Was ist neu

Maureen

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07.10.2015
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Maureen

Als ich die unbefahrene alte Landstraße entlangging, die sich zwischen den Kuppen der umliegenden Hügel durch das Tal zog, kam mir als erster Mensch, den ich heute auf meinem Spaziergang sah, eine Frau entgegen. Am Lenker des alten Fahrrads, das sie schob, hingen Milchkannen. Sie trug einen schweren Rock, um den sie vorn aus leichterem Stoff eine Schürze gebunden hatte, von deren seitlich geschnürtem Knoten breite Bänder herabfielen. Um den Hals hatte sie ein Tuch gelegt. Sie hob den Kopf und grüßte.

Ich bog von der Straße in den Pfad ein, von dem die Unbekannte gekommen war. Zwischen zwei Hügeln stieg ich eine Bodenschwelle hinauf, ging hinter ihr wieder abwärts, und gelangte an einen See, in dessen Mitte sich auf einer Insel die aufragenden Mauerreste einer Kirche erhalten hatten. Das Bild erkannte ich wieder. Der schmale und klobig ausgeführte Turm, das winzige Schiff hätten mich an eine Einsiedelei denken lassen, wenn ich nicht von meinem ersten Besuch in dieser Gegend vor vielen Jahren wüsste, dass die Insel nur den höchsten Punkt eines Weilers markierte, dessen Bewohner Maßnahmen zur Gewässerregulierung hatten weichen müssen, indem der Seespiegel bis zu seiner jetzigen Höhe aufgestaut und die Hütten unter Wasser gesetzt worden waren. Zunächst, so sagte mir ein Alter, der damals eine Strecke mit mir ging, haben die Dächer noch aus dem Wasser geragt, seien dann aber bald mit dem Mauerwerk aufgrund der ständig an dessen Standfestigkeit nagenden Feuchte eingefallen.
Wenn ich nun weiter über die Wiesen und Felder ging, musste es möglich sein, einen Landsitz wiederzufinden, der mir damals zunächst durch seine äußerliche Geschmacklosigkeit Eindruck gemacht hatte, in seinem Innern jedoch ein Werk des Künstlers Lucian Freud enthielt, das mich über die Grobheit des Gebäudes hinweggetröstet hatte. Ich bekam Lust, dieses Bildnis wieder aufzuspüren.

Wirklich sah ich von fern bald licht stehende Akazien, die mir einen Park anzeigten. Ich erkannte ihn als denselben, wie er mir in Erinnerung war. Die Umfassungsmauer öffnete sich zu einem Tor, und auch dessen starke Pfeiler mit ihren steinernen Kugeln obenauf erschienen mir bekannt. Ich wunderte mich allenfalls, dass auf den Wegen, die durch den Park führten, vollständig die Besucher fehlten. Die allerorten dem Landschlösschen aufgesetzten Türme, die ebenso wenig wie die breiten, hohen Fenster der Verteidigung zuträglich waren, der dieser Platz in romantischer Verklärung zu dienen vorgab, hatte ich nicht in derselben Klarheit in Erinnerung.
Aber die breiten Treppenstufen vor dem Portal waren doch ohne Zweifel eben die, auf denen ich damals am Ende meines Besuchs noch eine lange Weile gestanden hatte. Ich hatte die hinein- und herausströmenden Besucher an mir vorbeiziehen lassen und wollte noch nicht gehen, wollte noch, obgleich ich ja das Museum bereits verlassen hatte, die Verbindung zu dem Mädchen halten, das ich innen abgebildet gesehen hatte: Wie es den Kopf, den es auf den Ellenbogen stützte, aus dem Bett hob. Ich stand ganz unter dem Eindruck dieses Bildes, hatte sogar das unbedingte Verlangen, umzukehren und die Bettdecke, unter der das Mädchen, wie man an der bloßen Schulter, die herausragte, gewiss erkennen konnte, nackt sein musste, anzuheben und sie schützend höher um seinen Hals zu schließen, so als könnte und dürfte ich es nur mit dieser Bettdecke umarmen. Mit seinen großen Augen kam es mir vor, als würde ich es schon lange kennen.

Ich musste nicht fürchten, von Neuem in den Bann zu geraten, den mir diese Erinnerung lebendig machte, denn wie ich dem Schloss näher kam, klärte sich mir zugleich auf, warum niemand außer mir zugegen war. Über die ganze Länge der diesseitigen Fassade hingen Plastikplanen in den leeren Fenstern. Bauzäune grenzten den Zugang ein. Das Museum war offenbar nicht in Betrieb. Die Tür aber ließ sich öffnen.

Wenngleich im Innern nichts außer den fehlenden Fenstern auf eine Baustelle hindeutete und sogar Polstersessel und schwere Tische vor Ort geblieben waren, war doch alles von größerem Wert aus den Zimmern genommen. Ich konnte ungehindert durch die Flure gehen und die Räume betreten. Der geschliffene Parkettboden glänzte im stumpfen Licht.

Auf der rückwärtigen Terrasse hingegen war Bauschutt aufgeschichtet, der es unmöglich machte, den Garten zu betreten. Unter einzelnen im grauen Staub sichtbaren Trümmern und Scherben fiel mir ein Spazierstock auf, den ein kunstvoller Silberknauf schmückte. Um diesen tat es mir leid, so dass ich bis zu den Knöcheln versinkend in die Halde hineinstieg, um den Stock aus dem Dreck herauszuziehen. Mit einem Taschentuch wischte ich den Fund ab. Er lag mir angenehm in der Hand und ich erprobte ihn mit Vergnügen, indem ich daran durch die langen Flure auf und ab ging.

Ob ich der Frau, jener Greisin, die am Fahrrad ihre Milchkannen nach Hause trug, bei meinem ersten Besuch schon einmal begegnet sein mochte, und ob sie damals wohl bereits ebenso schwere Röcke getragen hatte, fragte ich mich, denn es schien mir in der spärlich besiedelten Landschaft nicht unwahrscheinlich, dass die wenigen, die sich gleichzeitig in ihr aufhielten, auch tatsächlich aufeinander treffen mussten. Während ich mich jetzt an das Gesicht der Frau zu erinnern versuchte, erschien es mir weit weniger alt, als im Moment unserer Begegnung. Die Frau, dachte ich schwermütig, dürfte damals, als ich sie womöglich ein erstes Mal gesehen hatte, kaum weniger jugendlich gewesen sein als ich.

Mir war ein maurisches Badehaus in Erinnerung, das zwar in seiner Maskerade ein ebenso falsches Spiel trieb, wie das Ritterschloss, das ich eben verließ, dabei aber ein feineres Garn spann. Die Vorstellung war mir angenehm, dort unter einer Galerie zierlicher Säulen die späten Sonnenstrahlen zu beobachten, die nun gelegentlich unter den Wolken hervorleuchteten.
Ich fand nirgends einen Hinweis darauf, an welcher Stelle in dem weiten Park dieses Badehaus zu finden sein mochte, hielt es aber nicht für irrig, einem Bach zu folgen, der womöglich in den Seerosenteich münden konnte, den das Gebäude mit seinem Säulenrund umschloss. Der Weg wechselte auf das andere Ufer. An der steinernen Brücke, die ich überqueren musste, saß ein Mann und bettelte.
So befremdlich mir das Geschäft an diesem Ort erschien, da doch, so lange das Schloss renoviert wurde, schwerlich einmal jemand hier vorbeikommen sollte, so richtig schien es mir in diesem Moment, dem Bettelnden drei Münzen in den Hut zu werfen als meinen billigen Beitrag, um hinüber zu kommen. Er sah nicht auf. Recht so, sagte ich mir. Wenn ich ihn denn als den Fährmann ansehen wollte, der mich ans andere Ufer schaffte, so durfte ich nicht erwarten, dass er mir dafür Dank sagte.

Die Akazien wichen bald wieder ganz der trockenen Weide, die das Umland prägte. Ich musste mir eingestehen, dass ich den Park hinter mir gelassen hatte, wenngleich zu dieser Seite keine Mauer und kein Tor standen, die seine Grenze markierten. Unter den Wolken leuchtete noch immer die Sonne her. Es tat mir leid, umkehren zu müssen. Da aber in dieser Richtung das maurische Badehaus sicher nicht mehr zu finden war, hielt ich zwar wohl noch einen Moment inne und stand mit beiden Händen auf den Silberknauf meines Stocks gestützt, wandte mich aber schließlich doch wieder dem Schloss zu.

Unter einem einzeln stehenden Baum am Weg reckte sich und sprang ein Junge, beinahe ein Mann, und konnte trotz aller Anstrengungen selbst den untersten Ast nicht erreichen. Er wollte wohl dem Mädchen, so dachte ich, das neben ihm stand und die gefalteten Hände vors Gesicht hielt, während es um den Erfolg bangte, einen Apfel pflücken, denn solche hingen, wie ich im Näherkommen sah, in den Zweigen.
Tatsächlich aber hatte sich eine Halskette, die der Junge dem Mädchen erst geschenkt hatte und die diesem daher viel bedeutete, im Blätterwerk verfangen. Eine Elster hatte die Kette gestohlen, als das Mädchen, das jetzt in ein großes Handtuch gewickelt stand, sie abgelegt hatte, um drüben im Bach zu baden. Die Diebin hatte den Raub bald wieder fallengelassen, und nun hing er dort oben, beinahe mit der Hand zu greifen. Mit meinem Stock, den ich im Schloss gefunden hatte, konnte ich helfen. Der gebogene Griff machte es möglich, die Kette zu fassen und aus dem Geflecht zu befreien, ohne sie dabei zu zerreißen.
„Wenn doch alles so eine glückliche Lösung fände“, sagte der Junge. Mit einem Mal war aus seinen Zügen das Leben gewichen, er schaute aus hohlen Augen auf den Boden.
„Sein Schwesterchen ist krank“, sagte das Mädchen. „Es geht um Leben und Tod, in diesen Tagen muss sich zeigen, ob die Medizin wirkt. Etwas anderes können die Ärzte nicht mehr geben.“ Sie legte den Arm um ihren Geliebten.
Der Junge mochte mich nicht ziehen lassen, ohne mir zum Dank etwas zu geben. Als einzigen Gegenstand fand er einen hölzernen Becher bei sich. Mit dem Mädchen habe er daraus getrunken, niemand anderem als mir gönne er noch, ihn zu benutzten. Gerührt über diese so unbeholfen wie aufrichtig bezeugte Zuneigung konnte ich das Geschenk nicht ausschlagen.

Ich meinte von der steinernen Brücke aus, an der der Bettler gesessen hatte, in ganz gerade Richtung vorwärts gegangen zu sein, und so glaubte ich auch, dass ich sie nun im Zurückgehen immer demselben Weg folgend zuverlässig wieder erreichen müsste. Ich war jedoch offenbar vom ursprünglichen Weg abgewichen und unachtsam einer Abzweigung gefolgt, denn ich geriet nun zwar wiederum in den lichten Hain aus hohen Akazien, fand aber den Bach und die Brücke nicht mehr.

Auf einem Fels, den ich erstiegen hatte, um über die Baumkronen hinweg mir in der beginnenden Dämmerung einen Überblick zu verschaffen, wohin ich mich wenden konnte und ob in der Ebene wohl eine Ortschaft oder eine Straße auszumachen war, saß eine Frau. Sie sah mich an und ich erkannte dieselbe, die mir am Morgen begegnet war.

Sie stand auf, wies auf die dichter werdenden Wolken und bedeutete mir, mit ihr zu kommen, denn, so sagte sie, vor dem Gewitter würde ich sonst keinen sicheren Unterstand mehr finden. Wir gingen schweigend nebeneinander her und nur selten wagte ich seitwärts einen Blick zu ihrem Gesicht, denn sie sah unbeirrt auf den Weg.
Sie hatte mich in ihr Haus geführt, da schlugen ringsum die Blitze ein. Wir standen am Fenster und hörten dem furchtbaren Sturm zu. Tropfen schlugen an die Scheiben. Du sollst die nassen Kleider ablegen, sagte sie, unbekümmert darum, dass der Regen erst begonnen hatte.
Sie legte mir einen Morgenmantel bereit, in dem ich mich hernach auch tatsächlich zu ihr an den Tisch setzte. Sie schaute beim Essen selten vom Teller auf, lächelte dann stumm und senkte wieder den Kopf. Immer von Neuem stand sie auf, lief in die Küche und holte aus dem Steinofen geröstete Austern hervor, deren Schalen sich in der Glut gerade erst geöffnet hatten.
Ein Mädchen fiel mir ein, das ich einmal im Sommerurlaub über mehrere Wochen jeden Tag zur selben Zeit heimlich traf. Nie verstand einer von uns ein Wort, das der andere sagte. Die gurrende Laute, die sie von sich gab, wenn sie in meinen Armen lag und mir etwas erzählte, dessen Sinn ich nicht verstand, lockten mich mit einer besonderen Zärtlichkeit. Ich fühlte mich von der unbekannten Lebensgeschichte eingehüllt, an der ich teilnahm, ohne mehr von ihr zu wissen.
Warum diese Erinnerung aufstieg, konnte ich mir nicht erklären, aber sie bewirkte, dass mir die Greisin selbst hinter ihren Falten wieder wie ein junges Mädchen erschien, und ich hätte gerne ihr Gesicht berührt, um meine Fingerspitzen an den zarten Linien entlang zu führen.
Dieses ungestillte Begehren ließ mich so wenig los, dass mich in der Nacht kräftige Träume umherwarfen, von denen ich am nächsten Morgen bei all ihrer betörenden Lebhaftigkeit nicht hätte sagen können, ob sie mir die Alte oder doch meine fremde Freundin von damals in die Arme gegeben hatten.

Auf einem Stuhl neben dem Bett fand ich neue Kleider. Die eigenen konnte ich nicht anziehen, denn Maureen, wie die Greisin hieß, hatte sie noch in der Nacht gewaschen und nun hingen sie zum Trocknen in einem gläsernen Schmetterlingshaus, das an die rückwärtige Seite des Hauses angebaut stand. Maureen zeigte mir die Kokons, die an den Blättern hingen, und sie führte mich durch die angepflanzten Sträucher, um mir zu jedem Gehäuse den zugehörigen Falter zu zeigen.

Sie bat mich, für uns einen Gang zu tun, denn einer von uns müsse Milch holen. Der Weg sei leicht zu finden, es gehe immer geradeaus. Sie füllte mir die leeren Austernschalen vom Abend in einen groben Sack. Mit diesen sollte ich bezahlen.
Ob ich am richtigen Ort sei, fragte ich einen Mann, der am öden Weg vor seinem Haus stand und mit einem Hammer Pflöcke in die Erde trieb, um einen neuen Zaun daran hochzuziehen.
Ich reichte ihm, was mir Maureen zur Bezahlung mitgegeben hat. Der Mann fluchte, nahm die leeren Schalen gleichwohl ohne Zögern entgegen und ging mit meinen beiden leeren Kannen über den Hof.
„Ja, so ist er, denken Sie sich nichts“, rief mir eine junge Frau aus einem Fenster von oben her zu. Mir schien, als ich zu ihr aufsah, dass sie mich mit ihrem Lächeln geradezu anfasste, so nah berührte sie mich damit, dabei wusste ich aber umso weniger, was ich zu ihr sagen sollte, denn auch sie sagte nichts, sondern lächelte nur freimütig und sah mich von oben aus ihrem Fenster an. Ich war froh, als der Alte die Milch brachte und mich entließ.
Die Frau lehnte sich weit aus dem Fenster, stützte sich auf dem Rahmen auf, um mit dem Oberkörper weiter herauszureichen: „Und wenn Sie etwas brauchen, kommen Sie doch wieder. Wir haben immer frische Milch.“ Als ich mich nach einigen Schritten zur Hütte umwandte, sah sie mir immer noch nach. Ich hob halb die Hand. Sie winkte mir zurück. Der Alte schaute nicht auf, während er wie zuvor seine Arbeit verrichtete.

Es mochte zu der unerfreulichen Begegnung passen, dass ich ihren Ertrag auch anders zur Hälfte verdorben fand, insofern nämlich die Milch in einer der Kannen sauer war. „Umso besser“, sagte Maureen, denn ohnehin sei ihr, als werde sie an diesem Ort festgehalten und müsse dem Alten einen Frondienst tun, indem sie täglich bei ihm ihre Milch hole, obgleich sie diese Mengen niemals verbrauchen könne. „Ach“, sagte sie, „ich kenne ein anderes Leben.“ Ich konnte mich nicht zurückhalten, nach der jungen Frau zu fragen, doch Maureen wusste nichts von ihr.
Ich trug die verdorbene Milch in die Küche und kippte sie in den Ausguss. Zwischen den käsigen Brocken fand ich im Spülbecken einen goldenen Ring, der offenbar versehentlich in die Kanne gefallen war. Ich wusch ihn sorgfältig und steckte ihn in die Tasche, um ihn am folgenden Tag zurückzugeben. Dabei verursachte mir der Gedanke, mich dem Hof des Alten ein weiteres Mal zu nähern, einen unerklärlichen Ekel, der wenig zu dem schönen Gesicht passte, das ich dort gesehen hatte.

Ich musste lange geschlafen haben, denn die Sonne stand hoch, als ich am anderen Morgen die Haustür öffnete, um die Spuren eines Unwetters anzusehen, das in der Nacht wiederum aufgekommen sein musste, ohne das ich etwas davon bemerkt hatte. Äste, die der Sturm geknickt hatte, lagen auf dem Weg. Wo der Boden sich zu Mulden absenkte, hatten diese sich mit Hagelkörnern gefüllt. Ich ging um das Haus und fand Maureen auf der Erde kauernd dort, wo sie mir noch gestern das Schmetterlingshaus gezeigt hatte. Dessen Scheiben waren zertrümmert. Sie suchte mit den Händen die zwischen den Sträuchern liegenden Raupen zusammen und sammelte sie in einem Korb. Bunte Flügel lagen zwischen den Scherben. Ich ließ mich neben Maureen nieder, hob, wo immer ich sie sah, eine Raupe auf. Manche bewegten sich noch. „Ach lass“, sagte sie. Sie kippte den Korb um und ließ die Tiere ins Gras kullern, wo sie sich zusammenrollten. „Es ist doch nun einmal vorbei.“
Dass der Hagel mit dem Glashaus auch meine Kleidung zerstört hatte, tat mir nicht leid. In den Kleidern, die Maureen mit gegeben hatte, fühlte ich mich wohl.
Sie ließ mich diesmal nicht zu dem Alten gehen, sondern führte mich zu einem Ackerstück, das sie mit eigener Hand bewirtschaftete, wozu sie aber in diesem Jahr, wie sie sagte, keine Kraft gefunden hatte. Ich versprach ihr, die Arbeit zu tun.

Maureen zeigte mir eine Grabgabel und half mir in ein Paar klobiger Stiefel. Schuhe, Mantel und den silbernen Stock legte ich neben dem Feld ab. Unter der oberen staubigen Schicht war der Boden feucht und schwer. Ich drückte die Zinken mit dem Gewicht meines Körpers nach unten. Die ungewohnte Arbeit strengte mich an. Ich hatte erst wenige Klumpen Erde ausgehoben und umgeworfen, da schien es mir schon kaum möglich, dass meine Kräfte nur bis zum Ende der Reihe durchhalten sollten. Mit jedem Schritt vorwärts ging es jedoch leichter, und schon nach kurzer Zeit hatte sich eine Gewöhnung eingestellt, so dass ich nun ganz im Gegenteil nicht nur meinte, ohne weiteres bis zum Abend so arbeiten zu können, sondern mit der neu gewonnene Kraft sogar eine ausgesprochene Lust dazu bekam.
Wirklich schickte ich Maureen, die mich am Mittag zum Essen in Haus holen wollte, ungeduldig wieder fort und brachte sie dabei zum Lachen über mein Ungestüm. Sie sah mir noch eine Weile zu, dann ließ sie mich.

Eine unverhoffte Störung litt meine Arbeit erst, als ich den Alten von der Meierei die Böschung hinaufkommen sah. Mir war gestern nicht aufgefallen, wie gebückt er ging. Er schlich mit schleifenden Schritten hangaufwärts. Er ging nicht, wo die Erde weich war, sondern auf dem durch das Gras gefestigten Boden um den Acker herum.
„Du bist am Morgen nicht zu uns gekommen“, sagte er. „Meine Nichte hat dich vergebens erwartet.“
Ich tastete nach dem Ring in der Tasche. „Es gibt hier zu tun“, sagte ich kühl.
„Junge“, sagte er, „komm, wenn du fertig bist, und ruh dich bei uns aus.“ Er stand jetzt aufrecht und stützte die Hände in die Hüften, um seinem Rücken Halt zu geben. Ein widerwärtiges Verlangen bedrängte mich, seiner Einladung nachzukommen und, genau wie er es hoffte, die junge Frau, die ich am Fenster grüßend vor mir sah, in die Arme zu schließen. Ich sah vor Augen, wie ich in ihr Zimmer unterm Dach trat, wie sie sich grinsend umwendete, ohne den Platz am Fenster zu verlassen, und wie ich mich viehisch an ihren Leib drängte, während sie wohlig grunzte. Das sah ich vor mir, ganz so als hätte der Alte rundheraus gesagt: „Ich wünsche sie trächtig.“
Ich fühlte mich wehrlos gegen den unbequemen Drang, den kupplerischen Bund mit dem Alten zu festigen, und so ließ ich die Grabgabel los, an der ich mich bisher gehalten hatte, um mich nach dem silbernen Stock zu bücken, den ich zusammen mit meinem Mantel und den Schuhen am Rand des Ackers abgelegt hatte. „Hier“, sagte ich zum Alten, „nimm, damit dir der Rückweg leichter fällt. Ich komme ihn holen, wenn ich hier zu Ende bin.“
Der Mann fluchte, wie es seine Art war, wollte erst nicht und griff dann doch nach dem Stock. Ich werde den Ring bringen und den Stock abholen, dachte ich noch immer mit Heftigkeit, aber schon wie ich den Mann weggehen sah, wuchs bereits, je mehr er sich von mir entfernte, die Sicherheit, dass ich den Ring niemals zurückgeben würde und dass der Stock mit dem Silberknauf für meinen Fund Entschädigung genug sein musste.

Ich hatte den Dienst für meine Gastgeberin wieder aufgenommen, da verfing sich die Grabgabel jäh. Der äußere Zinken hatte sich in ein Stück Stoff gebohrt, so dass er am Boden festgehalten wurde wie in einer Schlinge. Ich versuchte, den Fetzen zusammen mit dem Erdklumpen, an dem er hing, herauszureißen, aber es gelang nicht. Der Stoff war fest im Boden eingegraben. Indem ich mich niederkniete und die Grabgabel am Schaftansatz führte, scharrte ich ihn mehr und mehr frei, kratzte mit den Metallspitzen die schwere Erde locker und schob sie mit den Händen beiseite. Der Gedanke erschreckte mich, ich mochte ein Gewand entdeckt haben, das noch immer einen menschlichen Körper umhüllte. Zaghaft grub ich. Auszuholen und kräftig in die Erde hineinzustechen wagte ich nicht. Ich wurde ruhiger, als ich das Brautkleid, für das ich den nach und nach freier werdenden Stoff erkannte, mit den Händen weitgehend anheben konnte und mich, wenn es auch noch zu großen Teilen im Boden steckte, furchtsam vergewisserte, dass ich nichts als das leere Gewebe in den Händen hielt. Schließlich konnte ich mit einem Ruck den letzten Zipfel des Saums aus dem Erdreich ziehen. In guter Stimmung setzte ich meine Arbeit fort, wenn mir doch auch das weiße Bündel, das ich am Rand des Beets niederlegte, nicht ganz geheuer werden konnte.

Ich fühlte meine Glieder schwer, als mir Maureen am Abend die Erde von den Füßen wusch. Sie kniete bei mir und ich kämmte mit den Fingern durch ihr seitlich gescheiteltes Haar. Blasen hatte ich an den Händen, von denen ein sanfter lindernder Schmerz ausging, wenn ich die Handflächen bei der Greisin auf die Schultern legte und ihre Haut berührte.

Maureen hatte über den Tag das stehen gebliebene Gerippe ihres Schmetterlingshauses niedergerissen und die Glasscherben weggeräumt. Das Holz war zu einem Feuerhaufen aufgeschichtet, den ich nun anzünden sollte. Als die Flammen ausschlugen, legte sie das merkwürdige Brautkleid, das ich ihr aus dem Acker gebracht hatte, auf den Bretterstoß, so dass es verbrannte.
Die Hitze und die getane Arbeit machten mir Durst, und wir tranken gemeinsam die letzte Milch von der guten Kanne. Maureen trank mit mir aus dem hölzernen Becher, den der Junge mir geschenkt hatte, und mir wurde es ein immer lieblicheres Spiel, meinen Mund genau dort an dem Rand anzusetzen, wo ich zuvor heimlich ihre Lippen beobachtet hatte. Ich wusste mich entdeckt, als sie den letzten Schluck getrunken hatte, denn wie sonst konnte sie darauf bestehen, den Becher in die Flammen zu werfen. Ich mochte ungern zustimmen, da mir das Gefäß gerade erst doppelt teuer geworden war, wagte aber kaum zu widersprechen, aus Furcht, über meine verstohlenen Küsse Auskunft geben zu müssen. „Niemand soll nun mehr daraus trinken“, sagte sie. „Komm, die Nacht ist kalt.“ Sie führte mich an der Hand zurück ins Haus. Nur das Feuer draußen gab durch die Fenster Licht. Wir wärmten uns aneinander und ich fand mein Glück darin, mir einzugestehen, wie lieb mir die zarte Greisin geworden war.

Die Freude, die mir ihre Nähe bereitet hatte, wandelte sich in einen tiefen Schmerz, als ich am Morgen allein in meinem Raum erwachte, denn mir stand klar vor Augen, dass wir Abschied nehmen mussten. Ich steckte Maureen den Ring, den ich für den silbernen Stock getauscht hatte, an den Finger. „Ich wünschte, du könntest bleiben“, sagte sie.
Sie erklärte mir, dass ich unmöglich den ganzen Weg zu Fuß zurückgehen könne, es sei eine Strecke von drei Tagen. Das konnte nicht stimmen. Ich ließ mich dennoch darauf ein, auf den Spaziergang zu verzichten und mich von ihr zu einer Bahnhaltestelle führen zu lassen, die ganz nah liegen sollte.
Und wirklich zog sich, nur wenig über das Feld hinaus, das ich umgegraben hatte, und von Weiden verborgen, die Schleife eines schmalen und dennoch nicht einfach zu durchwatenden Flusses hin.
In dessen Mitte fand ich auf einem flachen Felsen festen Halt, wendete mich um und rief Maureen zu, sie solle mir doch folgen und mit mir kommen. Tatsächlich setzte sie ihre Füße auf die losen Steine, ich sah sie mit den Händen behutsam das Gleichgewicht suchen. Dann rutsche sie aber und fiel, so dass sie sich zwar auf dem Findling rechtzeitig wieder fassen konnte, während aber doch das Bein, mit dem sie den Halt verloren hatte, ins Wasser glitt. Sie suchte so nah am Ufer mit der Fußsohle Halt, fand aber keinen und stieß tief ins Wasser, ganz so als sei es dort tiefer geworden, seit ich die Stelle passiert hatte. Ich streckte die Arme nach ihr aus, wie um sie zu stützen, konnte aber über die Entfernung nichts ausrichten.
„Geh nur“, sagte sie, als sie wieder stand. Sie zeichnete mit dem ausgestreckten Finger meine Augen und Lippen in die Luft. So sah sie mir nach.

An der Haltestelle auf der anderen Seite saß das junge Liebespaar auf einer Bank. „Das Schwesterchen lebt“, rief mir das Mädchen strahlend zu. „Wir sind jetzt Mann und Frau“, rief sie lauter gegen den Lärm des einfahrenden Zuges. Aus dem Fenster winkte ich noch einmal den Verliebten. Sie sprangen von der Bank auf und riefen mir fröhlich Worte zu, die ich durch die geschlossenen Scheiben hindurch nicht verstehen konnte.

Ich wollte sehnlichst ein letztes Mal auf das Haus blicken, in dem ich die vergangenen Tage zu Gast gewesen war, aber die Anhöhe hinter dem Bach und die dichten Büsche verstellten mir den Blick. Ich erschrak, als ich stattdessen im Vorbeifahren hinter dünnerem Strauchwerk, das die Sicht in die Landschaft ausreichend freigab, die Meierei des Alten und seiner Nichte in verkohlten Trümmern stehen sah.

Das Landschloss war durchaus in Betrieb, sagte man mir, eine Renovierung sei dort nicht im Gange. Ich nahm mir vor, am folgenden Tag hinzugehen, um schließlich doch das Bild des Mädchens wieder zu sehen. Von der Bahnhaltestelle, an der ich eingestiegen war, wusste man im Hotel hingegen nichts. Nur den See gleichen Namens kannten sie, der vordem das Dorf verschluckt hatte.

 

Hallo [mention=62572]erdbeerschorsch,[/mention]
das liest sich schwer und ich bin fast nicht in den Inhalt gekommen. Nach der Hälfte habe ich dann schneller gelesen. Das Thema fühlt sich an wie irgendwo zwischen Wagner und atonal. An der Sprache finde ich jetzt nichts, was ich in der Schnelle bemängeln könnte. Vielleicht sagst Du uns in fünf bis zehn Sätzen, was Du mit der Geschichte aussagen möchtest, damit sich für mich der Zugang vielleicht erschliesst.
Grüsse und ein schönes Wochenende
Fugu

 
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Hej erdbeerschorsch,

dass du mal einen Ausflug in den Frühmodernismus machen würdest, habe ich nicht zu hoffen gewagt. Oft habe ich beim Lesen deiner früheren Geschichten an den romantischen Schreibstil gedacht, deine Charaktere verhielten sich teilweise zurückgenommen und nachdenklich, verklärt und entrückt und hier hast du eine Figur entwickelt, die zwischen den Welten schwebt, Zeiten vermischt und Realität und Wirklichkeit, nahezu irrational, bzw. surreal Das ist mutig und ... wunderschön.

Als ich die unbefahrene alte Landstraße entlangging, die sich eingebettet zwischen den runden Kuppen der umliegenden Hügel durch das Tal zog, kam mir als erster Mensch, den ich heute auf meinem Spaziergang sah, eine Frau entgegen.

Ich habe nichts gegen lange Sätze, mir will nur der Einschub nicht gefallen, diese Doppelung von Mensch und Frau. Als würdest du es spannend machen wollen, wer sie denn nun sei oder im ersten Augenblick dachte ich, es wären zwei. ;)

Sie trug einen schweren Rock, um den sie vorn aus leichterem Stoff eine Schürze gebunden hatte, von deren seitlich geschnürtem Knoten breite Bänder herabfielen. Um den Hals hatte sie ein Tuch gelegt. Sie hob den Kopf und grüßte. Ihr Lächeln machte das alte Gesicht frisch.

Es gefällt mir auch, dass du dir Mühe gibst, sie zu beschreiben. Und erst dachte ich, as wäre zu viel Information, bis mir Einfile, du könntest mehrere, gefälligere Sätze daran machen. Auch der letzte Satz klingt ungelenk. Sich frisch machen erinnert an eine aktive Handlung, zumal ich eh in diesem Zusammenhang ein Unbehagen mit dem Verb habe.


Wirklich sah ich von fern bald licht stehende Akazien, die mir auf einen Park hinwiesen.

Das ist süß. Aber du wirst es korrigieren müssen.

Der schmale und klobig ausgeführte Turm, das winzige Schiff hätten mich an eine Einsiedelei denken lassen, wenn ich nicht von meinem ersten Besuch in dieser Gegend vor vielen Jahren wüsste, dass die Insel nur den höchsten Punkt eines Weilers markierte, dessen Bewohner Maßnahmen zur Gewässerregulierung hatten weichen müssen, indem der Seespiegel bis zu seiner jetzigen Höhe aufgestaut und die Hütten unter Wasser gesetzt worden waren.

Hier wäre es mir auch angenehmer fürs Verständnis, wenn du mehrere Sätze daran gemacht hättest.

Wenn ich nun weiter über die Wiesen und Felder ging, musste es möglich sein, einen Landsitz wiederzufinden, der mir damals zunächst durch seine äußerliche Geschmacklosigkeit Eindruck gemacht hatte, in seinem Innern jedoch ein Werk des Künstlers Lucian Freud enthielt, das mich über die Grobheit des Gebäudes hinweggetröstet hatte. Ich bekam Lust, dieses Bildnis wieder aufzuspüren.

An dieser Stelle wurde ich unruhig, denn diese Kunstverbindungen mag ich gern, zumal ich erst kürzlich Girl with a white dog in einem Museum bewundern durfte. Ich habe dann aber und deiner Geschichte ein Wiederaufgreifen nicht geschafft. Im weitesten Sinne vermutete ich die Nichte als personifiziertes Bildnis des Girl in bed, welches mir in den Sinn kam, als der Protagonist das Mädchen weiter zuzudecken wünscht. Aber dasitzt vermutlich weit hergeholt und bloß ein Wunschdenken von mir.

Ich fand nirgends einen Hinweis darauf, an welcher Stelle in dem weiten Park dieses Badehaus zu finden sein mochte, hielt es aber nicht für irrig, einem Bach zu folgen, der womöglich in den Seerosenteich münden konnte, den das Gebäude mit seinem Säulenrund umschloss.

Hier kam mir zum ersten Mal der Gedanke, der Protagonist wandelt in Gedanken durch eine lebendige Galerie, die vor seinen Augen zerfallen ist und die er in dieser Landschaft dadurch zu rekonstruieren versucht. An dieser Stelle mit Monets Seerosenteich und Morellis Badehaus. Sicher wieder weit hergeholt, aber es macht mir Spaß, deine Geschichte so zu lesen, was dir ja auch egal sein kann als Autor.

Wenn ich ihn denn als den Fährmann ansehen wollte, der mich ans andere Ufer schaffte, so durfte ich nicht erwarten, dass er mir dafür Dank sagte.

Und weil es mich glücklich macht, sehe ich an der Stelle Böcklins Die Toteninsel, auf die ihn der Fährmann bringen wird.

Unter einem einzeln stehenden Baum am Weg reckte sich und sprang ein Junge, beinahe ein Mann, und konnte trotz aller Anstrengungen selbst den untersten Ast nicht erreichen. Er wollte wohl dem Mädchen, so dachte ich, das neben ihm stand und die gefalteten Hände vors Gesicht hielt, während es um den Erfolg bangte, einen Apfel pflücken, denn solche hingen, wie ich im Näherkommen sah, in den Zweigen.

Und vielleicht hast du ja Lust, zu sehen, was deine Bilder in mir für Verknüpfungen geschafft haben. An dieser Stelle erinnere ich mich an ein Gemälde von Carl Plückebaum, Junges Paar auf einer Frühlingswiese. Die kleine geschichte, die du um die beiden herum erdacht hast, könnte dazu passen. :shy: Wobei es vielleicht ein Gemälde gibt mit einem Paar und einem hölzernen Becher, von dem ich nie gehört habe. Möglich ist es natürlich auch, dass alle inspirierende Gemälde allesamt von Lucien Freud sind. (Eine schöne Idee, die mich gerade selbst inspiriert :shy:)

Es gibt eine Graphik von Freud, Die Greisin. Bytheway. Du merkst, wie ich mich verbissen habe. Dafür danke ich dir grad mal zwischendurch, weil es mir Spaß macht, diese Bilder mit deiner geschichte zu verbinden.

Sie sah mich an und ich erkannte dieselbe, die mir am Morgen begegnet war.

Diese zarte Liebesgeschichte, die hier Kontur gewinnt, ist wunderschön, so phantastisch, wie du es schaffst, sie zu einen, ohne deutlich zu werden, alles im Vagen zu halten, unbegreiflich auch sprachlich, surreal.

Es mochte zu der unerfreulichen Begegnung passen, dass ich ihren Ertrag auch anders zur Hälfte verdorben fand, insofern nämlich die Milch in einer der Kannen sauer war. „Umso besser“, sagte Maureen, denn ohnehin sei ihr, als werde sie an diesem Ort festgehalten und müsse dem Alten einen Frondienst tun, indem sie täglich bei ihm ihre Milch hole, obgleich sie diese Mengen niemals verbrauchen könne. „Ach“, sagte sie, „ich kenne ein anderes Leben.“

Ein interessanter Einschub, der mich wieder anregt, zu phantasieren.

Wirklich schickte ich Maureen, die mich am Mittag zum Essen in Haus holen wollte, ungeduldig wieder fort und brachte sie dabei zum Lachen über meinen Ungestüm. Sie sah mir noch eine Weile zu, dann ließ sie mich.

Dieses aktive Graben in der Erde und das Finden eines Brautkleides, könnten Rückschlüsse auf seine Vergangenheit zulassen.

Ich fühlte meine Glieder schwer, als mir Maureen am Abend die Erde von den Füßen wusch. Sie kniete bei mir und ich kämmte mit den Fingern durch ihr seitlich gescheiteltes Haar. Blasen hatte ich an den Händen, von denen ein sanfter lindernder Schmerz ausging, wenn ich die Handflächen bei der Greisin auf die Schultern legte und ihre Haut berührte.

Love it.

Maureen hatte über den Tag das stehen gebliebene Gerippe ihres Schmetterlingshauses niedergerissen und die Glasscherben weggeräumt. Das Holz war zu einem Feuerhaufen aufgeschichtet, den ich nun anzünden sollte. Als die Flammen ausschlugen, legte sie das merkwürdige Brautkleid, das ich ihr aus dem Acker gebracht hatte, auf den Bretterstoß, so dass es verbrannte.

Das Ende wird eingeleitet.

Maureen trank mit mir aus dem hölzernen Becher, den der Junge mir geschenkt hatte, und mir wurde es ein immer lieblicheres Spiel, meinen Mund genau dort an dem Rand anzusetzen, wo ich zuvor heimlich ihre Lippen beobachtet hatte. Ich wusste mich entdeckt, als sie den letzten Schluck getrunken hatte, denn wie sonst konnte sie darauf bestehen, den Becher in die Flammen zu werfen. Ich mochte ungern zustimmen, da mir das Gefäß gerade erst doppelt teuer geworden war, wagte aber kaum zu widersprechen, aus Furcht, über meine verstohlenen Küsse Auskunft geben zu müssen. „Niemand soll nun mehr daraus trinken“, sagte sie.

Du bist schon ein Romantiker, gibs zu.

Ich steckte Maureen den Ring, den ich für den silbernen Stock getauscht hatte, an den Finger

Ich ahnte es. Sie haben es einst verpasst, ein Paar zu werden.

Sie zeichnete mit dem ausgestreckten Finger meine Augen und Lippen in die Luft. So sah sie mir nach.

Das erscheint mir nicht möglich. Das mag in Anbetracht all dieser Begebenheiten unlogisch klingen, aber ich wünschte, sie würde etwas anderes tun.

„Wir sind jetzt Mann und Frau“, rief sie lauter gegen den Lärm des einfahrenden Zuges.

Das gelungene Lebenspaar als Gegenstück.

Ich erschrak, als ich stattdessen im Vorbeifahren hinter dünnerem Strauchwerk, das die Sicht in die Landschaft ausreichend freigab, die Meierei des Alten und seiner Nichte in verkohlten Trümmern stehen sah.

Da löst du es fein auf. Alles nur in seinem Kopf.

Denk über mich, was du willst, aber auf diese Art und Weise habe ich deine Geschichte wunderbar genießen können und war mir ihr entrückt.

Vielen Dank dafür und freundlicher Gruß, Kanji

edit: So und nun hab ich gegugelt und Freud hat wirklich ein Frauenbild gemalt nach einem Modell namens Maureen. So bleib ich bei meiner Theorie und freue mich wie Bolle.

 
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Hallo erdbeerschorsch

Die Geschichte lässt sich mit Fragen zurück. Inhaltlich kann ich nicht viel sagen, diese Art von Text ist mir einfach unzugänglich, so wie auch Lyrik. Ich weiss noch, wie ich als Schüler vor Gedichten sass und wirklich gar keinen Plan hatte, das sind für mich meistens nur sprachliche Tempel mit glatten Wänden und ohne Eingang. Ähnlich geht es mir bei vielen märchenhaften Erzählungen, ich habe mich von deinem Text z.B. an Undine von Fouqué erinnert gefühlt, und da habe ich ebenfalls überhaupt nichts kapiert. Das muss irgendetwas mit einer inneren Reise, einer Entwicklung zu tun haben. Ach, ich fang gar nicht erst an und bin einfach mal neidisch auf Kanji und ihr Bildgedächtnis, denn ich wäre auch gerne eingetaucht.

So, das ist ja bisher so eine Art Nullkommentar und normalerweise schreibe ich in solchen Fällen auch gar nichts zu einer Geschichte. Was mich aber umtreibt, ist der Stil. Zunächst ein grosses Kompliment. Es gibt zwar ein paar Sätze, die mir zu gewunden, zu kompliziert, zu lang sind, aber meistens ist das schon sehr schön gedrechselt und - noch grösseres Kompliment - ich hatte kaum je den Eindruck, das sei unfreiwillig komisch oder übertrieben, und zwar, weil das sehr homogen daherkommt. Anders formuliert: Ich hatte nach einer kleinen Eingewöhnungsphase tatsächlich das Gefühl einen "alten" Text zu lesen, eine verschollene Erzählung, die sich ins Internetzeitalter gerettet hat und nun plötzlich hier im Forum aufploppt: "zuträglich war" / "zu dienen vorgab" usw. Die vielen Schachtelsätze / die vielen "dessen", um Nebensätze einzuleiten etc.

An dieser Stelle drängt sich mir aber die Frage auf - du nimmst sie mir nicht übel, denn es ist eine echte Frage: Warum schreibst du so? Natürlich hast du eine gewisse Affinität zu dieser Sprache auch in deinen anderen Geschichten, aber da war immer auch moderner Erdbeerschorsch drin, das war spielerisch, eine Mischung. Hier empfinde ich das stilistisch als Imitat. Also noch mal die Frage, weshalb schreibt man eine Geschichte in einer Sprache, die nicht die eigene ist? Weil es so gut zur märchenhaften Handlung passt? Oder ist es deine eigene Sprache? Findest du sie der modernen Erzählweise überlegen?

Mir fällt nichts besser ein als ein Vergleich zur Musik: Ich kann verstehen, wenn eine Band sagt, wir orientieren uns am Stil der Sechtziger, das war noch echte Musik, rein, pur etc. Was danach kommt, lehnen wir ab. Aber eine Band, die sagt, wir machen jetzt Schnörkelpop aus den Siebzigern, weil wir das einen lustigen Stil finden, der gar nicht so einfach zu imitieren ist ... Weisst du, was ich meine?

Du wirst vielleicht sagen, dass es dir einfach Spass macht, so zu schreiben, in einem bestimmten Stil, der in den Ohren moderner Leser notwendigerweise antiquiert und manieriert klingen muss. Ist auch eine Kunst. Das ist es natürlich. Ach, ich weiss nicht. Ich bin da wohl auch einfach zu wenig offen. Ich lese ja solche Sprache eigentlich ganz gerne. Aber dann doch nur, wenn ich weiss, dass der Text aus dem 19.Jahrhundert stammt. Ist irgendwie seltsam, nicht?

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hi Fugusan,

ich danke dir als dem ersten Kommentator, dass du trotz allem einen kurzen Bericht deines Eindrucks dagelassen hast. Das mit den fünf oder zehn Sätzen meinst du sicher nicht ernst, du möchtest damit halt ausdrücken, dass du nichts mit dem Text anfangen kannst und das ist auch angekommen. Für den Fall, dass du es aber doch ernst meinen solltest ... Na, da habe ich ein schönes Zitat gefunden:

Da es keinen Sinn hat, wenn man eine Geschichte erklären muss, akzeptiere ich, wenn sie jemandem nicht gefällt.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

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Hi Kanji,

ich muss ja sagen: Wenn dir der Text nicht gefallen hätte, dann wäre ich wahrscheinlich wirklich in ein großes Zweifeln gestürzt. :)

Ich habe nichts gegen lange Sätze, mir will nur der Einschub nicht gefallen, diese Doppelung von Mensch und Frau.
Aha, kann sein. ist mir so nicht aufgefallen. Aber wie geht es anders? "Als erste, die mir begegnete" geht ja nicht, "als erste Frau" noch weniger ...

Sich frisch machen erinnert an eine aktive Handlung, zumal ich eh in diesem Zusammenhang ein Unbehagen mit dem Verb habe.
So klingt das jetzt wirklich nicht gut. Mal kucken, was sich machen lässt.

Das ist süß. Aber du wirst es korrigieren müssen.
Echt? Wieso?

Im weitesten Sinne vermutete ich die Nichte als personifiziertes Bildnis des Girl in bed, welches mir in den Sinn kam, als der Protagonist das Mädchen weiter zuzudecken wünscht. Aber dasitzt vermutlich weit hergeholt und bloß ein Wunschdenken von mir.
Kann man s nicht sagen. Das Bild stimmt! Ich weiß nicht, ob das schwer zu erraten war, aber es freut mich, dass es dir gelungen ist. Ob die Personifikation aber die Nichte ist oder doch die Maureen - ich will dir da nicht reinreden, aber schau dir mal an, wie die Lady Temple-Hamilton-Blackwood mit vollem Namen heißt ... Ich will dir aber wirklich nicht reinreden, das ist zwar ein absichtlicher Bezug, aber kein zwingender. Ich würde sagen, die Identität der Greisin bewegt sich ebenso zwischen Realität und Wirklichkeit wie die ganze Geschichte.

es macht mir Spaß, deine Geschichte so zu lesen, was dir ja auch egal sein kann als Autor.
Stimmt, es kann mir egal sein, aber vor allem freut es mich.

Und weil es mich glücklich macht, sehe ich an der Stelle Böcklins Die Toteninsel, auf die ihn der Fährmann bringen wird.
Und vor allem gehört aber in jedes romantische Märchen, das was auf sich hält, ein Fährmann ;)

Wobei es vielleicht ein Gemälde gibt mit einem Paar und einem hölzernen Becher, von dem ich nie gehört habe.
Man würde bestimmt eins finden - aber ich kenne auch keins.

Möglich ist es natürlich auch, dass alle inspirierende Gemälde allesamt von Lucien Freud sind.
Zumindest die Nichte könnte sich womöglich im "Girl in a Dark Jacket" wiederfinden, muss aber auch nicht.

Dieses aktive Graben in der Erde und das Finden eines Brautkleides, könnten Rückschlüsse auf seine Vergangenheit zulassen.
Seine oder ihre - oder die gemeinsame verpasste ... Irgend so was in der Art. Mit etwas Glück hat es auch was von Zukunft, wenngleich flüchtig.

Du bist schon ein Romantiker, gibs zu.
Wieso ich??? Das sagt doch die Frau!

Das erscheint mir nicht möglich. Das mag in Anbetracht all dieser Begebenheiten unlogisch klingen, aber ich wünschte, sie würde etwas anderes tun.
Hm, warum nicht möglich? Ich hatte selbst gewisse Zweifel: Wenn er ein paar Meter von ihr weg steht, muss sie ziemlich filigrane Bewegungen mit den Fingerspitzen machen, wenn sie die Augen usw. nachzeichnen will. Dachtest du daran oder an etwas anderes? Ich lasse sie gerne etwas anderes tun, es muss mir nur noch was einfallen.

Da löst du es fein auf. Alles nur in seinem Kopf.
Nicht so schnell! Glaubst du wirklich, die Welt auf der anderen Seite des Flusses gibt es nicht?


Denk über mich, was du willst, aber auf diese Art und Weise habe ich deine Geschichte wunderbar genießen können und war mir ihr entrückt.

Herzlichen Dank für den schönen Kommentar!

Besten Gruß
erdbeerschorsch


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Hi Peeperkorn,

das ist sehr freundlich von dir, dass du es - was den Inhalt angeht - auf dich schiebst, dass die Geschichte dich nicht erreicht.

An dieser Stelle drängt sich mir aber die Frage auf - du nimmst sie mir nicht übel, denn es ist eine echte Frage: Warum schreibst du so?
Das ist auf jeden Fall ein gute Frage. Die habe ich natürlich selbst - und ich habe sogar auch ein paar halbe Antworten darauf. Ich habe jedenfalls nicht vor, immer so zu schreiben. Das wäre die erste halbe Antwort: Ich habe das mal versucht, weil es sich aus mehreren teils zufälligen Gründen so ergeben hat. Das hat aber auch mit der Mischung zu tun, die du ansprichst: Der eine oder andere Text ist ja dem einen oder anderen hier auch schon zu altertümlich gewesen. Und dann wollte ich halt auch mal wissen, wie das ankommt, wenn es ganz absichtlich keine Mischung ist. Und ich hoffe dabei nebenbei auch, etwas über den Stil herauszubekommen: Was genau macht ihn altertümlich usw. Nicht, dass ich dazu gar nichts sagen könnte, aber mehr Anschauungsmaterial ist immer besser.

Und dann interessiert mich eben immer wieder auch das, was du so seltsam findest:

Ich lese ja solche Sprache eigentlich ganz gerne. Aber dann doch nur, wenn ich weiss, dass der Text aus dem 19.Jahrhundert stammt.
Das geht mir ähnlich. Aber warum eigentlich? Das frage ich mich immer wieder und in verschiedenen Sparten: Warum darf man bestimmte Dinge nicht mehr machen? Was ist schlecht, wenn man es macht? (Nicht als rhetorische Fragen, es gibt genügend Fälle, in denen ich das auch schlecht finde.)

Hm, eigentlich hätte ich dazu ganz gerne noch was geschrieben. Aber ich muss hier zum erst noch mal weg und finde auch gerade die richtigen Gedanken bzw. Formulierungen nicht. Wäre leichter, wenn es nicht um meinen eigenen Text ginge.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
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Hallo Erdbeerschorsch,

das ist so auf seine Art ein echt mutiger Text, und ich erinnere mich, dass du auch ganz anders kannst.

Und ich muss mich outen als Vermeider der deutschen Literatur bis zur Postmoderne … daher mag meine Einordnung falsch sein: Klassizismus (wegen der ‚gediegenen‘, gestelzten Sprache) oder eben sehr viel wahrscheinlicher die Romantik: du hast ein Individuum und seine sehr feingeistige, melancholische Selbstschau, viel ‚erhabene‘ Landschaftsbetrachtung und zum Schluss noch die ganz klassische Schauerromantik (ungewöhnlich unangekündigt).

Ich muss gestehen, in der Mitte etwas überflogen zu haben, weil mir nicht ganz klar wurde, wohin die Sache geht, und vor allem nicht, was davon für den Plot wichtig ist und was „nur“ für die Atmosphäre. Rein Stimmung kann mich durchaus bei der Stange halten, wenn ich einen Hinweis bekomme, wohin sich die Handlung oder zumindest der Prot bewegt.
Das Ende ist klasse, und hat mir so gut gefallen, dass ich hier nicht mehr auf Satzbau und Wortwahl geachtet habe.

Mir gefällt besondern gut, dass du zwei Varianten möglich machst: 1. Der Prot gerät in eine parallele Geisterwelt und erlebt eine vergangene Zeit mit, ohne es zu merken. So wie die irischen Feengeschichten mit den Musikern unter'm Hügel, nur eben ohne die verlorenen Lebensjahre. 2. Der Prot ist so vergeistigt und sensibel, dass er die Geschichte entweder sich komplett eingebildet oder paranormal nachempfunden hat, ohne tatsächlich mit Geistern in Berührung gekommen zu sein.
Für mich würde sowohl der Prot, als auch die Landschaft, der Plot, die mitagierenden Personen und dann die ambivalente Auflösung wesentlich besser funktionieren, wenn du die Syntax ein bissl entschlacken bzw. entwirren würdest. Klar, in der Gothic Novel (auch vor der Romantik) wird viel umständlich und um mehrere Ecken erzählt, da werden Stimmungen rein über Landschaftsbeschreibungen ausgedrückt, und die Details der Kleidung beschrieben, gerade, wenn man Action erwarten würde. Aber dieses Mäandern wird meist nicht durch die Überladung und Verschachtelung innerhalb einzelner Sätze erreicht, sondern über relativ klar strukturierte Sätze, die eben nur extrem detailreich etwas beschreiben.

Wenn ich einfach mal den Anfang nehme:

Als ich die unbefahrene alte Landstraße entlangging, die sich eingebettet zwischen den runden Kuppen der umliegenden Hügel durch das Tal zog,
Runde Kuppen (= sowas wie Kuppeln): gibt es spitz zulaufende Kuppen? Wären das dann nicht Spitzen? Das würde ich auch eher bei Gebirgen als bei Hügeln erwarten, daher liest sich das für mich wie ein schwarzer Rappe. Umliegend = ist logisch, weil er sie nicht sehen könnte, lägen sie hinter dem Horizont, und „eingebettet“ vermittelt das bereits gut und subtil. Die Straße zieht sich zwischen den Hügeln und liegt damit logischweise im Tal. Hier ist einiges ohne Mehrwert für die story oder die Stimmung, redundant. Unbefahren und alt – da glaube ich, allein schon durch den Sprachstil und die Land-Straße hätte zumindest ich nicht an eine moderne Schnellstraße gedacht.
kam mir als erster Mensch, den ich heute auf meinem Spaziergang sah, eine Frau entgegen. Am Lenker des alten Fahrrads, das sie schob, hingen Milchkannen. Sie trug einen schweren Rock, um den sie vorn aus leichterem Stoff eine Schürze gebunden hatte, von deren seitlich geschnürtem Knoten breite Bänder herabfielen. Um den Hals hatte sie ein Tuch gelegt. Sie hob den Kopf und grüßte. Ihr Lächeln machte das alte Gesicht frisch.
Der erste Mensch, der … eine Frau, die – oh puh. Ich bin mir sicher, du kannst das weniger umständlich ausdrücken. Wenn es eine Person wäre, müsstest du zumindest nicht das Geschlecht ändern.
Ich weiß, das klingt super prosaisch, aber mir hätte hier gereicht (so in der Art): Sie schob ein altes Fahrrad, an dessen Lenker (oder an dem) Milchkannen hingen. Schwerer Rock und leichte Schürze, seitlicher Knoten und Bänder – braucht es diese Spezifizierungen? Ich nehme an, du hast eine bestimmte Tracht im Kopf, und der schwere Stoff des Rockes vermittelt natürlich wunderbar, dass es ein vermutlich handgewebter, traditioneller Stoff ist, wie man ihn selbst bei echten Trachten heute kaum noch bekommt. Aber Schürzen sind nicht unbedingt leichter gewesen, das packt für mein Gefühle den Satz viel zu voll, und durch all diese Kleinteile – und obwohl ich selbst alte Trachten mit Schürzen, Webgürteln und allem trage – verwischt sich mein Bild durch all die Wörter bis dahin, dass ich echt anfange, zusammenzustückeln, was sie da anhat, nur um am Ende zu merken, dass die Frau nur so zur Atmosphäre da langging. Und: Frisch machen ist eine feststehende Redensart, die mal kurz sich waschen oder duschen meint, und hier irritiert (auch wenn ich deine Intention sehe und die Idee sehr schön finde).

Und so könnte ich mich durch den gesamten Text hangeln.

Das soll jetzt nicht so nörgelig und negativ sein, wie es klingen mag, aber mein Leseerlebnis war so, dass ich mich – um eben die Stimmung, die altmodische Landatmosphäre und dann die melancholische Auflösung zu genießen – durch diese verstrukturierten Sätze hangeln musste. Eindrücke sortieren (und aussortieren) und eben letztlich querlesen. Und ich habe wie gesagt gar nichts gegen mäandernde Erzählungen, auch wenn ich deutsche Schriftsteller vermeide, lese ich englische Autoren vom Mittelenglischen (und teil Altenglischen) an durch alle Zeiten, es liegt also nicht so sehr daran, dass mein Blick zu postmodern geschult wäre.

Also, um meinen mäandernden (guilty as charged! :shy:) Komm zusammenzufassen: Die Atmosphäre, Stilgattung, der Plot und die Beschreibungen der Persönlichkeit würden in keiner Weise beeinträchtigt, wenn du die Satzstrukturen und –gefüge entschlacken und begradlinigigen würdest. Was die Bilder viel stärker hervortreten lassen würde.

Ich hoffe, du kannst mit den Eindrücken etwas anfangen, jedenfalls hab ich die Geschichte gestern gelesen, und das ganze Setting, die warme Sonne und die Gerüche (die du glaube ich nichtmal beschreibst) gehen mir immer noch im Kopf rum, als sei ich dort kürzlich auf Urlaub gewesen.

Liebe Grüße, das ist jedenfalls ein spannendes Stilexperiment!
Katla

 

Hallo erdbeerschorsch,

nun also ein modernes Kunstmärchen, das gerade eben spielt, wenn dem Icherzähler als erster Mensch,

... den ich heute auf meinem Spaziergang sah, eine alte Frau entgegen
kommt mit Milchkannen am Fahrrad. Die Kannen und Milch werden uns nun durch die Geschichte begleiten und den Kontakt über die Milchstraße zur Meierei begründen, um Milch zu erhalten. Der alte Meier lebt da mit seiner jungen Nichte.

Aber was für seltsame Gedanken nach dem erste Lesen unter meinem Schädel sich breitmachen:

Die Griechen glaubten, dass die Milchstraße ein Spritzer aus der Brust der Hera wäre, den der heftig säugende Herakles verursachte. Milch stellt immer den Bezug zur/zum Mutter/tier her und ist neben dem Blut ein besonderer Saft des Lebens und i. d. R. symbolisiert sie eine "gesunde" Mutter-Kind-Beziehung. Aber nach der ersten Begegnung mit dem Meier ist eine Kanne mit saurer Milch gefüllt.

Was ist also nicht Ordnung?

Da misch ich mich ganz kurz ein in den Stil: Ein guter Schreiber sollte alle Stile beherrschen, so auch die Sprache des 19. Jh. und nicht nur zur Parodie - und wer wollte behaupten, dass die bürgerl. Realisten wie Keller und Storm antiquiert klängen? Ich selbst erlaube mir gelegentlich, das klassische Mittelhochdeutsch der Stauferzeit zu übernehmen (Althochdeutsch schließ ich allein aus dem Grunde aus, weil z. B. das "w" noch nicht "erfunden" und auch im Deutschen ein dabbel-ju uuar. Mittelhochdeutsch mag nicht jeder während desselber Lesens verstehen, aber als akustisches Ereignis her schon.

Weiter im Programm:

Zwotes flüssiges Symbol und noch umfassender als Milch ist das Wasser, das auch lebensspendend ist und zwar gewaltiger als nur dem Säuger. Nicht nur in der Psychologie C. G. Jungs symbolisiert es das Unbewusste, aber nach seinem Modell der psychischen Instanzen gleicht es dem Eisberg, von dem allein die Spitze aus dem Wasser herausragt wie der Kirchturm. 1/7 des Eisberges ist sichtbar. Einem Aufstieg geht immer der Abstieg in die Tiefe voraus oder umgekehrt. Wasserspiegel schmeicheln nicht.

Nicht umsonst heißt es, was das Feuer nicht schafft, schafft die Feuerwehr.

Womit wir das dritte Symbol erreichen: Das Feuer.

Maureen hatte über den Tag das stehen gebliebene Gerippe ihres Schmetterlingshauses niedergerissen und die Glasscherben weggeräumt. Das Holz war zu einem Feuerhaufen aufgeschichtet, den ich nun anzünden sollte. Als die Flammen ausschlugen, legte sie das merkwürdige Brautkleid, das ich ihr aus dem Acker gebracht hatte, auf den Bretterstoß, so dass es verbrannte.

Eine uralte Bestattungsmethode.

Aber - da haben die "ausschlagenden" Flammen noch denkwürdigeres in Laboyrinth getreten: Die historische Brunichildis, Witwe des Sigibert, Regentin für ihre Enkel, wurde als uralte Frau auf Anordnung der Stammväter der Arnulfinger und Pippiniden zu Worms gevierteilt - jede Extremität der alten Königin wurde an einem Pferd angebunden. Die Pferde ließ man gleichzeitig losrennen ... Arnulf war übrigens Bischof.

Die Brunhilde der Sage wurde auf einem brennenden Rheinkahn eingeäschert.

Aber Feuer hat auch seine positive Seite: Nicht nur wärmt es, richtig angewendet, sondern steht auch symbolisch, wenn die Liebe richtig brennt ...

Ich brech hier ab, um mich selber wieder zu sortieren - nicht ohne noch Trivialitäten (die ausschlagenden Flammen zählen nicht dazu) anzusprechen:

Ihr Lächeln machte das alte Gesicht frisch.
Sie wäscht, frisiert und macht sich also zurecht?, so die Bedeutungen des "frisch machen"s. Sie sieht vllt. "frisch" aus ...

Hier schnappt gar die Fälle-Falle zu

Wirklich sah ich von fern bald licht stehende Akazien, die mir auf einen Park hinwiesen.
Wem wiesen sie den Park, aber wen wiesen sie hin? Mich!

kleine Flüchtigkeiten gibt's auch

Die gurrende Laute, die sie von sich gab, wenn sie [...]in meinen Armen lag

Diese ungestillte Begehr ...
Das oder der Begehr, keineswegs "die"

Ich reichte ihm, was mir Maureen zur Bezahlung mitgegeben hat[te].
Ich würd sogar auf die zusammengesetzte Zeit pfeifen ...

Die Frau lehnte sich weit aus dem Fenster[,] stützte sich auf dem Rahmen auf, um mit dem Oberkörper weiter herauszureichen:

... wieder fort und brachte sie dabei zum Lachen über mein[...] Ungestüm.

wie sie sich grinsend umwendete, ohne den Platz am Fenster zu verlassen[,] und wie ich mich viehisch an ihren Leib drängte, während ...
(Nebensatz zu Ende!)

Ich streckte die Arme nach ihr aus[...-] wie um sie zu stützen, ...
Warum nur immer langweilender Fliegenschiss, wenn der Gedanke auch mal auf dem Strich gehen kann
„Das Schwesterchen lebt“[,] rief mir das Mädchen strahlend zu.

So, Sportschau ruft.

Gern gelesen und nicht das letzte Mal!

Friedel,
der noch ein schönes Wochenende wünscht!

 

Hej erdbeerschorsch,

nochamal, weil ich dein Nachfragen nicht als rhetorisch einordne.

Wenn dir der Text nicht gefallen hätte, dann wäre ich wahrscheinlich wirklich in ein großes Zweifeln gestürzt.

Na, da haben wir ja noch mal Glück gehabt. ;)

Aha, kann sein. ist mir so nicht aufgefallen. Aber wie geht es anders? "Als erste, die mir begegnete" geht ja nicht, "als erste Frau" noch weniger ...

... begegnete mir als erstes diese alte Frau, ... Die Richtung. Direkter. Du schnörkelst (positive Schnörkel) ja bereits an ihrem Aussehen.

Wirklich sah ich von fern bald licht stehende Akazien, die mir auf einen Park hinwiesen.

... wiesen die nicht mich auf einen Park hin? :hmm:

Ob die Personifikation aber die Nichte ist oder doch die Maureen - ich will dir da nicht reinreden, aber schau dir mal an, wie die Lady Temple-Hamilton-Blackwood mit vollem Namen heißt ... Ich will dir aber wirklich nicht reinreden, das ist zwar ein absichtlicher Bezug, aber kein zwingender. Ich würde sagen, die Identität der Greisin bewegt sich ebenso zwischen Realität und Wirklichkeit wie die ganze Geschichte.

Du hast recht, es ist sicher runder, wenn ich bei Maureen bleibe. Das ist so eine schöne Idee, sie sich lieben zu lassen und ihm die Gabe zuzuschreiben, seinen Gefühlen mehr zu trauen als ... seinen Augen und Verstand. (ich habe schon angeführt, dass ich Maureen bei Freud als Modell entdeckt und mich gefreut habe, auch, dass du die bildnerische Kunst mit der Literarischen verbindest)

Und vor allem gehört aber in jedes romantische Märchen, das was auf sich hält, ein Fährmann

Merk ich mir. ;)

Zumindest die Nichte könnte sich womöglich im "Girl in a Dark Jacket" wiederfinden, muss aber auch nicht.

Ja, so sehe ich sie jetzt auch.

Seine oder ihre - oder die gemeinsame verpasste ... Irgend so was in der Art. Mit etwas Glück hat es auch was von Zukunft, wenngleich flüchtig.

Du hast recht. So ist es sogar noch schöner. Und Zukunft. Eher Gegenwart ... :(

Hm, warum nicht möglich? Ich hatte selbst gewisse Zweifel: Wenn er ein paar Meter von ihr weg steht, muss sie ziemlich filigrane Bewegungen mit den Fingerspitzen machen, wenn sie die Augen usw. nachzeichnen will. Dachtest du daran oder an etwas anderes? Ich lasse sie gerne etwas anderes tun, es muss mir nur noch was einfallen.

Genau diesen Gedanken hatte ich auch. Und dann noch den Mund dazu. Sie könnte den Ring küssen?

Nicht so schnell! Glaubst du wirklich, die Welt auf der anderen Seite des Flusses gibt es nicht?

Ich habe sie jetzt dreimal gelesen und bin ruhiger und habe alle Bilder (für mich) zugeordnet. So habe ich mehr Geduld gehabt für den Inhalt. Und doch, du hast wieder recht. Es gibt sie. :shy:

Also mich hast du glücklich gemacht mit dieser Geschichte. Das kann einem Autor nur gefallen.

Kanji

 

Hi Katla,

wenn du dich

als Vermeider der deutschen Literatur bis zur Postmoderne
outest, kann es natürlich schwierig werden. Aber - wenn ich es richtig verstehe - nur der deutschen, insofern besteht noch Hoffnung.

Ich muss gestehen, in der Mitte etwas überflogen zu haben, weil mir nicht ganz klar wurde, wohin die Sache geht, und vor allem nicht, was davon für den Plot wichtig ist und was „nur“ für die Atmosphäre.
Das kann ich dir nicht verübeln. Ich würde aber sagen, nur für die Atmosphäre steckt weniger drin, als es den Anschein haben mag. Ich wollte das eine oder andere Märchenmerkmal einbauen, und ganz klassisch sind da ja zum Beispiel drei mehr oder weniger magische Gegenstände und drei Aufgaben, die zu erfüllen sind. Und weil ich ohne ganz, ganz offensichtlichen Zauber auskommen wollte, haben mich solche Dinge einen gewissen Aufwand gekostet.

Auch ist es nicht so,

dass die Frau nur so zur Atmosphäre da langging
, denn das ist ja Maureen, und der Ich-Erzähler biegt auf den Weg ein, von dem sie hergekommen ist. Das kann man immer noch überflüssig finden, aber es ist nicht ganz ohne inhaltliche Funktion.

Wenn ich einfach mal den Anfang nehme:
... und da ist jetzt tatsächlich was weg. Aber die Landstraße hast du mir noch nicht ausgeredet, ich finde in dem Fall keinen entscheidenden Sparerfolg, wenn ich "Straße" statt "Landstraße" schreibe. Ach so, oder meintest du, ich sollte alt und umbefahren streichen? Vom alten Stil her darauf zu schließen, dass auch die Straße alt sein müsse, ist mir ehrlich gesagt nicht in den Sinn gekommen - und ich fände den Schluss auch verkehrt.

Und: Frisch machen ist eine feststehende Redensart, die mal kurz sich waschen oder duschen meint, und hier irritiert
Ich fand den Satz selbst nicht ganz zufriedenstellend, aber auf dieses Frischmachen bin ich komischerweise wirklich nicht gekommen. Wird her geändert, da fällt mir bestimmt irgendwas ein.

Ach ja:

auch wenn ich deutsche Schriftsteller vermeide, lese ich englische Autoren vom Mittelenglischen (und teil Altenglischen) an durch alle Zeiten
- da steht es ja. ("Vermeiden" klingt aber ziemlich aktiv - so schlimm?)

Die Atmosphäre, Stilgattung, der Plot und die Beschreibungen der Persönlichkeit würden in keiner Weise beeinträchtigt, wenn du die Satzstrukturen und –gefüge entschlacken und begradlinigigen würdest.
Tja, was soll ich sagen: Das war in diesem Fall für mich ein Kern des Experiments. An ein paar Stellen kann ich mir das schon vorstellen, noch was rauszunehmen, so wie ich das ja am Beginn jetzt auch gemacht habe. Geradliniger kommt auch wieder (hoffentlich), aber das ist nicht diese Geschichte - und sie wird es wahrscheinlich auch nicht werden.

jedenfalls hab ich die Geschichte gestern gelesen, und das ganze Setting, die warme Sonne und die Gerüche (die du glaube ich nichtmal beschreibst) gehen mir immer noch im Kopf rum, als sei ich dort kürzlich auf Urlaub gewesen.
Na, immerhin :)

Besten Gruß
erdbeerschorsch


A propos Märchenmerkmale: Da komme ich zu dir, lieber Friedrichard, und den Symbolen, die du aufspürst. Wasser, Feuer und auch die Milch - ja genau, die sind nicht zum Spaß mit dabei.

Die

"ausschlagenden" Flammen
gefallen dir nicht? Ich dachte mir den Zustand, wenn sie so richtig aus den Brettern züngeln, also nicht wenn die ersten Flämmchen brennen. Das findest du merkwürdig? Ich könnte es nicht beschwören, aber ist das nicht halbwegs gängig?

Die Brunhilde der Sage wurde auf einem brennenden Rheinkahn eingeäschert.
An die habe ich zugegebenermaßen nicht gedacht - obwohl schon Fugusan oben mich ja nicht ganz weit weg von Wagner sehen wollte.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

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Hi Bas,

schön, dich hier wieder zu sehen. Es freut mich auch, dass dir meine Pizza genügend wert ist, um sie lieber noch mal aufzuwärmen, als sie verderben zu lassen.
Zur Frage des Dürfens und Nicht-Dürfens: Das ist natürlich ein wichtiger Punkt, ob man kämpfen muss, ob es schwer verständlich ist. Die Schachteln haben wohl den Effekt, da geht es dann weniger darum, ob sie aus dem 19, Jahrhundert geliehen sind oder nicht, sondern einfach, ob sie zu umständlich gestapelt sind. Das eine oder andere wird sich noch ändern. Aber auf diese Schachteln habe ich es irgendwie abgesehen gehabt. Also, es war weniger so, dass ich mir gesagt habe: Jetzt schreibe ich mal wie im 19. Jahrhundert, sondern eher: Jetzt schreibe ich mal schön verschachtelt. Das war natürlich nicht einfach so, sondern hat schon einen gewissen Hintergrund (den ich aber ich jetzt doch nicht so gerne lange erklären würde, weil das letztlich banal ist).

Schö auch, dass du mir zwei Lieblingszenen gezeigt hast - von denen mir selbst die zweite sogar noch einigermaßen ungelenk vorgekommen ist. Um so besser, wenn es dir nicht so erscheint. (Aber zwei mal "tief" kurz hintereinander hab ich entdeckt. Das muss noch raus.)

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo erdbeerschorsch,

na da hast du mich ja schön in die Zwickmühle gebracht. Ausgerechnet ein Märchen! Aber weil es von dir ist, habe ich es gelesen. :shy:

Mir war ein maurisches Badehaus in Erinnerung, das zwar in seiner Maskerade ein ebenso falsches Spiel trieb, wie das Ritterschloss, das ich eben verließ, dabei aber ein feineres Garn spann.

Feineres Garn - bei der Lektüre habe ich mir vorgestellt, dass der Icherzähler das zusammenträumt (und sich dessen bewusst ist). Das erscheint mir alles wie ein wirrer Traum und das ist gleichzeitig mein Kritikpunkt, dass die Geschichte vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt und mir der rote Faden fehlt.

wunderte mich allenfalls, dass auf den Wegen, die durch den Park führten, vollständig die Besucher fehlten

Hier merke ich schon: Da stimmt etwas nicht. Das ist typisch Traum, dass alles so menschenleer und verlassen ist. Schönes Detail, gefällt mir.

in seinem Innern jedoch ein Werk des Künstlers Lucian Freud enthielt

Passend zu den Traumwelten taucht dann der Enkel Siegmund Freuds auf! Ich bin auch gleich auf das Girl in Bed gestoßen. Schön, zur Geschichte ein Bild zu haben! (Wie schon bei der Verkündigung ...)

dass die Insel nur den höchsten Punkt eines Weilers markierte, dessen Bewohner Maßnahmen zur Gewässerregulierung hatten weichen müssen, indem der Seespiegel bis zu seiner jetzigen Höhe aufgestaut und die Hütten unter Wasser gesetzt worden waren.

Talsperren und im Wasser versunkene Dörfer - das ist wahrlich schaurig-schönes, fantastisches Material! Ich wohne in Hessen und musste an die Edertalsperre denken. Leider habe ich sie nie bei Niedrigwasser besucht, da ragt dann wohl auch so einiges aus dem Wasser.

Tatsächlich aber hatte sich eine Halskette, die der Junge dem Mädchen erst geschenkt hatte und die diesem daher viel bedeutete, im Blätterwerk verfangen.

Ich glaube mittlerweile, das ist eine Eigenart von dir, in jeden Text mindestens einen Perspektivfehler einzubauen, einfach weil du es so schöner findest. ;)

An der Stelle will ich mal loswerden, dass ich auch einen Roman aus deiner Feder lesen würde. Sehr gerne darf das wie aus der Zeit gefallen wirken. :whocares:

Die Vorstellung war mir angenehm, dort unter einer Galerie zierlicher Säulen die späten Sonnenstrahlen zu beobachten, die nun gelegentlich unter den Wolken hervorleuchteten.

Diese Vorstellung wäre auch mir angenehm ... :herz:

Ob ich wohl der Frau, jener Greisin, die am Fahrrad ihre Milchkannen nach Hause trug, bei meinem ersten Besuch schon einmal begegnet sein mochte, und ob sie damals wohl bereits ebenso schwere Röcke getragen hatte, fragte ich mich, denn es schien mir in der spärlich besiedelten Landschaft nicht unwahrscheinlich, dass die wenigen, die sich gleichzeitig in ihr aufhielten, auch tatsächlich aufeinander treffen mussten. Während ich mich jetzt an das Gesicht der Frau zu erinnern versuchte, erschien es mir weit weniger alt, als im Moment unserer Begegnung. Die Frau, dachte ich schwermütig, dürfte wohl damals, als ich sie womöglich ein erstes Mal gesehen hatte, kaum weniger jugendlich gewesen sein als ich.

Ab und zu sind es mir dann doch zu viele Füllwörter (wohl, wohl, wohl) und umständliche Negationen (weniger alt, weniger jugendlich).

Ein widerwärtiges Verlangen bedrängte mich, seiner Einladung nachzukommen und, genau wie er es hoffte, die junge Frau, die ich am Fenster grüßend vor mir sah, in die Arme zu schließen. Ich sah vor Augen, wie ich in ihr Zimmer unterm Dach trat, wie sie sich grinsend umwendete, ohne den Platz am Fenster zu verlassen, und wie ich mich viehisch an ihren Leib drängte, während sie wohlig grunzte. Das sah ich vor mir, ganz so als hätte der Alte rundheraus gesagt: „Ich wünsche sie trächtig.“

Das hier ist seltsam derb und ich vermisse beim Icherzähler das Schamgefühl, das für mich zu dieser Erzählsprache passen würde. Bis hierher habe ich mir auch erfolgreich eingeredet, dass Märchen, Fantasy und Phantastik sehr nahe beieinanderliegen (der eine nennt es so, der andere so) und jetzt kommt - für mich - schmerzhaft so etwas bäuerisch Märchenhaftes im Negativsinne.

Jetzt erledigen wir noch schnell das Unvermeidliche:

wenn sie ein meinen Armen lag

Diese ungestillte Begehren ließ mich so wenig los

Sie suchte so nah am Ufer mit der Fußsohle halt, fand aber keinen

An der steinernen Brücke, die ich überqueren mussten

Ich konnte mich nicht zurückhalten, nach der jungen Frau zu Fragen

Am Ende bin ich ein klein wenig ratlos und erschöpft, habe das Gefühl, von der Fülle der (potentiellen) Symbole erschlagen zu sein, dass ich gar nicht erst versuchen will, das zusammenzupuzzlen, weil es mir wie ein aussichtsloses Unterfangen erscheint. Steckt da nicht Material drin für mehr als ein Märchen?
Und was hat das Erlebte mit dem jungen Mann gemacht?
Der Weg ist das Ziel. [sub]Und trotzdem würde ich mir wünschen, dieser Text hätte mehr Stringenz und ich könnte am Ende sagen: Aha, das war das Ziel.[/sub] So sage ich mir eben, dass es eine schöne sprachliche Reise war.

Beste Grüße
Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Erdbeerschorch,

oh ja, die Landstraße muss auf jeden Fall drinbleiben, da hab ich mich missverständlich ausgedrückt. Ich meinte nur, dass 'alt' nicht nötig gewesen wäre, weil mir die nächsten zwei Zeilen eben genau das schon so gut vermitteln.

Oh sorry! Dass die Frau Maureen ist, war mir tatsächlich dusseligerweise durchgerutscht - ich hatte das "frisch machen" für mich als "verjüngen" interpretiert, und das später nicht mehr mit der Prot in Verbindung gebracht.

Ich hatte vor dem Komm im Internet ein paar dt. Romantische / Klassische Texte angelesen, zum aktuellen Vergleich, und meinte nur in aller Vorsicht, dass der Leseeindruck "umständlich, verschachtelt" nicht unbedingt in der tatsächlichen Struktur dieser Texte zu finden ist. Es wird dort mit klaren, nicht redundanten Sätzen eben über lange Strecken etwas sehr detailreich beschrieben, das war für mich der Unterschied zu dem Beispiel mit den runden Kuppen, dem Tal zwischen den Hügeln und wo diese liegen - was teils auch ungenau war. Und was jetzt - ohne an Gehalt oder Atmosphäre zu verlieren - wirklich durch die Überarbeitung gewonnen hat.

Apropos 'Atmosphäre', weil du angesprochen hast, dass das meiste in deiner Geschichte, das wie 'Stimmung' aussieht, nicht nur rein dazu dient - das hast du auch gut rausgebracht. Ich meinte das tatsächlich im romantischen Sinne, wo das Sublime den Text trägt, d.h. wo 'erhabene' Landschafts- und Stimmungsbeschreibungen nicht nur die Prots charakterisieren, sondern ein Teil des Plots sind und dort inhaltsgebende Berechtigung haben. Nichtsdestotrotz meine ich, die Bilder sollten klar und präzise formuliert sein, selbst wenn die Sprache altmodisch bleibt.

Ich hoffe, du hast nicht den Eindruck, deine Geschichte hätte bei mir so eine diffuse Gattungsallergie ausgelöst und damit keine Chance gehabt - ich kann da schon abstrahieren (hatte Anglistik & Linguistik studiert, nicht, dass mich das irgendwie zur Expertin machte, aber heisst, ich gehe an Texte auch nicht rein naiv-gefühlsmässig ran).

Ist es so schlimm mit den deutschen Klassikern? Joar. :D Ich hab's versucht. Aber das Leben ist endlich, und jede Stunde, die ich mit einem Buch verbringe, das mir nichts sagt / bringt, geht verloren für ein Buch, das mir entweder gefällt, aus dem ich was lerne, oder an dem ich mich sonstwie anders abarbeiten kann. Meine Lebenszeit wird einfach nicht reichen, um allein das alles zu lesen, was ich gern würde.

Herzliche Grüße,
Katla

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @erbeerschorsch ,

Als ich die unbefahrene alte Landstraße entlangging, die sich zwischen den Kuppen der umliegenden Hügel durch das Tal zog, kam mir als erster Mensch, den ich heute auf meinem Spaziergang sah, eine Frau entgegen.
Vielleicht ist das für andere Leute problematisch, aber ich finde es gar nicht schlimm, dass der Satz so lang ist. Ich fände es aber schöner, wenn du diesen Satz mit einem Metrum geschrieben hättest z.B. mit einem durchgängigen Jambus. Dann wäre das noch melodischer und der Satz würde so richtig durchflutschen. Ist aber nur meine persönliche Meinung.

schweren Rock
meinst du so einen dicken Rock für kältere Tage?

Um den Hals hatte sie ein Tuch gelegt.
Hm, ich weiß nicht, ob das "gelegt" so gut passt. Ich hätte "gewickelt" verwendet, auch wenn sich das nicht so sanft anhört. Bei "gelegt" habe ich das Gefühl, dass das Tuch schnell vom Winde weggetragen werden würde. Weiß nicht, ob das Absicht war.

Gewässerregulierung
Ich finde, dieses Wort passt nicht zur märchenhaften Atmosphäre.

Akazien
Freimaurerisches Unsterblichkeitssymbol. Das Dorf lebt? :o

Mit einem frischen Taschentuch wischte ich den Fund ab.
Er hat einen Spazierstock mit einem einzigen Taschentuch wieder sauber gemacht?

Mit meinem Stock, den ich im Schloss gefunden hatte, konnte ich helfen.
Hier bekomme ich das Gefühl, dass du uns mit dieser Geschichte in eine Fantasiewelt mit vielen kleinen Abenteuern, aber ohne durchgehende Handlung entführen willst.

Du sollst die nassen Kleider ablegen, sagte sie,
Da fehlen doch die ""

Die Freude, die mir ihre Nähe bereitet hatte, wandelte sich in einen tiefen Schmerz,
Die Worte "Freude" und "Schmerz" kannst du rauslassen. Bei deiner Vorarbeit merke ich schon die Gefühle selber.
Nun habe ich das Gefühl, dass deine Kurzgeschichte wie ein Labyrinth ist, wo Motive immer an mir vorbeigehen, während ich immer verzweifelter versuche, einen Ausgang zu finden. Ist eine originelle Idee. Finde ich nicht schlecht.

Sie zeichnete mit dem ausgestreckten Finger meine Augen und Lippen in die Luft.
Was? Das hab ich jetzt nicht verstanden ...

„Das Schwesterchen lebt“, rief mir das Mädchen strahlend zu. „Wir sind jetzt Mann und Frau“, rief sie lauter gegen den Lärm des einfahrenden Zuges.
Aww.

der vordem das Dorf verschluckt hatte.
Das ist ein eigenartiger Nebensatz.


Sooo...
Wie schon gesagt, ich kam mir vor wie in einem Labyrinth wo ich immer mal wieder denselben Motiven und Personen begegnet bin, wo ich mich aber auch verloren gefühlt habe. Da war so ein Typ, den ich nicht wirklich kannte, und er war in einer Fantasiewelt, die ich nicht kannte, und das alles war noch in einer märchenhaften Sprache geschrieben, der ich nicht gewohnt bin. Der Text war teilweise sehr anstrengend.
Du könntest dieses Labyrinthgefühl etwas abschwächen, indem du eine stärkere Rahmenhandlung einbaust. Keine Ahnung, der Prot hatte grad einen schlimmen Monat und möchte auf andere Gedanken kommen. Das hätte auch den Vorteil, dass man sich mehr an deinem Prot festklammern könnte und so mehr mit deinen Figuren mitfiebern könnte.
So kam ich mir etwas zu verloren vor.

Trotzdem fand ich die Atmosphäre und die Idee sehr schön.

Oh, der Erzählstil erinnert mich ein bisschen an "Chihiros Reise ins Zauberland" (https://www.youtube.com/watch?v=ffnNmR6lBKY) aber da war eine Rahmenhandlung vorhanden, die sich durch die Geschichte zieht und dieses "sich Verlieren in den Nebenhandlungen" ist dort sogar selber ein wichtiges Motiv.

Liebe Grüße,
alexei

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber erdbeerschorsch,

auch nach mehrmaligem Lesen muss ich leider sagen, dass ich keinen rechten Zugang zu der Sprache und dem Inhalt deines Textes finde. Ich habe versucht, dahinter zu kommen, warum ich mich mit ihm so schwer tue. Ich fange mal an mit einem Zitat:

Es gibt oft Dinge und Beziehungen in dem menschlichen Leben, die uns nicht sogleich klar sind, und deren Grund wir nicht in Schnelligkeit hervor zu ziehen vermögen. Sie wirken dann meistens mit einem gewissen schönen und sanften Reize des Geheimnißvollen auf unsere Seele. In dem Angesichte eines Häßlichen ist für uns oft eine innere Schönheit, die wir nicht auf der Stelle von seinem Werthe herzuleiten vermögen, während uns oft die Züge eines andern kalt und leer sind, von denen alle sagen, daß sie die größte Schönheit besitzen. Eben so fühlen wir uns manchmal zu einem hingezogen, den wir eigentlich gar nicht kennen, es gefallen uns seine Bewegungen, es gefällt uns seine Art, wir trauern, wenn er uns verlassen hat, und haben eine gewisse Sehnsucht, ja eine Liebe zu ihm, wenn wir oft noch in späteren Jahren seiner gedenken ...
Die Seelenkunde hat manches beleuchtet und erklärt, aber vieles ist ihr dunkel und in großer Entfernung geblieben. Wir glauben daher, daß es nicht zu viel ist, wenn wir sagen, es sei für uns noch ein heiterer unermeßlicher Abgrund, in dem Gott und die Geister wandeln. ...
Zu diesen Bemerkungen bin ich durch eine Begebenheit veranlaßt worden, die ich einmal in sehr jungen Jahren auf dem Gute eines alten Majors erlebte, da ich noch eine sehr große Wanderlust hatte, die mich bald hier bald dort ein Stück in die Welt hinein trieb, weil ich noch weiß Gott was zu erleben und zu erforschen verhoffte.
So beginnt Stifters Novelle ‚Brigitta’ und ich habe sie vor einigen Jahrzehnten sehr gerne gelesen. Irgendwie muss ich damals wohl selber in einer romantischen Stimmung gewesen sein, sodass mich die altertümliche Sprache, die Umständlichkeit und das Ausschweifende der Darstellung nicht störten, vielleicht hat es mich aber auch deshalb nicht gestört, weil ich es als etwas Authentisches akzeptiert habe. So schrieb man eben im 19. Jahrhundert, so stellte man zu dieser Zeit eine Liebe dar, so ließen sich die Leser berühren.
Die von dir generierte Sprache ist nicht weit von der Stifters entfernt und auch die Wanderung, die du beschreibst, ähnelt in gewisser Weise der Wanderung des Stifterschen Protagonisten. Auch du lässt deinen Ich-Erzähler erst einmal die ‚Gegend erkunden’. Da ist von einer Hügellandschaft die Rede, von einer Insel mit einer verfallenen Kirche, einem Schloss in einem Park, einem verschwundenen Badehaus, einem Seerosenteich, einem Fluss usw. usw. Du skizzierst eine detailreiche Traumwelt, doch ergeben alle Einzelheiten für mich am Ende kein vorstellbares Gesamtbild. Ich wäre nicht in der Lage, mit meinen eigenen Worten den Handlungsort der Geschichte nachzuzeichnen.

Und auch die einzelnen Elemente deiner Handlung kann ich nicht einer klaren Erzählstruktur zuordnen. Welche Bedeutung haben neben deinem Erzählkern die vielen erwähnten Details, wie verhalten sie sich zum Maureen-Teil? Da läuft so vieles nebeneinander her: das Schloss, das Bild von Julian Freud, das Museum (?), der Mann am Seerosenteich, der mal Bettler, mal Fährmann ist, die jungen Leute, die am Weg sitzen, das kranke Schwesterchen, der Meier und seine Nichte, der Stock mit dem Silbergriff, der Holzbecher, der Ring, das Brautkleid, die verkohlte Meierei usw. usw. Ich kann sie in keine Gesamtkomposition einordnen. Auch wenn ich im einen oder anderen vielleicht etwas Symbolisches entdecke, so passt für mich doch eins nicht wirklich zum anderen, fehlt mir ein inhaltlicher Zusammenhang, fehlt mir am Ende überhaupt das Märchen, das du mir erzählen willst. Für mich ist das ein Sammelsurium verschiedener Puzzlestücke, denen aber das Bild fehlt, in dem jedes seinen Platz findet.
Und auch die eigentliche Liebesgeschichte ist für mich eine Sache mit vielen Fragezeichen: Was ist los mit diesem Mann, der sich auf der einen Seite zur ‚Greisin’ hingezogen fühlt, gleichzeitig aber in seinen Träumen andere Frauen aus Vergangenheit und Gegenwart begehrt? Das sind psychologisch interessante Ansätze, die dein Märchen aber nur kurz und oberflächlich streift.
Und es fällt mir auch schwer, mir deinen Protagonisten vorzustellen: Am Anfang sagst du, dass er ungefähr so alt wie Maureen ist, aber seine Sicht auf die Greisin, seine Tatkraft, sein Begehren und auch das Ansinnen der Nichte des Meiers vermitteln mir das Bild eines jungen Mannes.

Die Manieriertheit deiner Sprache wirkt für mein Empfinden zu gewollt, und in ihrer konstruierten Umständlichkeit häufig dann doch irgendwie albern. (Ganz besonders dann, wenn da plötzlich von Plastikplanen, einer Gewässerregulierung und einer (Bus-)Haltestelle die Rede ist.)

Und noch zu Peeperkorns Frage und deiner Antwort:

Ich lese ja solche Sprache eigentlich ganz gerne. Aber dann doch nur, wenn ich weiss, dass der Text aus dem 19.Jahrhundert stammt.
... Warum darf man bestimmte Dinge nicht mehr machen? Was ist schlecht, wenn man es macht?
Hierzu meine Meinung: Natürlich darfst du das. Aber wenn ich im 21. Jahrhundert Texte in der Sprache des 19. Jahrhunderts verfasse, dann sind und bleiben das Kopien, egal, wie gut du das auch hinbekommst. Ich kann das Im-Stil-vergangener-Zeiten-Schreiben positiv als sportlichen Anreiz ansehen, negativ scheint es mir eher eine Marotte zu sein. Nur wird dieses Bemühen mMn die Ebene des Plagiierens wohl kaum verlassen können. Daraus heutzutage einen eigenen Sprachstil zu entwickeln, kann ich mir nicht so ohne Weiteres vorstellen.

Denn Textstellen wie diese

Die allerorten dem Landschlösschen aufgesetzten Türme, die ebenso wenig wie die breiten, hohen Fenster der Verteidigung zuträglich waren, der dieser Platz in romantischer Verklärung zu dienen vorgab, hatte ich nicht in derselben Klarheit in Erinnerung.

... wollte ... die Verbindung zu dem Mädchen halten, das ich innen abgebildet gesehen hatte: Wie (wie) es den Kopf, den es auf den Ellenbogen stützte, aus dem Bett hob.

... die Bettdecke, unter der das Mädchen, wie man an der bloßen Schulter, die herausragte, gewiss erkennen konnte, nackt sein musste, anzuheben und sie schützend höher um seinen Hals zu schließen, so als könnte und dürfte ich es nur mit dieser Bettdecke umarmen.

Ich musste nicht fürchten, von Neuem in den Bann zu geraten, den mir diese Erinnerung lebendig machte, denn wie ich dem Schloss näher kam, klärte sich mir zugleich auf, warum niemand außer mir zugegen war.

..., hielt es aber nicht für irrig, einem Bach zu folgen, der womöglich in den Seerosenteich münden konnte, den das Gebäude mit seinem Säulenrund umschloss.

So befremdlich mir das Geschäft an diesem Ort erschien, da doch, so lange das Schloss renoviert wurde, schwerlich einmal jemand hier vorbeikommen sollte, ...

Er wollte wohl dem Mädchen, so dachte ich, das neben ihm stand und die gefalteten Hände vors Gesicht hielt, während es um den Erfolg bangte, ...

Diese ungestillte Begehr ließ mich so wenig los, dass mich in der Nacht kräftige Träume umherwarfen, von denen ich am nächsten Morgen bei all ihrer betörenden Lebhaftigkeit nicht hätte sagen können, ob sie mir die Alte oder doch meine fremde Freundin von damals in die Arme gegeben hatten.

Es mochte zu der unerfreulichen Begegnung passen, dass ich ihren Ertrag auch anders zur Hälfte verdorben fand, insofern nämlich die Milch in einer der Kannen sauer war

u.v.a.m.

halte ich persönlich für nicht gelungenes Nachahmen. Das ist eine verquere sprachliche Ziererei, die das Gemeinte gewollt umständlich und manieriert auszudrücken versucht. Ich sehe keinen Sinn darin, außer dem, dass hier jemand seinem sehr speziellen Hobby nachgeht. Und das sei ihm/dir unbelassen.

Und noch etwas: Wenn ich abschließend deine Sprache mit der Stifters aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vergleiche, so kommt mir Stifters Sprache schnörkelloser und moderner vor als die, die du in deinem Text kreierst.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Hi Anne49,

schön, dass du dich hierher und verirrt hast und aus dem Verirren sogar noch einen gewissen Genuss gezogen hast.

Feineres Garn - bei der Lektüre habe ich mir vorgestellt, dass der Icherzähler das zusammenträumt (und sich dessen bewusst ist). Das erscheint mir alles wie ein wirrer Traum und das ist gleichzeitig mein Kritikpunkt, dass die Geschichte vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt und mir der rote Faden fehlt.
Tja, die Kritik kann ich leider gar nicht leicht kontern. Eine Rolle spielt zwar schon auch, dass der Ich-Erzähler die Orientierung verliert und ich es ein Stück weit reizvoll gefunden habe, den Leser diesen Gang mitmachen zu lassen. Aber richtiger ist wahrscheinlich, dass mir die Geduld gefehlt hat, bestimmte Teile stärker zu gewichten. Man kann ja immer nur mit seinen eigenen Ressourcen arbeiten, und das bedeutet in meinem Fall, dass ich klarer auch länger bedeutet hätte. Also mehr Lesearbeit und mehr Schreibarbeit. Dazu konnte ich mich nicht so sehr überwinden, weil ja doch abzusehen war, dass ich mir mit dem Teil keine Fangemeinde schaffe. Da hab ich dann halt die Löcher halbwegs geflickt und das so rausgehauen.

Ich glaube mittlerweile, das ist eine Eigenart von dir, in jeden Text mindestens einen Perspektivfehler einzubauen, einfach weil du es so schöner findest. ;)
Es ist ja nicht so, dass ich mir das vornehme, ich habe da nur eine etwas höhere Schmerztoleranz als andere.

Ab und zu sind es mir dann doch zu viele Füllwörter (wohl, wohl, wohl) und umständliche Negationen (weniger alt, weniger jugendlich).
Das sieht in der Darstellung recht überzeugend aus, dünn ich also mal noch aus.

Das hier ist seltsam derb und ich vermisse beim Icherzähler das Schamgefühl, das für mich zu dieser Erzählsprache passen würde.
Das Schamgefühl - hm, ja, hat er nicht direkt, aber angenehm ist es ihm auch nicht. Das echte Schamgefühl zaubert der Hexer weg ...

Jetzt erledigen wir noch schnell das Unvermeidliche
Besten Dank, sollte jetzt alles korrigiert sein.

Der Weg ist das Ziel.
Hätte das Schwesterlichen auch ohne diese seltsamen Verrichtungen überlebt? Wer weiß ... Tja, ich muss zugeben, die Verbindung drängt sich nicht unbedingt auf. Aber gehört nicht zu jedem Märchen, das was auf sich hält, nicht nur ein Fährmann, sondern auch ein Bann der gebrochen wird?

Besten Gruß
erdbeerschorsch

-------

Hi alexei,

schön, dich hier zu treffen. Ich hätte gehofft, dich mehr umgarnen zu können, aber zumindest hat dich der Einstieg mal nicht abgeschreckt, das ist doch immerhin was.

meinst du so einen dicken Rock für kältere Tage?
Ja, so was in der Art.

Ich finde, dieses Wort passt nicht zur märchenhaften Atmosphäre.
Tja, was soll man machen? So war es halt :) Die Geschichte spielt ja nicht im 19. Jahrhundert ...

Er hat einen Spazierstock mit einem einzigen Taschentuch wieder sauber gemacht?
War ja nur Staub dran!

Hier bekomme ich das Gefühl, dass du uns mit dieser Geschichte in eine Fantasiewelt mit vielen kleinen Abenteuern, aber ohne durchgehende Handlung entführen willst.
Das kann man so nicht sagen, aber ich muss es wohl akzeptieren, dass die Handlung nicht deutlich geworden ist. Speziell dieser Stock ist allerdings auch nicht das Utensil in der Geschichte, mit dem ich am glücklichsten bin. Aber er ist eben eines von den drei Zauberdingen, mit denen etwas geschehen muss, damit das gute Ende möglich ist. Ich hab mir zwischendurch selbst gewünscht, mir words etwas besseres einfallen.

Die Worte "Freude" und "Schmerz" kannst du rauslassen. Bei deiner Vorarbeit merke ich schon die Gefühle selber.
Stimmt wahrscheinlich, lass ich trotzdem erst mal drin.

Nun habe ich das Gefühl, dass deine Kurzgeschichte wie ein Labyrinth ist, wo Motive immer an mir vorbeigehen, während ich immer verzweifelter versuche, einen Ausgang zu finden. Ist eine originelle Idee. Finde ich nicht schlecht.
Freut mich, dass dir das gefällt!

Gut, also auch für ich nicht klar genug. Ja, nicht überraschend, aber schade trotzdem.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

---------------

Hi barnhelm,

ich treffe dich immer gern unter meinen Texten, obwohl ich dabei, wenn ich mich richtig erinnere, selten ungeschoren davon komme. Diesmal war's also gar nichts für dich. Dass du Stifter besser findest als meinen Text - tja, ähm, wer hätte etwas anderes erwartet?

Da läuft so vieles nebeneinander her: das Schloss
- nebeneinander würde ich da nicht sagen, das ist der Eingang. Aus dem Park findet er ja nicht mehr richtig heraus (er kommt an der Mauer, die in umfasst, nicht mehr vorbei) und dann verstrickt er sich immer weiter.

der Mann am Seerosenteich,
- nee, am Bach. Der Seerosenteich bleibt unauffindbar

der mal Bettler, mal Fährmann ist
- der ändert sich nicht, der Mann.

Auch wenn ich im einen oder anderen vielleicht etwas Symbolisches entdecke, so passt für mich doch eins nicht wirklich zum anderen, fehlt mir ein inhaltlicher Zusammenhang, fehlt mir am Ende überhaupt das Märchen, das du mir erzählen willst.
Ja, der ist wohl zu dünn gewebt, der inhaltliche Zusammenhang.

Für mich ist das ein Sammelsurium verschiedener Puzzlestücke, denen aber das Bild fehlt, in dem jedes seinen Platz findet.
Ja nun, schade zwar, aber das dürfte meine Schuld sein.

Die Manieriertheit deiner Sprache wirkt für mein Empfinden zu gewollt, und in ihrer konstruierten Umständlichkeit häufig dann doch irgendwie albern. (Ganz besonders dann, wenn da plötzlich von Plastikplanen, einer Gewässerregulierung und einer (Bus-)Haltestelle die Rede ist.)
Es ist eine Bahnhaltestelle. Albern ist nicht schön. Plastikplanen usw. müssen aber vorkommen, es spielt ja nicht im 19. Jahrhundert. Ich fände es noch alberner, das auszusparen. Dass wäre dann der Punkt, an dem ich es als zu gewollt empfinden würde.

Hierzu meine Meinung: Natürlich darfst du das.
Ja, klar, so war das gar nicht gemeint. Ein Vergehen ist es nur insofern, als es mit vernichtender Kritik bestraft wird. Mich beschäftigt so etwas immer wieder (auch ganz gerne). Warum würde ich Dinge, für die ich mich begeistere, abstoßend finden, wenn ich wüsste, dass sie nicht aus der Zeit stammen, aus der sie zu stammen vorgeben? Oder auch: Warum finde ich solche Dinge - na, vielleicht nicht abstoßen, aber hat störend. Zum Beispiel Neugotik: Find ich meistens zum Wegschauen. Aber nicht immer.

Aber wenn ich im 21. Jahrhundert Texte in der Sprache des 19. Jahrhunderts verfasse, dann sind und bleiben das Kopien
Find ich nicht so einfach. Neugotik ist auch keine Kopie. In diesem Fall würde ich alleine schon die Plastikplanen usw. geltend machen. Das reicht sicher nicht, du kannst immer noch sagen, es ist halt eine Kopie, in die jemand Plastikplanen gemalt hat. Trotzdem bin ich mir fast sicher, dass der Text nicht in der Sprche des 19. Jahrhunderts verfasst ist, auch wenn es danach aussehen kann.

Ich kann das Im-Stil-vergangener-Zeiten-Schreiben positiv als sportlichen Anreiz ansehen
Meine unmittelbare Anregung war übrigens witzigerwise ein moderner Autor. Ich sage nur lieber nicht welcher, die Vergleiche könnten allzu leicht nicht schmeichelhaft für mich ausfallen.

negativ scheint es mir eher eine Marotte zu sein.
Wollen Marotten nicht regelmäßig gepflegt sein? Ich hoffe, so weit ist es noch nicht.

Nur wird dieses Bemühen mMn die Ebene des Plagiierens wohl kaum verlassen können.
"Kopie" muss ich mir vielleicht wirklich sagen lassen, Plagiat allerdings mit ziemlicher Sicherheit nicht. Zumindest meiner Auffassung nach kann man den Stil einer Zeit gar nicht plagiieren.

Daraus heutzutage einen eigenen Sprachstil zu entwickeln, kann ich mir nicht so ohne Weiteres vorstellen.
Ich auch nicht - also jedenfalls nicht generell. Aber ich finde halt trotzdem reizvoll, das auszuprobieren, was ich mir schwer vorstellen kann.

Ich sehe keinen Sinn darin, außer dem, dass hier jemand seinem sehr speziellen Hobby nachgeht. Und das sei ihm/dir unbelassen.
Ich hoffe heftiger und im Zweifel auch zuversichtlicher als du, dass sich daraus kein Hobby entwickelt.

Wenn ich abschließend deine Sprache mit der Stifters aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vergleiche, so kommt mir Stifters Sprache schnörkelloser und moderner vor als die, die du in deinem Text kreierst.
Hab ich schon gesagt, aber ich sag es trotzdem noch mal: Das wundert mich nicht. Wenn du mich fragst, was die Sprache des 19. Jahrhunderts ausmacht, dann würde ich dir sicher nicht antworten: Sie muss unbedingt verschnörkelt sein. Aber für mich war das halt aus mehr oder weniger banalen Gründen Teil des Experiments: Also nicht - steht oben schon mal irgendwo - genau wie im 19. Jahrhundert schreiben (das hätte ich dann vermutlich eher unter "Experiment" gepostet"), sondern verschachtelt schreiben. (Die Anklänge ans 19. oder auch frühe 20. Jahrhundert sind trotzdem auch nicht zufällig da, als gewissermaßen automatisch durch die Verschachtelnden gekommen, das will ich auch wieder nicht behaupten!). Klingt vielleicht blöd, und wenn es so klingt, kann ich wenig dagegen tun. Aus bestimmten Gründen hatte ich da halt ein Interesse dran. Andrerseits will ich nicht versprechen, dass das jetzt, nachdem ich das probiert habe, nie wieder passiert :)

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

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