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Lolita - die 243ste
Sein Gesicht an die Glasscheibe gedrückt, sah er Lena am Schulhof, rauchend, mit ihren Freundinnen lachend und tratschend. Sie war zarte vierzehn, und er... kein so frischer Mittzwanziger mehr. Es war Mittwoch, ein Tag, auf den er sich regelmäßig so freute wie andere auf das Wochenende. Manchmal hasste er auch den Mittwoch, wenn gerade Ferien waren.
Warum er den Mittwoch liebte, und auch hasste?
Das war der einzige Tag, an dem er sie sehen konnte. Er unterrichtete in der Abendschule, und nur mittwochs hatte sie bis spät am Nachmittag Unterricht. Also hatte er nur an diesem Tag die Gelegenheit, dieses helle Gesichtlein zu sehen, nein, es zu beobachten. Es war kein lebendiges Rot darin zu sehen, einzig die übertriebene Schminke war auffällig. Rosa glitzernde Lippen und schwarze, manchmal verklumpte Wimperntusche. Und diese traurigen Augen... keine Frau der Welt, nein, kein Wesen der Welt konnte so viel Gefühl in seinen Augen beherbergen wie sie es tat. Majestätisch, wie eine kleine Hofdame hielt sie ihren Kopf immer schön hoch.
„Gerhard, gehen wir eine rauchen?“ Obwohl er diesen Satz schon an die hundert Mal von derselben Stimme vernommen hatte, zuckte er zusammen.
„Habe ich dich bei deinen Beobachtungen gestört?“ flachste sein Kollege. „Ja klar, ich habe mir gerade die hübschen, kleinen Mädchen angesehen, ich bin so scharf auf die“ erwiderte Gerhard, und zog das Ganze dann weiter ins Lächerliche, bis er seinen Kollegen ganz zerstreut hatte.
Eigentlich rauchte er nicht. Diesen schrecklichen Geruch, der ihn an seinen Vater erinnerte, konnte er nicht ausstehen. Ganze Räume, alle Sinne, konnte dieser Mief einnehmen.
Nur, in ihrer Nähe hatte der selbe Geruch eine ganz andere Bedeutung.
Klar ging er mit seinem Kumpel hinaus, um gemeinsam mit ihm eine zu smoken. Solange er ihr dadurch nur kurz näher kam, war ihm alles Recht. Geruch kann man wegwaschen, diese Sehnsucht aber nicht. Es war ihm natürlich klar, dass sein Verlangen verwerflich war, und vor allem verboten. Doch irgendwann war es ihm egal geworden. Warum sollte er etwas kontrollieren wollen, was sich nicht beherrschen ließ? Lediglich das Ganze ein wenig im Zaum halten, das konnte er.
Nun war es soweit. Die beiden standen neben Lena und ihren Freundinnen. Das Mädchengeschnatter, wohl die liebste Geräuschkulisse für jeden Mann, setzte jäh aus. Die Gruppe bewegte sich langsam, als ob es keine auffallen sollte, ein paar Meter zur Seite. Ihn machte das traurig. Aber es war ihm nicht neu.
Gleich danach verließen die Mädchen den Raucherhof, und verschwanden, schnatternd und kichernd, im Stiegenhaus.
Die Zigarette, die so gut geschmeckt hatte, während sie in der Nähe war, hatte nun einen bitteren, unangenehmen Beigeschmack. Achtlos warf er sie zur Seite. Sie war ja auch nur Mittel zum Zweck.
Hastig legte er sich eine Ausrede für seinen Kollegen zurecht, erfand, dass er auf die Toilette musste und verzog sich ins Schulgebäude.
In der Kabine zog er ein frisches Hemd aus der Tasche, welches genau das gleiche wie das war, was er gerade anhatte. Er wechselte das Hemd, und schob das nach Rauch riechende in seine Aktentasche. Mittwochs hatte er immer ein Reservehemd mit, da er wusste, wie sehr der Geruch ihn störte.
Das war der Höhepunkt seiner Woche. Diese ein bis zwei Minuten, die er in ihren Nähe verbringen konnte, obwohl sie es nicht wollte. Weil sie es nicht besser wusste.
Seine Freunde und er hatten sich früher oft lustig gemacht über Burschen, die mit bedeutend jüngeren Mädchen unterwegs waren. „Kinderverzarrer“, „Kindergartenmacho“, das waren noch die humorvolleren der Bemerkungen, die anderen sind nicht salonreif.
Besonders er hatte immer aus vollem Leib gelacht, wenn er seine beinahe erwachsenen Genossen mit gerade dem Confetti-Alter entwachsenen Schönheiten hatte verkehren gesehen.
Manchmal ging er fort, und riss in irgendeiner Bar irgendeine Tittenmaus auf. Schwer war es für ihn nicht, obwohl er nicht auffallend gut aussah. Dessen war er sich bewusst. Doch dank seiner animalischen Instinkte konnte er schon immer mehr Frauen rumkriegen, als so mancher Schönling.
Außerdem war der Widerstand der nach Mitternacht schon besoffenen und mutwillig nach einem Fick suchenden Mädls selten so stark, dass er ihn nicht hätte brechen können.
Natürlich nie körperlich.
Gerade am Vortag hatte er die Leiterin der Schule (Mitte Vierzig, doch wie ein penibel gepflegter Oldtimer fast makellos erhalten) in der Kammer des Schulwarts genagelt. So wie er schon einige seiner Kolleginnen genau dort beglückt hatte. (Er beschenkte den Schulwart mit Whiskey, dieser gab ihm im Gegenzug die Schlüssel zu seinem Kabinett).
Doch keine von ihnen war so schön wie Lena. Ja, geil waren viele, doch keine war schön. Zumindest nicht so wie sie.
Schlurfenden Ganges, sinnierend darüber, warum er sich seines Verlangens nicht mehr schämte, begab er sich den Gang hinunter zur Klasse, die er wieder in Sachen Deutsch beglücken musste.
Und da stieß er mit ihr zusammen. Sie hatte schon die Jacke an, und die Tasche geschultert, und war am weg nach draußen, nach Hause.
Sie entschuldigte sich, und da passierte es. Er konnte ihr für einen kurzen Moment aus nächster Nähe in die Augen sehen, und fand keine Kraft, um sich los zu reißen. Vor allem das Motiv fehlte ihm, aus diesem schwarzen Meer heraus zu tauchen. Nur sie zwang ihn, in dem sie verlegen weg blickte, und genau so ging, wie sie gekommen war. Leise, unauffällig. Aber majestätisch wie eine Hofdame.
So aufgewühlt, wie er war, hielt er es nicht lange in der Klasse aus. Die Hornochsen von Schülern, dieses unsensible Pack, saß nur da und ließ sich zwangsbeglücken. Nur dazu war er heute nicht mehr aufgelegt, genauso wenig war er fähig dazu.
Nachdem er eine Parabel von Kafka auf den Projektor geknallt hatte, bezüglich welcher die Schüler ihre geistigen Ergüsse liefern sollten, verließ er den Raum. Er musste sich neu ordnen.
Nun musste er über sich selbst lachen. Neu ordnen? Es gab keine Unordnung in seinem Leben, es war alles klar. Obwohl er sich lange gesträubt hatte, hatte er es sich doch vor einiger Zeit eingestanden: Lena war die Frau seines Lebens. Punkt.
Er ließ sich gleich am nächsten Tag für Stunden am Vormittag einteilen, und die Schulleiterin kam ihm gerne entgegen ;-).
Am morgen vor seinem ersten „Guten Morgen, setzt euch“, war er nervös wie zuletzt vor seiner Führerschein-Prüfung.
Penibel wählte er sein Outfit so, wie es in den Herrenmagazinen illustriert war. Er richtete sich die Haare, wie die Boy’s in den Jugendzeitschriften. Sogar ein neues Parfum hatte er sich zugelegt. Und eine Packung Zigaretten, rein zweckmäßig.
Denn er hatte vor, seinen ganzen Mut zusammen zu nehmen, und ihr eine Zigarette an zu bieten. Es ist ein großer Unterschied, ob man irgendeine Frau anspricht, oder die eine Frau anquatscht. Ein signifikanter Unterschied.
Am Schulweg passierte nichts erwähnenswertes. Der Köter vom Nachbarn kläffte ihn bösartig an, doch das war schon alltäglich. Mittlerweile ging es ihm beinahe ab, wenn die Töle ihn mal nicht ankläffte.
Die neue Klasse, in der, wie durch Zufall, auch Lena saß, mochte ihren Lehrer auf Anhieb. Alt, aber noch immer jung genug. Ernsthaft, doch immer zu einem Spaß aufgelegt. Den Mädchen in der zweiten Reihe rechts von ihm schenkte er besonders viel Aufmerksamkeit, da Lena in der ersten Reihe links saß.
Er wollte sich schließlich nicht verraten, ein echter Verführer gibt nie seine Absichten gleich preis. Anfangs hatte er sich alleine beim Gedanken daran geschämt, sie zu umgarnen. Doch irgendwann war er über die Scham hinweg. Die Schöne war doch nur 11 Jahre jünger als er, es gibt Männer, die heiraten oder missbrauchen um 30 oder 40 Jahre jüngere Mädchen. Wobei er sie nie missbrauchen würde, niemals.
Nach der Stunde, die Mädchen waren schon auf dem Weg nach draußen, passte er sie ab. Beiläufig fragte er sie nach ihrem Schulübungsheft, und ob er es sich ausborgen könnte. Selbstverständlich bloß, um aus zu loten, wie weit sie sein Vorgänger, der nun eine andere Klasse übernommen hatte, mit der Materie vertraut gemacht hatte.
Den ganzen Abend lang las er in ihrem Heft. Sogar ihre Rechtschreibfehler waren niedlich. Zu seiner Schande onanierte er gegen Mitternacht auf ihr Heft. Zu seinem Glück ließen die Spuren leicht von der Plastikhülle entfernen.
Am nächsten Tag gab er ihr das Heft vor der Stunde zurück, und konnte ihr dabei nicht in die Augen sehen. Nicht nach seiner Schandtat.
Nur Sekunden nach dem Läuten hatte er es sich doch anders überlegt, und lud die Mädchen und zwei Burschen auf eine Tschick ein.
Noch immer hasste er den Geruch von Zigaretten. Doch das war das letzte, woran er nun dachte. Hauptsache, Lena war mit von der Partie.
Die Kids hatte alle ihre eigenen Zigaretten mit, trotzdem bot er ihnen allen seine an, und betonte dabei, dass dies eine einmalige Aktion sei.
Als er sah, wie sich Lena die Zigarette im Mund steckte, sie anzündete und genüsslich daran zog, wünschte er, sie würde sich seinen Schwanz genau so in den Mund stecken und daran ziehen.
Hier war Schluss mit Lustig für ihn, er war angesichts des Gedankens angewidert von sich selbst, und ließ seine Schüler nach einer hastigen Entschuldigung zurück, und floh.
Umso weiter er ging, er wollte nicht durch blöder Herumlaufen auffallen, umso intensiver wurden seine Gedanken.
Umso mehr er sich entfernte, umso näher war er ihr.
So vergingen mehrere Wochen, und immer wieder ertappte er sich bei schmutzigen Gedanken bezüglich der Kleinen, die er immer weniger unterdrücken konnte.
An einem Nachmittag beschloss er, sie kurzerhand ein zu weihen in seine Gefühlswelt, in sein Geheimnis.
Durch Zufall hatte er ihre Adresse erfahren (sie stand im Heft), und so ging er von nun an öfter in der Straße spazieren, in der sie lebte.
Seinen Schülern erzählte er immer, dass kein Autor der Welt, sondern das Leben die besten Geschichten schreibt. Tragikomik, auch Ironie, dass ihm bei diesem Anblick dieser Satz von innen her an die Stirnwand gedonntert wurde. Scheiß-Leben!
Lena knutschte wie wild im Auto mit einem Burschen herum, der vielleicht etwas jünger als er war. Aber nicht bedeutend jünger.
Da fielen seine Hemmschwellen. Er lief auf den Wagen zu, riss die Tür auf und zog den Typen hinaus, alles unter dem Gekreisch des Mädchens. Sein Atem überschlug sich, die Anspannung ließ seine Halsschlagader hervorspringen.
Weit aufgerissene Augen, erweiterte Pupillen.
Wenn es Bilder von psychopatischen Mördern in dem Moment, in dem sie ihren Opfern zB. das Messer in die Brust rammen, gäbe, der Ausdruck in deren Augen wäre von seinem nicht zu unterscheiden.
Den Burschen an das Auto gedrückt, die Hände an seinem Kragen, das schreiende Mädchen im Auto. Auch eine Art, das Innere nach außen zu kehren, den Schweinehund von der Leine zu lassen.
Jemand musste für diese Gefühle büßen, auch wenn niemand schuld war.
Dass es ausgerechnet dieser Bursche war - Pech.
Dann dieser spezielle Gedanke. Der Gedanke, der einen oft davon abhält, weiter zu gehen, als man es eigentlich will. Oder als man es will, aber nicht darf.
Ruckartig, als ob es ihn vor dem Burschen ekeln würde, nahm er die Hände vom Burschen und entfernte sich von ihm.
Jetzt war es raus. Lena würde nicht schweigen, der Bursche auch nicht. Viel zu realistisch war er, um darauf zu hoffen. Realistisch, und doch so dumm. So dumm. So dumm. Intelligente Menschen verlieben sich nicht in Kinder. Oder sie tun es, sind aber intelligent genug, es verheimlichen zu können.
Er lief, denn Laufen, das war das, was Kriminelle taten. Noch war er keiner, aber nach diesem Vorfall brauchte er nicht verurteilt werden.
Das würden die Leute tun.