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Kleiner Krieg für zwischendurch
VORBEMERKUNG: Das ist einer meiner ältesten Texte überhaupt. Als ich ihn vor kurzem mal wieder las dachte ich: Alter: DU SPINNST!!! Nun gut, ziemlich merkwürdig eben. Übrigens schrieb ich zumeist Horror- und SF-Geschichten, was auch hierbei wohl nicht verborgen bleibt. Also mal Mut zu Neuem und in einem anderen Forum gespostet ... Have fun!
Die Stirn in Sorgenfalten gelegt, kehrte er von der Offiziersrunde in sein Büro zurück. Ein kurzer Blick auf den Schreibtisch verriet ihm, dass sie es doch tatsächlich getan hatten. Dies war der Tropfen, der das Fass seiner Geduld entgültig zum Überlaufen brachte. Wutentbrannt wischte er die letzten Krümel vom Tisch. Er schloss die Tür und griff zum Diktiergerät, welches kühl und beruhigend in seiner warmen, vor Erregung zitternden Hand lag.
„Aufnahme. Zweiter Oktober. Der Feind hat wieder zugeschlagen. Erneut wurde ein Wurstbrötchen Opfer ihrer Heimtücke. Sie lagen in ihren Verstecken und warteten geduldig ab, bis ich einen Fehler beging. An dieser Stelle muss ich nun meineigenes Versagen schelten. Ich habe den Feind fahrlässig unterschätzt und die leicht zu erbeutende Mahlzeit nicht sicher genug verstaut. Die Folie, in welche das Brötchen eingewickelt war, stellte für ihre kampferprobten, messerscharfen Zähne gewiss kein Problem dar. Es muss für sie ein ungeheurer Triumph gewesen sein, mich erneut zu demütigen. Ein letztes Mal werde ich an ihre Vernunft appellieren und ihnen eine friedliche Koexistenz vorschlagen. Aufnahme, Ende!“
„Aufnahme. Dritter Oktober. In meiner Funktion als diensthabender Offizier habe ich den Feind zu gemeinsamen Friedensgesprächen geladen. Als Termin wurde seitens der Mäuse der vierte Oktober vorgeschlagen. Ich habe akzeptiert. Aufnahme, Ende!“
„Aufnahme. Vierter Oktober. Um Punkt 10 Uhr Ortszeit erschien eine offizielle Delegation der Mäuse auf meinem Schreibtisch. Nach Austausch der üblichen Begrüßungs- und Höflichkeitsfloskeln begann unsere erste Verhandlungsrunde. Thema der Gespräche: Die territoriale Aufteilung des Raumes. Die Verhandlungen erwiesen sich als äußerst schwierig. Während ich auf das alleinige Nutzungsrecht des Raumes beharrte, forderten die Mäuse eine Erlaubnis zur Mitbenutzung des strittigen Gebietes. Nachdem ich meine Forderungen mit der Tatsache untermauerte, dass der Raum von Menschen errichtet und somit mein Anspruch auf das Alleinnutzungsrecht völlig legitim sei, brachte die Gegenseite das Argument vor, ihr Anspruch auf den Raum sei historisch begründet, da das Büro erst seit wenig mehr als 40 Jahren bestehe, wohingegen zahlreiche Generationen von Mäusen bereits lange zuvor das ehedem von Menschen unbewohnte Gebiet besiedelten. Nach langen, zähen Grundsatzdiskussionen rang ich der Delegation folgende Einigung ab:
Erstens: Die Grenzen bleiben im wesentlichen in ihrer gegenwärtigen Form bestehen. Einzige Ausnahme hiezu: Zwischen den beiden im Raum befindlichen Mäuselöchern wird ein Korridorverkehr eingerichtet, der den Mäusen einen gefahrlosen und uneingeschränkten Pendelverkehr zwecks Personen- und Güterbeförderung, ausgenommen Güter, die eine unmittelbare oder mittelbare Gefährdung meiner Person darstellen, ermöglicht. Oben genannte Mäuselöcher sind: Eingang eins, Nordflügel des Raumes, Halbdurchmesser des Loches drei Zentimeter, sowie Eingang zwei, Ostflügel des Raumes, Halbdurchmesser des Loches vier komma ein Zentimeter.
Zweitens: Sämtliche im Raum befindliche Gegenstände sowie Nahrungsmittel sind in ihrer Gesamtheit unantastbar und unterliegen meinem Hoheitsanspruch. Es wird somit den Mäusen unter Androhung von mir nach Gutdünken festzulegender Sanktionsmaßnahmen untersagt, Sachgegenstände oder Lebensmittel, zu welchem Zwecke auch immer, zu benutzen, sie der Nahrungsaufnahme zuzuführen oder in ihrer Ortsgebundenheit zu verändern. Drittens: Beide Parteien anerkennen das Recht und die unantastbare Würde des Lebens der jeweilig anderen Partei an. Mit Ratifizierung des Gemeinschaftsvertrages, Wirksamkeit ab viertem Oktober 1992, 24 Uhr Ortszeit, treten oben genannte Bedingungen in Kraft. Ich hoffe, dass dies eine Sternstunde der bis dato äußerst gespannten Beziehungen zwischen mir und den Mäuse darstellt. Aufnahme, Ende!“
„Aufnahme, siebenter Oktober. Frohen Mutes in Erwartung eines friedlichen Tages betrete ich nach einem erholsamen Wochenende mein Büro. Der Anblick, der sich mir bietet, lässt mein Herz stocken: Die sorgfältig sortierten Papiere, die noch am Freitag auf dem Schreibtisch gestapelt lagerten, liegen verstreut und durch widerwärtigen Mäusespeichel geschändet auf dem Boden verstreut. Außerdem weisen mehrere Bleistifte und der Tischkalender eindeutig Bissspuren auf. Den grauenvollen Höhepunkt der sinnlosen Gewaltaktion eines oder mehrerer mir noch unbekannten Täter bilde die entsetzliche Verstümmelung meiner über alles geliebten Yucca-Palme. Die Zeichen der Misshandlung sind unübersehbar: Sieben Blätter wurden brutalst abgerissen, der Stamm von scharfen Instrumenten, ich vermute Schneidezähne, schwerstens beschädigt. Die Gründlichkeit des Anschlages lässt in Bezug auf die Herkunft des oder der Täter keine Zweifel aufkommen. Der Friedensvertrag wurde gebrochen, es bleibt mir keine andere Wahl. Ich muss sofortige Sanktionen in die Wege leiten. Zuvor werde ich noch versuchen, die Spuren der Verwüstung zu beseitigen. Es ist nicht so sehr die sinnlose Beschädigung der Bleistifte und auch nicht das vom Schreibtisch geworfene Papier, vielmehr ist es das Massaker an der Palme, das mir Schmerzen in meiner Seele bereitet. Unter Tränen überantwortete ich die sterblichen, verstümmelten Überreste meines dereinst so blühenden grünen Freundes und Ansprechpartners dem Gefreiten Edgar. Edgars redliche Versuche, mich moralisch wieder aufzurichten, misslingen. Dennoch bin ich ihm dafür sehr dankbar. Er ist ein lieber Junge. Es wird Zeit zu handeln. Aufnahme, Ende!“
„Aufnahme, achter Oktober. Ich stelle Mäusefallen auf. Hoffentlich erwische ich einige dieser Verräter. Heute Nacht weinte ich mich in den Schlaf, was mir das Missfallen des Offiziersanwärter Brian einbrachte, welcher sich in seiner Nachtruhe gestört fühlte. Mein seelisches Gleichgewicht ist aus der Balance gebracht, die hässliche Fratze des Krieges blickt mir im Spiegel entgegen. Das Geschehen ist nicht mehr rückgängig zu machen, die Bilder der Verwüstung werden mich mein Leben lang verfolgen, dessen bin ich überzeugt. Rachgelüste niederster Art setzen mein Herz in Brand, gebannt lausche ich, ob die Fallen zuschnappen. Aufnahme, Ende!“
„Aufnahme, achter Oktober. Ergänzung: Vor wenigen Minuten vernahm ich jenes Geräusch, auf welches ich so sehnlich gewartet hatte. Eine der Mäuse, es scheint sich um eine junge zu handeln, ist gefangen. Ihr hilfeheischendes Gequietsche ergötzt mich, einen kurzen Moment lang zog ich ernsthaft in Erwägung, sie aus der tödlichen Falle zu befreien und ihr mit einem Schweizer Messer Arme und Beine zu amputieren – und sie sodann laufen, respektive rollen zu lassen. Mein Gewissen rät mir davon ab, da ich fest der Überzeugung bin, man sollte gleiches nicht mit gleichem vergelten. Im übrigen steht ja noch gar nicht fest, ob die gefangene Maus in direkter Verbindung mit den Vorfällen vom vergangenen Wochenende steht. Dennoch werde ich die Maus nicht befreien, sondern ein Exempel an ihr statuieren. Während ich spreche, wird ihr jämmerliches Quieken immer schwächer. Mehrere ihrer Artgenossen haben sich um sie versammelt. Bald wird sie für immer verstummen. Möge Gott ihrer verdorbenen Seele gnädig sein. Aufnahme, Ende!“
„Aufnahme, neunter Oktober. Zwei ranghohe Mäusevertreter bitten mich um Entschuldigung für die Wochenendtaten, verlangen gleichzeitig aber eine schriftliche Entschuldigung meinerseits für den Totschlag an einer Maus. Ich verweigere, da die Aggression eindeutig nicht von mir, sondern den Mäusen ausging. Einer der beiden Mäusevertreter erklärt mir daraufhin, weder die Verstümmelung der Palme, noch jene anderen begangenen Zerstörungsaktionen seien auf ihren Befehl hin geschehen. Ich war sehr erstaunt als ich vernahm, dass sich innerhalb der Mäusekolonie ein rechts- und ein linksradialer Flügel gebildet hätte – man sollte annehmen, dies sei ausschließlich unter Hühnern der Fall. Doch weit gefehlt. Die Mäuse erklärten, die liberale Mehrheit, welcher sie angehören, habe verzweifelt versucht, die wie sie es nannten „Nationalen Schandtaten“ zu verhindern. In einer eigenmächtigen Nacht-Nebel- und Wochenendaktion hätten vier links- und drei rechtsextreme Elemente ihr Werk der Schande begangen. Ich bleibe hart: Keine Entschuldigung ohne Auslieferung der Täter. Die Mäusevertreter behaupten, diese Forderung sei unerfüllbar, da sich die Täter mit Sicherheit nicht freiwillig stellen würden und es in einer demokratischen Gesellschaft wie jener der Mäusekolonie nur auf Beweise basierende Urteile geben könne. Ergebnislos wird die Krisensitzung abgebrochen. Aufnahme, Ende!“
„Aufnahme, zehnter Oktober. Ich bin zutiefst beunruhigt. Seit fast einer halben Stunde führt der Anführer des rechten Flügels der Mäuse, der sich selbst „Mäuse des sechsten Oktobers“ benennt, eine Rede. Soweit ich das beurteilen kann, will er seine Artgenossen zu einem Präventivschlag gegen mich ermutigen. Ich verfüge über Mäusefallen, Desinfektionsmittel, Wasser, Sprengstoff, und dennoch... Werde ich als Individuum gegen ein solches Kollektiv rassistisch verblendeter Wesen ankämpfen können? Aufnahme, Ende!“
„Aufnahme, elfter Oktober! Als ich heute Punkt 9 Uhr morgens das Büro betrat, fand ich auf dem Schreibtisch einen kleinen Zettel vor auf welchem geschrieben stand, dass mir die Mäuse den totalen Krieg erklären. Dennoch bleibe ich kühl und gefasst, schließlich handelt es sich bei meinem Gegner lediglich um Mäuse, wie ich mir unablässig vorsage – hoffentlich gelingt es mir, an diese Worte zu glauben! Vor wenigen Minuten überreichte ich dem Feind ein Schreiben in welchem ich über ihn ein Handelsembargo und über den Korridorverkehr den Ausnahmezustand verhänge. De facto bedeutet dies: Jede Maus, die es wagt aus dem Mäuseloch zu fliehen, muss mit dem Schlimmsten rechnen, also einem zwei Pfund schweren Brieföffner. Aufnahe, Ende“
„Aufnahme, Epilog! Ich habe den Wasserschlauch an das Waschbecken angeschlossen und nacheinander beide Mäuselöcher unter Wasser gesetzt. Der Vergeltungsschlag hat seine Wikrung offensichtlich nicht verfehlt. Seit Einleitung der Aktion vernahm ich keine wie immer gearteten mäuseähnlichen Laute mehr. Möge der Himmel schützend seine Hand über mir halten, doch ich hoffe, ich habe den Feind vernichtend geschlagen. Dank sei der Militärakademie gesprochen.“
„Aufnahme, vierzehnter Oktober. Drei Tage sind vergangen, seit ich das feindliche Territorium unter Wasser gesetzt habe – und mir den Unmut des Gefreiten Brilock zugezogen habe welcher argumentierte, die Küche, welche ich unbeabsichtigterweise gleichsam unter Wasser gesetzt habe, sei nicht als feindliches Territorium zu betrachten gewesen. Und ich gestehe nur ungern: Ich habe mich geirrt! Noch immer harren einige Mäuse in ihren Löchern aus. Da sie jedoch über keinerlei Nahrungsmittelnachschub verfügen, werden sie innert der nächsten Tage mit aufgedunsenen Leibern in ihren abscheulichen Behausungen den Weg allen Irdischen gehen. Ich glaube, sie haben sich dieses Schicksal selber zuzuschreiben und den Tod somit redlich verdient. Aufnahme, Ende!“
„Aufnahme, Epilog! Ist es möglich, dass bereits alle Mäuse gestorben sind? Hinter den Wänden herrscht verdächtige Stille. Die fehlende Nahrung hat wohl das ihre zu meinem Triumph getan. Hiermit schließe ich offiziell... Moment mal. Eine Maus kriecht gerade aus ihrem Loch. Das Kapitel dürfte doch noch nicht ganz abgeschlossen sein. Noch eine Maus! Und noch eine! Verdammt, was...? Das sind ja Hunderte! Sie zwängen sich zu Hunderten aus den Löchern und wuseln über den Boden! Wie ist das möglich? Wohin wollen sie bloß? Hey, weg da! Zu Hülf! Nein, nicht mein Lieblingsfinger, lass, AAAH, mein Bein! Meine Augen, wo sind... AAAAAHHHH!! Briaaaaaan!!!!!!!! IIIIIIIIEEEEEHHHH! MÄUSE!!!!“