich den Bildschirm weit von mir gestreckt und quergelesen. Das Ausschmücken der Brutalität ist nicht mein Ding. Ich weiss, andere mögen das (ist mir zwar schleierhaft wieso), aber nein, für mich ist das nichts.
Ach snif …
Nichts lag mir beim Schreiben dieser Geschichte ferner, als Gewalt um der Gewalt Willen zu beschreiben, nichts lag mir ferner, als Leser damit verstören zu wollen.
Es war einfach mein sehr intuitiver Versuch, mit meinem eigenen, ganz persönlichen Leiden an und in dieser aberwitzigen Welt umzugehen. Auch wenn ich weiß, dass es wohl besser wäre, vor der Unmenschlichkeit des Menschen einfach die Augen zu verschließen, gelingt mir das halt nicht immer. Ich weiß, dass ich mit diesem Text die Welt kein bisschen besser machen kann, aber ich weiß auch, dass die Welt kein bisschen anders wäre, hätte ich den Text nicht geschrieben, aber, wie soll ich sagen, man kann’s sich nicht immer aussuchen.

Schön, dass du wieder da bist snif, und wir entschuldigen uns für die Strapazen.

offshore

 

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