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Keine Neonlichter mehr, keine Zuckerwatte.

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05.07.2020
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Keine Neonlichter mehr, keine Zuckerwatte.

Maria sitzt am Fenster ihres Zimmers und raucht. Ihre Mutter hat immer irgendwo eine angebrochene Packung herumliegen. Natürlich wird sie merken, dass welche fehlen, aber das ist Maria egal. Sie ascht aus dem Fenster, sieht der Asche hinterher, die vom Wind davongetragen wird und sich irgendwo auf dem Weg nach unten verliert. Auf der Straße geht ein Mann mit seinem Hund spazieren. Die beiden bewegen sich langsam den Weg zwischen den Laternen entlang. Zwei Roller fahren vorbei und das Geräusch der Motoren dröhnt zwischen den Wohnblocks zu ihr herauf. Sie fahren zu schnell und rufen sich etwas zu. Der Mann bleibt stehen. Er sieht den beiden hinterher. Nach einem kurzen Moment geht er weiter. Seinen Hund muss er mitziehen und Maria fragt sich, ob der ihn dafür hasst, dass er ihn an einer Leine herumzerrt - oder ob es ihm egal ist.
Der Mann wohnt im selben Haus wie sie. Wenn sie ihm begegnet, auf der Treppe oder unten bei den Mülltonnen, sieht er sie mit an, als wolle er ihr gleich eine scheuern. Als wolle er allen hier, den Leuten im Haus, den Bulgaren an der Ecke, den Rollerfahrern am liebsten eine drücken. Er murmelt irgendein Zeug vor sich hin, wenn man an ihm vorbeigeht und er versucht, einschüchternd zu gucken, aber wirklich was gemacht, hat er noch nie und die Jungs aus dem Haus machen sich über ihn lustig, wenn sie ihn sehen. Maria nimmt einen letzten Zug, zieht, bis es ihr an den Fingern brennt, dann schnippt sie die Zigarette aus dem Fenster nach unten. Wenn der Hund den Filter frisst, stirbt er vielleicht daran, überlegt sie und macht das Fenster zu.

Sie kommt, da ist die dritte Stunde beinahe vorbei. Der Lehrer trägt sie in das Klassenbuch ein und Maria setzt sich auf ihren Platz. Es ist laut in der Klasse und der Lehrer legt ihr ein Arbeitsblatt hin. Er lächelt, aber Maria verzieht keine Miene. Sie nimmt einen Stift und fängt an, die Ecken des Blatts anzumalen. Leonardo geht an ihrem Tisch vorbei.
„Heute schon Loch gegeben?“, sagt er im Vorbeigehen.
„Halts Maul, du Bastardjunge, was willst du?“, ruft sie und springt auf. Leonardo bleibt stehen. Er streckt seine Zunge zwischen Zeige- und Mittelfinger hindurch und macht leckende Bewegungen damit.
„Du Ekliger!“, sagt Maria und jetzt fängt der Lehrer an zu schreien. „Leonardo, setz dich hin!“, ruft er. „Du auch Maria! Und der Rest ist still!“ Aber niemand ist still. Die Klasse johlt und schreit auch noch, als es schon zur Pause geklingelt hat.

Karo steht vor ihr. So nahe, dass Maria die vielen Mitesser auf ihrer Nase erkennen kann.
„„Was unterstellst du für Scheiße, hm?“, sagt sie und kommt noch ein wenig näher. Sie trägt ein bauchfreies Top. Wenn sie spricht, sieht man die Brackets ihrer Zahnspange und sie ist groß. Maria versucht den Kopf so zu halten, dass sie nicht zu ihr aufschauen muss. Sie riecht Parfum und Schweiß.
„Heulst rum, dass ich irgendwas rumerzählen würd über dich. Du bist mir völlig egal, Hässliche. Außerdem weiß doch sowieso jeder, dass du Tom einen gelutscht hast.“
Karo gibt ihr einen Stoß.
„Fass mich nicht an, man!“, schreit Maria. Sie versucht sich gerade zu machen, so breit dazustehen, wie sie kann. Aber ihre Lippe bebt und die Hände, die sie zu Fäusten geballt hat, zittern. Sie kann nichts dagegen tun. Karo grinst.
„Sonst was, hm? Denkst, du bist krass?“
Sie gibt Maria noch einen Stoß, stärker dieses Mal und Maria geht einen Schritt zurück. Die Leute um sie herum, vielleicht sind es zehn, vielleicht mehr, lachen. Ein paar johlen und klatschen in die Hände.
„Oder machst einen auf Opfer und heulst wieder rum?“, sagt Karo. Sie wird lauter. Schreit die letzten Worte und Maria, die versucht hat, ihrem Blick standzuhalten, kann nicht anders und schaut zur Seite.

Wegen der Herbstmesse ist es im Zug voller als sonst. Maria sieht aus dem Fenster. Mit den Fingern knibbelt sie an den Nägeln herum und zieht dünne Hautfäden so weit ab, dass es beginnt zu bluten. Als sie aufschaut, sieht sie eine ältere Frau, die ihr freundlich zulächelt. Maria weiß nicht, was die von ihr will. Schnell schaut sie weg, steht auf, setzt sich woanders hin, sieht aus dem Fenster und stellt sich vor, sie wäre alleine.

Die roten, blauen, grünen und gelben Neonlichter der Fahrgeschäfte vermischen sich im Nieselregen zu einem bunten Schleier. Sie ist mit ihrer Cousine unterwegs. Natalia ist älter, schon vierzehn. Sie hat Kaugummi im Mund und wenn sie lacht, lacht auch Maria. Die Männer sehen ihr hinterher, die Schminke macht sie erwachsen und sie nimmt zwei Zigaretten gleichzeitig zwischen die roten Lippen, zündet sie an und gibt Maria eine davon. Der Filter schmeckt nach Erdbeerkaugummi, findet Maria und neben Natalia ist sie doppelt so groß.
„Du musst diese Piç ficken“, sagt sie, als Maria von Karo erzählt. „Musst sie richtig fertigmachen, sonst lässt die dich nicht!“
Zusammen laufen sie über die Messe, paffen ihre Zigaretten, machen Duckface-Selfies vor dem Riesenrad und Tiktoks vor dem Breakdance und wenn irgendein Typ zu lange glotzt und sie mit Chayas anspricht, zwinkert Natalia ihm zu und fragt, ob er denn ein echter Talahon ist. Dann lachen sie, machen Kussmund und gehen händchenhaltend weiter. Maria mag die laute Musik, die Geräusche der Fahrgeschäfte und das Kreischen derjenigen, die darin sitzen. Sie mag die verzerrten Ansagen aus den Kabinen, in denen man Plastikchips kaufen kann, den Geruch nach gebrannten Mandeln, nach Zuckerwatte und nach künstlichem Rauch, der ja gar kein Rauch ist, sondern nur Wasserdampf und vor allem mag sie Natalia. Sie denkt, dass solche Momente wie heute Abend am besten niemals enden sollten. Und ein klein wenig hofft sie, dass sie Karo heute noch treffen.

Keine Neonlichter mehr, keine Zuckerwatte. Natalia antwortet nicht, als Maria ihr schreibt, dass sie den Abend hammer fand. Alle zwei Minuten aktualisiert sie den Chatverlauf und je näher der Montag rückt, desto mehr zieht es ihr alles zusammen.
Am Nachmittag muss die Mutter zur Schicht und der Vater ist bis nächsten Freitagabend auf Montage. Maria geht in die Küche und gießt sich ein Glas Wasser ein. Im Bad nimmt sie den dunkelroten Lippenstift ihrer Mutter von der Ablage. Sie schminkt sich die Lippen und posiert vor dem Spiegel. Wenn sie den Mund spitzt, sieht sie ein klein wenig aus wie Natalia, findet sie. Sie drückt die Brust heraus und steckt sich eine Zigarette zwischen die Lippen. Nach ein paar Minuten wischt sie die Schminke wieder ab. Einen Moment steht sie vor dem Spiegel und denkt nach. Dann geht sie ins Wohnzimmer zu der hellblauen Kommode herüber, die an der Wand steht. Schwarze Rahmen aus Plastik sind darauf. Maria ist auf einem Bild und sieht in die Kamera. Ihre Mutter sagt, dass sie viel zu dünn aussieht. Auf einem anderen Foto ist der Vater, wie er im Unterhemd in der Küche steht. Man erkennt seine starken Arme, sieht, wie er grinst, obwohl er selten grinst, weil er nach der Arbeit zu müde dazu ist.
Maria öffnet die oberste Schublade. Briefe und Papier liegen darin. Ein Feuerzeug, ein Kartenspiel von der Sparkasse. Sie schiebt das Zeug zur Seite. Darunter sieht sie das grüne Taschenmesser, das sie gesucht hat. Sie zögert kurz, dann nimmt sie es heraus, schließt die Schublade und steckt es ein. Einen Moment steht sie im Wohnzimmer und fühlt das Gewicht des Messers in der Hosentasche ihrer dünnen Stoffhose. Sie lauscht, aber es ist ganz still. Sie geht in ihr Zimmer, schließt die Tür hinter sich, geht zu ihrem Schulranzen herüber, der unter dem Schreibtisch steht und zieht den Reißverschluss auf. Im hintersten Fach des Rucksacks versteckt sie das Messer. Das Ziehen in ihrem Bauch ist jetzt so stark, dass es beinahe kitzelt und sie schluckt und muss Luft holen und sie weiß nicht, ob sie lachen oder heulen oder beides gleichzeitig soll.

 

Hallo @Habentus ,
schöne, poetische Geschichte. Die Jugend, die es heute angeblich so gut hat. Deine Hauptfigur hat zwar Familie, aber niemand kümmert sich um sie. Alle sind nur mit sich selber beschäftigt.
Interessant war für mich, dass sie in der Schule als Bitch gilt, obwohl sie vollkommen harmlos ist. Da habe ich mal einen Hollywoodfilm im Fernsehen gesehen mit ähnlicher Thematik.
Ein Teeniemädel wollte sich wichtigmachen und behauptete "schon Erfahrungen" vorweisen zu können. Das sprach sich rum wie ein Lauffeuer. Sie galt als Schlampe, obwohl sie noch völlig ungeküsst war. Ihre Eltern dachten sogar schon daran wegzuziehen.
Extrem kleinbürgerliche Moralvorstellungen herrschten dort, auch unter den Jugendlichen, so wie in Deiner Geschichte ebenfalls. Da fällt mir noch die Biografie von Jennifer Rostock- Weist- ein.
Sie kommt aus meiner Heimat. Mecklenburg. Ihr, die freimütig mit ihrem Liebesleben umging, wurden auf der Straße Schimpfkanonaden hinterhergerufen. Ausdrücke wie "Loch" und Drastischeres fielen, auch von Jungen, mit denen sie mal was gehabt hatte. Was ich las, wunderte mich nicht. Ich kenne meine Landsleute.
Gruß FK

 

Hallo @Habentus,

runde Sache, Deine Story - hat mich mitgerissen.
Einfühlsam beschreibst Du dieses Erwachen (Pubertieren) eines jungen Menschen, der sich selbst überlassen bleibt. Vom Elternhaus "ungeliebt" trachtet sie in ihrem Umfeld nach Anerkennung, setzt sich als Vorbild ihre Freundin, will dazu gehören und ist doch verletzt in ihrer Unsicherheit. So zerissen, so hilflos, dass sie keine andere Möglichkeit sieht, um mit "Gewalt" auf sich aufmerksam zu machen. Tut sie´s? Der Schluss ist gut gelöst - die Frage nicht nur eines Mädchens, auf der Schwelle zur Frau, sondern auch die Zukunftsfrage einer ganzen Generation, einer ganzen Gesellschaft. Klasse! Wirklich gelungen.
Beste Grüße
Detlev

 
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Die roten, blauen, grünen und gelben Neonlichter der Fahrgeschäfte vermischen sich im Nieselregen zu einem bunten Schleier. Maria ist mit ihrer Cousine unterwegs.

Hallo @Habentus,

ich würde den Text hier beginnen lassen und dann hauptsächlich – wahrscheinlich inklusive Einsatz des Messers – auf der Kirmes spielen lassen. Denn in meinen Augen ist der Text zu erklärend. Er liest sich irgendwie gar nicht wie eine "echte" Geschichte, sondern mehr wie die Beschreibung einer Geschichte. Heißt, man folgt Maria nicht auf dem Fuß, sondern wird über sie und ihr Leben aufgeklärt. Dadurch verfehlt der Text in meinen Augen eine emotionale Wirkung und bekommt etwas Dozierendes: So sieht soziales Elend aus und das sind dann die Folgen.

In meinen Augen müsstest du hier szenischer, situativer Vorgehen und dem Leser mehr Stoff zum Entdecken und Folgern liefern, mehr mit Andeutungen und Symbolen arbeiten. Momentan bleibt der Text sehr oberflächlich; er sagt, was er sagt, und mehr nicht. Ich finde das schade, denn du hast hier einen guten Stoff für eine Kurzgeschichte. Die Milieubeschreibungen, die du wie gesagt subtiler bzw. pointierter gestalten könntest, stimmen in meinen Augen, ein paar Details sind gut getroffen wie das Sparkassenkartenspiel oder die Sprache. Zusammen mit dem Zeitbezug (Messergewalt bzw. Gewaltexzesse von Teeniemädchen) und einem echten Höhepunkt/Wendepunkt könnte das echt einen tollen Text ergeben, wenn du wirklich Maria handeln und erleben lässt und nicht so von oben auf sie draufschaust.

Freundliche Grüsse

Henry

 
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Hallo @Habentus,

im Großen und Ganzen halte ich die Geschichte für gelungen. Sie 'liest sich auch' gut.
Wenig beleuchtest du das Verhältnis Marias zu den Eltern; die ersten Sätze gehen ja in die Richtung, dass sie nicht gesehen wird, sich stark unterordnen muss, streng behandelt wird.
Das verliert sich dann.

Auch die diversen Probleme mit den Mitschülern sind zwar angerissen, gewinnen aber nicht an Brisanz, das Üble an der Lage (Mobbing) könnte noch deutlicher sein; denn, offen gesagt, ich nehme dir den Schluss nicht ab: dass sie sich jetzt des Messers bedienen wird.

Zu einigen Stellen:

Am besten soll sie nichts sagen, nichts fragen, nichts machen, keinen Mucks, soll sich in Luft auflösen, sich tot langweilen.
Das ist ein starker Anfang; allerdings wird das kaum vertieft, ich erwähnte das oben.

Sie könnte abbiegen, die Kapuze ihrer Jacke hochgeschlagen, könnte an der Kreuzung, wo es zur Sporthalle geht, durch die Unterführung hindurch, auf der anderen Seite die Treppen hoch und schon wäre sie beim Bahnhof.
Gefällt mir. Eine anschauliche Bilderfolge, was sie 'könnte'.

Dort würde sie in den Zug steigen, der halbstündlich kommt und fünfundzwanzig Minuten braucht, um in die Stadt zu fahren
Die 25 Minuten, die der Zug in die Stadt braucht ... sind im Nebensatz zu viel; wenn es wichtig ist, dass der Zug schnell in der Stadt ist, könntest du das in einem weiteren Satz sagen.

Dort würde sie in den Zug steigen, der halbstündlich kommt. In fünfundzwanzig Minuten wäre sie in der Stadt; würde sich dort etwas zu essen kaufen ...


keinen Ärger gibt mit der Mutter, die vor einer halben Stunde von der Arbeit kam
Hat sie noch eine weitere Mutter?
Könntest du trennen, oder das erste 'der' raus.

Der Lehrer, der ihr ein Arbeitsblatt hinlegt, ist ein Schwächling.
Ebenso.
Der Lehrer legt ihr ein Arbeitsblatt hin; er ist ein Schwächling.


Niemand hört ihm zu, wenn er meint, dass sie still sein sollen oder wenn er ihnen Arbeitsaufträge gibt oder wenn er überhaupt irgendetwas will von ihnen
Wenn er meint, dass sie still sein sollen? Später im Text erklärst du, dass er aufgehört hat, etwas zu sagen:
Also sagt er nichts mehr und er sagt auch nichts, als Leonardo durch den Klassenraum ruft:
---

Strafarbeiten zu verteilen, die niemand macht und niemand abgibt.
Wenn sie niemand macht, kann sie auch niemand abgeben, insofern funzt die Steigerung nicht. Wenn, dann andere Reihenfolge.

Maria sagte nichts mehr, als Karo sich vor ihr aufbaute und sie vor allen anschrie, obwohl sie wusste, dass sie damit einen Fehler macht.
Der Satz ist verdreht, ich musste den 2-mal lesen. Wer macht den Fehler?
Vielleicht so:
Als Karo sich vor ihr aufbaute und sie vor allen anschrie, sagte Maria nichts, obwohl sie wusste, dass das ein Fehler war.


Als sie aufschaut, sieht sie eine ältere Frau, die ihr freundlich zulächelt. Maria weiß nicht, was die von ihr will. Schnell schaut sie weg, steht auf, setzt sich woanders hin, sieht aus dem Fenster und stellt sich vor, sie wäre alleine.
Gefällt mir. Sehr anschaulich geschrieben.


Maria ist mit ihrer Cousine unterwegs.
Ein wenig wunderte mich, dass sie das 'darf'.

Im hintersten Fach des Rucksacks versteckt sie das Messer.
Sagte ich bereits: So wie M. beschrieben ist, ist mir das zu viel. Wäre das anders, hätten wir an jeder Schule jedes Jahr 2-3 Messerattacken. Denn Teenager wie Maria, die in solcher Bedrängnis sind, gibt es zuhauf. Dafür hat sich, zumindest im Text, noch nicht genug zugespitzt, die M. ist zu distanziert und reflektiert; eine psychische Deviation aufgrund des Familiensystems, ist nicht sichtbar; die Konstellation passt nicht richtig.

Gruß
Flic

 

Hallo @Frieda Kreuz und danke für deinen Kommentar!

Deine Hauptfigur hat zwar Familie, aber niemand kümmert sich um sie. Alle sind nur mit sich selber beschäftigt.
Das ist sicherlich so. Ich deute es ja zumindest an. Auf der anderen Seite wollte ich, dass es ja nicht aus bewusster Entscheidung heraus so ist, sondern die (vor allem auch Arbeits-) Umstände da eine Rolle spielen. Die Eltern müssen schuften - die Tochter gerät aus dem Blick. Ich bin aber unzufrieden mit der Schwerpunktsetzung, muss ich sagen. Ursprünglich war dieser Teil umfangreicher. Ich habe dann viel gestrichen und habe jetzt das Gefühl, dass da was fehlt.

Interessant war für mich, dass sie in der Schule als Bitch gilt, obwohl sie vollkommen harmlos ist
Stimmt. Wobei das nicht der Kern meiner Geschichte seine sollte. Vielmehr wollte ich etwas über das Verständnis von Stärke und Schwäche schreiben. Was gilt als stark, was als schwach? Wie kann ich (in einem bestimmten Alter und Kontext) mich behaupten? Wie verschaffe ich mir Respekt? Was für Möglichkeiten habe bzw. kenne ich überhaupt?

Extrem kleinbürgerliche Moralvorstellungen herrschten dort, auch unter den Jugendlichen, so wie in Deiner Geschichte ebenfalls.
Ich glaube, dass das teilweise schon der Fall ist. Die Rückbesinnung auf bestimmte traditionelle Modelle stelle ich schon fest. Ob das aber wirklich zu Ende gedacht ist oder einfach aus einer generellen gesellschaftlichen Verunsicherung heraus als eine Art Anker geschieht, bin ich mir unsicher. Aber schön, dass es bei dir durch den Text ankommt.

Hallo @Detlev

runde Sache, Deine Story - hat mich mitgerissen.
das freut mich sehr!

Vom Elternhaus "ungeliebt" trachtet sie in ihrem Umfeld nach Anerkennung, setzt sich als Vorbild ihre Freundin, will dazu gehören und ist doch verletzt in ihrer Unsicherheit
Ich denke, dass ungeliebt es nicht so ganz trifft. Vielleicht eher aus dem Blick verloren. Ich habe es weiter oben schon beschrieben: Ich wollte eigentlich mehr in den Fokus rücken, dass die Eltern auch aufgrund der eigenen Situation vielleicht nicht so den Blick drauf haben (mit allen Fehlern und Überforderungen, die dann damit zusammenhängen). Es ging nicht darum, da jetzt einfach nur zu sagen: Schaut mal, die Eltern interessieren sich ja gar nicht für ihr Kind.

Der Schluss ist gut gelöst - die Frage nicht nur eines Mädchens, auf der Schwelle zur Frau, sondern auch die Zukunftsfrage einer ganzen Generation, einer ganzen Gesellschaft.
Schön, dass du es so empfindest. Ich muss sagen, dass ich leider immer unzufriedener werde, je länger dieser Text hier steht. Ich glaube, dass ich mir noch mal grundlegender etwas damit überlegen muss und da sicherlich in den kommenden Wochen noch mal ein wenig etwas ausprobieren werde. Wenn es dir aber taugt, dann ist das für mich erst mal schön zu lesen!


Hallo @H. Kopper und danke für deinen Kommentar! Auch wenn es mich schmerzt, muss ich dir wohl in einigen deiner Kritikpunkte recht geben. Ich bin mittlerweile nicht mehr zufrieden mit dem Text und ich fürchte, dass ich ihn werde ändern müssen, dass er funktioniert. Ich gehe mal auf deine Kritikpunkte ein, die ich teilweise teile, teilweise auch nicht.

ch würde den Text hier beginnen lassen und dann hauptsächlich – wahrscheinlich inklusive Einsatz des Messers – auf der Kirmes spielen lassen.
Das will ich nicht machen. Für mich hat diesen Szene auf der Kirmes ja eine bestimmte Funktion. Andere Szenen, vor allem zB auch die im Badezimmer sind für mich aber ebenfalls essenziell für den Text. Du hast aber recht, dass ich vielleicht an anderer Stelle etwas wegnehmen könnte und generell die Schwerpunktsetzung überarbeiten muss.
Warum würdest du aber den Einsatz des Messers stattfinden lassen? Ich finde die Andeutung (es muss ja nicht mal dazu kommen) stärker. Warum siehst du es anders?

Denn in meinen Augen ist der Text zu erklärend. Er liest sich irgendwie gar nicht wie eine "echte" Geschichte, sondern mehr wie die Beschreibung einer Geschichte.
Du hast recht. Ich habe mich gefragt, warum mir selbst der Text so seltsam distanziert vorkommt. Und ich glaube, dass es an zwei Dingen liegt. Zum einen ist der Ton einfach sehr nüchtern. Das trägt wahrscheinlich dazu bei. Zum anderen das von dir bereits angesprochene Erleben. Das findet zu wenig statt. Es gibt wenig wirklich konkrete Handlungen, man befindet sich entfernt von dem eigentlichen Geschehen.
Das führt dann zu dem von dir angesprochenem
-->
Dadurch verfehlt der Text in meinen Augen eine emotionale Wirkung und bekommt etwas Dozierendes: So sieht soziales Elend aus und das sind dann die Folgen.
In meinen Augen müsstest du hier szenischer, situativer Vorgehen und dem Leser mehr Stoff zum Entdecken und Folgern liefern, mehr mit Andeutungen und Symbolen arbeiten.
und nicht so von oben auf sie draufschaust.
Grundsätzlich wollte ich einfach insgesamt zu viel auf zu wenig Platz mit den falschen Mitteln. Ich wollte über ein überfordertes Mädchen schreiben, dass in der Schule und im Elternhaus mit massiven Problemen überfordert ist und sich gegen Ende nicht mehr anders zu helfen weiß, als in eine Phase der Eskalation einzutreten.


Hallo @FlicFlac auch dir Danke für deinen Kommentar!

Wenig beleuchtest du das Verhältnis Marias zu den Eltern; die ersten Sätze gehen ja in die Richtung, dass sie nicht gesehen wird, sich stark unterordnen muss, streng behandelt wird.
Das verliert sich dann
Das stimmt und das sehe ich selbst auch kritisch. Andererseits ist das auch nicht der wesentliche Kern der Geschichte. Ich muss mir über die Schwerpunktsetzung noch mal Gedanken machen. Ggf. müsste ich das noch mal ausbauen oder zumindest anders darstellen.

Auch die diversen Probleme mit den Mitschülern sind zwar angerissen, gewinnen aber nicht an Brisanz, das Üble an der Lage (Mobbing) könnte noch deutlicher sein; denn, offen gesagt, ich nehme dir den Schluss nicht ab: dass sie sich jetzt des Messers bedienen wird.
Ja, auch ein Problem. Diese massive Überforderung kommt nicht genug raus, bzw wird nur angedeudet. Ich habe es oben beschrieben: Ich wollte zu viel in zu wenig Text thematisiern und so funktioniert es nicht.

Diesen Schluss würe ich aber (auch unabhängig von meinem Text) nicht ziehen:

So wie M. beschrieben ist, ist mir das zu viel. Wäre das anders, hätten wir an jeder Schule jedes Jahr 2-3 Messerattacken.
Denn Teenager wie Maria, die in solcher Bedrängnis sind, gibt es zuhauf. Dafür hat sich, zumindest im Text, noch nicht genug zugespitzt, die M. ist zu distanziert und reflektiert; eine psychische Deviation aufgrund des Familiensystems, ist nicht sichtbar; die Konstellation passt nicht richtig.
Es gibt massive Gewalt in und außerhalb von Schulen. Du hast recht, dass da selten Waffen eingesetzt werden, aber dass Messer unter Jugendlichen verbreitet sind (heißt dabeihaben) IST ein Problem und lässt sich auch nachweisen. Der Text spart ja aus, ob Maria das Messer wirklich einsetzt, oder ob sie es (vielleicht auch einfach als Stütze: Wenn alle Stricke reißen, habe ich immerhin noch ein Messer und kann zeigen, wer hier die wirklich Stärkste ist...) nur mitnimmt, ohne es einzusetzen. Ich finde, dass man das dem Text aus guten Gründen negativ auslegen kann. Der Autor ist zu feige, das zu Ende zu denken.
Man könnte gegen deinen Kommentar aber auch so argumentieren, dass es eine enorm hohe Quote an Selbstverletzungen, selbstzerstörerischen Tendenzen bis hin zu Suizidversuchen (häufigste Todesursache bei Jugendlichen überhaupt) in dieser Altersspanne gibt. Die Gewalt aufgrund einer Überforderung richtet sich meist gegen sich selbst. In diesem Fall richtet sich die Gewalt (vermutlich) gegen jemand anderen. Aber das Problem an sich besteht ja so oder so. Ich verstehe deinen Kommentar aber so, dass du es DEM TEXT nicht abnimmst. Und da hast du eben einen Punkt. Das habe ich oben ja auch bereits geschrieben.


Danke für eure Kommentare! Ich werde versuchen, den Text noch mal neu aufzurollen und dann hier noch mal reinstellen. Wenn es in Ordnung ist, werde ich euch dann taggen.

Beste Grüße
Habentus

 

Hallo @Habentus,

deine Geschichte ist vor allem eins: Schnell. Ich mag den Gedanken, dass sie sehr bewusst so gestaltet ist und das Tempo quasi Marias Innenleben widerspiegelt. Vielleicht hat mir auch das Stichwort TikTok diese Lesart aufgezwängt.

Den Eindruck hat man ja sowieso ständig im Leben, am stärksten aber sicher in der Jugend, wenn die Synapsen beim Wachsen gar nicht hinterher kommen. Wenn sich schon Verzweigungen bilden, wo der Ast noch ganz grün ist.

Ich habe den Eindruck, dass du dieses Tempo, dieses gefühlte Endlosgalopp dann oft abrupt stoppen möchtest. Mit einem inhaltlichen oder sprachlichen Ausrufezeichen. Entweder gibt es in der Handlung einen lauten Knall, der zum Innehalten zwingt - Maria schlägt ihren Bruder, steckt das Messer ein - oder etwas wird gesagt, dass den Text sprachlich aufbricht - die Hure, die Loch gibt - oder allgemein die Jugendsprache - Duckface, Bitchmove.

Auf dem kurzen Raum passiert mir persönlich das fast zu oft, ich erkenne da ein Muster, ob gewollt oder nicht, und das lenkt mich dann weg von Maria und hin zum Handwerk.

Dabei finde ich gar nicht, dass das nötig wäre, denn das Tempo selbst ist handwerklich schon so toll umgesetzt, dass es nicht noch von anderen "Elementen" überlagert werden müsste, auch inhaltlich bietet die Geschichte mir mehr als genug.

Wenn es nicht deutlich wird, ich finde, dass das ein sehr gelungener Text ist, der für mein Empfinden noch mehr auf seine Stärke vertrauen könnte, ohne dabei an Kraft zu verlieren - im Gegenteil.

Liebe Grüße,
Akka

 

Hallo @Frieda Kreuz @Detlev @H. Kopper @FlicFlac und @Akka
ich habe den Text überarbeitet und versucht, manches von eurer Kritik umzusetzen. Ich habe vor allem versucht, den Text nicht mehr so statisch und distanziert zu belassen, sondern näher heranzugehen. Ich finde, dass er besser wirkt, bin aber noch nicht zufrieden. Auch den Anfang habe ich verändert, habe manche Szenen etwas gekürzt und andere dafür ausgebaut.
Ich glaube, dass der Text noch zu knapp ist und vermutlich mehr Inhalt bräuchte, um zu wirken. Aber auch da bin ich mir noch unsicher.
Wenn ihr wollt, gebt mir doch gerne eine Rückmeldung, ob die Änderungen dem Text gutgetan haben, oder ob ich da in eine falsche Richtung laufe.

Danke auch noch an @Akka für deinen Kommentar. Hat mich gefreut! Nur fürchte ich,
->

das Tempo quasi Marias Innenleben widerspiegelt.
Den Eindruck hat man ja sowieso ständig im Leben, am stärksten aber sicher in der Jugend, wenn die Synapsen beim Wachsen gar nicht hinterher kommen. Wenn sich schon Verzweigungen bilden, wo der Ast noch ganz grün ist.
-> dass ich den Text exakt in die Richtung verändert habe, die du bemängelt hast ... Tja, so läuft es wohl manchmal. Ich für meinen Teil finde, dass der Text davon profitiert. Würde mich auf jeden Fall auch interessieren, was du sagst!

Bests Grüße
Habentus

 

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