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Klischee
Halte die Photographie von ihr in der Hand. Wie jung sie darauf ist. So jung wie vor knapp einem Monat. Jetzt gibt es kein Alter mehr für sie. Wo sie jetzt weilt, ist ihr die Zeit genommen. Marie. Ich habe Klischees immer gehasst. Und nun sitze ich hier und trauere meiner Liebe nach. Einer Liebe die mir gewaltsam entrissen wurde. Auf diesem Bild, ihr Gesicht so jugendfrisch, so voller Erwartungen an das Leben, an die Zukunft. An die Zukunft, die sie nie haben sollte. Ich komme mir so dumm vor, wünsche mir, sie noch ein letztes Mal in den Armen halten zu können, noch ein letztes Mal den Duft ihrer braungelockten Haare riechen zu können. Ich wünsche mir Dinge, die niemals in Erfüllung gehen, weil es schlicht nicht möglich ist. Ein letztes Mal. Ich Idiot. Ein letztes Mal tut so unendlich weh. Alleine daran zu denken, tut weh.
Halte die Photographie von ihr in der Hand. Ich sitze im Cockpit auf dem Stuhl des Captains. Auf meinem Stuhl. Das Funkeln der Sterne spiegelt sich auf ihrem Körper, ihrem beigefarbenen Kleid, das ich ihr damals einmal geschenkt habe. Wie sie sich gefreut hat. Wie sie gelächelt hat. Tränen, O nein, Tränen. Ich will nicht weinen, weiß nicht wieso, will einfach nicht. Hasse Klischees. Bebend starre ich hinaus. Nichts als die ewige Schwärze und ihre glitzernden Kinder. Denke an ein Sprichwort. Die Sterne sind der Gefallenen neue Gestalt. Hoffe darin Trost zu finden, aber meine Liebe zu ihr wird nur noch stärker. Gleichsam meiner Sehnsucht.
Marie wurde umgebracht. In den Kopf geschossen. Habe sie so vorgefunden, Zuhause, schwer wie ein geistloser Körper, ohne Leben. Ihr Blick entstellt. In ihrem regungslosen Mund ein zusammengeknüllter Papierfetzen. Ohne zu wissen, wie ich es hätte tun sollen, hab ich ihn rausgenommen und dann aufgemacht. Es war Gary. Gläubiger.
Ich habe dich gewarnt.
Hätte ich damals nur auf sie gehört. »Wir brauchen das Geld nicht, Liebling.« Und wir haben es wirklich nicht gebraucht. Wollte ihr nur etwas bieten können.
Kannst dein Geld jetzt behalten.
Gary.
Habe dafür etwas anderes genommen.
Die Mediziner haben später herausgefunden, dass sie zuvor vergewaltigt wurde.
Gezeichnet Gary.
Ich setze zur Landung an. Etwas außerhalb seiner Schmugglerstation. Seine Sensoren fragen nach meinem Erkennungscode. Ich schreibe nur meinen Namen. Wird verstehen. Dann öffnet sich die Ausstiegsluke. Die Photographie: bei mir. Manchmal stimmen die Klischees vielleicht doch. Gibt keinen Tod ohne Trauer. Keinen Tod ohne Schmerz. Steige die Rampe hinab, Wind weht. Das kniehohe Gras verstrickt in sein Spiel, immer sich biegend, immer sich aufrichtend. Der Himmel so klar, blasser blasser Mond, kühles Blau darum. Vielleicht ist der Tod eine gute Wahl; hasse Klischees. Trockenes Laub tänzelt in der Luft, die wenigen Bäume dort auf seinem Grundstück. Er steht da, im Gras. Wie ich. Mich erwartend. Gehe in seine Richtung. Noch zwanzig Schritte, bleibe stehen. Sein verruchtes Gesicht ziert ein Grinsen. Dreckig.
»Hm-hm-hm!«, machte er und spielt mit seinem Blaster in der Hand. Blickt dann wieder zu mir. »Bist also tatsächlich hergekommen, auch noch alleine! Ganz schön blöde von dir.« Ich sage nichts. Er grinst noch immer und öffnet seine Arme, um die Gegend zu präsentieren. »Niemand außer mir da. Hast Schwein, Junge.« Sein Blick wieder auf den Blaster gewandt. Der Daumen reibt am Griff. In der Position verharrend, richtet er beide Augen auf mich, kann darunter ein Lechzen entdecken. »Aber bist natürlich ohne Waffe hergekommen, stimmt’s? Weil du sterben möchtest, stimmt’s?« Er wiegt seinen Blaster und verzieht sein Gesicht zu einer kritischen Miene. Aber dann lächelt er wieder. Richtet die Mündung auf mich. Wohl dieselbe. Der Tot eine gute Wahl. Dieselbe Mündung. Marie. »Machs gut, du Idiot.« Marie. Ziehe meinen Blaster, ziele, drücke ab. Sein Blick versteht nicht. Der glühende Strahl trifft sein linkes Auge, verbrennt die Höhlen, versengt das Gehirn. Er fällt.
Halte die Photographie von ihr in der Hand. Wind weht. Eine kleine Rauchsäule steigt aus seinem Schädel empor. Ich atme aus. Fühle mich nicht besser. Noch nicht. Vielleicht bald. Vielleicht nie? Dann drehe ich mich um und gehe zurück ins Schiff. Trockenes Laub tänzelt in der Luft. Steige die Rampe hinauf. Schließe die Luke. Hebe ab und bin fort. Klischee. Egal.