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Machenschaften

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19.03.2003
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Machenschaften

Machenschaften


„Du bist verrückt!“
Katrin schaute mich bestürzt an.
Ich merkte, wie ich eisig wurde.
„Wie kannst du das behaupten? Hast du eine Vorstellung von dem, was ich dir erzählt habe, oder blockst du einfach nur ab?“
„Ist ja schon gut, ich denke nur, dass es gefährlich ist.“
Gefährlich? Konnte Katrin nachvollziehen, wie es mir erging? Sicher ich könnte meine Gesundheit, vielleicht sogar mein Leben riskieren, aber was bedeutete es schon gegen das, was ich durchmachte?
„Du hast recht. Aber ich bin mir dessen bewusst. Ich möchte, dass du mit niemandem darüber redest.“
„Aber warum denn? Katrins Augen weiteten sich argwöhnisch.
„Mensch! Begreife es doch! Niemand darf mich aufhalten. Dir als meiner Freundin habe ich es anvertraut. Falls mir etwas passiert, kannst du es wenigstens aufklären, wenn es sein muss.“
Meine Stimme klang beschwörend. Aber mein eindringliches Beharren hatte seinen Sinn. Katrin musste schweigen. Ich verlangte viel von ihr. Offensichtlich missfiel ihr meine Idee. Ich bemerkte ihr Unbehagen.
„Warum gehst du nicht zur Polizei?“, bedrängte sie mich.
„Und dann? Glaubst du, ich habe nicht daran gedacht? Aber wie soll ich es beweisen?
Die Polizei kann mir nicht helfen.“ Diese bittere Erfahrung hatte ich bereits hinter mir. Mehrfach hatte ich um Hilfe gebeten. Ohne Erfolg. Jedes Mal zuckten die Beamten mit den Schultern. Deren Hilflosigkeit machte mich rasend. Es genügte nicht, dass ich vor einer Bedrohung Angst hatte. Mir musste etwas passiert sein, bevor sie tätig werden konnten. Hilfe bekam ich erst, wenn mein Nasenbein gebrochen war, oder mir sonst wie Gewalt angetan worden war.
„Vielleicht findet es ja doch einmal ein Ende.“ Katrin wagte noch einen Versuch, mich umzustimmen.
„Hör bitte auf Katrin. Mein Entschluss steht fest.“, wehrte ich ab.
Ich wollte nicht mehr diskutieren. Ich war es leid, hingehalten zu werden.
„Wenn du annimmst, dass du das Richtige tust, werde ich es akzeptieren. Ich wollte dir nur begreiflich machen, dass ich mir Sorgen um dich mache."
Ihre Stimme versagte fast, als sie das sagte. Sie nahm meine Hand und drückte sie fest.
Leise fuhr sie fort: „Und wann willst du es tun?“
Ich entzog ihr meine Hand. Hatte ich sie überfordert, als ich sie heute mit meiner Idee überrascht hatte? Sie wusste doch, dass ich diese Situation nicht mehr ertragen konnte. Sie kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich nicht ewig verharren konnte. Ich war nicht der Typ, der Konstellationen aussaß. Dazu war ich zu impulsiv.
„Heute noch.“
Mir war wichtig, dass Katrin mich moralisch unterstützte. Sie war der einzige Halt, den ich noch hatte.
„Bitte, versuche mich zu verstehen, wenn ich nichts unternehme, werde ich ihm weiter ausgeliefert sein. Diese Ohnmacht ist schrecklich. Ich muss es beenden.“
Katrin umarmte mich.
„Ich habe doch nur Angst um dich. Was ist, wenn der Kerl dir auflauert und du dich nicht wehren kannst?“
Ich lächelte ihr nochmals aufmunternd zu. Sie sollte sich nicht um mich sorgen. Ich hatte alles im Griff.
„Keine Angst, ich bin doch darauf vorbereitet. Ich rechne mit ihm und das ist mein Vorteil.“
Meinen Weg nach Hause, versuchte ich schnellen Schrittes zurückzulegen. Obwohl ich das Auto hätte nehmen können, war es passender, zu Fuß zu laufen. Es sollte den Anschein haben, als ob ich es eilig hätte. In Wirklichkeit lag ich auf der Lauer. Die Dunkelheit sollte mir helfen. Es war eine Gelegenheit, die ich bieten wollte.

2.
Manchmal dachte er frühmorgens um fünf Uhr, es müsse doch noch etwas anderes geben, als diese ewige Tretmühle von Schlafen, Arbeiten, Haushalt, Fernsehen und wieder Schlafen. Es war immer das Gleiche. Die Musik weckte ihn und er konnte kaum aus den Augen schauen, weil er wieder zu lange bei einem oder auch mehreren Bieren vorm Fernseher gehangen hatte. Es war nicht so, dass ihn das Programm sonderlich interessierte. Meist zappte er ohne Begeisterung von einem Kanal zum anderen. Er ließ sich berieseln. Kurz gesagt, er schlug seine Feierabendzeit tot, weil ihm nichts Besseres einfiel. Er war träge. Seine Emotionen versteckte er unter einem dicken Mantel wabbeliger weißer Haut. Bisweilen zeigte sein Panzer Risse. Er haderte mit sich und suchte Auftrieb, wenn er unter seinem langweiligen Dasein litt. Unlängst hatte er sich zum wiederholten Male vorgenommen, sein Leben zu ändern. Es sollte spannender werden. Also wünschte er sich zu seinem Geburtstag von den Arbeitskollegen einen Fallschirmsprung. Vielleicht wollte er ein bisschen angeben, sich interessant machen, denn im Büro hatte er sonst nicht viel zu sagen. Er war nicht nur dick, er war auch ein farbloser Typ. Keiner, auf den die Frauen fliegen. Larissa, die Bürogehilfin lachte ihn aus, als er seinen Wunsch äußerte. Sie stand vor ihm, mit der Sammeltasse in der Hand, in der sie fünfundzwanzig Euro für ihn zusammengetragen hatte. In dem Großraumbüro arbeiten vierzig Menschen. Er war deprimiert, dass die Mitarbeiter so wenig für ihn übrig hatten. Er war auch noch unbeliebt. Das hatte ihn getroffen. Diese Erkenntnis brachte ihn jedoch nicht weiter. Ihm fehlte die Kraft und die Rückendeckung eines Vertrauten.
Es blieb bei seinem Leben wie es war. Nur Morgens um fünf Uhr, wenn er aus seinen abenteuerlichen Träumen erwachte, war er rebellisch und wollte seine Welt aus den Angel heben.

3.
Ich kam unbeschadet zu Hause an. In meiner Wohnung war es kalt. Ich fasste an die Heizkörper. Die Platten gaben keine Wärme ab. Mein Blick auf das Thermostat bestätigte mir, was ich vermutete. Er war wieder in meiner Wohnung gewesen.
Ich hatte alle Heizkörper aufgedreht. Nun waren alle zurückgestellt.
Meine Ängste drohten, mich zu überrollen. Was bezweckte er damit? Was wollte er von mir? Ich versuchte, die aufkeimende Panik zu unterdrücken, indem ich ans Telefon ging und Katrin anrief. Sie meldete sich beim ersten Klingeln.
„Meike?“
„Ja, ich bin zu Hause.“
Ihre Besorgnis tat mir gut. Es war zwar nur ein schwacher Trost, dennoch fühlte ich mich nicht mehr so schutzlos.
„Er hat es schon wieder getan.“
„Was war es diesmal?“
„Er hat meine Heizung abgedreht. Es ist saukalt hier.“
„Bist du dir sicher?“
„Aber ja doch. Ich bin doch nicht verrückt.“
„Du hast doch das Schloss ausgewechselt.“
„Ich weiß doch auch nicht, wie er hier hereinkommt!“
Ich schrie verzweifelt diese Worte in das Telefon.
Katrin antwortete mir nicht. Tränen schossen mir in die Augen.
„Glaubst du mir nicht?“
Ich hörte, wie sie tief durchatmete.
„Sicher glaube ich dir. Du bist doch meine beste Freundin. Du solltest trotzdem zum Arzt gehen. Vielleicht zum Psychologen.“

Ich biss mir mir auf die Lippen. Tatsächlich stand ich am Rande eines Nervenzusammenbruches. Diese Ungewissheit machte mich fertig. Wann hatte ich mich das letzte Mal unbeschwert mit einem Menschen unterhalten können? Mein neugeborenes Misstrauen hemmte mich. Ich war nicht mehr die Frau, die ich einst war. Meine Lebensfreude war verlorengegangen. Meine Tatkraft erschöpfte sich durch das ständige Grübeln. Meine Ausgelassenheit, mit der ich durch mein Leben ging, war nur noch eine gespenstische Erinnerung. Mein jetziges Dasein war einerseits durchzogen von lähmender Angst und andererseits von verzerrender Wut, die mich auffraß. Meine Ohnmacht entsetzte mich. Ich wollte ihm die Stirn bieten. Aber mein unsichtbarer Feind war nicht greifbar. Er belauerte mich, ließ mich wissen, dass er allmächtig und ich nicht in der Lage war, seinen subtilen Machenschaften Einhalt zu bieten.
Diese Situation ging an meine Substanz. Zuerst versteckte ich mich. Ich zog mich zurück und versank in eine Depression. Doch irgendwann tröpfelte ein Gedanke durch meinen Geist. Der Einfall nahm Formen an. Ich entwarf einen Plan. Das Ziel klar vor Augen, gab mir den nötigen Antrieb. Ich war bereit zur Konfrontation. Ich musste meinen Widersacher entlarven. Noch hielt er sich feige im Verborgenen. Doch ich ahnte, dass er es genießen wollte, welche Macht er über mich hatte. Er würde sich mir offenbaren, wenn er die Gelegenheit dazu bekäme. Dann konnte ich ihm die Maske vom Gesicht reißen. Dieser Wunsch war inzwischen tief in mir verwurzelt. Es gab kein Zurück mehr.

Ich nahm mich zusammen, um Katrin keinen weiteren Anlass zu bieten, mich vom meiner Idee abzuhalten.
„Das ist nicht nötig. Ich gehe ins Bett. Gute Nacht, Katrin.“
„Gute Nacht, Meike. Pass auf dich auf.“
Ich legte das Telefon neben mein Kissen. Es sollte griffbereit liegen. Seit dreizehn Wochen teilte das Telefon das Bett mit mir. Hatte es erst vor einem viertel Jahr angefangen? Oder fiel es mir da erst auf? Wie oft dachte ich, ich sei vergesslich, wenn ich meine Uhr oder meinen Autoschlüssel nicht wiederfand? Mir war kalt. Ich legte mich ins Bett. Heute griff ich nicht zu den Schlaftabletten. Ich fiel in einen unruhigen Schlaf. Meine Träume hatten sich verändert. Ich war nicht mehr das Opfer, das sich ängstlich verkroch. Ich war zum Kampf gegen einen Gesichtslosen angetreten.


4.
Es war wieder Montag.
Das Wochenende hatte er bei seinen Eltern verbracht, die ihm die ewige Frage stellten, wann er endlich heiraten würde. Einsilbig antwortete er ihnen stets, dass er die Richtige noch nicht gefunden hatte. Sein Vater kommentierte dies spöttisch mit, welche Frau wartete schon auf so einen Versager, während seine Mutter ihn halbherzig in Schutz nahm, die jungen Mädchen taugten doch auch nichts, heutzutage. Er fühlte sich gedemütigt, denn er war fünfunddreißig Jahre alt und er glaubte nicht einmal daran, dass sich eine Frau seines Alters für ihn interessieren könnte. Die jungen Mädchen, von denen seine Mutter sprach, lachten über ihn, denn sie fanden ihn komisch. Seine Eltern kränkten ihn, wenn sie so über ihn sprachen. Er spürte, wie ungerecht sie ihm gegenüber auftraten.
Warum ließen sie ihn nicht in Frieden? Warum nörgelten sie fortgesetzt, wenn er sie besuchte? War es zuviel verlangt, wenn sie sich einfach nur an seinem Besuch erfreuten? Wenn er ihnen so lästig war, dann würde er nicht mehr kommen, drohte er ihnen erstickt. Er wusste, es war eine leere Warnung. Er buhlte um ein Zeichen ihrer Liebe zu ihm. Er wollte sie endlich erwidert wissen. Doch sie enttäuschten ihn zum wiederholten Male, weil sie seine Erwartung nicht erfüllten. Er reagierte trotzig. Er würde es ihnen beweisen, dass er ihre Zuneigung wert war.

Nach diesem misslichen Wochenende, war er am Montag erleichtert, wieder in sein langweiliges Leben zu treten. Wenigstens waren an seinem Arbeitsplatz noch ein paar Menschen, die ihn schätzten. Tief in seinem Herzen ahnte er, dass die Mitarbeiter nur seinen dienlichen Persönlichkeitswert sahen. Er wehrte sich nie, wenn sie ihm lästige Aufgaben zuteilten. Doch er wollte es nicht wahrhaben, dass sie ihn ausnutzten. Die Gewissheit wäre zuviel für ihn gewesen.

Meike gab ihm einen Stapel Manuskripte. Erwartungsvoll sah er sie an. Er tat ihr gerne einen Gefallen. Sie war immer freundlich zu ihm gewesen. Sie gab ihm das Gefühl, wertvoll zu sein. Meist lächelte sie ihm zu, wenn sie an ihm vorbeiging.
Doch seit drei Monaten war sie verändert.
„Können Sie es bitte für mich kopieren?“ Ihre Anspannung übertrug sich sofort auf ihn. Er ließ den Stapel fallen.
„Können Sie nicht aufpassen!“, herrschte sie ihn an. Eingeschüchtert wich er zurück. Seine dickbebrillten Augen wirkten noch größer als sonst. Er wollte etwas sagen, aber ein klebriger Kloß saß in seinem Hals fest. Sie ging fort. Er war traurig. „Warum?", hämmerte es hinter seiner Stirn. „Warum lächelte sie nicht mehr?" Sie war böse mit ihm. Sie hatte ihn angeschrieen. Sein Herz zog sich zusammen. Der Schmerz seiner unerfüllten Sehnsucht war kaum zu ertragen. Er fühlte sich zu ihr hingezogen. Er vergötterte sie auf seine stille Art. Gerne hätte er ihr seine Liebe gestanden, aber er traute sich nicht.

„Gerne Meike“, antwortete er. Doch sie hörte es nicht mehr. Ausgehungert verfolgte er sie mit seinen Blicken durch das Großraumbüro bis sie hinter ihrer Trennwand verschwand. Bekümmert versuchte er, die Wand zu durchdringen. Seine Fantasie half ihm und er verlor sich in einen seiner Tagträume. Sie begehrte ihn. Ihr loderndes Verlangen züngelte an seinen Lenden und entflammte ihn. Verschämt betrachtete er die verräterische Wölbung, die nach Erlösung suchte. Mit zusammengepressten Beinen versuchte er, seine Leidenschaft zu unterdrücken. Doch die Qual wollte nicht weichen. Er schlich sich auf die Herrentoilette und verschaffte sich Erleichterung. Er weinte, als er sein schlaffes Glied und seine Hände mit dem rauen Toilettenpapier reinigte.
Als er zu seinem Arbeitsplatz zurückging, ging es ihm besser. Heute war erst Montag
Bis zum Wochenende hatte er noch fünf Tage. Das war genug Zeit, um sie weiter zu beobachten.


5.
Ich fühlte mich bedroht und verfolgt. Ich wurde paranoid. Mein Leben war ein Desaster.
Ich ahnte, dass mein Plan, den Voyeur zu stellen, ein Strohhalm war, an den ich mich klammerte. Die Polizei hatte ich öfters angerufen. Immer wieder, wenn ich feststellte, dass er da gewesen war. Ich zeigte ihnen, was er verändert hatte. Die Zeitschriften waren nicht mehr mittig auf dem Tisch. Der Stapel lag jetzt geordnet an der rechten Kante. Meine Unterwäsche lag nicht mehr so in der Schublade, wie ich sie hineingelegt hatte. Sie ließen durchblicken, dass sie mich für hysterisch hielten.
Wer weiß denn schon genau in welcher Reihenfolge, er seine Wäsche sortiert hatte. Die Polizisten fanden keine Einbruchsspuren.
Verdammt, ich wusste es genau, denn ich hatte ihm Fallen gestellt. Ich hatte mir alles eingeprägt, als ich die Wohnung verließ. Als ich wiederkam, durchforstete ich mein Zuhause nach Veränderungen. Ich war erleichtert, wenn ich auf Anhieb nichts fand. Aber er war gerissen. Er veränderte nichts Augenscheinliches mehr. Er legte andere Spuren, die sein Dasein verrieten. Eines Abends stellte ich fest, dass mein Duschgel leer war, obwohl ich gerade eine neue Flasche angebrochen hatte. Oder ich hatte frische Milch gekauft, weil ich morgens die Letzte getrunken hatte. Als ich meine Einkäufe in den Kühlschrank stellen wollte, fand ich zwei volle Milchpackungen. Es war, als ob ich einen Mitbewohner hatte, der sich mein Domizil mit mir teilte. Ich fühlte mich schutzlos. Meine Privatsphäre war besudelt und ich war seiner hinterlistigen Willkür ausgeliefert. Ich ließ das Türschloss auswechseln. Ein paar Tage hatte ich Ruhe. Zunächst war ich erleichtert. Der Frieden war trügerisch, denn an einem Morgen, entdeckte ich, dass meine Slips alle zerschnitten waren. Wollte er mich warnen? War mein Widerstand zwecklos? Ich litt unter meinen Ängsten und zweifelte an meinem Verstand. Als ich mich Katrin anvertraute, war sie die einzige, die mir glaubte. Sie versuchte, mir zu helfen so gut sie konnte.
„Hast du einen Verdacht?“
„Nein.“
„Hast du jemanden verletzt?“
„Womit denn?“
„Vielleicht hast du jemanden abgewiesen?“
„Katrin, du kennst doch alle meine Bekannten. Traust du jemandem so etwas zu?“
„Vielleicht ein Arbeitskollege?“
„Warum denn?“
„Na, irgendwo muss doch jemand deinen Schlüssel an sich genommen und nachgemacht haben. Wo lässt du denn immer deine Tasche?“
„Im Schreibtisch. Aber wir sind doch so ein wunderbares Team. Wir vertrauen uns.“
„Allen?“

Sie war es, die mein Misstrauen schürte. Ich konnte niemanden mehr ansehen, ohne die Frage hinter der Stirn, ist er derjenige?
Das Arbeitsklima war mir nie vergiftet vorgekommen. Doch nun suchte ich penetrant nach Hinweisen bei meinen Kollegen. Der Stachel des Misstrauens vergiftete mein Herz. Die Ungerechtigkeit, die mir zuteil wurde, empörte mich. Und so verspritzte ich das Gift weiter. Mein verändertes Verhalten blieb nicht ohne Resonanz. Ich wurde nach und nach ausgegrenzt.
Es schien, als sei ich allein auf dieser Welt, meine Belange für jedermann unwichtig und störend. Es gab eine Ausnahme, denn unser Bürobote schenkte mir seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Niemand war besonders nett zu ihm. Auch ich nicht. Nur dass ich es nicht so offen zeigte, dass er mir unsympathisch war. Er war ein wenig komisch. Was verbarg er hinter seiner schüchternen Fassade? Gleichwohl ich erkannte, dass er schwach war, reichte ich das Gift an ihn weiter.


6.
Er spürte, wie unglücklich sie war. Das Unheil schwebte für ihn sichtbar wie eine Wolke über ihr Haupt. Er wollte sie beschützen. Sie war ihm lieb und teuer. Als Meike das Büro am Feierabend verließ, folgte er ihr. Es dämmerte bereits. Fiebrige Aufruhr schärfte seine Sinne. Er war auf der Jagd. Er machte das so, wie er es im Fernsehen gesehen hatte. Er hielt immer ein Stück Abstand. Sie ging nicht, wie sonst, in die Tiefgarage zu ihrem Auto. Sein Herz frohlockte, als er sie erspähte. Sie spazierte durch die belebten Straßen der City. Sie besah sich Schaufenster. Er hatte Mühe, dass sein Spiegelbild ihn nicht verriet. Unerwartet bog sie in eine Seitenstraße ein. Die Erregung ließ ihn keuchen. Was sollte er unternehmen? Wenn er ihr direkt nachkam, würde sie es bemerken. Er wartete einen Weile. Dann folgte er ihr, indem er sich dicht an die Hauswände hielt. Er presste seine massige Gestalt in die Hausnischen. Sie bog wieder in eine von Fußgängern bevölkerte Straße ein. Erleichtert schloss er wieder zu ihr auf.


7.
Ich irrte durch die Straßen. Was wollte ich erreichen? Ich wollte nicht nach Hause.
Ich versuchte den Schmerz meiner Einsamkeit zu betäuben, indem ich in die namenlose Menge der Großstadt eintauchte. Für einen kurzen Moment, bildete ich mir ein, meinen Verfolger im Schaufenster gesehen zu haben. Als ich mich umdrehte, war niemand zu sehen. Vielleicht fantasierte ich mir alles zurecht. Vielleicht hatte Katrin Recht und ich sollte einen Psychologen aufsuchen. Ich fror erbärmlich in meinem dünnen Mantel. Die Menschen um mich herum bedrängten mich. Mein Atem ging schneller und ich spürte die aufkommende Panik, als meine Brust sich verengte und mein Hals wie zugeschnürt war. Ich stand an der Ampel, um die Straße zu überqueren. Es dauerte endlos, die Zeichen wollten nicht auf grün springen. Meine innere Unruhe nötigte mich, kopflos auf die Straße zu springen. Mich scherte das Gemurmel der Anderen nicht, die hinter mir warteten. Dann verstand ich. Vor mir: ein roter Wagen. Er fuhr ohne Licht, direkt auf mich zu. Ich war wie gelähmt. Jemand schubste mich von hinten. Ich taumelte vorwärts, fiel auf den Asphalt. Hinter mir hörte ich: Ein Motor röhrte, einen dumpfen Aufschlag , das Klirren von fallenden Glassplittern, Reifen, die aufjaulten, Schreie. Ich drehte mich um.
Der Fahrer des roten Autos flüchtete. Impulsiv wollte ich es ihm gleichtun. Die Menge blieb tatenlos um den Verletzten stehen. Ich hätte verschwinden können. Niemand hätte mich aufgehalten. Ich widerstand meinem Fluchttrieb und lief stattdessen zu dem Verletzten. Ich wollte wissen, wer mich gestoßen hatte. Ich erkannte unseren Büroboten. Was machte er hier? War es Zufall? War er mein unheimlicher Verfolger? Er war mit Blut überströmt. Seine Beine wirkten seltsam abgewinkelt. Er hob seinen Kopf. Seine Lippen bewegten sich. Gebannt nahm ich seine Hand und versuchte, ihn zu verstehen.
„Ich bin ein Held.“
Dann starb er.
Der Rettungswagen und die Polizei trafen ein. Zeugen bestätigten, dass er mir das Leben gerettet hatte. Sie hatten sich das Kennzeichen gemerkt.
Das blaue Blinklicht erhellte die Dunkelheit. Sanitäter gaben mir eine Decke.
Ich wartete darauf, vernommen zu werden. Ein Polizist in Zivil kam auf mich zu.
„Die Zeugenaussagen lassen den Schluss zu, dass der rote Wagen mit Absicht auf sie zugehalten hätte. Wir haben das Kennzeichen ermittelt. Kennen Sie eine Katrin Menz?“
„Katrin?“ Ich traute meinen Ohren nicht.
„Sie ist meine beste Freundin. Warum sollte sie mich überfahren wollen?“
„Das werden wir sie fragen, wenn wir sie finden. Noch ist sie flüchtig.“


8.
Seine Beerdigung war schlicht. Die Eltern standen mit ausdruckslosem Gesicht am offenen Grab und nahmen die Beileidsbekundungen gleichmütig hin.
Als ich an der Reihe war, wollte ich, dass sie wissen wer ich war. Ich fühlte mich unerklärlich verpflichtet. Ein Mensch war meinetwegen gestorben. Er wollte mich retten und der Tod traf ihn.
„Mein Beileid, ich fühle mit Ihnen. Es ist ein großer Verlust.
Ihr Sohn ist ein Held. Er hat mir das Leben gerettet.“
Sein Vater antwortete mir:
„Er ist dabei gestorben. Was ist daran heldenhaft. Er hat nur mal wieder gezeigt, was für ein Versager er war.“
Dieser Satz machte mich fassungslos, denn er gab mir die Verantwortung für den Tod seines Sohnes ohne Mitgefühl zurück.
Dann wandte er sich ab. Seine Mutter hingegen erwiderte meinen Händedruck.
„Ich glaube, Sie haben ihm viel bedeutet.“
Sie sprach leise und leidend. Ich konnte sie kaum verstehen.
„Er hatte immer Liebe gesucht.“
Ihre Antwort berührte mich gleichfalls ungenehm. Wollte sie mir andeuten, ich hätte den Tod ihres Sohnes zu rechtfertigen? Ich wusste nicht, welche Gefühle er mir entgegengebracht hatte. Nie hatte er angedeutet, dass er mich mochte. Für mich war er immer der absonderliche Außenseiter, kein Mensch, dem ich besondere Beachtung gegeben hatte. Ich empfand für ihn manchmal ein überlegenes Mitleid, welches mich verleitete ihn anzulächeln, obwohl ich ihn nicht mochte. Hätte ich spüren müssen, wie wichtig ich ihm war?
Ich verließ den Friedhof.
Meine Gedanken wanderten zu Katrin und ihrer Aussage. Die Polizei hatte sie zu Hause aufgefunden, als sie dabei war sich selbst das Leben zu nehmen. Ich hatte sie im Krankenhaus besucht. Doch sie war in einer geschlossenen Abteilung untergebracht. Der behandelnde Arzt richtete mir aus, dass sie mich nicht sehen wollte. Weitere Auskünfte erteilte er mir nicht, sosehr ich ihn auch bedrängte.
Bei der Polizei hatte sie ausgesagt, sie wollte mich nicht töten. Sie wollte mich nur einschüchtern, damit ich von meinem Plan abließ, meinen unsichtbaren Widersacher zu stellen. Sie wollte nicht, dass ich entdeckte, dass sie hinter den heimtückischen Übergriffen steckte. Als sie auf mich zuhielt, wollte sie ausweichen. Leider war Jens hinter mich gesprungen. Er sprang direkt vor ihr Auto.
Sein Tod war auch noch sinnlos gewesen. Aber warum wollte Katrin mich leiden sehen? Was war ihr Motiv ihrer Bosheiten gegen mich? Hatte ich mir etwas vorzuwerfen? Mein Kopf antwortete mir kühl, nein, das ist nicht deine Aufgabe, die Belange der anderen über die deinen zu stellen. Aber mein Herz widersprach, verlangte Absolution. Mein Selbstbildnis wankte.
Ich hielt mich immer für einen verlässlichen Menschen. Meine Freundschaft zu Katrin war bedeutsam. Sie war ein Halt, den ich nutzte. War unsere Beziehung nur einseitig? Hatte ich ihre Sehnsüchte gekannt und ihr geholfen, ihre Träume zu verwirklichen, wenn sie einen Anstoß brauchte? So sehr ich auch in meinen Erinnerungen kramte und versuchte, mich zu rechtfertigen, ich musste mir eingestehen, ihr persönliches Dilemma hatte mich nie erreicht. Wenn ich Kummer hatte, gab sie mir Trost. Ich forderte es rücksichtslos ein. Und sie? Ihr Naturell entsprach dem eines Gebers. War es meine Schuld, dass sie nicht nehmen konnte. Plötzlich wurde mir meine Egozentrik, meine Oberflächlichkeit bewusst. Ich wollte sie nie wahrhaben, diese dunkle Seite. Die Konsequenz, die ich ziehen müsste, wäre mein Handeln zu überdenken und zu reflektieren.
Die Gesellschaft in der ich lebte, bestrafte Andersartigkeit mit Ausgrenzung. Diese Erfahrung hatte ich durchlitten. Dennoch versuchte ich lieber verlogen dazuzugehören, die Wahrheit zu verdrängen, schön zu reden und angepasst zu sein.
Dieses Verhalten widert mich an, es ekelt mich...
Ein Strafgericht hätte mich freigesprochen, aber ich habe zwei Schicksale mitzuverantworten.

 

Hallo Goldene Dame


so eine schöne Geschichte und niemand hat bisher geantwortet? Das wundert mich.

Zu dem Anfang deiner Geschichte, sehr effektvoll eingeleitet, Meike, die aus ihrer wohl so ruhigen Welt herausgerissen wird. Durch den stillen, verborgenen Terror, der durch einen imaginären Täter ausgeführt wird. Geheimnissvolles Eindringen in ihrem privaten Reich, in dem sie sich nicht mehr sicher fühlen kann. Der Möglichkeit wenigsten dort Schutz zu finden, genommen.
Es erscheint mir logisch, dass sie dieser Situation ausbrechen will. Die Konzequenz, Katrin als Mitwisser, beim Nichtgelingen ihres Vorhabens mit Einzubauen verbindet sie.
Dann das Einbringen des armen, von allen verspotteten, leider nicht sehr hübschen Arbeitskollegen, den man als erstes des Verdachtes der Täterschaft bezichtigt.
Vielleicht aus Rachegefühlen heraus, immer verstoßen zu werden?

Mit zusammengepressten Beinenversuchte er, seine Leidenschaft zu unterdrücken. Doch die Qual wollte nicht weichen. Er schlich sich auf die Herrentoilette und verschaffte sich Erleichterung. Er weinte, als er sein schlaffes Glied und seine Hände mit dem rauen Toilettenpapier reinigte.

Dann die Wendung, das Opfer gerät in Gefahr, der verdächtigte Arbeitskollege wird zum toten Retter, die vermeindliche Freundin, zur Täterin.

Am Ende fühlt sich das Opfer als Täter, als "Menschenschwein"

Ich finde du hast eine schöne Geschichte zum Darübernachdenken, über das Miteinander mit unseren Mitmenschen geschrieben.

Einen schönen Abend wünsche ich dir

Morpheus

 

Hallo Morpheus,

so eine schöne Geschichte und niemand hat bisher geantwortet? Das wundert mich.
Ich finde du hast eine schöne Geschichte zum Darübernachdenken, über das Miteinander mit unseren Mitmenschen geschrieben
Mich nicht, :D, aber nur weil die Geschichte etwas länger ist als üblich.;)
Vielen, vielen Dank, dass dies dich nicht abgehalten hat, und ich freue mich sehr über dein Lob.

Vielleicht hilft dein Resümmee mit dem du meine Geschichte kommentiert hast, dass auch das Interresse der anderen geweckt wurde.

Liebe Grüße
Goldene Dame :)

 

Dankeschön

Hallo Häferl,

Vielen Dank für deine Glückwünsche und dass du diese Geschichte wieder ans Licht gezerrt hast. Du kommentierst immer noch die Geschichten der Geburtstagskinder? Finde ich toll. :thumbsup:

Ich habe diese Geschichte anlässlich eines Wettbewerbes geschrieben.
Darüber wurde noch nicht entschieden. Aber wenn ich die Korrekturliste lese...puh!​
Was solls, ich freue mich, dass sie dir gefallen hat. Ich reiche dir gerne eine Tasse Tee, wenn ich im Juli in Kärnten bin. ;)

Es war stilistisch nicht mein erster Versuch, zwei Handlungsstränge zu verknüpfen. Mein erster Versuch Callboy wurde seinerzeit von sim "zerissen" ;) , als er auch neu bei KG.de war. Seine Hinweise habe ich mir zu Herzen genommen, nachdem ich seine Geschichten "inhaliert" habe.​

Liebe Grüße
Goldene Dame

 

Hallo goldene Dame,

lange Geschichten brauchen halt leider manchmal, bis jemand sich die Zeit dafür nimmt. Diese Geschcihte hat mir ausgezeichnet gefallen. Der Plot ist spannend wie bei einem Krimi und ähnlich geschickt legst du auch falsche Spuren über Verdachtsmoments.
Dass ich trotzdem so viele Textarbeitsbemerkungne habe, dient lediglich einer weiteren Optimierung. Nur mit deinem Schluss kann ich mich nicht anfreunden. Dazu später mehr.

Hilfe bekam ich erst, wenn mein Nasenbein gebrochen war, oder mir sonst wie Gewalt angetan wurde
Von den Zeiten her glaube ich eher:
Hilfe bekam ich erst, wenn mein Nasenbein gebrochen oder mir sonst wie Gewalt angetan worden war.
Nun denn, wenn du annimmst, dass du das Richtige tust, werde ich es akzeptieren.
Auch wenn es wörtliche Rede ist, zerstörst du dir mit der Einleitung genau die Betroffenheit Katrins.
Und wann willst du deinen Plan ausführen?“
Ich hörte an ihrem Tonfall, wie mitgenommen sie war.
Vorschlag: Drehe die Reihenfolge für die emotionale Wirkung um und beschreibe den Tonfall.
"... Sorgen um dich mache." Ihre Stimme versagte fast, als sie das sagte, so leise und brüchig war sie. "Wann willst du es tun?" Hatte ich sie ...
weil er wieder zu lange bei einem oder auch mehreren Bieren vorm Fernseher hing, anstatt rechtzeitig ins Bett zu gehen.
gehangen hatte. (da du einen Schritt weiter in der Vergangenheit zurückgehst)
Seine Emotionen versteckte er unter einem dicken Mantel wabbeliger fetter Haut.
"fette Haut" ist eine Typbezeichnung der Haut. Wenn du es auf den fetten Körper anwenden möchtest reicht "wabbeling"
Diese Worte aus ihrem Munde ließen mich innerlich aufbegehren.
Auch so ein Satz, den du entweder weglassen könntest oder das innerliche Aufbegehren durch eine Geste zeigen.
Doch ich ahnte intuitiv, dass er es genießen wollte, welche Macht er über mich hatte.
Ahnungen sind meist intuitiv, ist also ein bisschen doppeltgemoppelt und nimmt auch die Spannung.
Ich legte das Telefon unter mein Kissen.
Bei den heutigen Tastentelefonen besser neben das Kissen, sonst müsste sie die Tastensperre aktivieren und wäre dann im Notfall nicht schnell genug.
Dreizehn Wochen lang war das Telefon mein Gefährte, der das Bett mit mir teilte. Da hatte es angefangen. Beziehungsweise, da fiel es mir auf. Am Anfang, dachte ich noch, ich wäre vergesslich, als ich meine Uhr oder meinen Autoschlüssel nicht wiederfand.
Diese Passage finde ich etwas unglücklich formuliert. Vorschlag:
Seit dreizehn Wochen teilte das Telefon das Bett mit mir. Hatte es erst vor einem viertel Jahr angefangen? Oder fiel es mir da erst auf? Wie oft dachte ich, ich sei vergesslich, wenn ich meine Uhr oder meinen Autoschlüssel nicht wiederfand?
Er wusste, es war eine leere Warnung. Er buhlte um ihre Liebe. Er wollte sie endlich erwidert wissen
So hast du ausgedrückt, dass er seine Eltern nicht liebt. Er will ja seine Liebe zu ihnen erwidert wissen.
Das WE bei den Eltern dürftest du gern mehr erzählen. Im Moment wirkt es, als wolltest du dem nciht zu viel Raum geben, es könnte aber mehr Raum und mehr plastische Schilderung vertragen. So, wie du es bei seiner Begegnung mit Meike gemacht hast. :)
Ein Mensch war wegen mir gestorben.
Ein Mensch war meinetwegen gestorben. (wegen mir wird zwar laufend gesagt, das macht es aber nicht richtiger)
Meine Gedanken wanderten zu Katrin und ihrer Aussage
Natürlich möchte ich als Leser gern wissen,warum Katrin das getan hat. Allerings fnde ich es schön, wenn du die ganze Geschichte ab da noch mal überdenken würdest. Dieser Teil hat etwas von "Moral von der Geschicht", zieht mehrere Fazits, betrachtungen und Überlegungen, die sicherlich richtig sind, die aber leider langweilen. Ich finde das schade, das die Geschichte zu vor so spannend ist.

Lieben Gruß, sim

 

Lieber sim,
Du findest meine Geschichte ausgezeichnet? Hurraahhhhhh! Freuu! :)
vielen Dank für deine Vorschläge zu Optimierung meines Textes. Ich werde sie beizeiten einarbeiten.
Ich habe den Schluss der Geschichte schon zweimal geändert, weil ich auch noch nicht zu Frieden bin. :( Du hast Recht; die Wertung ist langweilig. Ich überlege noch, was ich ändere.

Liebe Grüße
Goldene Dame

 

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