Kandierte Veilchen
Ich verliebte mich augenblicklich in meine Träume mit ihm als wir unsere ersten paar Worte über die Weltentstehung wechselten. Ich war beeindruckt und hingerissen, von einer Eleganz, die bei Männer nicht oft anzutreffen ist und bewunderte seine ausdrucksstarken Worte und Augen.
Ich verfiel im geradezu, bekam das Gefühl, das Unmögliche sei doch möglich.
Eine spontane Reise nach Paris, später in München studieren, heiraten in einem abgeschiedenem Blumenparadies mit hundertjährigen Gärtnern und einem Swimmingpool an der Klippe, sodass man vom Wasser ins Meer schauen konnte.
Er bot mir ein kandiertes Veilchen an, dessen süßlich reiner Geschmack pures Glück versprechen zu schien. Erst nach einer Weile war die Blüte übrig und ich schmeckte den leicht bitteren Rest des Veilchens.
Es wurde Nacht und da waren die Sterne und Lichter des gegenüberliegenden Hauses. Zwei, wie er anmerkte, wie wir zwei. Ich fror, aber das störte mich nicht. Auch nicht, dass er mehr auf das Wasser sah, an dem wir saßen, als auf mich. Er zitierte alte Klassiker und redete von Menschen, die er so interessant und einzigartig beschrieb, dass ich sie sofort kennenlernen wollte. Er konnte Orte in meiner Phantasie ausmalen, so dass ich nichts sehnlichster wünschte, als einmal dort zu sein. Die Straßen von Paris entlanglaufen, den Louvre überqueren und den Rekord aus "Die Träumer" brechen. Diese Nacht noch eine geheimnisvolle Reise antreten, in ein Land in der Träumer noch Hoffnung haben konnten.
Die Ernüchterung kam überraschend und bedrückend. Die Realität, mit einem immer leidendem Werther und Reisen, die geplant und berechnet werden mussten. Paris verschwand am Horizont, etwas später er auch.
Aber er bewegte etwas, trotz seiner Abwesenheit. Ich fing an zu grübeln, zu zweifeln. Ich verließ den Werther, der sich bald darauf selbst umbringen wollte, was er jedoch nie tat.
Ich grub in meiner Vergangenheit um die Zauberhaftigkeit zu finden, die mein Leben einst hatte, vor Werther und den Selbstzweifeln.
Ich fiel, dachte an den Unbekannten und weinte.
Doch dann traf ich ihn wieder. Auf einem Bahnhof, zufällig. Es schien die Sonne, also ergriff ich die Chance und stieg mit ihm in den nächsten Zug.
Er war abenteuerlustig genug um nicht wieder auszusteigen. Er wusste sogar einen Ort, an dem wir ein paar Tage bleiben konnten.
Ich lächelte wieder, philosophierte mit ihm über das Leben, diskutierte und schmeichelte. Es war warm im Zug, fast wie im Sommer obwohl es doch noch Frühjahr war und ich meinen Wintermantel anhatte.
Die Welt außerhalb des Zuges tanzte vorbei und verlor an Bedeutung. Bis wir an diesem riesigem weißem Haus ankamen. Wir buchten ein Zimmer, was mich mein halbes Vermögen kostete, aber es spielte alles keine Rolle mehr. Es war fast wie in einem Märchen mit ihm als Prinzen, was bedeutete da schon der Alltag und so etwas wie Geld.
Ich ließ mich auf Alles ein. In manchen Momenten schien er so perfekt, dass ich versuchte, Fehler zu finden, Schwächen oder Marotten. Ich fand keine. Er hatte zahlreiche Weltreisen hinter sich, kannte jedes Werk von Goethe und Schiller, und wusste, dass das Leben keine Grenzen für ihn hatte. Kein Schritt wirkte unsicher, kein Wort ungewählt. Manchmal murmelte er meinen Namen vor sich hin, was mich rot werden und mein Herz hüpfen ließ. Und während ich mit großen Kinderaugen vor den Marmorbädern und dem Obst, wozu Besteck gereicht wurde stand, legte er einen Arm um mich und lächelte sicher.
Ich erwachte. Es war kalt in seiner Wohnung, weil die Heizungen in der Nacht abgestellt wurden. Ich erinnerte mich kurz an die Nacht zuvor, an meine Verzweiflung und die Tränen und den Wunsch gehen zu können. Ich blieb, küsste ihn sacht, doch er murmelte nur etwas.
Etwas bedrückte ihn.
"Ich muss dir noch etwas sagen", flüsterte er. "Aber du musst mir versprechen, dass sich nichts ändern wird."
"Wer ist es?", dachte ich und schwieg.
"Ich habe mich in deine Schwester verknallt, aber.." Ich konnte den Schmerz fühlen wie er sich in mir ausbreitete. Ich lag neben ihm und fühlte fasziniert in mich herein. Dann kamen die Tränen, ich drehte mich um und sagte nüchtern "Wir trennen uns."
Er fing an zu schreien, zu weinen und um sich zu schlagen. Der absolute Wahnsinn kroch in seine Gesichtszüge. "Nein", wiederholte er nur immer wieder mit einer Stimme die ein Sterbender haben würde. "Nein!"
Er zitterte und weinte noch heftiger. Die Situation überforderte mich, mein eigener Schmerz und dieser Wahnsinn vor meinen Augen. Ich versuchte beruhigend mit ihm zu reden doch er hörte nicht auf zu schreien.
Taub für meinen eigenen Schmerz machte ich ihm Tee, er zitterte zu sehr um zu trinken, ich versuchte ihn mit Fernsehen abzulenken. Ich beruhigte ihn, wie würden uns ja wiedersehen. Da hielt er inne. "Ich übertrage dir mein ganzes Vermögen!" ich schüttelte verwirrt den Kopf. Er wurde wieder von Heulkrämpfen geschüttelt. "Wir heiraten!" Ich versuchte aus dem Raum zu gehen. "Lass uns nach Paris fahren!" weinte er mit letzter Kraft kurz bevor er machtlos liegenblieb.
Ich nahm mir ein kandiertes Veilchen und ging.