Hallo Manuela,
ich habe die Geschichte mal mit Detailanmerkungen überzogen und kommentiert .Wie immer: Das ist nur meine Meinung, da ist nichts in Stein gemeißelt. Hoffentlich kannst du etwas damit anfangen.
Der kleine Junge hält seine Arme zum Schutz erhoben, heftige Hiebe prasseln auf ihn nieder.[…] Die Frau schlägt mit wutverzerrtem Gesicht und aller Kraft zu. Pfeifend zischt die Kunststoffgerte durch die Luft, trifft irgendwo, zerreißt dem Jungen die Haut, sie platzt auf, dicke Striemen bilden sich.
Ich denke es könnte stärker wirken, wenn es nicht so … na ja, dramatisch geschildert würde, so effektheischend. Heftige Hiebe prasseln, wutzverrtes Gesicht, alle Kraft, Pfeifend zischt, zerreißt Haut, platzt auf, dicke Striemen. Das ist eine ganz schöne Keule, rein vom Sprachlichen her.
Was habe ich verbrochen, so ein Kind zu haben.
Satzzeichen sind wichtig, weil sie die Sprachmelodie beeinflussen. Es ist klar, dass das hier nur eine rhetorische Frage ist, aber dennoch ist die Sprachmelodie die einer Frage, oder?
Er reißt die Arme hoch, zu spät.
Man könnte hier mit einer … na ja, etwas „gewagteren“ Interpunktion für einen Bruch im Rhythmus sorgen. Denn beim Vorlesen würde man hier, da bin ich mir ziemlich, eine Pause einlegen und das „zu spät“ ganz anders betonen. Vielleicht: Er reißt die Arme hoch – zu spät!
Sie hört ihr Kind nicht, ist blind und taub für seinen Schmerz. Heulend prügelt sie immer weiter. Der Knabe zittert am ganzen Leib vor Angst und Schmerz.
Schmerz zweimal, eigentlich kein Problem, aber es ist hier jedes Mal am Satzende und … „Schmerz“ ist nun auch nicht so ein „starkes“ Wort. Zahnschmerzen, Ohrenschmerzen – das wurde schon so oft für Wehwehchen benutzt, dass es mir hier fast zu schwach erscheint, zumal wenn es doppelt verwendet wird.
Sie zieht es am Kragen hervor, prügelt heulend weiter. Irgendwann erwacht sie aus ihrem Rausch und lässt die Gerte sinken.
Ist immer schwer, wo ist die Grenze zwischen Stilfigur und Lese… na ja, Leseärgernis, aber „prügelt heulend weiter“ hattest du schon, genau so, vor ein paar Sätzen.
Die Szenerie ist doch ganz deutlich, da bedarf es nur einiger weniger, wohlgesetzter Worte und jeder kann sich etwas darunter vorstellen. Kann es von außen sehen. Da braucht es keiner „Dramatik“. Vielleicht wäre es eine Idee, nicht nur die zwei „typischen“ Sinne zu bedienen (sehen und hören), sondern auch die anderen Drei. Wie fühlt es sich an, wie schmeckt es, wie riecht es? Nur so eine Idee.
Zwischen prügelt heulend weiter und „irgendwann erwacht sie“ würde ich aber auf jeden Fall einen Zeilenabstand setzen.
Der Junge blickt vorsichtig unter seinen schützenden, mit Striemen übersäten Händen hervor.
„Blickt vorsichtig“ ist so ein Fall, wo Adverb und Verb gemeinsam so viel leisten wie ein „stärkeres, selteneres“ Verb. „Lugen“ z.B. oder „Linsen“. Dass die Hände „schützend“ sind … sie sind es ja eben nicht. Sie können ihn nicht davor schützen. Dafür sind sie zu klein und er ist zu schwach. Einen ausgewachsenen Mann hätten sie schützen können, der hätte der Mutter nämlich eine reingehauen. Dem Jungen, und so ist das sicher gemeint, haben sie nur tja, den Kopf vor noch gröberem „bewahrt“. Aber „schützend“ selbst halte ich hier für kein gutes Wort.
Am Ende des Ganges ist der Abstellraum. „Da hinein mit dir und wenn ich noch einen Mucks höre, dann kommt die Rute zurück.“
Wenn die „Rute“ einen anderen persönlicheren Namen hätte, oder der Ausdruck dieser Bestrafung einen „familien-internen“ Kosename hätte sozusagen, käme stärker das Gefühl auf, hier eine „echte“ Familie zu sehen, eine mit Vergangenheit, die schon vor dieser Geschichte existiert hat und auch danach noch existieren will.
Das sind natürlich billige, kleine Taschenspielertricks, aber sie funktionieren oft.
Sie schüttelt den Kopf, stößt ihn erbarmungslos in das dunkle Loch und schließt die Tür.…
Erbarmungslos raus, das sieht jeder. Das muss nicht erwähnt werden. Auch dass das Loch „dunkel“ ist, liegt eigentlich nahe bei einer Abstellkammer, ist aber wiederum so stark, dass man das gesondert anführen könnte.
Sie reißt die Türe auf und gibt dem Jungen eine schallende Ohrfeige. „Einen Mucks noch, hab ich gesagt. Nur noch einen Mucks.“ Sie droht mit der erhobenen Hand, der Knabe verkriecht sich im letzten Winkel des Abstellraums, dann schlägt seine Mutter die Türe zu.
Das finde ich sehr gut. Vielleicht statt „letzter Winkel“ etwas dunkleres. Tiefsten, dunkelsten, sichersten da darf man ruhig mal poetisch werden. Hier könnte man sich mal was trauen.
Finster, es ist so finster hier. Ich kann gar nichts sehen. Wie lange werde ich heute da drinnen bleiben müssen. Bis Vater kommt? Hoffentlich kommt er bald, dann hab´ ich es hinter mir. Ich hab´ solche Angst. Aber Papa schlägt nicht so hart wie Mutti. Nein, er schlägt nicht so hart. Manchmal, wenn er sehr böse ist, nimmt er den Riemen. Aber nur manchmal. Vielleicht habe ich Glück, und er schlägt mich heute gar nicht. Das letzte Mal hat er nur mit mir geschimpft. Ich werde ganz lieb sein, zu ihm. Vielleicht .... aber Mutti wird ihn wieder zornig machen ... wenn ihn nur Mutti nicht wieder zornig macht ... vielleicht vergeht ihre Wut, bis er kommt.
Ich will nicht das Gefühl haben, dass ein Text kalkuliert versucht, mich betroffen zu machen. Das ist so wie eine Live-Reportage jetzt. Wenn man sieht, wie ein Flugzeug in das Gebäude reinfliegt, dann rennen schreiende Menschen umher und die Kamera pickt sich einen raus, damit er schreien kann, wie furchtbar alles ist.
Es ist natürlich hier nicht so zynisch wie in den Medien, aber es bleibt ein seltsamer Beigeschmack für mich.
Nach einiger Zeit in der Dunkelheit, beruhigt sich das Kind ein wenig.
Nicht „das“ Kind, der Junge.
Es betastet seine brennenden Striemen, eine schmerzt besonders, sie ist massiv geschwollen und führt quer über beide Oberschenkel.
Sonst hast du hier dieses fürchterliche „Es“, drin und bezeichnest mit einem sächlichen Artikel einen Menschen (genau wie „Das Mädchen“). Außerdem hattest du Jungen schon eingeführt, das sollte man dann auch einfach durchhalten und auf Synonyme verzichten. Nachher kommt noch mal der Knabe. Wenn er einen Namen hätte, würde man den ja auch immer wiederholen und nicht wie ein Sportreporter aufeinmal anfangen, ihm Synonyme zu verpassen. „Massiv geschwollen“ scheint mir auch kein hochsprachlicher Ausdruck zu sein, sondern eher ein dialektaler, oder? Stark geschwollen oder einfach „angeschwollen“ mit einer Metapher vielleicht.
Warum bin ich nur so ein böses Kind. Warum kann ich nicht auch brav sein, wie die anderen Kinder, dann müsste Mutti mich nicht mehr schlagen.
Interpunktion ist wirklich wichtig.
Sie lachen mich aus, deswegen.
Das nachgestellte „deswegen“ passt nicht zur Figurenstimme des Kindes, der würde das ganz natürlich sagen, oder? Sie lachen mich deswegen aus.
ich tu´ es auch nie wieder.
Da gehört kein Apostroph hin, und wenn dann der, dem man mit der Raute-Taste macht und kein accent.
„Ich weiß nicht mehr, was ich mit dem Kind machen soll“, schluchzt sie los.
Ich weiß, ich nerve damit, aber: ??
Er hat aus meiner Börse Geld gestohlen und sich Schokolade darum gekauft.“
Auch dialektal? Darum statt dafür? Ich finde immer, entweder „richtig dialektal“, so dass man es merkt und so dass das Lokalkolorit eine Funktion hat, oder hochsprachlich.
„Er hat Geld gestohlen?“ Die Stimme des Vaters klingt ungläubig. „Ja, unser Sohn hat Geld gestohlen“, schluchzt sie. „Er ist ein Dieb. Warum bin ich nur so gestraft mit diesem Kind. Warum gerade ich?“
Absatz nach ungläubig. Sprecherwechsel, Zeilenwechsel und so.
„Papa, hier bin ich. Hier drinnen“, schreit der Knabe. Ich hab´ dich lieb, Papa. Bitte lass mich raus, es ist so finster hier drinnen. Papa, ich hab´ Angst. Bitte! Ich tu´ es auch nie wieder. Bitte lass mich raus!
Da fehlen Anführungs- und Abführungszeichen, oder?
Es ist natürlich schwierig ,so einen emotionsgeladenen Text dann nüchtern zu betrachten, aber na ja, ich bin mir sicher, dass du noch viele „emotionalere“ Kritiken bekommen wirst.
Ich hab natürlich jetzt viel rumgemeckert, aber was mir gefällt, und was die Geschichte von anderen auch unterscheidet, ist die Figur der Mutter. Normalerweise kennt man es ja so, dass sie dann – vom tyrannischen Ehemann unterdrückt – daneben steht und irgendwie ratlos dreinschaut. Hier nicht: Hier ist sie eindeutig die Böse – und ich hätte mir im letzten Abschnitt fast noch gewünscht, dass sie ihren Mann dazu drängen muss, ihn weiter zu schlagen. Sie tut es ja, auf passive Weise, aber der Vater ist mir dann zu schnell mit dem Gürtel dabei.
Dass die Frau sich sofort in eien Opfer-Rolle flüchtet, finde ich auch gut. Nur, liegt da vielleicht ein Schwachpunkt der Geschichte, denn – wieder hartherzig gesprochen – das mit dem Jungen kennen wir, interessant und neu wäre doch die Innenperspektive der Mutter, oder?
So muss sich der Text schon ein Stück weit die Frage gefallen lassen, was er wollte und ob er nicht zu sehr und zu kalkuliert „betroffen“ machen möchte.
Gruß
Quinn