Liebesbrief an einen Freund
"Was hast du da, Anna Lena?"
"Passt mit eurem Ball auf, nicht, dass ihr noch die Scheiben einschlagt!"
Die Dielen der Terrasse knarrten, als die Kinder darüber tobten.
"Anna Lena, was ist das dort?"
"Das sind Vitamine!"
"Dürfen wir auch welche haben?"
"Oh nein, das ist nichts für euch, geht lieber spielen!"
"Magst du nicht mit uns spielen?"
"Tut mir leid, ich hab hier noch zu tun, später vielleicht!"
Die Kinder rannten zurück zur Wiese und warfen sich gegenseitig den Ball zu. Das Sonnenlicht spiegelte sich im Wasser des nahe liegenden Sees. Konzentriert beugte sich Anna Lena über das Stück Papier, was vor ihr auf dem Tisch lag.
Ein gellender Schrei drang Anna Lena durch die Ohren. Die beiden Kinder hatten sich dem See genähert und bespritzten sich gegenseitig mit Wasser. Anna Lena beobachtete sie eine Weile.
Nachdenklich schweifte ihr Blick über die weite Gartenlandschaft. Es wehte eine leichte Brise, aber die Sonne stand hoch am Himmel und keine einzige Wolke war zu sehen.
"Schau dich doch mal an, wie du aussiehst!!!"
Anna Lena zuckte zusammen. Der Kugelschreiber glitt ihr aus der Hand.
Sie hob den Kopf und sah die Kinder auf der Wiese tollen. Ein Lächeln huschte ihr übers Gesicht, als sie sah, dass die Beiden sich über und über mit Schlamm bespritzt hatten. Erleichtert atmete sie auf. Sie nahm den Stift auf und schrieb weiter.
"Hallo Kinder, Anna Lena!"
Anna Lena fuhr herum.
"Oh, du bist es, entschuldige, ich hab dich gar nicht bemerkt."
Anna Lena schloss hastig die Tasche mit den Vitaminen darin.
"Haben die Kinder dir das Leben schwer gemacht?"
"Oh nein, ich komme schon klar. Sie sind nur etwas schmutzig. Ich denke, sie könnten ein Bad vertragen!"
"Mama, Mama, ....!"
"Hey, na ihr beiden Dreckspatzen! Euch geht es gut, was? Jetzt aber ab mit euch in die Wanne, damit ihr heute Abend wieder schick seid. Geht schon mal vor, ich muss noch kurz mit Anna Lena sprechen!"
Die Kinder rissen sich aus den Armen ihrer Mutter und stürmten ins Haus.
"Sie sind bezaubernd."
Anna Lena sah ihnen lächelnd nach.
"Ja, das sind sie.
Hör mal, Anna Lena, wir sind heute Abend zum Essen mit Freunden verabredet. Mir wäre es lieb, wenn ich das Haus nicht unbedingt alleine lassen müsste. Wäre es vielleicht möglich, dass du solange hier bleibst, bis wir wieder da sind?"
"Ja, natürlich. Ich habe hier auch noch etwas zu tun. Das geht schon in Ordnung."
"Gut, ich danke dir. Ich kümmere mich dann mal um die Kleinen."
Sie klopfte Anna Lena auf die Schultern und ging ins Haus zurück.
"Anna Lena, wir werden jetzt gehen!"
"Oh, ...ja, ... ich wünsche euch viel Spaß!"
"Vielen Dank! Etwas zu Essen ist im Kühlschrank, wenn du möchtest! Machs gut!"
Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss. Anna Lena war allein. Ein letztes Mal beugte sie sich über das Blatt Papier.
Anna Lena legte den Stift beiseite, faltete das Blatt Papier zusammen und steckte es in einen Umschlag. Ich großen Buchstaben schrieb sie MIKE darauf.
Anna Lena erhob sich von ihrem Stuhl und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer, öffnete die Hausbar und sah hinein. Einen Unterschied in den Flaschen, sah sie nur am Etikett, aber das andere war ihr auch nicht so wichtig. Sie nahm sich irgendeine und ging zurück zur Terrasse.
Die Sonne war beinahe hinter dem Horizont verschwunden. Das Licht spiegelte sich nur noch schwach im Wasser des Sees.
Anna Lena holte die Tabletten aus ihrer Tasche und legte sie auf den Tisch. Sie nahm einen Schluck aus der Flasche. Ihr Blick richtete sich starr hinaus in die einbrechende Dunkelheit.
Leise rollte eine Träne über ihre Wange. Sie griff nach einer der Tabletten, schob sie sich in den Mund und spülte sie hinunter. Eine nach der anderen folgte.
Anna Lena erhob sich von ihrem Stuhl und bahnte sich den Weg zum See.
Sie liebte es, schwimmen zu gehen.