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Lonely

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24.01.2002
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Lonely

Im CD-Player lief "This I promise you", eine ruhige, schöne Ballade.
Es war Sommer und zwar Mitte August. Endlich wieder ein schöner und sonniger Tag.
Draußen strahlte die Sonne herab vom blauen Himmel, auf dem sich nur ein paar wenige, fast durchsichtige, dünne Wolkenschleier langsam bewegten.
Es war sehr heiß.
Genau das richtige Wetter zum Baden, sporteln, oder einfach Spaß haben.
Eigentlich hatte in so einer Zeit jeder seinen Spaß. Man traf sich zum einkaufen gehen in der Stadt, oder zu einer Runde im Auto zum Mädels aufreißen, oder man saß einfach bei einer Cola zusammen zum Quatschen, oder man spielte zusammen Basketball, um sich gleich danach total erhitzt in die Fluten zu werfen, oder man lag einfach auf einem ausgebreiteten Handtuch in der Sonne um ein wenig Farbe zu bekommen. Oder man lag mit der Freundin im Zimmer und tauschte Zärtlichkeiten aus.
Eigentlich hatte man genug Möglichkeiten um im Sommer richtig Spaß zu haben.
Ja eigentlich.
Eigentlich konnte er ja auch schwimmen gehen, schließlich gab es gleich in der Nähe eine gute Badegelegenheit.
Und alle seine Freunde gingen in öffentliche Badeanlagen.
Eigentlich könnte er auch eine Runde mit dem Auto fahren und Girls nachflirten.
Und danach gleich down wie vorher zurückkommen, weil sich nichts geändert hatte.
Eigentlich könnte er auch in die Stadt einkaufen gehen. Alleine.
Eigentlich könnte er auch Basketball spielen. Alleine.
Eigentlich könnte er auch mit seiner Freundin im Zimmer liegen und Zärtlichkeiten austauschen. Wenn sie da wäre.
Tja, natürlich konnte er das alles machen, aber erstens würde ihm das keinen Spaß machen und zwar weil er zweitens das alles alleine machen müssen würde.
Irgendwie hatte sein Leben momentan den totalen Tiefpunkt erreicht.
Es kam ihm in letzter Zeit so vor als wäre sein Haus und er für den Rest der Welt unsichtbar geworden.
Kein Anruf. Außer von seinem Chef.
Keine Post. Außer Rechnungen.
Keine Besuche. Außer von seinen...Kunden.
Schreckliche Bezeichnung. Schrecklicher ......„Beruf“. Wenn man es so nennen wollte.
Gab es ihn überhaupt noch? So langsam war er sich da selber nicht mehr sicher.
Tag für Tag das Gleiche. Das einzige Lebewesen das bei ihm war, war sein kleiner Hund.
Und der zerbiss ihm immer den Arm.
Aber das würde wohl wenig auffallen. Nicht unter den ganzen anderen Kratzern, die er am ganzen Körper verstreut hatte.
Abgesehen von seinen vielen blauen Flecken, die er am ganzen Körper verstreut hatte.
Und der Schramme auf seinem Kinn.
Und seinem Veilchen.
Und der Schwellung auf seiner Wange.
Er hasste es wenn sein „Boss“ ihn schlug. Aber gehörte das nicht zu einem richtigen Zuhälter dazu? Nun gut, er lebte sehr nach diesem Klischee.
Aber es sah ihn sowieso keiner, also konnte er mit sich machen was er wollte.
Er könnte sich genauso gut die Arme aufritzen und keinen würde es interessieren.
Könnte er. Mit einer Nadel. Oder mit einem kleinen Reißnagel. Ja das könnte er glatt tun.
Aber er tat es nicht.
Weil er es schon längst getan hatte.
Es war die einzige Art mit dem Alleinsein und seinen Problemen fertigzuwerden.
Natürlich war es keine Lösung und brachte ihn auch nicht wirklich weiter, aber es war für kurze Zeit leichter zu ertragen.
Wenn er sich den Reißnagel in die Haut steckte und einen langen Ritz über die ganze Länge seinen Unterarmes machte, brannte dieser rote Strich danach zwar ziemlich aber genau dieser Schmerz half ihm.
Da fühlte er seinen Körper wenigstens wieder intensiv, da wurde er daran erinnert, dass dieser Körper eigentlich ihm gehörte. Nicht den ganzen Typen die ihm jegliches Gefühl von Selbstachtung genommen hatten.
Und wenn er diesen Schmerz hatte, hatte er keine Zeit sich alleine zu fühlen.
Obwohl er es war.
Der CD-Player schaltete weiter auf "That’s when I’ll Stopp loving you". Ein Liebeslied.
Das war IHR Lied gewesen. Von ihm und seiner Freundin.
Aber gut, das war ja eigentlich ziemlich vorbei. Wer wollte auch mit einem Typen wie ihm zusammen sein? Das ließ sich nicht gut vereinbaren.
Seine Freundin hatte sich schon lange nicht mehr bei ihm blicken lassen.
Eigentlich hatten sie ja gar keinen Streit oder so etwas und sie war auch nicht unfreundlich, wenn sie sich mal sahen. Aber irgendetwas passte nicht.
Sie war fast den ganzen Tag über weg. Irgendwo mit ihren Freundinnen, oder wusste der Teufel wo. Wenn er Glück hatte, schaute sie ein, zwei Mal am Tag vorbei.
Dann holte sie sich Geld oder zog sich um. Danach verschwand sie wieder.
Nachdem sie einmal „Hallo!“ und einmal „Tschüs!“ gesagt hatte. Nein, er durfte nicht ungerecht sein, einmal hatte sie ihn sogar gefragt wie es ihm ging. Allerdings war sie schon weg gewesen, bevor er antworten hatte können.
Meistens kam sie spät in der Nacht nach Hause. Dann zog sie sich leise aus und legte sich neben ihn ins Bett. Ohne ein Wort, ohne eine nette Berührung.
Aber er konnte ihr das nicht verdenken...er würde sich auch nicht berühren wollen.
Am Morgen war sie meistens schon auf wenn er aufwachte. Wenn er früh aufstand, verabschiedete sie sich mit einem flüchtigen “Bis dann!“ von ihm und entschwebte mit einer Freundin aus der Tür.
Aber oft war es auch vorgekommen, dass sie überhaupt nicht nach Hause gekommen war und er alleine schlafen musste. Obwohl das keinen großen Unterschied machte, denn wenn sie da war merkte er von ihr genauso wenig.
Trotzdem. Es ging ihm mittlerweile schon nur mehr um ihre Nähe. Um zu spüren, dass jemand bei ihm war.
Er wusste gar nicht ob er überhaupt näheren Kontakt haben wollte. Von Sex hatte er momentan ja genug. Nur leider nie Sex, den er auch wollte.
Nie mit seiner Freundin. Nicht mal mit Mädchen....selten war eine Frau dabei.
Größtenteils kamen nur Männer zu ihm.
Fette, alte Männer.
Dünnere, junge Männer.
Manchmal auch fesche Männer.
Wilde, brutale Männer. Männer die vor Geilheit nicht mehr richtig sehen und hören konnten.
Männer, die vorsichtig und sanft waren und versuchten ihm nicht weh zu tun. Die waren in der Minderheit. Eh klar.
Irgendwie wünschte er sich ja Zärtlichkeit. Aber Zärtlichkeit, die ernst gemeint war und nicht nach Bezahlung ablief. Zärtlichkeit und Liebe.
Aber liebte seine Freundin ihn überhaupt noch?
Das nächste Lied war "If I’m not the one you want".
Seine Freundin war nie da und wenn sie bei ihm war, behandelte sie ihn….ja wie eigentlich?
Nein, nicht böse. Und auch nicht kühl oder so etwas. Einfach anders.
Uninteressiert. Als wäre er langweilig geworden. Wie etwas, das sie nun schon lange hatte und das nun ganz normal und gewöhnlich geworden war.
Etwas das sie nicht mehr interessierte......?
Wahrscheinlich hatte sie einen Anderen. Er behandelte diesen Gedanken ganz kühl, ganz ruhig. Sie hatte ziemlich sicher einen anderen. Oder gleich mehrere.
Hey, er bildete sich das nicht ein.
Er hatte in ihre Brieftasche gesehen. Eigentlich wollte er ihre Rose hineingeben. So als Versöhnung...romantisch sein eben...damit sie wieder zusammenfinden konnten.
Sie hatte mehrere Bilder in ihrer Brieftasche. Von Jungs. Und keiner davon war er.
Es waren alles Jungs zwischen 16 und 25 und er kannte keinen davon.
Sie anscheinend aber schon. Er fand noch drei Kondome. Und ein paar Tage später war es nur mehr eines.
Irgendwie wollte er ihr die Rose dann doch nicht mehr schenken.
Er stand auf und ging ans Fenster.
Hey, da draußen war ja ein Freund von ihm!!!........er fuhr gerade mit seiner Freundin weg.
Okay, dann eben nicht. Anscheinend interessierte sich wirklich keiner mehr für ihn.
Außer seine Kunden. Die kamen immer. Pünktlich und regelmäßig.
Also wie konnte er sich da denn bitte alleine fühlen? Wo die doch immer alle sooo nett zu ihm waren.
Verdammt er konnte nichts dafür, dass er diesen Scheiß Job machen musste. Warum mussten alle seine Freunde ihren Kontakt zu ihm deswegen abbrechen.
Wie sollte er denn weitermachen? Was sollte er tun? Andauernd bekam er Weinkrämpfe und dann holte er sich wieder einen Reißnagel. Allerdings ging es mit Glasscherben noch besser.
So konnte es nicht weitergehen.....
Sollte er seine Freundin betrügen und es ihr damit heimzahlen? Aber nein, das war sinnlos.
Außerdem hatte er von Sex ohne Liebe eh genug.
Wie konnte er das nur loswerden? Gar nicht. Davon konnte er nicht mehr los.
Von der Einsamkeit auch nicht, die verfolgte ihn immer. Die ließ ihn nie alleine.
Ob man auch im Tod einsam sein konnte?
Aber nein, im Tod gab es ja nur schöne Gefühle. Das wäre doch mal etwas.
Aber wenn er sich umbrachte, was würden denn die anderen sagen?
Welche Anderen?
Seine Freundin? Die war sowieso nie da und sie hatte wahrscheinlich ihre fünf anderen Lover, die praktischerweise noch lebten.
Seine Freunde? Welche Freunde. Er fragte sich ob sie es überhaupt bemerken würden.
Er stand auf.
Schade. Schade. Er hätte den Tag zu etwas Anderem nutzen können. Aber wozu.
Es war ja sinnlos.
Er würde jetzt nie mehr einsam sein. Seine Freundin würde ihn nie mehr betrügen können.
Er würde nicht mehr am Strich gehen müssen. Er war jetzt frei.
Er nahm eine Dose, gefüllt mit kleinen, weißen Tabletten und öffnete sie. Er hätte sich nie gedacht, dass er sie wirklich mal benutzen würde.
Die Tabletten schmeckten bitter und trostlos. So wie sein Leben.
Er schluckte sie alle, bis die Dose leer war.
Nach kurzer Zeit schon wurde ihm ziemlich schwindlig.
Tschüs, alle miteinander. Er lächelte traurig.
Keep smiling! dachte er. Das war immer sein Spruch gewesen.
Dann fiel er um.
Noch bevor sein Körper am Boden aufschlug war seine Seele schon entflogen.
Im CD-Player lief jetzt "Bye, bye, bye".

 

Hi, Shiningstar,

deine Geschichte hat mir recht gut gefallen, zumal sie in einem Bereich der Gesellschaft angelegt ist, der meist tabuisiert wird. Es gibt allerdings ein paar Dinge, die du mir noch erklären müßtest.

Zitat: Er haßte es, wenn sein Boss ihn schlug.

Frage: Warum?
denn: Seine Kunden kamen immer pünktlich und regelmäßig. Geld brachten sie wohl auch, da für die Freundin etwas davon übrig war.
und: offensichtlich lehnt er sich gegen seinen "Job" und die "Freundin", zumindest nach außen hin, nicht auf, da er sonst etwas daran geändert hätte.

Zitat: Sollte er seine Freundin betrügen und es ihr damit heimzahlen?

Frage: Worauf läuft das, was er mit Männlein und Weiblein tut, eigentlich hinaus?

Lob: gutes Thema und gut vermittelte Gefühle.

Gruß Antonia

:)

[Beitrag editiert von: Antonia am 31.01.2002 um 22:41]

 

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