- Beitritt
- 13.04.2003
- Beiträge
- 7.604
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 39
Lust der Scham der Lust
Drei Worte: »Bitte verpiss dich!«
So stand er vor mir, sah mich durch die kleinen Schlitze, zu denen er seine Augen zusammengezogen hatte, an, ballte die Hände neben seinen Oberschenkeln zu Fäusten.
Er hatte einen Ständer und die Eichel glänzte violett durch den Vorsaft. Er bebte vor Erregung und doch sagte er diese drei Worte: »Bitte verpiss dich!«
Nicht nur das Wort Bitte irritierte mich. Zwei alte Männer, beide so um die fünfzig, hockten genervt, gelangweilt und ebenso erigiert auf unserem Bett, der eine am Fuß-, der andere am Kopfende. Und beide waren gerade dabei gewesen, Kevin im Walzertakt zu penetrieren, als ich in die Wohnung kam. Einer in den Mund, der andere in den Anus. Kevin hatte ausgesehen wie ein Hund, der sich auf den Rücken gelegt und alle Viere von sich gestreckt hat, damit man ihm den Bauch krault. Doch die Männer haben ihn nicht gestreichelt, nur penetriert, während sie sich dabei vor seinen Augen routiniert und gefühllos küssten, bis sie mich wahrnahmen und von ihm abließen.
Kevin war, sowie er mich entdeckt hatte, aufgesprungen und auf mich zugelaufen, nicht um sich zu entschuldigen, nicht um etwas zu erklären, sondern nur, um Schlimmeres zu verhindern, was immer auch dies sein könnte.
»Bitte verpiss dich!«
Mich irritierten die Spuren von Exkrementen auf seiner Haut, die Schatten von Erniedrigung und Demütigung, am meisten aber irritierte mich sein Blick.
Die zusammengezogenen Augen strahlten gleichzeitig befriedigt und flehend. Seine Stimme klang stockend und eindringlich. Sein Mund zuckte, als wollte Kevin ein Lächeln unterdrücken, das mich provozieren würde. Und gleichzeitig lag tiefes Entsetzen über allem.
»Bitte verpiss dich! Wenigstens noch für eine Stunde. Dann ist alles wieder wie es war.«
»Wie stellst du dir das vor?«
»Bitte!«
»In Ordnung.«
Ich hielt mich nie für eifersüchtig, wir hatten eine offene Partnerschaft vereinbart, die bisher nie auf die Probe gestellt wurde. Und doch hatte ich wie jeder schon ab und zu theoretisch die Möglichkeiten durchgespielt.
Zu oft sah man in Filmen diese Situation Inflagranti, um von hypothetischen Überlegungen verschont zu bleiben. Wie würde ich mich wohl verhalten?
Ich hatte gedacht, mein Herz bliebe stehen, wenigstens für eine Minute. Ich hatte mir vorgestellt, in einen Taumel zu geraten, in einem Strudel zu verschwinden wie Wasser aus der Badewanne. Ich hatte gehofft, cool zu bleiben und zu fragen, ob ich mitmachen könnte.
Doch das, was ich wirklich in meiner Unruhe spürte, hatte ich nicht erwartet: Liebe und Erbarmen.
Ein Blick auf die Uhr, einer in das flehend leuchtende Gesicht, eine Drehung und die Schritte durch die Tür, das schlechte Gewissen, zu früh gekommen zu sein und ihn überrascht zu haben.
Das Herz klopfte zu schnell für Langeweile, der Regen war nicht stark genug, um mich in ein Café oder eine Kneipe zu setzen und die Gedanken zu Espresso oder Bier und zwanzig Zigaretten kreisen zu lassen.
Ich wusste nicht, wohin ich ging, die Nässe schien auf mir zu verdunsten. Es gab keine Ampel, keinen Baum, kein Auto, nicht einmal Asphalt und Gehwegplatten. Es gab keinen Fußgänger, kein Kinderlachen, kein Geräusch, keine Farbe. Es gab nur Gedanken wie Mücken, doch so schnell, dass ich nicht einen davon blutig in den Händen sah, wenn ich klatsche. Ich ging, als ob mich jemand jagen oder zur Eile treiben würde, lief, als könnte ich etwas verpassen, versuchte mich zu langsamen Schritten zu zwingen, sie zu zählen, damit ich nur bei jedem fünfzigsten auf die Uhr schaute. Fünfzig Schritte – drei Minuten. Beim nächsten Mal mussten es vier sein. Idiotische Rekorde für mich selbst, um die Grübeleien zu verscheuchen, bis ich endlich wieder in die Wohnung konnte.
Nicht blutig an meinen Händen, sondern juckend in meinem Hirn hafteten Fragen, als hätten es Mücken aus dem Schwarm geschafft, mich mit Warums zu stechen.
Stich.
Die Männer boten alles, was ich nicht konnte. Sie waren korpulent, widerlich behaart, jedenfalls am Körper. Der eine hatte eine Glatze, der andere lächerlich blond gefärbtes Haar, das nicht zu den Falten und groben Poren in seinem Gesicht passte. Sie waren mindestens doppelt so alt wie Kevin oder ich.
Stich.
Warum bei uns, nicht in irgendeinem Bett in einem Hotel oder bei den Männern? Er hatte doch damit rechnen müssen, dass es mal schief geht. Oder war ich seine Versicherung für den Fall, dass es schiefgeht?
Stich.
Wir hatten doch Spaß, nie hat Kevin sich beschwert, ihm würde bei mir etwas fehlen, nie hat er mich um härtere Gangart gebeten. Habe ich übersehen, dass er mir etwas vorspielte? Ich konnte seine Orgasmen doch spüren, ich habe sie gesehen, wenn ich ihm das Kondom abzog und es entsorgte.
Stich.
Ich hatte mir nur eingebildet, ihn zu kennen. Was wusste ich über ihn oder was gab es noch, das ich nicht über ihn wusste? Seine Eltern waren doch nett, hatten mich als Schwiegersohn ins Herz geschlossen, mit uns gelacht und gescherzt. Haben sie ihn geschlagen oder missbraucht? Ich hatte immer gedacht, er erzählte nichts über seine Kindheit, weil es nichts zu erzählen gab.
Sechs Minuten für fünfzig Schritte, das war mein Rekord. Langsamer habe ich es nicht geschafft.
Schweigend verfolgte Kevin meine Wege durch die Wohnung. Er hatte geduscht. Sein Haar war noch feucht, in seinem Bademantel saß er auf dem Sofa. Aus dem Bad hörte ich die Waschmaschine. Das Bett war frisch bezogen.
Stich.
Alle zwei Tage wechselte er die Bettwäsche. Ich hatte es immer für einen Tick gehalten.
Die Küche war aufgeräumt, alles Geschirr abgewaschen. Es lief keine Musik, der Fernseher blieb dunkel und stumm. Die Welt tobte draußen, bei uns hatte sie keinen Einlass.
Keiner der Stiche ließ sich in Worte fassen. Ich wollte, Kevin suchte Erklärungen, doch uns fehlten die Fragen.
Ich konnte mich nicht zu ihm setzen. Wenn ich schummelte, schaffte ich die fünfzig Schritte in zehn Minuten, aber dazu musste ich vor dem Fenster stehen bleiben und das Leben betrachten.
»Ich wollte nie, dass du mich so siehst.« Seine Stimme klang trotzig, fast wie ein Vorwurf.
»Hast du dich wenigstens geschützt?«
»Was hältst du von mir?«
Ich versuchte, den Stolz in seinem Gesicht zu finden, den ich immer an ihm geliebt hatte.
»Es war ja offensichtlich alles falsch, was ich bisher über dich gedacht habe.«
Ich brauchte nur drei Minuten, auch wenn mir die Zeit viel länger vorkam. Es war bescheuert, dauernd auf die Uhr zu schauen, als hätte ich noch etwas vor, als würde es irgendetwas ändern, dass die Welt sich weiterdrehte.
»Wenn du willst, kannst du mich auch mal so benutzen. Aber es wäre das Ende für uns.« Herausfordernd mahnte sein Ton mich an unsere Abmachung. »Vielleicht ist es das ja sowieso.«
Ich wage es, ihn anzusehen, zehn Schritte, die ich zu ihm gehen könnte.
Stich.
Wie werde ich ihn sehen, wenn ich ihn wieder berühre? Kann ich das Bild geil glänzender Unterwürfigkeit aus den Augen verbannen, die Kot- und Urinspuren wegdenken, die hechelnde Zunge?
Ich bleibe beim Fenster stehen.
»Andere können es mit Liebe verbinden. Ich schaffe es nicht. Darum habe ich es dir nicht gesagt. Mich macht es nur geil. Ich spritze ab, wenn sie mich vollsauen und wie Dreck behandeln, aber danach verachte ich sie dafür, wie Tiere über mich herzufallen.«
Vier Minuten, in denen ich vom Fenster zur Küchentür wanderte, ins Bad schaute und schwieg. »Ich möchte dich nicht so benutzen, Kevin«, sagte ich endlich. »Ich kann dich nicht einfach rammeln. Weder hätte ich Lust dazu noch könnte ich dir hinterher in die Augen sehen.«
Stich.
Die Augen. Ich vermied sie doch auch jetzt, seine Augen. Ich hatte Angst vor dem Ausdruck nackter Ekstase. Er stand auf, folgte mir, versuchte mich festzuhalten. »Bleib endlich stehen!« An den Schultern drückte er mich aufs Sofa, kniete sich auf mich und hielt mich fest. Der Bademantel hatte sich geöffnet, ich sah seine haarlose Brust, seinen flachen Bauch, die Rippen, seinen Herzschlag. Ich sah, was ich liebte, was mich sonst scharf machte und seinen schlaffen Schwanz.
Stich.
Ich sah die Erniedrigung, den Schmutz auf seinem Körper, die Spuren devoter Lust.
»Nicht, Kevin.« Ich hatte mir immer eingebildet, es würde mir nichts ausmachen, ich könnte ihn lieben, ohne ihm seine Freiheit zu nehmen. Ich hatte geglaubt, ich wäre tolerant den Spielarten gegenüber. Und jetzt wusste ich nicht, war es Liebe oder Mitleid, was ich empfand. Ich hatte Angst, ihn zu verlieren.
»In Ordnung«, sagte er. Es war kein Trotz, kein Stolz mehr in der Stimme. Er schluckte, stand auf und ging in die Küche. Ich hörte die Kühlschranktür klappen und folgte ihm.
»Fang jetzt nicht an, mich zu verwöhnen«, sagte ich. »Wenn, kochen wir gemeinsam.«
Er nickte, holte zwei Paprikaschoten aus dem Gemüsefach und legte sie auf den Tisch.
Wir setzten uns einander gegenüber, er schnitt die Paprika, ich die Peperoni und die Zwiebeln. So hatte ich einen Grund für die Tränen.
»Liebst du mich?«, fragte er.
»Ja.«
»Hältst du es aus? Ich weiß nicht, ob ich darauf verzichten kann. Aber auf dich möchte ich nicht verzichten.«
Wie gern hätte ich die Stärke gehabt, ja zu sagen. Doch ich saß über das Schneidebrett gebeugt, rieb mir die Finger mit dem Peperonisaft in die Augen und sah ihn nicht an.
»Ich weiß es nicht. Im Moment weiß ich gar nichts. Wie kommt es, dass es dich so anmacht?« Ich druckste herum, hob meinen Kopf, sah die Wärme in seinem Gesicht und die bange Frage, ob ich bleiben würde. »Wurdest du mal ...?«
Er schüttelte den Kopf. »Jedem anderen hätte ich die Frage übel genommen. Aber nein. Es bedarf keines Traumas für solche Fantasien.« Ein Stück Paprika fiel ihm auf den nackten Bauch, er hielt es mir hin. Ich öffnete automatisch den Mund, damit er mich füttern konnte. Das war eine Fantasie, die wir oft auslebten. Uns mit Nahrung zu dekorieren, die wir uns von den Körpern leckten.
Kevin lächelte. »Du hältst es aus.«
»Ich weiß es wirklich nicht. Aber ich möchte dich auch nicht verlieren. Ich wünschte, ich wäre nicht zu früh gekommen.«