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Kuscheltiere schlafen nachts

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19.08.2003
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Kuscheltiere schlafen nachts

Kuscheltiere schlafen nachts

„Danke“, kam es flüsternd von Betty. Sie hielt ihren Kopf gesenkt und wendete die Videokassette verlegen hin und her.
„Das ist aber ein tolles Geschenk!“, hörte sie ihre Mutter sagen.
„Komm, wir legen sie gleich in den Rekorder ein.“
Wortlos hielt Betty ihrer Mutter die Kassette hin.
„He, mein Mädchen, was ist los?“, fragte Tante Agathe besorgt, „geht es dir nicht gut?“
Tante Agathe war Bettys Lieblingstante, und so wollte sie ihr nicht sagen, dass sie die Videokassette blöde fand. Sie wusste worum es da ging, und das gefiel ihr nicht. Betty mochte keine Geschichten, in denen das Spielzeug nachts lebendig wurde. Das war doof und unlogisch. Ihre Puppen und Kuscheltiere schliefen selbstverständlich in der Nacht, so wie sie selbst.
„Mein Bauch tut weh“, flunkerte sie.
„Ich habe dir doch gesagt, du sollst das Eis langsamer essen“, sagte ihre Mutter besorgt, und Tante Agathe nahm sie fürsorglich in den Arm. Weil Betty ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Flunkerei hatte, nahm sie den Rat ihrer Mutter gerne an, in ihr Zimmer zu gehen und sich ein wenig hinzulegen. Wehleidig nach vorne gebeugt ging sie langsam die Treppe hinauf. Obwohl Mutter und Tante Agathe sie nicht mehr sehen konnten, behielt sie auch oben im Flur ihr bemitleidenswertes Schauspiel bei.
„Was hast du?“, fragte ihr Bruder Peter, der gerade aus seinem Zimmer gekommen war.
„Ach, nichts, Tante Agathe ist gekommen, sie hat uns ‚Toy Story’ auf Video mitgebracht.“
„Hab ich schon gesehen“, kam es gelangweilt von Peter.
„Sollen wir zusammen spielen, ich habe meine Eisenbahn aufgebaut!“, fragte er.
„Ja“, antwortete Betty freudig, „ich hole noch Sachen aus meinem Zimmer.

Peter hatte eine ganz tolle Eisenbahn. Die Lok und die Waggons waren so groß, dass man obendrauf sogar Kuscheltiere mitfahren lassen konnte. Die Schienen hatte Peter durch das gesamte Zimmer verlegt. Der Tisch und ein Stuhl waren Tunnel, und die Brücke führte über einen Milchsee, einen Teller mit Resten von Cornflakes, die Peter kurz vorher gegessen hatte. Mit Plastiktrinkhalmen hatte er eine Straße geformt, die an einem Bahnübergang die Schienen kreuzte. Die Schienen führten weiter über einen Kissenberg hin zum Bahnhof.
Betty hatte so viele ihrer Puppen und Kuscheltiere angeschleppt, wie sie tragen konnte.
„Heute machen die alle einen Ausflug“, schlug sie vor.
„Ne“, protestierte Peter, „da haben meine Leute ja keinen Platz mehr, wenn die alle mitfahren.“
„Der Zug kann doch öfter fahren“, meinte Betty, und Peter antwortete:
„Na gut, aber der Schornsteinfeger muss mit, der muss ganz dringend einen Schornstein sauber machen.“
Beide begannen die Tiere und Puppen auf die Anhänger zu verteilen. Schließlich hatte die ganze Ausflugsgruppe einen Platz gefunden, nur der Schornsteinfeger, der so dringend zur Arbeit musste, konnte nicht mehr mitfahren.
„Einer aus deiner Gruppe muss später fahren“, sagte Peter, „die Arbeit vom Schornsteinfeger ist wichtiger.“
„Ach, ne, die wollen doch alle zusammen bleiben!“, protestierte Betty.
Sie diskutierten hin und her und kamen zu keinem Ergebnis. Zum Schluss war es so, dass sie kurz vor einem deftigen Streit standen.

„Ich würde ganz gerne hier bleiben“, meldete sich jemand zu Wort und Betty und Peter sahen sich ungläubig an.
„Hallo, hier, ich bin es, der Petz, dein Teddybär!“
Und wirklich, Petz war vom Waggon heruntergesprungen, lief einige Schritte auf Betty zu, blickte von unten ganz nach oben in ihr Gesicht und sagte: „Ich bin eh zu groß, in der ersten Kurve falle ich doch da runter und verletze mich möglicherweise. Ich wäre gerne der Mann von der Eisenbahn, der Bahnhofsvorsteher, der mit der Kelle und der Trillerpfeife. Meint ihr, ich könnte das machen?“
„Mm“, kam es von Peter ein wenig enttäuscht, „eigentlich wollte ich das ja machen, aber ist in Ordnung, du bist unser Mann mit der roten Mütze.“
Betty schlug vor, dass sich beide abwechseln. Bei der Abfahrt sollte Petz als Bahnhofsvorsteher arbeiten und bei der Ankunft Peter. Dessen Augen leuchteten wieder, und er setzte dem Bär die rote Mütze auf. Die war für Petz zu groß, und nur seine abstehenden Bärenohren verhinderten, dass sie ihm vom Kopf rutschte.
Stolz streifte sich Petz noch die weiße Schärpe über die Schulter, griff nach der Kelle und nahm die Trillerpfeife.
„Alles einsteigen!“, rief er, „der Zug fährt sofort ab!“
„Halt! Noch nicht abfahren!“, rief die Ballerinapuppe, „so geht das nicht. Ich will nicht neben diesem dreckigen Kerl sitzen“, und sie zeigte auf den Schornsteinfeger.
„Nein, bist du dumm“, mischte sich das Dromedar ein, „komm, wir tauschen die Plätze. Einen Schornsteinfeger zu berühren bringt Glück, wusstest du das nicht?“
„Das bringt dreckige Finger“, antwortete die Ballerina schnippisch und wechselte nach vorne.
„So, jetzt aber“, rief Petz, hob die Kelle und blies kräftig in die Trillerpfeife.
Peter drehte langsam den Stromregler auf, und der Zug setzte sich in Bewegung. Schon nach der ersten Kurve rief Tippi, die Schildkröte: „Geht das nicht ein bisschen schneller? Da bin ich ja zu Fuß schneller.“
Peter drehte den Knopf ganz nach rechts, und der Zug raste los. Während die Reisegäste vor Vergnügen lachten und applaudierten, hielt sich Betty vor Schreck die Hände vor den Mund.
„Langsamer Peter“, rief sie besorgt, „sonst passiert noch ein Unglück.“
Der Zug schoss durch die nächste Kurve, sauste durch die Tunnel und raste auf den Kissenberg zu. Betty hatte inzwischen vor Angst ihre Augen geschlossen und hörte mit einem Mal ein furchtbares Scheppern.
„Nun ist es passiert“, dachte sie, und die Sirene der Feuerwehr und des Rettungswagens bestärkte ihre Befürchtung. Langsam öffnete sie die Augen und sah das ganze Ausmaß der Katastrophe. Die Schienen waren vom Kissenberg gerutscht, die Waggons lagen verstreut teils auf der Seite, teils auf ihrem Dach. Auf dem Dromedar lag die Ballerina und unter ihm schauten nur noch die Füße des Schornsteinfegers hervor. Tippi war unter der Lok eingeklemmt, und Bodo, der Schimpanse, war im Milchsee gelandet.
„Betty! Betty!“ Die Krankenschwester-Barbie zupfte Betty am Ärmel.
„Komm!“, rief sie, „du musst mir helfen.
Nun zögerte sie keinen Moment mehr, setzte sich die Krankenschwesternhaube auf, griff den Erste-Hilfe-Koffer und eilte zur Unfallstelle.

Tante Agathe war länger geblieben, als sie geplant hatte. Nach einem Blick auf die Uhr, sprang sie erschrocken auf und sagte, sie müsse schnellstens nach Hause. Bettys Mutter war ebenfalls überrascht wie schnell die Zeit vergangen war. Als sie die Tante verabschiedet hatte, ging sie die Treppe hinauf, um nach Betty zu sehen. Da sie ihre Tochter nicht in deren Zimmer fand, öffnete sie Peters Zimmertür. Dort brannte das Licht und die Eisenbahn, auf deren Waggons wie Perlen auf einer Kette Kuscheltiere und Puppen aufgereiht waren, zog langsam und surrend ihre Kreise. Peter lag bäuchlings auf seinem Bett, sein Kopf und ein Arm hingen an der Seite hinab. Betty hatte sich neben den Gleisen auf dem Boden eingekuschelt und hielt die Krankenschwester-Barbie im Arm.

Ihre Mutter stoppte den Zug, hob Betty und die Barbie vorsichtig auf, trug sie in ihr Kinderzimmer und legte beide dort ins Bett. Nachdem sie auch Peter zugedeckt und überall das Licht gelöscht hatte, ging sie zurück die Treppe hinunter ins Wohnzimmer. Dort lag noch immer die Videokassette auf dem Tisch. Bettys Mutter lächelte und dachte, dass es wohl auch dieses Mal wieder viel aufregender gewesen war ein eigenes Abenteuer mit seinen Puppen und Kuscheltieren zu erleben, als nur ein Video anzuschauen. So nahm sie die Kassette vom Tisch und stellte sie zu den anderen noch in Folie verpackten ins Regal.

 

Hallo Jadro,

ich verstehe überhaupt nicht, warum Deine Geschichte bisher noch keine Kritik hat. Etwa, weil es nichts daran auszusetzen gibt? :lol:
Vielleicht abgesehen davon, dass der Titel für Kinder einen Tick zu weit von der Geschichte entfernt sein könnte (Marginaltitel sind eher den Erwachsenengeschichten vorbehalten, vermute ich), ist es doch eine ganz schlichte, amüsante, aber vor allem phantasievolle Geschichte, die den Kindern gewiss gefällt.

Ein-zwei Anmerkungen...

Obwohl Mutter und Tante Agathesie nicht mehr sehen
...sonst hört es sich zu distanziert an

„Sollen wir zusammen spielen, ich habe meine Eisenbahn aufgebaut!“, fragte er auffordernd.
Halte die Inquitformeln kurz. Außerdem kann ich nichts aufforderndes an der Frage finden, hat mich etwas verwirrt also.

Ansonsten gern gelesen und zum Vorlesen empfohlen.


FLoH.

 

Hi floh,
habe entsprechend deiner Anmerkungen korrigiert - danke!
Keine Kritik zu erhalten ist wirklich eine üble Sache, vor allem für 'Schreiberlinge', die sich erst seit Kurzem mit der Schreberei befassen - insofern noch ein Danke für deinen ersten, aufbauenden Satz. :D

Gruß aus Hamburg
Jochen

 

Hallo Jadro

nun bin ich auf der Sucht nach einer Gutenachtgeschichte für meinen 5 jährigen Sohn(Luis), auf deine wirklich schöne Geschichte gestossen. Sie hat ihm sehr gut gefallen, andächtig lauschte er, wie ich sie ihm vorließ. Mal sehen ob er auch etwas schönes Träumt. Eine Kleinigkeit ist mir aufgefallen. Bei dem Satz geriet ich ein wenig ins Straucheln. Er würde sich vielleicht so besser Lesen:

Ich bin eh zu groß, in der ersten Kurve falle ich doch da runter und verletze mich möglicherweise.

in der ersten Kurve falle ich runter und verletzte...

Luis wäre froh bald wieder eine Geschichte von dir zu hören.

Einen schönen Abend wünschen dir Luis und Morpheus

 

Hallo Morpheus,
ich freue mich, dass deinem Luis (und dir) meine Geschichte gefallen hat.
Was den (zugegeben etwas 'holprigen') Satz anbelangt, ist das von mir bewusst so geschrieben. Es hat den Bären einigen Mut gekostet sich zu melden und gegen seine unfreiwillige Plazierung auf dem Zug zu protestieren. Von seinem eigenen Vopreschen überrascht, macht er zwar keinen Rückzieher, dämpft seinen Protest aber dadurch ab, indem er schüchtern, verlegen und nach Worten ringend auf das aufmerksam macht, was er lieber täte.
In allen meinen Geschichten achte ich darauf, den Lesefluss nicht zu stören - in diesem Fall bin ich mir nicht sicher. Vielleicht gibt es ja noch jemand, der hier zu etwas schreiben wird.

Liebe Grüße aus Hamburg
Jochen

 

Hallo Jadro,

Deine Geschichte hat mir sehr gefallen - ich liebe es, wenn Lebloses lebendig wird :D.
Besonders schön ist - und das werden auch die Kinder finden, die Deine Geschichte hören oder lesen, dass Betty genau das erlebt, was sie eigentlich nicht mag.. "Betty mochte keine Geschichten, in denen das Spielzeug nachts lebendig wird."

Du beschreibst nicht nur sehr fantasievoll, wie Teddy, Ballerina, Schornsteinfeger und Dromedar plötzlich lebendig werden und einen Streit zwischen den Geschwistern verhindern, sondern Du lässt Betty, Peter und die Spielzeugfiguren auch ein echtes Abenteuer erleben - ein schreckliches Eisenbahnunglück!

Und natürlich hat mir das Ende Deiner Geschichte gefallen, die reparierte Eisenbahn zieht gleichmäßig ihre Kreise und die Geschwister schlafen friedlich. Sehr schön :).

Ein paar Kleinigkeiten sind mir noch aufgefallen:

"Betty mochte keine Geschichten, in denen das Spielzeug nachts lebendig wird (wurde). Das ist(war) doof und unlogisch."

"sagte ihre Mutter besorgt,(Komma weg) und Tante Agathe nahm sie fürsorglich in den Arm."

"Beide begannen die Tiere und Puppen auf die Anhängern (es muss heißen "auf die Anhänger" oder "auf den Anhängern") zu verteilen"

"Die war für Petz zu groß, und nur seine großen Bärenohren verhinderten, " --> hier würde ich versuchen das Wort "groß" einmal durch ein anderes Wort zu ersetzen.

"Als Sie (sie klein) die Tante verabschiedet hatte, ging sie die Treppe hinauf, um nach Betty zu sehen. Da sie die (sehr umgangssprachlich und, wie ich finde etwas lieblos, vielleicht "ihre Tochter" ) nicht in deren Zimmer fand, ging (hier wiederholst Du das Wort "ging", vielleicht fällt Dir da noch was ein?) sie zu Peter."

Liebe Grüße
Barbara

 

Hi al-dente,
bei dem Komma bin ich mir nicht sicher (folgt ein in sich geschlossener Satz, steht vorab ein Komma - habe ich so gelernt). Alles andere habe ich deiner Empfehlung entsprechend geändert.
Danke für deinen Beitrag

Liebe Grüße aus Hamburg
Jochen

 

Mir hat deine Geschichte auch sehr gut gefallen.
Des öfteren musste ich wirklich lachen.
Zu niedlich hast du die Figuren beschrieben.

Tolle Geschichte
weiter so

Steffi

 

Hallo Jadro,
kann mich den anderen nur anschliessen, abenteuerliche Geschichte, die kleinen Kindern bestimmt gut gefallen wird.
Bezüglich des Kommahinweises von al-dente gelten meiner Ansicht nach gemäß der neuen Rechtschreibung beide Varianten.

LG
Blanca

 

Hallo Jadro,

eine schöne, fein abgestimmte Geschichte ist Dir da gelungen. Besonders treffend die Stelle mit dem Schornsteinfeger, der Glück bringt (aber nur, wenn man sich auch dreckig macht).

Am Schluß hat mir der Bezug zur Ausgangssituation (Video- Kuscheltierschlaf) gefehlt, z.B. wenn die Mutter auch die Erkenntnis gewinnt- ihre Tochter hat mit ihrer Auffassung recht.

Tschüß… Woltochinon

 

Hallo st.a.r., hallo Blanca,
ich danke Euch für das Lob und dir Blanca besonders für den Hinweis auf die Rechtschreibung – es bestärkt mich darin, auch weiter auf mein Gefühl vertrauen zu können, ohne den Duden zu meiner häufigsten Lektüre machen zu müssen.

Liebe Grüße
Jochen


Hallo Woltochinon,
auch ich halte u.a. Geschichten für gelungen, die in sich geschlossen (rund) sind. Der Rückbezug hier könnte sich jedoch, glaube ich, lediglich darauf beziehen, dass aktives Spielen mehr bringt, als sich ein Video anzusehen. M.E. lässt das vorliegende Ende viel Raum für Fantasie und Fragen: ‚Hat der Prot alles nur geträumt? Hat es den ‚Unfall’ beim Spielen gegeben und der Prot erlebt das ‚Erwachen’ der Kuscheltiere nachträglich im Traum? Werden Kuscheltiere in der Nacht nicht doch lebendig – immerhin sitzen sie noch auf dem Zug, obwohl die Kinder schon schlafen?’
Ich habe schon über einen möglichen Geistesblitz der Mutter nachgedacht, eingefallen ist mir jedoch noch nichts.

Vielen Dank für deinen Beitrag,
Gruß aus Hamburg
Jochen

 

Hallo Jadro,

vielleicht ist Deine Geschichte ja auch ein Beispiel für eine gelungene Geschichte mit offenem Ausgang...
(Gilt nur so lange, bis die Mutter doch noch einen Geistesblitz hat).

Liebe Grüße,

tschüß... Woltochinon

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Woltochinon,
dein Kritik hat mir keine Ruhe gelassen. So habe ich doch noch einen abschließenden Absatz hinzugefügt.

Liebe Grüße aus Hamburg

Jochen

 

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