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Lampenfieber

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22.03.2005
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Lampenfieber

Kurz vor meinem Auftritt. Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich vor einer größeren Ansammlung von Leuten eine Rede halten.
Ich bin die Ruhe selbst. Atme tief ein und aus, das Lampenfieber kribbelt förmlich in meiner Wirbelsäule, aber es ist unter Kontrolle. Genau so wie es sein sollte.
Bemüht, meine Anspannung zu überspielen, lächle ich in Herberts Richtung.
Herbert runzelt die Stirn. „Du hast doch die Rede dabei, oder?“
„Klar.“
„Okay. Ich meine nur, weil du so nervös bist.“ Herberts Blick bleibt argwöhnisch an mir hängen. „Das ist nicht so gut, wenn du vor das Publikum trittst.“
„Wie meinst du das? Ich dachte, ein bisschen Lampenfieber müsste sogar sein, damit es was wird.“
„Wo hast du denn den Scheiß gelesen? Wenn du Lampenfieber kriegst, bist du doch voll in den Arsch gekniffen.“
Erwin, der an der Bar zugehört hat, lässt einen zustimmenden Rülpser ab. „Darauf kannste einen lassen, Junge. Ich hab’ da schon Sachen erlebt, das vergisst du dein Lebtag nicht. Ich war mal auf so 'ner Bürgerversammlung, da kam der Typ für die Eröffnungsrede nach vorne, und kaum, dass er am Pult stand, hat er Glubschaugen gekriegt wie ein Frosch und ist lila angelaufen.“ Er hebt beide Hände zum Kopf und fängt an zu kichern. „Und wie der sich einen abgestammelt hat, oh Mann, das war so erbärmlich, ich sag’ dir, wir haben alle nur verlegen dagesessen und auf den Boden geguckt. Ehrlich, wir hätten den am liebsten mit faulen Tomaten abgeworfen und in die Mülltonne gesteckt!“ Er bricht in wieherndes Gelächter aus und klopft sich auf die Schenkel.
Als er von Neuem ansetzt, macht Herbert eine herrische Geste. „Es reicht, Erwin. Ich denke, er hat’s kapiert.“
Nun bin ich ein wenig verunsichert. „Aber ein Freund von mir hat gesagt, dass es manchmal wirklich ein bisschen hilft. Er hat gesagt, wenn du kein Lampenfieber hast, bist du nicht angespannt genug…“
„Mann, hör’ auf, dich verarschen zu lassen. Dein Puls muss ganz normal gehen, sonst gibt es eine Katastrophe.“
Er packt mich an den Schultern. „Sieh mal, wenn du da auf die Rednertribüne gehst, sitzt unten ein Haufen Leute, die auf jede deiner Bewegungen achten. Eine falsche Muskelzuckung, ein Gesichtsverzieher im falschen Moment, und alles ist im Eimer. Dann ist die Wirkung dahin, und du kannst dich nur noch zum Idioten machen.“
Sein Griff wird noch etwas fester, als er mit eindringlichem Blick hinzufügt: „Also lass es bitte nicht an dich heran, hörst du? Es ist einfach zu wichtig.“
Mein Puls fängt an zu rasen. Auf meiner Stirn bilden sich erste Schweißperlen. „Herbert, ich…“
„Verdammt, Matti, jetzt reiß’ dich zusammen.“ Er fängt an, mich zu schütteln. „Es geht um deinen Posten als Vorsitzender. Ich hab’ dich mit viel Mühe aufgebaut, du kannst nicht einfach im entscheidenden Moment den Schwanz einziehen. Und noch weniger kannst du dir Panik erlauben. Dann verlierst du alles und bist auf ewig zum Versager gestempelt. Willst du das?“
Ich umfasse meinerseits seine Oberarme. Dunkle Schweißflecken breiten sich darauf aus, und eine kalte Woge droht in mir überzuschwappen.
Ich will etwas sagen, aber meine Stimme versagt ihren Dienst.
Rolf lugt aus der Tür zum Konferenzraum und räuspert sich verlegen. „Seid ihr hier bald fertig? Wir wollten nämlich anfangen, die Leute werden langsam ungeduldig…“
„Schnauze, Versager!“ Er zeigt mit einem bohrenden Finger auf Rolf und sieht mich durchdringend an.
„Schau ihn dir genau an. Er hat vor zehn Jahren eine Rede verpatzt, und seitdem ist er bei uns der letzte Fußabtreter! Willst du das?“
„Also, so schlimm war das doch auch wieder nicht.“ Rolf setzt wieder seine wehleidig-eingeschnappte Miene auf. Seit acht Jahren kenne ich ihn gar nicht anders.
„Nicht schlimm?“ Herberts Stimme überschlägt sich in Sarkasmus. „Dann denk mal nach, seit wann sie dich alle wie Scheiße behandeln und immer die letzte Drecksarbeit auf dich abschieben.“
„Stimmt doch gar nicht“, mault Rolf. „Ich miste gern die Ställe aus…“
„Klar, und Putzen und Bedienen machst du auch gern, was?
Nee, Matti, nimm dir bloß kein Beispiel an diesem Waschlappen, sonst bist du echt fürs Leben gezeichnet.“
Er dreht sich zur Bar um, und aus größer werdender Entfernung höre ich ihn sagen: „So, jetzt nimmst du dir erst mal einen Schluck, und dann… Hey, wo willst du hin? Du kannst doch jetzt nicht einfach abhauen! Scheiße, Matti, das hat doch so keinen Sinn…“
Dann bin ich raus aus dem Clubhaus und auf schnellstem Weg zum Wagen.
Morgen trete ich aus dem Kaninchenzüchterverein aus. Sollen die doch mal sehen, wie sie mit fünf Leuten klarkommen.

 

So, das war mal einer meiner ganz seltenen spontanen Einfälle. Mal sehen, wie das rüberkommt *auffingernägelnkau*.

 

Äh, schon klar, dass du das gut findest, aber gibt es nicht irgendwelche Aspekte, die dir besonders gefallen, nicht so gefallen, ein paar Stellen, wo du Verbesserungsvorschläge hast?
Du weißt schon, Details, mit denen ich was anfangen kann, damit ich mal ein gaaanz berühmter Schriftsteller werde, der sich einen Privatjet leisten kann :) *vorfreu*.

 

Moin Megabjörnie,

Ja, hat mir gut gefallen, die Geschichte. Vor allem für einen sogenannten Schnellschuss (was man dem Text übrigens nicht im geringsten anmerkt).
Wie Golio schon teilweise sagte, guter Stil, guter Aufbau, gute Pointen. Sonderlich überraschend ist das Ende sicher nicht - aber das spielt für mich keine Rolle, da der Text einfach unterhaltsam war.

Du hast doch das Redemanuskript dabei, oder?
Das ist arg schriftsprachlich. Also, ich meine... so redet doch niemand, oder?
Ich umfasse meinerseits seine Oberarme. Dunkle Flecken breiten sich darauf aus,
Dunkle Flecken auf den Oberarmen? Damit sollte er zum Arzt gehen ;)
Nee, im Ernst, was meinst du hier?
Sieh ihn dir genau an. Er hat vor zehn Jahren eine Rede verpatzt, und seitdem sieht
Wiederholung. Vorschlag: "Nimm nur mal den den da zum Beispiel. Er hat..."

 

Hi Megabjörnie,
im wesentlichen muss ich mich meinen Vorrednern anschließen. Sicherer Stil, Story leider nur mittelmäßig. Du hättest viel mehr aus der Story machen können. Ich bin auch ein Fan von Eskalationen, also wenn du mal was in der Richtung bringen würdest, bist du auf dem Weg, ein Millionenpublikum in deinen Bann zu ziehen -.-

 

Moin Megabjörnie!

Also eines habe ich nicht so richtig begriffen: Was ist eigentlich der Sinn dieser Geschichte?
Dass der Prot zum Kaninchenzüchterverein geht, weil er Sodomist ist, oder so ähnlich, das ist ja irgendwie noch nachvollziehbar.
Aber was hat es eigentlich mit dem Redemanuskript auf sich, warum kommt dieser Rolf, was für eine Rolle spielt es, dass der Prot deswegen abhaut? Kurz, was wolltest du dem Leser mit der Story eigentlich sagen???
Oder war der Sinngehalt in dem Titel "Lampenfieber" wiedergegeben? Wenn ja, was hast du dir dabei gedacht? Sollte der Titel mich vorwarnen, dass ich Lampenfieber bekomme, wenn ich die Geschichte lese? Hätte ich das verstanden, hätte ich es nicht gelesen.

Außerdem: Irgendwie weiß ich auch nicht, was die Story mit "Humor" zu tun hat. Wäre sie nicht besser in, sagen wir, "Seltsam" aufgehoben?

Na ja, als Ansatz für eine echt gruselige Mystery-Geschichte ist die Idee vielleicht nicht schlecht. Aber da musst du die Geheimnisse schon irgendwie aufklären.
Und kann es sein, dass du mit dem Redemanuskript aufzeigen willst, dass sich unsere GEsellschaft nach Halt sehnt?
Ciao, Tserk

 

Hi Leute!

Erstmal vielen Dank für die hohe Resonanz. Hach, endlich wird es wahrgenommen. Bis Mittwoch fürchtete ich noch, der Text würde unbemerkt auf Seite 2 rutschen.

@Golio:

Aber er hat halt nichts besonderes, er ist sozusagen perfekt, aber langweilig.

Maaann, was erwartest du von 'nem spontanen Einfall? :rolleyes:
Scheint irgendwie das Hauptproblem bei all meinen Texten zu sein. Ob ich deswegen den Mut zur Sinnlosigkeit aufbringe, das ist aber eine ganz andere Frage, mein lieber Golio. :teach: Eine solide, gut zu lesende, aber 0815-mäßige Geschichte wird von Verlagen meiner Leseerfahrung nach eher akzeptiert als eine, wo der Stil gut und die Handlung phänomenal ist, aber die Logik und Glaubwürdigkeit mangelhaft.
Da würde ich gern mal von euch erfahrenen Autoren hören, was ihr so für Erfahrungen gemacht habt. Ja, richtig, das ist ein direkter Aufruf!
Aber ich werde versuchen, dieses Problem zu lösen! Versprochen.

@gnoebel:

Ja, hat mir gut gefallen, die Geschichte. Vor allem für einen sogenannten Schnellschuss (was man dem Text übrigens nicht im geringsten anmerkt).

:hmm: Ich muss gestehen, so ein Schnellschuss war es gar nicht. Den Einfall hatte ich am Samstag, kurz nachdem ich "Geht's noch?" geguckt hatte ( Sketche eignen sich von der Dramaturgie her immer zur Inspiration von Humor- oder Satirekurzgeschichten. Eine direkte Assoziation zu dem, was ich dort gesehen habe, gibt es aber nicht ), aber ich kam erst am nächsten Tag zum Schreiben. Da war der Einfall natürlich schon ein bisschen gereift. Aber ich habe kein schriftliches Brainstorming gemacht, wie bei den anderen Texten! ( Das gilt doch noch als spontan, oder? :shy: )

Du hast doch das Redemanuskript dabei, oder?

Das ist arg schriftsprachlich. Also, ich meine... so redet doch niemand, oder?

Meiner Erfahrung nach schon. Ich pflege in sehr vornehmen und gebildeten Kreisen zu verkehren, und da befleißigen sich die Menschen einer solchen Sprache.
Es liegt mir aber durchaus nicht fern, den Kontakt zu gewöhnlichen Menschen zu suchen, um sie zu studieren. Dafür bin ich ja auf dieser Website. :D
Mal im Ernst: Manchmal höre ich Leute Sätze sagen, die schriftsprachlich klingen. Ich fand, das war hart an der Grenze, und überlegte, ob ich es ändern sollte, entschied mich aber dagegen. Ich werd' es neu formulieren. *grübel*

Ich umfasse meinerseits seine Oberarme. Dunkle Flecken breiten sich darauf aus,

Dunkle Flecken auf den Oberarmen? Damit sollte er zum Arzt gehen
Nee, im Ernst, was meinst du hier?

Damit war gemeint, dass seine Hände so feucht sind, dass sich der Schweiß auf Herberts Armen ausbreitet. Kommt das echt nicht deutlich raus? Da werd' ich wohl einen kurzen Satz mit feuchten Händen einfügen müssen...

Sieh ihn dir genau an. Er hat vor zehn Jahren eine Rede verpatzt, und seitdem sieht

Wiederholung. Vorschlag: "Nimm nur mal den den da zum Beispiel. Er hat..."


Stimmt. Verdammt, es war doch nicht perfekt :fluch:.
Änderung sofort.

@SAN:
Danke für die Ermutigung. War schon am Verzweifeln... :D
Besserung hab' ich ja oben schon gelobt, aber ich mein' es wirklich ernst. *verzweifeltversuchsichwaseinfallenzulassen*

@Tserk:
Danke für deine kritik. Sie war das witzigste, was ich je auf kg.de gelesen habe. Ja, ich wollte damit ausdrücken, dass in unserer Konsumgesellschaft zu sehr auf Äußerlichkeiten wert gelegt wird. Wenn du deine Kritik - was ich nicht glaube - traurigerweise ernst gemeint haben solltest, dann tust du mir echt leid.
( Wetten, dass er jetzt auch noch meinen anderen Beitrag rüberpostet? :dozey: )


Nochmals danke an alle. Ich werde bei der Überarbeitung mal versuchen, mehr Spannung zu erzeugen, indem ich den Prot am Anfang innerlich etwas ruhiger sein lasse und die Eskalation verzögere. Vielleicht klappt's...

Ciao, Megabjörnie

 

Na ja, meine ersten beiden Bemerkungen waren ja auch eher ironisch gemeint. Bei der dritten werde ich dir freundlicherweise mal Recht geben. *dannhaterrechtundichmeineruhewieessoschönheißt* :D

 

Ey, Megabjörnie, es war echt witzig, wie du meine (ich geb zu recht provokante und gemeine) Kritik ausgekontert hast! Respekt! Ich musst echt lachen (also nicht dich aus, sondern mit dir)! SO perfekt...wär ich nie drauf gekommen... Du hast mich mit meinen eigenen Waffen geschlagen, super! Und - ernsthaft - keine Ironie in dieser Antwort von mir, auch wenns vielleicht so rüber kommt!
Mann, du bist jetzt mein absoluter Held!

 

Hey Megabjörnie,
wollte nach Heimweg der Angst mal sehen, was du so in Humor schreibst...

Hm, also bis aus die Schlusspointe hab ich nicht lachen können. Vielleicht hab ich zu sehr auf witzige Sätze gehofft und konnte deswegen mit diesen mürrischen und fiesen gestalten nicht so viel anfangen.
Irgendsowas wie das Ende hab ich aber auch erwartet. Nun, vielleicht sollte ich einfach auf nen weiteren horrortext von dir warten. :D

Eike

 

Dabei schreib ich doch am liebsten Humorgeschichten mit fiesen, mürrischen Gestalten *g*. Aber gut, dass du den Text noch mal nach oben geholt hast. Ich sollte stilistisch noch ein wenig dran feilen, wie ich gerade gemerkt habe.

 

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